Donnerstag, 25. Februar 2010

Bibelstudie "Bestandsaufnahme" 3: Smyrna

3 Der Brief an die Gemeinde zu Smyrna
Smyrna (das heutige Izmir) war zur Zeit des NT eine besonders bedeutende und schöne Stadt. Nur Ephesus übertraf sie an Bedeutung. Smyrna verfügte über Reichtum, denn die Stadt hatte einen sicheren Hafen und lag an bedeutenden Handelsstraßen. Der kulturelle Anspruch zeigte sich darin, dass man meinte, Geburtsstadt des Dichtes Homer zu sein. Die Stadt war politisch stark, denn sie hatte immer die besondere Nähe zu Rom gesucht – deshalb stand sie unter besonderem römischen Schutz. 26 n. Chr. lagen einige kleinasiatische Städte in einem Wettbewerb, wer dem Kaiser Tiberius einen Tempel bauen dürfte – Smyrna gewann. Dementsprechend wurde gerade hier der Kaiser religiös verehrt. Schließlich war Smyrna auch von der Natur her und städtebaulich besonders schön. Sie galt als „Perle Asiens“. Sie wurde überragt vom Berg Pagos, um dessen Gipfel sich ein Kranz von säulengeschmückten Gebäuden zog. Das Bild vom Kranz werden wir noch wieder antreffen.

Die äußere Situation war gar nicht so verschieden wie die vom prächtigen Ephesus. Aber die Lage der christlichen Gemeinde war völlig verschieden. Ein Zeichen dafür, dass sich jede Gemeinde wirklich als Einzelfall betrachten muss. Ähnliche äußere Umstände können doch Rahmen sein für eine ganz unterschiedliche Einschätzung durch Christus.

3.1 Wer redet zur Gemeinde – wie zeigt sich Christus?
Christus stellt sich vor und greift dabei wieder Elemente aus der Eröffnungs-Vision auf. Hier zeigt er sich als der, der Martyrium und Tod erlitten hat und auferweckt wurde. Damit ist gleich das Thema der Gemeinde gegeben: Es geht um Leben und Tod. In allem, was der Gemeinde passiert, kann sie den Weg von Jesus Christus wiedererkennen – und das soll sie sehen lernen.

Anders als bei Ephesus gibt Christus dieser Gemeinde weder Lob noch Tadel. Diese Gemeinde ist nicht in der Lage, etwas Richtiges zu tun oder etwas Falsches zu lassen – sie ist quasi eingeklemmt und kann nur darunter leiden. Keine Gemeinde, die nicht aktiv, sondern nur passiv sein kann.

Christus erklärt nun, dass er das alles weiß: „Ich kenne deine Lage!“

3.2 Drei Belastungen der Gemeinde
Dreifach werden die Probleme benannt:
1. Bedrängnis
2. Armut
3. Verleumdung / Beleidigung
Die Bedrängnis wird in V. 10 beschrieben: Einige müssen ins Gefängnis und sind da womöglich (nicht unbedingt zwangsläufig) vom Tode bedroht. Das wird so geschehen – die erste und die dritte Bedrückung bestreitet Christus nicht, als ob es nicht so schlimm wäre. Doch, so wird es kommen!
Nur die zweitgenannte Last bestreitet Jesus: Die Christen sind arm (inmitten einer glänzenden und blühenden Stadt) – aber das macht nichts, das nun ist tatsächlich nicht so schlimm, denn in Wirklichkeit sind sie reich.

3.2.1 Armut
Welche Armut ist gemeint? Materielle oder innere? Zunächst kann es wirklich materielle Armut sein. Das hier benutzte Wort meint nicht den ärmeren Menschen, der durch harte Arbeit noch gerade über die Runden kommt, sondern den total Verarmten, der gar nichts mehr hat. So arm konnten Christen werden, z. B. weil sie bedrängt wurden und man ihnen das Vermögen einzog. Hebr 10,34:

Ihr habt mitgelitten mit den Gefangenen und den Raub von Hab und Gut mit Freuden hingenommen im Wissen, dass ihr selbst ein besseres und bleibendes Gut habt.

Materielle Armut aber kann innere Folgen haben. „Allzu leicht ruft Armut seelische Schädigungen hervor. [...] Armut macht so leicht ärmlich, Gehasstwerden gehässig, Geschlagenwerden verschlagen.“ (A. Pohl) Also braucht es eine Gegenkraft und eine andere Sicht. Christus deutet auf den Reichtum der Christen.

Hat Gott nicht die erwählt, die in den Augen der Welt arm sind, und sie zu Reichen im Glauben und zu Erben des Reiches gemacht, das er denen verheißen hat, die ihn lieben? Jak 2,5

Dabei müssen wir heutigen Bibelleser aufpassen. Nicht jeder Gemeinde spricht Jesus pauschal einen Reichtum zu, sondern hier gerade der Gemeinde, die sich für arm hält. Umgekehrt gibt es Gemeinden, die sich reich vorkommen, aber in Christi Sicht gerade arm sind (Offb 3,17)! Es kommt schon darauf an, ob man sich selbst Reichtum zuspricht oder das von Jesus hört.

3.2.2 Die Gegner der Gemeinde
Feinde der Gemeinde sind zum einen die Smyrnäer Juden. Gerade diese Stadt hatte damals eine fest als Volkskörperschaft zusammengeschlossene jüdische Bewohnerschaft. Offenbar habe die bei den Behörden Stimmung gegen die Christen gemacht. Warum? Vielleicht weil etliche von ihnen zu der „Christensekte“ übergelaufen waren.
Zu beachten: „Die Juden“ an sich sind hier nicht die pauschalen Gegner aller Christen. „Der Name ‚Juden‘ ist im ganzen Neuen Testament niemals Schimpfname“! (H. Lilje) Sondern weil sie ihren Gegnern, den Christen, schaden zufügen, sind sie gerade keine Juden. An sich bleibt „Jude“ oder „Israel“ in der Bibel ein Ehrenname. Jesus nennt sie „Synagoge Satans“ – also das Gegenteil dessen, wie sie sich selbst sahen, nämlich „Synagoge des Herrn“. Warum gerade „Satans“? Nun, der Satan ist (schon von der Namensbedeutung her) der Ankläger. So offenbar haben sich diese Juden den Christen gegenüber verhalten. Nicht von Geburt an und nicht generell sind alle Juden „Synagoge Satans“, sondern diese hier deshalb, weil sie sich so verhalten, nämlich verleumden und anklagen.
(Das Wort Joh 8,44 – „ihr habt den Teufel zum Vater“ – gehört nicht in diesen Zusammenhang, denn es ist nicht allgemein den Juden gesagt, sondern bestimmten christusgläubigen Juden!)

Auf die Gemeinde wirkten aber nicht nur menschliche Gegner ein, sondern auch der Teufel (V. 10) – er ist es, der einige ins Gefängnis bringt. Darin werden die Christen auf die Probe gestellt – von wem? Vom Teufel? Die Formulierung im Passiv („ihr werden versucht“) lässt jeden Juden an Gott als Urheber denken; im Passiv wird vermieden, den Namen Gottes auszusprechen. Also wirken eben doch nicht nur die Gegner auf die Gemeinde ein, sondern darin wirkt Gott!

Aber stellt Gott seine Kinder auf die Probe? Hier tut er es ja nicht direkt, sondern indem er den Gegner eine Weile freie Hand lässt. Durch äußere Umstände kann Gott sehr wohl ans Licht bringen, was im Tiefsten in uns lebt.

... darum reden wir: nicht um Menschen zu gefallen, sondern um Gott zu gefallen, der unsere Herzen prüft. 1Thess 2,4

Gott aber sorgt dafür, dass diese Probe nicht zur Überforderung wird. Nur „zehn Tage“ haben die Gegner freie Hand; eine begrenzte Zeit (wie es in Daniel 1 auch eine begrenzte Zeit ist, die man bewältigen kann).

Gott aber ist treu: Er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kräfte versucht werdet, sondern mit der Versuchung auch den Ausweg schaffen, dass ihr die Kraft habt, sie zu bestehen. 1Kor 10,13

3.3 Tatsachen gegen die Bedrängnis
Im Laufe des Briefes nennt Christus eine Reihe von Wirklichkeiten, die der Gemeinde eine neue Sicht auf ihn, auf sich selbst und auf ihre Lage geben. Diese Wirklichkeiten stellen die Gemeindesituation in ein neues Licht. Es sind folgende:
· Die Gemeinde wird christusförmig, weil sie denselben Weg geht, den Christus gegangen ist: tot und wieder lebendig ...
· Christus kennt die Lage der Gemeinde.
· Die Gemeinde ist in Wahrheit reich und kann diesen Reichtum in den Blick nehmen.
· Die Tage der Bedrängnis sind gezählt – buchstäblich!

3.4 Zwei Gebote: Furchtlosigkeit und Treue!

3.4.1 Furchtlos sein!
Aus den gegebenen Tatsachen heraus leitet Christus das Gebot ab: „Fürchte dich nicht!“ (V. 10)
Damit benennt Jesus die einzige Bedrohung, die der Gemeinde wirklich etwas anhaben könnte: Angst. Furcht vor den falschen Mächten und dann falsche Rücksichtnahme auf diese Mächte. Diese Mächte sind da – „es werden einige ins Gefängnis kommen“, unbestritten. Aber diese Aussicht soll keinen Schrecken verbreiten.
Die Angst vor dem Falschen ist auch für uns eine Versuchung:

Es trifft sie Furcht und Schrecken, obwohl doch nichts zu fürchten ist. Ps 53,6
Wen hast du denn gescheut und gefürchtet, dass du gelogen und nicht an mich gedacht hast, es dir nicht zu Herzen genommen hast? Jes 57,11

Von welchen Kräften sind wir heute stark beeindruckt?
Von welcher Angst oder Sorge müssten wir uns lösen, weil sie nicht die echten, von Christus gegebenen Wirklichkeiten berücksichtigt?

3.4.2 Treu sein!
Selbst wenn der Tod droht, sollten die Smyrnäer Christen sich treu zu Christus bekennen (V. 10) – weil der Tod eben keine echte Bedrohung ist.
Unsere Situation ist derzeit anders. Unsere Treue ist nicht durch Todesgefahr auf die Probe gestellt. Die Frage ist, wie wir jetzt schon unser Treubleiben vorbereiten können.

Ein Geschäftsmann wird in zwei Monaten gemeinsam mit seiner Projektgruppe in die Firmenfiliale nach Übersee geschickt werden. Dort stehen mehrtätige Verhandlungen an. Er weiß aus Erfahrung, dass schon im Flugzeug viele seiner Kollegen ihre Eheringe vom Finger ziehen. Denn in der Filiale werden sie überaus attraktiven Kolleginnen begegnen – und diese paar Tage könnte man ja nutzen ...
Wie kann dieser Mann jetzt schon so leben, dass er in zwei Monaten treu bleiben wird? Was stärkt seine Ehe heute? Was lässt sie auch in der Versuchung stabil bleiben?

Was davon ist anwendbar auf unsere Beziehung zu Gott? Wie können wir unsere Beziehung zu ihm jetzt gestalten, damit sie auch in der Versuchung stabil bleibt? Was macht unsere Beziehung zu Gott stark, so dass wir treu sein werden?

3.5 Das Versprechen
Der bedrängten Gemeinde gibt Christus ein großes doppeltes Versprechen: Er wird den Kranz des Lebens geben. Das Bild von Sportwettkämpfen klingt an, in denen der Sieger bekränzt wird (heute bekommt er eine Medaille). Sportwettkämpfe waren im damaligen Smyrna häufig. Die Stadt selbst hatte ja den Wettbewerb um den Tempelbau gewonnen (s.o.). Die Bewohner von Smyrna hätten vielleicht auch an den schmückenden Kranz von Säulen-Häusern rund um den Gipfelberg denken können (s.o.).
Wenngleich Christen auch nicht durch ihre Werke gerettet werden, so wird Christus doch auf alle Fälle das anerkennen, was uns gelungen ist. Solange wir nicht auf unsere Leistung vertrauen, dürfen wir uns durchaus freuen auf sein „gut gemacht!“. „Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!“ (Mt 25,21)

Außerdem verspricht Christus Bewahrung vor dem zweiten Tod. Im jüdischen Sprachgebrauch ist das der Tod, aus dem heraus es keine Auferstehung mehr gibt. (Offb 20,14) Der Kreis schließt sich: Der „Erste und der Letzte“, der Lebendige, sagt zu, das zuletzt das Leben siegen und der Tod unterliegen wird.

Beides sind bedingte Versprechen, d.h. sie sind an eine Bedingung geknüpft. Sie gelten allen Christen, sofern sie treu bleiben und überwinden (auch ihre falsche Angst muss überwunden werden, wenn sie von Christus wegzieht). Die Liedzeile „Uns wird kein Leid vom Tode wiederfahren“ darf nicht zu Selbstsicherheit verleiten. Das ist kein Automatismus. Wohl aber macht Christi Versprechen Hoffnung und gibt Energie zum Treubleiben.

Montag, 22. Februar 2010

Predigt: „Drei Dimensionen der Arbeit“

Predigt über 2Mose 17, 8-15: „Drei Dimensionen der Arbeit“
Liebe Gemeinde,
das Schöne am Sonntag und am Gottesdienst ist, dass man einmal wegsehen kann von Arbeit und Alltag. Wir bekommen Kontakt zu Gottes Welt. Gottes Welt ist zwar auch da, wenn wir Wäsche aufhängen oder Auto fahren oder am Schreibtisch sitzen. Aber den Kontakt zu Gott finden wir dann oft nur flüchtig. Im Gottesdienst haben wir Zeit und Ruhe, Verbindung mit Gottes Welt aufzunehmen.
Aber dann wünschen sich die meisten von uns ja doch auch die Brücke vom Gottesdienst zum Alltag, von Feier hier zur Arbeit ab morgen. Was hier passiert, sollte eine Bedeutung haben für die Momente, wenn ich telefoniere oder Wäsche aufhänge oder Kundengespräche führe. Deshalb möchte ich in der Predigt den Blick auf unsere Arbeit lenken. Ich hoffe, ich verderbe damit keinem den Gottesdienst, der froh ist, weit weg von der Arbeit zu sein. Lasst uns heute auf drei Dimensionen unserer Arbeit schauen, gerade damit der Alltag Kontakt kriegt zu Gottes Welt. Damit wir – besser gesagt – merken: Wenn wir arbeiten, ist das auch Gottes Welt!
Hören wir auf einen Bericht aus der Zeit von Mose und Israel:

8 Da kam Amalek und kämpfte gegen Israel in Refidim. 9 Und Mose sprach zu Josua: Wähle Männer aus für uns und zieh hinaus in den Kampf gegen Amalek. Morgen will ich mich mit dem Gottesstab in der Hand auf die Höhe des Hügels stellen. 10 Und Josua machte es, wie Mose es ihm gesagt hatte, und kämpfte gegen Amalek. Mose, Aaron und Hur aber stiegen auf die Höhe des Hügels. 11 Solange nun Mose seine Hand hochhielt, hatte Israel die Oberhand, sooft er aber seine Hand sinken ließ, hatte Amalek die Oberhand.  12 Und als Moses Hände schwer wurden, nahmen sie einen Stein und legten diesen unter ihn, und er setzte sich darauf. Aaron und Hur aber stützten seine Hände, der eine auf dieser, der andere auf jener Seite. So blieben seine Hände fest, bis die Sonne unterging. 13 Und Josua besiegte Amalek und sein Kriegsvolk mit der Schärfe des Schwertes. 14 Da sprach der HERR zu Mose: Schreibe dies zum Gedächtnis in ein Buch und lass es Josua hören. Denn ich will das Andenken Amaleks unter dem Himmel tilgen. 15 Und Mose baute einen Altar und nannte ihn Der-HERR-ist-mein-Feldzeichen.     Ex 17

Ein Kampfbericht, ein Militär-Report, aber sehr merkwürdig, denn über Sieg oder Niederlage entscheidet hier nicht das Militär.
Der Bericht fängt ganz trocken an. „Da kam Amalek.“ Ein feindliches Volk. Da kam die Herausforderung. Auch viele unserer Lebens-Episoden fangen so trocken an: Da kam die Klausur. Oder das Vorstellungsgespräch. Da kam die Mittelohrentzündung der Dreijährigen. Da kam der neue Abteilungsleiter. Da kam der Getriebeschaden kurz vor der Fahrt in den Urlaub. Da kam die ärztliche Diagnose. Oder da kam ganz einfach wieder ein neuer Tag, unübersichtlich, ohne großen Anspruch, aber auch ohne Begeisterung.
„Da kam Amalek und kämpfte gegen Israel.“ Herausforderungen türmen sich auf. Eigentlich sind wir ganz friedliebend, aber es gibt Kämpfe, die gekämpft werden müssen. Ob heute oder morgen ist nicht die Frage, sondern dann heißt es „Heute!“ und es fragt sich nur, ob wir gewinnen oder verlieren.

Wenn wir nun lesen oder gehört haben, wie Israel den Kampf gekämpft hat, dann ist das ein merkwürdiges Bild. Ja, dieser Kampf musste ausgefochten werden – und dennoch sind es nicht einfach die Kämpfer, die den Sieg einfahren. Sondern noch mehr Leute sind beteiligt. Drei Gruppen von Menschen sind es, die dreierlei verschiedene Dinge tun. An ihnen erkennen wir drei Dimensionen der Arbeit.

Zum ersten sind da Josua und die Kämpfer, die Soldaten. Sie führen das aus, was getan werden muss, sie haben ihre Waffen, ihre Werkzeuge. Sie tun die Arbeit, setzen sich den Gefahren aus, strengen sich an, gebrauchen ihre Hände und ihr Köpfchen. Diese Gruppe ist am größten.

Zweitens gibt es den Mose. Der kämpft die Schlacht nicht mit. Der zieht sich zurück auf einen Hügel. Es ist wie ein Feldherrenhügel, bloß dass Mose von dort nicht die militärischen Operationen leitet, sondern er hält die Hände hoch ausgestreckt. Er hat den Stab Gottes in der Hand – den Stock, den Gott ihm damals am Dornbusch gegeben hat und mit dem er Gottes Kraft schon oft in Bewegung bringen konnte. Es ist, als ob dieser Stab voller Versprechen Gottes steckt. Den hält Mose ausgestreckt über das Kampffeld.  Er hält Gottes Verheißung hoch, er streckt sich aus zum Himmel, zu Gottes Welt. Er ist der Beter, der die eigentlichen Durchbrüche erreicht. Denn solange er die Hände ausstreckt, solange er Gottes Verheißung hoch hält und dieses Zeichen von Gottes Gegenwart aufrichtet, so lange haben die Kämpfer die Oberhand. Wenn der Beter aber nachlässt, dann läuft auch die Arbeit da unten schlecht.

Und noch eine dritte Gruppe gibt es. Zwei Leute, Aaron und Hur. Sie unterstützen Mose. Denn es ist anstrengend, einen ganzen Tag die Arme hoch zu halten. Es ist auch anstrengend, in einer lange andauernden Schwierigkeit stetig Gottes Verheißung hochzuhalten. Es zehrt Kräfte, wenn man Gottes Gegenwart sucht, Tag für Tag, während diese Tage in sich vollgestopft sind mit allem möglichen anderen. Da noch Gottes Welt entdecken? Sozusagen den Stab von Gottes Wirklichkeit dauerhaft hochhalten? Das ist kaum zu schaffen. Da braucht man Unterstützer, so wie Mose die beiden Stützer brauchte.

Drei Dimensionen der Arbeit – und jeder von uns braucht alle drei. Es gilt für Arbeit in der Gemeinde genauso wie für andere Arbeiten.
Die Arbeit an sich – das erste –, sie muss getan werden. In die Firma fahren musst du selber. Den Streit deiner Kinder schlichten, das musst du. Die Klausur schreibt kein anderer für dich. Dein Staubsauger fährt nicht von alleine durch die Zimmer. Die Arbeit muss getan werden, aber wir alle gehen bald auf dem Zahnfleisch, wenn wir nur diese Dimension haben – wenn wir nur arbeiten, solange es sein muss, und dann endlich in die freie Zeit starten, sobald es geht, und dann immer so hin und her. Das zehrt aus. Jeder von uns braucht Unterstützung. Wir sind ja von Gott dazu geschaffen worden, dass wir mit ihm in engem Kontakt leben sollen. Wir kriegen das oft nicht gut hin, der Kontakt reißt oft ab. Gottes Welt scheint sich zurückgezogen zu haben aus unserer Welt – und dann leben wir verarmt, reduziert, eindimensional. Wie aber bekommen wir Zugang zu der anderen Dimension, zu Gottes Welt?

Wir brauchen Fürsprecher. Menschen, die über uns Gottes Versprechen hochhalten. Leute, die für uns beten. Das ist natürlich so, wenn wir etwas direkt für Gott tun – Kindergottesdienst vorbereiten, Alte besuchen, Gemeinde leiten. Klar, dass wir dann eine betende Gemeinde hinter uns brauchen. Einzelne Menschen, die es sich aufs Herz genommen haben, uns betend zu tragen. Aber das ist ja gar nicht nur bei scheinbar „geistlicher“ oder „christlicher“ Arbeit so. Gott macht eigentlich gar nicht so große Unterschiede zwischen christlicher und weltlicher Arbeit. Sein Reich ist überall dasselbe eine. Also auch wenn du das Bügeleisen in der Hand hast oder den Telefonhörer oder wenn du Anträge ausfüllst oder in den Elternbeirat gewählt bist – du brauchst diese zweite Dimension der Arbeit. Nämlich dass andere für dich beten, gerade für diese scheinbar weltlichen Abläufe. Dass andere Gottes Verheißung über dir hochhalten. Fallen dir einzelne Namen ein von Leute, die das für dich tun?
Und wenn nicht? Wenn dir keiner einfällt? Warum denn nicht dir gezielt jemanden dafür suchen? Es ist doch kein Eingeständnis des Versagens, wenn du jemanden nach Gebet fragst! Sondern jeder Mensch fährt auf Schmalspur, wenn niemand für ihn betet.

Und dann gibt es noch die dritte Dimension: die Unterstützer, die dem beistehen, der betet. Denn ausdauernd beten ist nicht einfach, es ist auch Arbeit. Da braucht es eben Unterstützer oder jemanden, der den Beter freistellt. Der ihm etwas abnimmt, damit der auch wirklich Zeit hat zum Beten. Mose hatte ein richtiges kleines Unterstützersystem, ein Assistenzsystem zum Beten. Links und rechts jemanden, der ihm half. Eigentlich komisch. Wenn jemand damals zusätzliche Hilfe brauchte, dann sollten es doch wohl eher Josua und seine Kämpfer gewesen sein. Die brauchen Hilfstruppen und Nachschub und Sanitäter und Nachrichtenaufklärung. Die bräuchten solche Assistenzsysteme. Warum greifen Aaron und Hur nicht da unten ein, wo sie etwas ausrichten könnten?
Nun, solche Systeme hat ein einigermaßen vernünftiges Heer schon selber. Das Kriegshandwerk ist wohl so alt wie die Menschheit, leider, könnte man sagen, und auf die guten Unterstützungsideen sind die Offiziere sicher schon selbst gekommen. Nachschub, Sanitäter, Nachrichtenaufklärung – Soldaten wissen, wie man so was aufzieht.
Aber wer weiß, wie man einen Beter unterstützt? Das ergibt sich nicht von alleine. Da hat die Menschheitsgeschichte kein Handwerk und keine Wissenschaft entwickelt. Da braucht es extra Leute. Das ist also die dritte Dimension der Arbeit: Einer ermöglicht es dem anderen, dass der beten kann oder in Gottes Gegenwart bleiben kann.

Wie geht das: jemand anderem beim Beten helfen? Wie fördere ich jemanden, dass der oder die eine Weile bewusster in Gottes Gegenwart bleibt? Wie stütze ich sozusagen einem Beter oder Gottsucher die Arme?
Ich kann mit ihm gemeinsam beten. Meine Worte bekräftigen seine Worte. Ich schenke seinen Gebetsanliegen meine Aufmerksamkeit. Dann betet der auch gleich besser, ausdauernder, vielleicht auch kreativer, wenn er es nicht alleine tut, sondern mit mir zusammen oder in einer Gruppe. Zusammenschließen, mit anderen beten, das fördert den, der betet.
Ich kann denjenigen, der Gott suchen will, auch freistellen dafür. Ich erlaube es ihm, sich Zeit zu nehmen. Ich schraube andere Ansprüche zurück. Als ich meinen Gemeindedienst gerade frisch begonnen hatte und es bald in die Vollen gehen sollte, da hat Kerstin zu mir gesagt: „Du fährst jetzt diesen Samstag alleine zur Ostsee und suchst die Stille. Ich schmeiße den Laden mit unseren beiden Kindern“ – damals noch klein – „heute alleine.“ Sie hat mich freigestellt. Das war die dritte Dimension der Arbeit, das war ein Dienst wie der von Aaron und Hur: Sie hat mich darin bestärkt, Gottes Gegenwart zu suchen. Umgekehrt geht es auch. Ich kann sagen, dass heute nichts Großes gekocht wird, damit sie Zeit zum Gebetsspaziergang im Wald hat. Die Erwartungen runterschrauben, dass jemand nur funktionieren muss. Nein, muss er nicht. Nur funktionieren wäre bloß die erste Dimension der Arbeit: schaffen, kämpfen. Jeder braucht auch zweitens das Gebet und braucht drittens andere, die ihm Freiräume geben zum Beten. Die dritte Dimension der Arbeit.
Freistellen zum Gebet – entweder so, dass ich ihm erlaube: Du darfst dir jetzt Zeit nehmen.  Oder aber, vielleicht noch besser, indem ich ihm die Arbeit gleich abnehme. „Ich mach das jetzt für dich, geh du mal beten.“ Auch das wäre so eine Aaron-und-Hur-Unterstützung.

Halten wir also noch einmal fest: jede Arbeit muss drei Dimensionen haben. Das Arbeiten selbst – so wie Josua und die Kämpfer. Wenn du in der Gemeinde Alte besuchst oder einfach wenn du Geld verdienen gehst.
Zweite Dimension: Jemand betet für die, die arbeiten. So wie Mose auf dem Berg. Hier werden die eigentlichen Kämpfe ausgefochten. Hier entscheidet sich oft, ob bei einer Arbeit wirklich etwas Gutes herauskommt oder ob alles verpufft. Der Kämpfer im Tal braucht den Beter auf dem Berg. Und die dritte Dimension: Beter brauchen Unterstützer. Leute wie Aaron und Hur. Denn ausdauernd beten kann auch harte Arbeit werden.
Wer nur arbeitet, ohne Beter, lebt verarmt, eindimensional. Wer arbeitet und einen Beter auf dem Berg hat, der hat es schon besser. Aber auch hier kann beiden irgendwann die Puste ausgehen, dem im Tal und dem auf dem Berg. Deshalb gehört die dritte Dimension notwendig dazu: Gebets-Ermöglicher.

Welche dieser drei Dimensionen ist die wichtigste? Natürlich, dumme Frage, ihr ahnt schon die Antwort, die ich hören will: Keine ist die wichtigste.  Alle sind gleich wichtig. Wenn niemand die Arbeit macht, dann entsteht auch nichts. Wenn alle beten und niemand runter ins Tal geht, wird kein Kampf gewonnen. Gott hat uns Würde gegeben gerade auch wenn wir arbeiten. Er „nahm den Menschen und setzte ihn in den garten, damit er ihn bebaue und bewahre.“ (1.Mose 2,15) Dazu sind wir gemacht. Das gibt uns Würde.
Aber keiner soll sagen, bei der Arbeit passiere das Eigentliche und wenn jemand betet, sei das nur nette Verzierung. Mose auf dem Berg war keine Dekorationsfigur, sondern er hielt Gottes Verheißung hoch und er entschied über Sieg oder Niederlage. Gebet ersetzt keine Tat, aber Gebet ist eine Tat, die durch nichts zu ersetzen ist!
Und auch jemanden zum Gebet freizustellen ist total wichtig. Auch das ist kein Luxus, auf den man notfalls verzichten könnte. Denn wer betet, merkt bald, wie er da auch ans Kämpfen kommt. Mose hatte den ganzen Tag auszuhalten in Gottes Gegenwart, bis zum Sonnenuntergang, es ging nicht mal eben mit einem Fingerschnipsen. Wer betet, spürt auch schnell die Ablenkungskräfte. Wenn dann ein Aaron beten hilft, ist das genauso wichtig wie das Beten selbst.
 Alle drei Dimensionen sind also aufeinander angewiesen. Eins ergänzt das andere. Niemand halte sich für am wichtigsten. Aber keiner denke umgekehrt, auf seinen Beitrag käme es nicht an. Lasst uns dankbar werden für alle drei, für die Josuatypen, die sich abrackern. Für die Mosetypen, die Gottes Verheißung hoch halten. Und für die Aaron-und-Hur-Leute, die Beter freistellen.

Wie wichtig alle drei Teile sind, das sehen wir daran, dass unser Herr Jesus Christus alle drei Dimensionen ausgelebt hat. Und wenn der das tat, dann ist das ein untrügliches Zeichen: Der Bericht aus dem 2.Mosebuch ist nicht nur eine nette Beispielgeschichte, die man als Gleichnis deuten kann, sondern enthält wirklich Gottes Sicht vom Leben.
Jesus hat gearbeitet, ohne Zweifel. Als Zimmermann nahm er Balken und Steine in die Hand, Säge und Stemmeisen. Später als Prediger und Prophet und messianischer Heiler hat er für Menschen gearbeitet, manchmal bis zur Erschöpfung. Jesus tat also das, was Josua und seine Kämpfer machten.
Jesus hat auch gebetet. Und hier die großen Kämpfe entschieden. Seinen eigenen Kampf hat er im Gebet von Getsemane gekämpft. Für Petrus hat er gekämpft, als er sagte: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ (Lk 22,32) Und das sind nur ein paar wenige Beispiele. Jesus hat das getan, was Mose auf dem Berg machte: immer wieder Gottes Wirklichkeit aufsuchen.
Und Jesus hat andere freigestellt, dass sie ebenfalls Gottes Wirklichkeit aufsuchen konnten. Der Maria hat er erlaubt, jetzt Gottes Worte zu lernen anstatt in der Küche stehen zu müssen. Er hat sie freigestellt. Fünftausend Männer plus ihre Familien hatte er freigestellt davon, sich selbst Essen suchen zu müssen. (Mt 14,13-21) Er hat sie versorgt, damit sie jetzt bewusster als sonst in Gottes Wirklichkeit bleiben konnten; Kontakt zu Gottes Reich halten konnten.  Jesus hat einzelne Jünger zusammengeführt, damit die miteinander beten. Hat z. B. die Gebetsgruppe von Getsemane einberufen: „Bleibt hier und wacht im Gebet!“ (Mk 14,32-34) – sicher ging das gemeinsam besser. Jeder einzeln wäre noch viel schneller eingeschlafen.  Und Jesus hat jedem seiner Jünger das Versprechen gegeben: „Wenn zwei von euch auf Erden übereinkommen, um etwas zu bitten, dann wird es ihnen von meinem Vater im Himmel zuteil werden.“ (Mt 18,19) Auch so hat er Beter ermutigt, Beter gefördert. Auf seine Weise hat Jesus das gemacht, was Aaron und Hur für den Beter Mose taten.
Wir sind Nachfolgerinnen und Nachfolger von Jesus Christus. Grund genug, alle drei Dimensionen der Arbeit in unser Leben aufzunehmen.

Wie lebt das nun jeder einzelne von uns? Teilen wir uns auf – die einen sind eben die Arbeiter, die anderen sind und bleiben Beter und die dritten stützen die Beter und das wäre ihre lebenslange Berufung?
Nein, so wohl nicht.  Sondern jeder von uns wird mal eher das eine tun, mal das zweite, mal das dritte. Bei jedem sollen im Laufe der Zeit alle drei Dimensionen vorkommen. In dem Rhythmus und in dem Wechsel, wie Gott jedem das zeigt. Es wird einzelne geben, die entdecken ihre Hauptberufung in nur einer Dimension. Es gibt begnadete Beter und man merkt: Darin leben sie völlig auf. Es ist in Ordnung, wenn die die zweite Dimension stärker ausleben als die anderen. Es gibt ebenso begnadete Praktiker. Was die anpacken, klappt doppelt so schnell und dreimal so gut als wenn jemand anderes es täte. Die werden wohl hier ihren Schwerpunkt haben und behalten. Aber normalerweise soll jeder von uns nacheinander alle drei Dimensionen ausleben, mal mehr das eine, mal mehr das andere. Auch Jesus tat ja alles drei im Laufe seines Lebens.

Zum Schluss der Predigt möchte ich einladen, dass du herausfindest: Was ist in der nächsten Zeit für dich dran?

Hast du viele Pflichten vor dir? Hast du einen Beter, der über dir Gottes Verheißung hochhält? Solltest du dir einen suchen?
Wenn du viel Arbeit hast: tust du sie in Würde? Weil Gott dich gewürdigt hat zu arbeiten? Solltest du diese Würde im Alltag wiederentdecken?
Wen könntest du im Gebet eine Zeitlang durchtragen? Wen aus deiner Gemeinde? Den Jugendreferenten? Wen an deiner Arbeitsstelle?
Ist es für dich dran, dass du dir geradezu die Erlaubnis gibst, Gott in der Stille zu suchen?
Wäre es ein Auftrag für dich, mit anderen gemeinsam zu beten? Nicht zuerst, weil du etwas davon hast, sondern damit sie etwas davon haben?
Wir nehmen uns Zeit für diese Fragen. Danach werde ich beten und dann kräftig mein Amen sagen.

Montag, 15. Februar 2010

Predigt: „Im Alter lebendig und stark“

Predigt über Josua 14,6-15: „Im Alter lebendig und stark“
Liebe Gemeinde,
sicher kennt ihr das auch: Es gibt alte Menschen, denen man ihr Alter nicht ansieht. Sie gehen glatt für 15 Jahre jünger durch. Ich kenne z. B. jemanden, der 71 ist und noch regelmäßig das goldene Sportabzeichen erneuert. Ich begegne anderen, die körperlich längst ganz schwach sind und deren Gedächtnis und Konzentration ebenfalls abnimmt – aber immer wieder sind sie ganz klar und dann auch voller Weisheit und Glauben und Lebenserfahrung. Da machen sie Leuten meines Alters noch was vor.
Wahrscheinlich wünscht sich jeder von uns das: noch im Alter fit sein, lebendig und hellwach. Gott hat das nicht allen versprochen. Doch andererseits hat Gott ja seine Geschichte geschrieben gerade mit Menschen, die schon ziemlich alt waren. Da ging es bei manchen erst richtig los. Ich habe einen Mann aus der Bibel entdeckt, der etwas ganz Erstaunliches von sich gesagt hat:

„Heute bin ich fünfundachtzig Jahre alt. Ich bin immer noch so stark wie damals – mit vierzig Jahren –; wie meine Kraft damals war, so ist sie noch heute, wenn es gilt, zu kämpfen, auszuziehen und heimzukehren.“

Was für eine Behauptung! Ein Fünfundachtzigjähriger kommt sich vor wie 45 Jahre jünger. Er ist noch stark, auch körperlich fit, und unternehmungslustig. Dieser Mann heißt Kaleb. Über ihn wird berichtet im Josuabuch und auch im 4. Buch Mose. Kaleb – ein Vorbild für heutige Senioren? Oder für die „jungen Alten“? Nein, kein Vorbild, kein Muster, aber wohl ein Beispiel dafür, was Gott mit einem Menschen machen kann durch die Lebensalter hindurch. Und dann sehen wir an ihm auch, wie man Gottes Kraft lebendig erhalten kann, auch noch wenn man hochbetagt ist.
Über den möchte ich heute also predigen. Weil Gott sich eben noch bloß für die Jungen interessiert, sondern ein Herz für alle hat, auch für unsere Gemeinde, auch mit ihrem höheren Alterdurchschnitt. Das ist für Gott keine Problemzone. Sondern auch den Betagten unter uns hat Gott ganz viel zu geben. Also eine Predigt über den fünfundachtzigjährigen Kaleb. Ein bisschen komisch ist das nun schon. Ich bin 45 und weiß also nicht ganz genau, wovon ich rede. Wie dann über Kaleb predigen? Aber wenn ich warte bis 85, sind viele hier schon im Himmel und ihr braucht keine Predigt mehr ... also versuche ich es doch heute.

Wer war Kaleb? Ein Mann aus der Frühzeit Israels. Kurzer Überblick: Gott hatte sein Volk aus Ägypten befreit. Sie hatten einen Weg vor sich, der durch die Wüste führte. Das versprochene Land lag bald vor ihnen. Man erkundete es. Kaleb war einer der Kundschafter – er war da 40 Jahre alt. Er hatte ein sehr reiches, attraktives Land gesehen, aber auch starke Gegner. Davor bekam Israel Angst. Starke Gegner – die traute man sich nicht zu. Die meisten wollten das Land nicht einnehmen. Daraus machte Gott dann einen Umweg durch die Wüste von mehr als 40 Jahren. Fast niemand dieser Generation erreichte das versprochene Land. Wohl aber Kaleb.
Unser Bericht setzt nun zu dieser Zeit ein, als sie das versprochene Land eingenommen hatten. Nun wurden die einzelnen Bezirke unter dem Volk verteilt.

6 Damals traten die Judäer in Gilgal an Josua heran und Kaleb, der Sohn des Kenasiters Jefunne, sagte zu ihm: Du weißt, was der Herr zu Mose, dem Gottesmann, in Kadesch-Barnea über mich und dich gesagt hat. 7 Ich war vierzig Jahre alt, als mich Mose, der Knecht des Herrn, in Kadesch-Barnea aussandte, damit ich das Land erkundete, und ich erstattete ihm Bericht, wie ich es mir vorgenommen hatte. 8 Während meine Brüder, die mit mir hinaufgezogen waren, das Volk mutlos machten, hielt ich treu zum Herrn, meinem Gott. 9 An jenem Tag schwor Mose: Das Land, das dein Fuß betreten hat, soll dir und deinen Söhnen für immer als Erbbesitz gehören, weil du treu zum Herrn, deinem Gott, gehalten hast. 10 Nun sieh her: Der Herr hat mich, wie er es versprochen hat, am Leben gelassen. Fünfundvierzig Jahre ist es her, seit der Herr dieses Wort zu Mose gesprochen hat, als Israel durch die Wüste zog. Heute bin ich, wie du siehst, fünfundachtzig Jahre alt. 11 Ich bin immer noch so stark wie damals, als Mose mich ausgesandt hat; wie meine Kraft damals war, so ist sie noch heute, wenn es gilt, zu kämpfen, auszuziehen und heimzukehren. 12 Nun gib mir also dieses Bergland, von dem der Herr an jenem Tag geredet hat. Denn du hast selbst an jenem Tag gehört, dass Anakiter dort sind und große befestigte Städte. Vielleicht ist der Herr mit mir, sodass ich sie vertreiben kann, wie der Herr gesagt hat. 13 Da segnete Josua Kaleb, den Sohn Jefunnes, und gab ihm Hebron als Erbbesitz. 14 Deshalb gehört Hebron bis zum heutigen Tag dem Kenasiter Kaleb, dem Sohn Jefunnes, weil er treu zum Herrn, dem Gott Israels, gehalten hat.     Jos 14

Die Geschichte von Kaleb. Jetzt endlich, am Ende seines Lebens, erfüllen sich seine Hoffnungen. Aber erst jetzt, nach 45 Jahren. Dazwischen: eine Durststrecke. Verschenkte Jahrzehnte, hätte man denken können. Wie kommt Kaleb dazu, dass er dennoch mit 85 so fit ist wie mit 45? Was ist das Geheimnis seines Lebens?

1. Kein bitteres „Was wäre wenn“
Kaleb blickt mit 85 auf sein bisheriges Leben zurück. Er redet bei diesem Rückblick von zweierlei: von dem, was er getan hat und davon, was Gott getan hat. Was Kaleb getan hat: „Ich folgte Gott, dem Herrn, treu nach.“ Was hat Gott getan? „Der Herr hat mich, wie er es versprochen hat, am Leben gelassen.“ Diese beiden Wirkungen haben das Leben von Kaleb am meisten beeinflusst.
Aber da gab es ja noch andere Einflüsse. Andere, die es für Kaleb verpfuscht haben. „Ich erkundete das Land und erstattete dann Mose, der mich ausgesandt hatte, Bericht. Meine Brüder, die mit mir hinaufgezogen waren, machten das Volk mutlos.“ Kaleb spricht hier von der Chance seines Lebens – und der Chance des Lebens für seine ganze Generation. Gott hatte ihnen ein sicheres Heimatland versprochen. Nun lag es ausgebreitet vor ihren Augen. Kaleb hatte die Chance erkannt. Aber die anderen Israeliten haben es schlechtgeredet. Haben die Chance kaputtgeredet. Wenn alle auf Kaleb gehört hätten, dann hätten sie sich 40 Jahre Wüstenreise ersparen können. Kaleb hatte es geblickt und die anderen hatten es vermasselt. Vielen Dank auch für vier Jahrzehnte Durststrecke!

Nun ist Kaleb steinalt, er blickt zurück, er erwähnt auch diese Episode. Aber fast nur am Rande. Ja, das gehört zu seiner Geschichte. Ja, die 40 Wüstenjahre hat er nicht verschuldet. Aber wir treffen Kaleb nicht an, wie er in Anklagen badet. Die Frage: „Was wäre gewesen, wenn ...“ – sie füllt seine Gedanken nicht völlig aus. Obwohl er Recht gehabt hätte, wenn er sagen würde: „Wenn die es damals anders gemacht hätten, dann hätte ich schon längst mein Häuschen im Grünen. Dann wäre mein Leben schön im grünen Bereich.“ Recht hätte er gehabt. Aber hätte ihn das aufgebaut? Hätte er positive Lebenskraft daraus geschöpft? „Ich konnte dies und das nicht erreichen, nur weil damals dieser eine Mensch mir eine Grube gegraben hat ...“ – solche Sätze saugen Energie. Sie verströmen Bitterkeit. So was zerfrisst die Seele. Mit solch einer Bitterkeit kann man wohl 85 werden, aber niemals dieselbe Kraft behalten wie mit 40. Kaleb erkennt an, was andere verbockt haben in seinem Leben. Er nennt es am Rande. Aber damit ist gut. Er badet nicht in der Säure.

Wie hat er das geschafft? Was ist sein Geheimnis? Nun, es liegt an den beiden Faktoren, von denen Kaleb bei seinem Lebensrückblick spricht. Was Gott getan hat und was er getan hat. Schon als damals das Drama mit den Kundschaftern passierte, da hat Gott Kaleb beurteilt, und zwar so: „Mein Knecht Kaleb: ein anderer Geist ist ihm und er ist mir treu gefolgt.“ (4Mose 14,24) Ein anderer Geist in ihm: nicht bloß die menschliche Gesinnung, sondern Gottes Geist. Das hat Gott geschenkt. Das kam von außen zu Kaleb. Das hat Gott eingepflanzt. Kaleb seinerseits hat sich dann konsequent Gottes Geist ausgesetzt, hat ihm Raum gegeben, hat ein Leben in Gottes Gesinnung eingeübt: „Er ist mir treu gefolgt.“ Gottes Anteil: Er füllt mit dem Heiligen Geist. Unser Anteil: wir folgen diesem Geist und üben diese Nachfolge ein.
Jedem Christen, jedem aus unserer Gemeinde, der Jesus Christus nachfolgt, ist Gottes Geist versprochen. Das gilt für 15jährige, für 45jährige und für 85jährige. Deshalb haben wir alle Zugang zu Kalebs Lebensenergie. Achten wir auf die Reihenfolge. Gott sagt über Kaleb: „Ein anderer Geist ist ihm – und – er ist mir treu gefolgt.“ Zuerst kommt Gottes Geist. Unsere Antwort heißt: ihm folgen. Nicht wir formen unser Leben so, dass es Energie behält. Gott macht den entscheidenden Anfang. Wir folgen nur noch dem, was Gott begonnen hat. Aber das müssen wir auch: dem folgen. Treue einüben. Das ist der Schlüssel zu einem Leben wie Kaleb es führte. Einem Leben z. B. ohne Bitterkeit.

2. Kaleb gibt 100 % – seine 100 %
Jetzt also ist Kaleb alt. Jetzt endlich tritt das ein, was im vor 45 Jahren vor der Nase weg verschwunden ist: Gottes Volk ist in das versprochene Heimatland eingezogen. Jetzt werden die Bezirke verteilt. Und jetzt ist der alte Kaleb hellwach. Was auch immer er noch mobilisieren kann an Energie, das bringt er auf.

10b Heute bin ich, wie du siehst, fünfundachtzig Jahre alt. 11 Ich bin immer noch so stark wie damals, als Mose mich ausgesandt hat; wie meine Kraft damals war, so ist sie noch heute, wenn es gilt, zu kämpfen, auszuziehen und heimzukehren. 12 Nun gib mir also dieses Bergland, von dem der Herr an jenem Tag geredet hat. Denn du hast selbst an jenem Tag gehört, dass Anakiter dort sind und große befestigte Städte. Vielleicht ist der Herr mit mir, sodass ich sie vertreiben kann, wie der Herr gesagt hat.

Kaleb macht kurz Bestandsaufnahme. Gottvertrauen: vorhanden. Körperliche Kraft: auch vorhanden. Mut: reichlich vorhanden. All das hat er zur Verfügung. Und alles davon setzt er nun ein. „Ich pack’s an und nehme das Land ein.“ Keine Gedanke daran, dass er es damals versucht hatte und damals seine Zeit gehabt hatte und jetzt sollten doch mal andere ran, Jüngere. Nein, Kaleb ist noch ganz da und setzt seine 100 % voll ein.

Seine 100 %. Nicht jedem unserer Senioren ist dasselbe Maß an Energie und Gesundheit gegeben wie dem alten Kaleb. Viele haben eben doch starke körperliche Einschränkungen. Manche haben auch nicht mehr so viel seelische Spannkraft. Das, was man damals an Problemen verkraften konnte, das würde einem heute über den Kopf wachsen und den Schlaf rauben. Vor 40 Jahren, ja, da konnte man Pläne machen und durchziehen, nach Feierabend noch kräftig anpacken, manches Treffen ging bis Mitternacht – und heute ist es schon eine Heldentat, morgens aufzustehen und es bis 11 Uhr zur Lymphdrainage zu schaffen. Ja, das ist so. Das verdient aufrichtigen Respekt.
Du bist nicht Kaleb. Was du kannst und was du nicht kannst, das sind deine 100 %. Sie sehen vielleicht kleiner aus als Kalebs 100 %. Aber so rechnet Gott nicht. Er sieht deine 100 %. Und die kannst du voll einsetzen. Du wirst keine Städte erobern. Vielleicht wirst du nur äußerlich unscheinbare Dinge tun: einen jungen Christen der Gemeinde im Gebet durchtragen. Oder auf das kleine Kind der Nachbarsfamilie aufpassen, wenn die Eltern beide weg müssen. Das ist viel, wenn es deine 100 % ausschöpft. Vielleicht hast du auch noch mehr Energie und Zeit. Liegt noch etwas ungenutzt rum? Ist da noch mehr drin für Gott? Oder bist du dir nicht ganz sicher? Frage Gott danach – und lege diese Predigt bitte nicht zu den Akten, bis du dir klar geworden bist.
Wenn Kaleb weniger als seine 100 % eingesetzt hätte – dann hätte er im Zelt gelegen, ganz am äußeren Rand des versprochenen Heimatlandes, und andere wären eingezogen. Kaleb hätte das große Ziel seines Lebens verpasst. Aber nur griff er zu. Volle 100 % für Gott.

3. Echter Glaube zwischen Demut und Verlangen
Kaleb macht es uns allen noch vor, selbst als 85jähriger. Z. B. zeigt er uns, was echter Glaube ist. Einen wunderbaren Satz spricht er aus, der diesen echten Glauben enthält.

„Nun gib mir also dieses Bergland, von dem der Herr an jenem Tag geredet hat. Denn du hast selbst an jenem Tag gehört, dass Anakiter dort sind und große befestigte Städte. Vielleicht ist der Herr mit mir, sodass ich sie vertreiben kann, wie der Herr gesagt hat.“

„Vielleicht!“ Das ist das Schlüsselwort. Wir sehen hier keinen siegesgewissen Kämpfer. Keinen von sich total überzeugten Glaubenden, der alle aufkommenden Probleme wegfegt. Er hat seine Wünsche und Gottes Willen auch nicht total gleichgesetzt: „Gott wird mir geben, was ich möchte, da gibt es kein Vertun!“ Sondern Kaleb lässt es offen: vielleicht. Ein Wort voller Hoffnung, aber zugleich voller Demut. In diesem „vielleicht“ steckt die Haltung: Gott, dein Wille geschehe, nicht mein Wille. Aber so wie ich dich kenne, Gott, wirst du treu zu deinen Versprechen stehen. So wie ich dich kenne, willst du mir Raum zum Leben geben. Also – dein Wille geschehe, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass du mir jetzt das geben möchtest, was ich vorhabe. Sicher? Nicht, nicht sicher. Aber „vielleicht“ – diese Hoffnung hat Kaleb.

Wir finden dieses Wort noch manches Mal in der Bibel: „vielleicht – wer weiß?!“ Menschen haben es im Gebet zu Gott gesagt. Menschen, die eigentlich kein Recht auf Gottes Güte hätten, die aber trotzdem an seine Barmherzigkeit appelliert haben. „Wer weiß, vielleicht reut es Gott wieder und er lässt ab von seinem glühenden Zorn, sodass wir nicht zugrunde gehen.“ So beteten die Leute aus der gottlosen Stadt Ninive. (Jona 3,9). „Gott ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte und es reut ihn, dass er das Unheil verhängt hat. Vielleicht kehrt er um und es reut ihn und er lässt Segen zurück.“ So sagt es ein Prophet, der vorher die verdiente Katastrophe angekündigt hat. (Joël 2,19) „Vielleicht – verdient habe ich es nicht. Aber ich kenne doch Gott.“ Eine Haltung voller Demut ist das und zugleich voller Verlangen. Verlangen, dass Gott eingreift. Verlangen danach, dass sein Reich komme.

Kaleb hat beides in seinem Glauben: er ordnet sich demütig Gott unter – „vielleicht,“ sagt er. Das heißt: „Ich weiß es nicht. Aber – ich will es wissen! Auch mit 85 will ich es noch mal wissen. Damals mit 40 dachte ich, diese starken Gegner sind kein Problem für Gott. Jetzt ist die Gelegenheit, dass Gott zeigt, wie er zu seinem Versprechen steht. Jetzt könnte Gott es einlösen. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber ich will es wissen. Vielleicht macht er es ja. Vielleicht – warum denn nicht?“ Danach verlangt dieser Senior – in aller Demut.
So glaubt Kaleb. Und sicher ist es auch solch eine Glaubenshaltung, die den Alten frisch erhält, frisch wie vor 45 Jahren.

Mit solch einem Glauben macht Kaleb uns Jungen noch etwas vor. Es ist wie sein Vermächtnis für uns. Gehört nicht auch dies zu einem lebendigen und starken Alter, dass man den Jungen etwas hinterlässt? Eine Art Vermächtnis? Ein Erbe, eine Mitgift? Wie macht Kaleb das?

4. Die folgende Generation beteiligen
Die Geschichte ist schnell erzählt. Kaleb kriegt den Bezirk im neuen Heimatland, den er damals versprochen bekam. Er muss ihn aber noch erobern. Das tut er auch – er spürte ja noch die Power eines Vierzigjährigen in sich. Die Hauptstadt nimmt er siegreich ein. Drei mächtige Stadtherrscher überwindet er. Ja, er hat’s noch drauf. Nun liegt in seinem Bezirk eine weitere Stadt. Die müsste er auch einnehmen. Soll er also weitermachen? Seine Siegesserie fortsetzen? Er macht es anders. Er schreibt die Aufgabe aus. „Wer diese Stadt besiegt und einnimmt, dem gebe ich meine Tochter Achsa zur Frau.“ (Josua 15,13-17) Er macht es also nicht selbst. Er macht Platz, damit auch andere sich bewähren können. Sein Neffe packt es an und schafft es auch. Und heiratet die versprochene Tochter. Tritt also in das Erbe Kalebs ein. Bekommt die Mitgift.
Kaleb, ein Mensch, der noch im Alter lebendig und stark ist. Er hat seine 100 % voll für Gott gegeben, aber er beteiligt zugleich die folgende Generation. Bindet sie ein. Und hinterlässt ihr ein Erbe.

Welches Erbe hinterlässt du? Ich meine nicht deine Kinder, die du verheiraten solltest, und mit Erbe meine ich auch nicht Vermögen und Grundbesitz. Sondern ich spreche von einem Lebensertrag. Was wäre das für ein wertvolles Erbe für die folgenden Generationen, wenn sie Zugang bekommen zum Ertrag deines Lebens: was sich bewährt hat. Wie Gott dich trug, als du dich einmal nicht bewährt hast. Wie du vielleicht gestolpert bist, aber wieder aufstehen konntest. Wie Gott dir Treue hielt. Haben andere Zugang zu diesem Erfahrungsschatz? Hast du denn nicht wirklich ein Erbe weiterzugeben an die folgende Generation? Kaleb beteiligte die Jüngeren. Er ließ sie in sein Erbe eintreten. Auch das macht ihn zu einem bemerkenswerten, einem beneidenswerten Senior.

„Im Alter lebendig und stark“ – heute war Kaleb unser Beispiel. Jemand, der auf seine Weise mit 85 so fit war wie mit 40. Du wirst das nicht auf Kalebs Weise sein können. Aber auf deine Weise? Vielleicht?
Erinnern wir uns an die Geheimnisse von Kalebs Leben. Er brütete kein bitteres „Was wäre wenn“ aus. Er gab 100 % – seine 100 %. Er hatte echten Glauben zwischen Demut und großem Verlangen. Und er beteiligte die folgende Generation.

Wie konnte er all das? Wie war das noch mal? Gott hatte ja dies über ihn gesagt: „Mein Knecht Kaleb: ein anderer Geist ist ihm und er ist mir treu gefolgt.“ Gottes Geist, der ist heute lebendig wie immer. Der lebt in dir, der du Jesus folgst. Der will dich auf deine Weise lebendig und stark machen – und das gilt für jeden, ob 15, 45, 65 oder 85. Gottes Geist wirkt. Du darfst erwartungsvoll sein. Du darfst mehr davon wollen. Gott hat überreich davon bereit. Lass dich tragen und erfüllen von Gottes Geist! Und das ist keine Frage des Alters!
Amen.

(Die Begegnung mit Kaleb und die Anregung zu dieser Predigt verdanke ich dem schönen Buch "Sehr geehrter Herr Isaak -- Briefwechsel mit biblischen Senioren" von Eckart zur Nieden, S. 34-47.)

Mittwoch, 10. Februar 2010

Bibelstudie "Bestandsaufnahme" 2: Ephesus

2 Der Brief an die Gemeinde Ephesus: Offb 2,1-7
Der erste Brief von Christus geht an die erste Stadt in der Provinz. Ephesus war Haupt-Verwaltungssitz. Hier trat der Prokonsul (Statthalter) sein Amt an. Die religiöse Kaiserverehrung war hier stark ausgeprägt. Auch aus christlicher Sicht war Ephesus wichtig. Paulus schrieb einen grundlegenden „Kirchenbrief“ hierhin, und man nimmt an, das der ein Rundschreiben in die ganze Gegend war. Ephesus wäre demnach aus Paulus’ Sicht das regionale Zentrum gewesen. Auch als Bischof Ignatius 110 n. Chr. Briefe an einzelne Gemeinde schrieb, stand sein Epheser-Brief am Beginn (zumindest ist er in heutigen Textausgaben der erste).

2.1 Wer redet zur Gemeinde – wie zeigt sich Christus?
Am Anfang jedes Briefes stellt Christus sich selber vor. Hier als der Sternenhalter und der, der seinen Ort mitten unter den Leuchtern hat. Wir haben gesehen, dass beides Bilder für die Gemeinden sind (§ 1.4). Die Gemeinde hat den Auftrag (nämlich nach außen zu leuchten) und die Beziehung zu Christus hin (nämlich in seiner Nähe zu sein). Beides ruft Christus in Erinnerung. Beides soll in Balance stehen, die Ausrichtung nach innen und nach außen.

Der Ort von Christus, zwischen den Leuchtern, ist jetzt aber noch etwas genauer angegeben als vorher in 1,13: Jetzt geht Christus zwischen den Leuchtern einher, er „wandelt“ zwischen ihnen. Nach A. Pohl ist das ein Hinweis auf die Urgeschichte in 1Mose 3,8 wo Gott im Paradies „einhergeht“. Zu dieser Urgeschichte wird das Ephesus-Schreiben noch mehr Bezüge zeigen. Wir stoßen später darauf. Jetzt schon ist festzuhalten: Christus stellt sich als der vor, der ursprüngliche, „paradiesische“ Gemeinschaft andeutet.

2.2 Was die Gemeinde gut gemacht hat
Die prophetischen Gemeindebrief haben eine klare Doppelausrichtung: Lob und Tadel. (Ausnahmen: Laodizea, Smyrna, Philadelphia.) Selbst eine nur angeklagte Gemeinde hat doch die Möglichkeit zur Umkehr, also zum Besseren. Das zeigt: Christus fällt nie ein Pauschalurteil. Er schaut immer genau hin und unterscheidet, „differenziert“. Er macht nie kurzen Prozess. Sein Urteil ist ausgewogen, in Balance. Jede heutige Beurteilung einer Gemeinde, die es sich zu einfach macht und nur mit einer knappen Formel auskommt, ist nicht auf dem Niveau Christi.

Gut sind zunächst allgemein die „Werke“ der Epheser. „Werke meinen nicht nur einzelne Taten, auch nicht allgemein Wirksamkeit, sondern überhaupt die Lebensfrucht der Gemeinden. Unter ‚Werken‘ erscheinen z. B. auch der Glaube (2,19), das Harren und Ertragen (2,2), die Schläfrigkeit (3,2) und verschiedene geistliche Verfassungen (3,8.15).“ (Pohl)
Welche gut gelungenen Werke sind hier gemeint?

2.2.1 Ausdauer ohne Erschöpfung
Mühe und Geduld (2,2). Die Gemeinde hat Energie eingesetzt und Ausdauer für die lange Strecke aufgebacht. Später (2,3) wird wiederholt: Geduld, Tragkraft und dabei nicht müde geworden. Der Gemeinde Ephesus ist es gelungen, den Weg zu gehen, auch wenn der „Erfolg“ nicht sofort sichtbar war, wenn sich nicht sogleich gezeigt hat, was es bringt. Sie war nicht nach jedem Handschlag auf ein sofortiges Zuckerstückchen angewiesen.

Christus spricht der Gemeinde zu, dass sie in einer ersten guten Balance ist: zwischen Mühe und Wachheit. Beides wird im Grundtext mit demselben Wortstamm angedeutet: „kópos“. Die Gemeinde hat Mühe, Arbeit, Plage gehabt (kópos), aber ist dabei nicht völlig erschöpft, abgeplagt, abgequält geworden (kopiân). Die Mühe hat nicht zum Zusammenbruch geführt. Die Epheser konnten brennen, ohne auszubrennen. Sie konnten geben, aber nicht so, dass sie irgendwann aufgeben mussten (nach dem Spruch: „Wer immer nur gibt, gibt bald auf“). Bloße Arbeit allein war nicht das einseitige Ideal. Sie waren in Balance.

Du hast einen jungen Christen zum Mittagessen, der gerade zum Leiter des Schülerbibelkreises gewählt worden ist. Du willst ihn ermutigen, ausdauernd zu sein, aber machst dir auch Sorgen, ob er irgendwann erschöpft aufgeben könnte. Was sagst du ihm?

Die zweite gute Balance wird ebenfalls in einem Wortspiel ausgedrückt: Die Gemeinde hatte Tragkraft, sie konnte vieles „ertragen“ (bastázein) (2,3), aber nicht jeden „ertragen“ (wieder bastázein): Böse nämlich nicht.

2.2.2 Abgrenzung von den Lügnern
„Böse“, nämlich üble Menschen, hat man scharf geprüft und sie dann ausgegrenzt. Und zwar waren das wandernde Apostel, die sich zu Unrecht so nannten, die in Wahrheit nicht von Christus gesandt worden waren. Schon Paulus und noch später viele andere Gemeinde mussten sich mit solchen Hochstaplern auseinandersetzen. Die Gemeinde war in der Lage zu beurteilen und zu unterscheiden. Das war Aufgabe und Kompetenz der gesamten Gemeinde, nicht nur der Vorsteher: „du hast geprüft“, dieses „du“ ist die Gemeinde (2,7).
Die Auseinandersetzung liegt weitgehend in der Vergangenheit.

Später (2,6) werden die „Bösen“ noch näher gekennzeichnet: als Sekte der „Nikolaïten“.
Das war eine bestimmte Strömung, die noch anderen Gemeinde zu schaffen machte (Pergamon, vielleicht Thyatira; hier war anders als in Ephesus das Prüfen und Ausgrenzen wohl noch nicht abgeschlossen). Sie bestand nicht aus gelegentlichen Irrtümern oder Halbwahrheiten, sondern es war eine regelrechte „Lehre“ (2,6). Nach 2,14 nahmen sie an heidnischen Opfermahlzeiten teil, die den römischen Göttern gewidmet waren, und lebten zudem sexuell ausschweifend. Als Lehre werden sie verbreitet haben, dass das in Ordnung sei. Damit hatten sie eine spezielle Antwort gefunden auf ein drängendes Problem der Christen: Wie kann ich am öffentlichen Leben teilnehmen, auch wenn dort heidnische Götter gefeiert werden? Antwort der Nikolaïten: Das ist kein Problem.
„Besonderes akut war dieses Problem deshalb, weil der Verzicht auf das Essen von Götzenopferfleisch etwa den Bruch mit der heidnischen Gesellschaft bedeutete, aus der man stammte und mit der man durch Berufsausübung oder Mitgliedschaft in Vereinen immer noch verbunden war. Bei jedem städtischen Fest oder jeder geselligen Vereinsfeier, bei der man Fleisch verzehrte, konnte eine kritische Situation auftreten. [...] Jedenfalls erlaubten die Nikolaiten den Kompromiss zwischen christlicher Lehre und alltäglicher Lebensführung, die einen Bruch mit der heidnischen Umwelt vermied.“ (U. B. Müller)

Für die Nikolaïten war der ständig drohende Gewissenskonflikt nicht zum aushalten. Die Gemeinde in Ephesus dagegen hielt ihn aus („ich kenne dein Ausharren“, sagt Jesus). Aber diejenigen waren nicht zum Aushalten, die den Kompromiss lehrten. Das war die Balance der Epheser. Sie hielten diese Balance durch, denn auch später noch bescheinigt Bischof Ignatius ihnen, sie hätten Wanderprediger mit schlechter Lehre abgewehrt (IgnEph 9,1: „Ich habe gewisse Leute kennen gelernt, die von dort her auf der Durchreise waren, mit einer schlechten Lehre. Sie habt ihr unter sich nicht Aussaat halten lassen, sondern die Ohren verstopft, um das von ihnen Ausgesäte nicht aufnehmen zu müssen.“).

Welchen täglich drohenden Konflikt hast du schon einmal erleben müssen? Z. B. im Beruf? Wie stark hat dich das gequält? Wahrscheinlich hast du bereits selbst gewusst, wo die Linie verläuft, die ein guter Christ „eigentlich“ nicht überschreiten soll. Hast du Unterstützung gefunden, um im Konflikt zu bestehen? Wer oder was hat dir geholfen?

In dieser Abwehrbewegung zeigte die Gemeinde noch eine dritte gute Balance: Sie grenzten die Personen aus, die Lügen und Falsches verbreiteten (2,2). Aber sie hassen diese Menschen nicht. Gehasst werden vielmehr ihre „Werke“ (2,6)! Eine Balance, die Jesus selbst immer einhielt: die Sünde hassen und die Sünder lieben. Wer in seiner Gemeinde Menschen sieht, deren Einfluss er höchst bedenklich findet, der achte darauf, diese Menschen dennoch zu lieben. (Ein bewährtes Handwerkszeug dafür ist das Gebet: Für wen ich bete, den kann ich nur noch schlecht hassen.)

All diese Balancen sind wichtig und es ist bewundernswert, wie diese Gemeinde das Gleichgewicht zu wahren schaffte. Aber eine noch wichtigere, eine ganz übergeordnete Balance haben sie nicht gewahrt: Hier sind sie abgekippt.

2.3 Was der Gemeinde nicht gelungen ist
Sie haben ihre erste Liebe verlassen. Damit ist die Liebe gemeint, die sie von Gott empfangen haben.

Exkurs: Die erste Liebe als Liebe Gottes
Diese erste Liebe ist nicht die vorbildlich glühende Nächstenliebe der ersten Stunde, sondern die Liebe Gottes zu ihnen. Das wird klar, wenn wir die „Hintergrundkulisse“ des Epheser-Schreibens erkennen. Diese Kulisse ist die Urgeschichte vom Sündenfall in 1Mose 3. Sie klang schon in der Selbstvorstellung Christi an. A. Pohl hat gezeigt, dass das Epheser-Schreiben „fast Vers für Vers in verborgener Beziehung zu jenen Kapiteln aus dem AT steht“. Und zwar gibt es einige deutliche Verknüpfungen und einige weitere verborgene Anspielungen.
(Zum Vergrößern der Grafik sie einfach anklicken.)

Christus verspricht am Ende, den paradiesischen Zustand wiederzuschenken. Wer siegreich ist, wird neu erleben, wie ungebrochen das Verhältnis zu Gott ist, als er im Paradies sich frei unter den Menschen bewegte. Das schreiben ist umklammert von deutlichen Hinweisen auf diesen ungetrübten Urzustand, die enge Gemeinschaft mit Gott. Das macht es wahrscheinlich, dass mit der „ersten Liebe“ die Liebe Gottes gemeint ist.

Der Vorwurf von Christus zeichnet ein erschütterndes, ein dramatisches Bild der Gemeinde: Sie macht alles richtig. Sie kann zwischen Gut und Böse unterscheiden. Sie trennt sich von Lügnern und Irrlehrern. Sie kann sich rein erhalten. Sie schließt keine Kompromisse mit der heidnischen Umwelt. Ihre Lehre ist korrekt. Aber sie erfährt Gottes Liebe nicht mehr! Sie hat sich abgeschnitten vom Lebensstrom. Alles Richtige, Korrekte, Geprüfte, Reine kann daher nur lieblos, frostig oder sogar eiskalt sein. Sie „hasst die Werke“ der Lügner – aber kann sie wie Christus die Sünder auch lieben, wenn sie selbst aus der Liebe Gottes herausgefallen ist?

Der Mangel an Liebeserfahrung wiegt so schwer, dass die ganze Existenz der Gemeinde auf dem Spiel steht! Christus droht, ihren Leuchter fortzurücken, d.h. die Gemeinde aus seiner Nähe auszustoßen. Eine Gemeinde, die viel Mühe ertragen konnte, die aber die Lügner nicht ertragen konnte, eine Gemeinde, die also alles richtig machte, aber ohne Liebe – die kann Christus nicht ertragen. Die wird er erlöschen lassen.
Im Gemeindelied „Herr Jesus, Grundstein der Gemeinde“ (Karl Eisele, 1939) heißt es: „Die Kirche steht auf dir allein und wird drum unzerstörbar sein.“ Allerdings: „Die“ Kirche kann niemand zerstören, die weltweite Gemeinde Jesu. Aber weil die Ortsgemeinde Ephesus die erste Liebe verlassen hatte, also den lebendigen Christuskontakt, konnte sie nicht mehr guten Gewissens sagen: „Wir stehen auf dir allein.“ Es wäre ein Lippenbekenntnis gewesen, innerlich ausgehöhlt, weil Gottesliebe abwesend war. Weiter im Liedtext: „Wohl mögen Stürme drübergehn, es wird dies alles überstehn.“ In der Tat: Durch noch so starke Stürme von außen, „drüber“, kann eine Gemeinde nicht weggefegt werden. Aber wenn sie von innen her leer ist, wo Liebe sein sollte, dann kann sie wohl weggefegt werden: von ihrem Herrn selbst, der den Leuchter wegrückt. Das Lied vom Grundstein der Gemeinde zu singen, darf kein Anlass zu falscher Selbstsicherheit oder Selbstgerechtigkeit sein.

Die Existenz der Gemeinde ist hier also nicht gefährdet durch Irrlehre oder Kompromisse. (Auch das kann tödlich bedrohlich sein.) Die Existenz der Gemeinde ist gefährdet, weil sie nicht mehr in der Liebe lebt.

2.4 Die Rettung
Christus zeigt dreifach die Rettung der von innen her ausgehöhlten Gemeinde: Erinnerung, Umkehr, Rückkehr.

Erinnerung: Die Gemeinde soll nicht einfach analysieren, was momentan falsch ist. Sondern sich besinnen, aus welcher Grunderfahrung sie kommt. Das war eine Grunderfahrung auf einer großen Höhe gewesen. Von dort ist sie gefallen: „Bedenke, aus welcher Höhe du gefallen bist.“ (2,5)
„Damals, als die Gemeinde durch die großen Schöpfungstaten Gottes in Jesus Christus ins Leben trat, geboren aus der gekreuzigten und auferstandenen Liebe und erweckt zur Widerliebe [...] – das war ‚Paradies‘.“ (Pohl)
Diese ursprüngliche Höhe ist – wohlgemerkt – nicht die Zeit des großen Engagements, des begeisternden Gemeindewachstums, der starken Verbundenheit: „Was für eine Aufbruchsstimmung damals: wir gehörten zusammen wie eine Familie und jeder packte freiwillig mit an.“ Nein, der Ursprung war nicht die Aktion, sondern die Erfahrung von Gottes Gegenwart und seiner Liebe.

Welche Erinnerungen an Gottes Gegenwart und seine Liebe von früher haben wir noch? Wo hatte sich Gott als der Lebendige gezeigt? Was hat dich damals am meisten berührt oder begeistert?
Was fällt uns eher ein, wenn wir an den Anfang unserer Gemeinde denken: Die Aktionen: Die praktizierte Gemeinschaft? Oder die Begegnungen mit Gott? Woran liegt es, wenn uns eher die Aktionen und die menschliche Verbindung einfällt?

Umkehr: dazu kann gelegentlich erst mal ein „heiliges Erschrecken“ gehören. An Laodizea heißt es: „Eifere!“ – „Empöre dich, kehre um!“ (3,19, Zürcher Übersetzung). Jakobus ruft so zur Umkehr: „Naht euch Gott, und er wird sich euch nahen! Reinigt eure Hände, ihr Sünder, und läutert eure Herzen, ihr Zweifler! Wehklagt nur und trauert und weint! Euer Lachen verwandle sich in Klage und eure Freude in Kummer! Erniedrigt euch vor dem Herrn, und er wird euch erhöhen.“ (Jak 4,8-10) Manchmal kommt vor der Umkehr Klage. Mancher Patient muss erst über eine Diagnose erschrecken, bevor er bereit wird zur Behandlung und bereit wird, gesünder zu leben.

Rückkehr: die ursprüngliche Werke tun. „Werke“ ist das Gesamtverhalten, die gemeindliche Verfassung (s.o.). Auf dem Hintergrund von 1Mose 3 also die ursprünglich von Gott gemeinte Gemeinschaft. „Tue die ersten Werke, d. h. setze dich Gottes Gegenwart aus. Suche den Ort, wo du ihn erfährst, und versteck dich nicht. Lass dich lieben.“

2.5 Das Versprechen
„Wer den Sieg erringt“ – das kann auch eine Gemeinde, die von so großer Höhe gefallen ist und aus der wichtigsten Balance gekippt ist. Den Sieg erringen kann sogar noch die Gemeinde, die nur noch getadelt wird. Diese Aussicht darf den Blick für die Gefahr nicht trüben. Es besteht wohl die Gefahr, dass der Leuchter umgestoßen wird! Aber das ist nicht zwangsläufig! „Jede Gemeinde bekommt also einen Siegerspruch und kann siegen. Das ist Paragraph 1 der christlichen Seelsorge. Für jeden gibt es Zuversicht. Jeder kann ‚weit überwinden durch den, der uns geliebt hat‘ (Röm 8,37).“ (Pohl)

Christus wird der Gemeinde Ephesus vom Baum des Lebens zu essen geben. (Es erfüllt sich eine Sehnsucht, die frühjüdische Schriften im Blick auf den Messi-as hatten: „Er selber macht des Paradieses Tore auf, entfernt das Schwert, das gegen Adam drohte, und gibt den Heiligen vom Lebensbaum zu essen; dann ruht der Geist der Heiligkeit auf ihnen.“ [Testament Levis 18,10f.])

Was die ersten Menschen sich nehmen wollten und daran das Paradies verloren, das wird Christus nun einfach geben. Eine Gemeinde, die nicht selbst für ihr Durchkommen sorgt und sich nicht selbst alles nimmt, was sie zum Leben zu brauchen meint, die wird das Leben gerade empfangen – mehr als sie sich je hätte selbst verschaffen können.

Montag, 8. Februar 2010

Predigt: „Das Abendmahl spricht die Sprache der Liebe“

Predigt über 1Kor 11,(17-)23-29: „Das Abendmahl spricht die Sprache der Liebe“
Liebe Gemeinde,
vorhin im Gottesdienst haben wir schon gehört, wie sehr Kinder und Teenies diese Sprüche mögen: „Ohne dich ist alles doof.“ ... Oder „Ich denk an dich.“ Es sind ja aber keineswegs nur Kinder, denen solche Sätze etwas bedeuten, es ist keine Kinderei. Ich habe es auch bei Schlagertiteln gefunden, und Schlager hören ja nun meist Erwachsene. Rex Gildo: „Denk an mich in der Ferne!“ Oder Roy Black: „Ich denk an dich.“ Auch die Popgruppe Pur, wohl eher keine Schlager-Kapelle, hat ein Lied, das so heißt: „Ich denk an dich“.
Was ist das für ein Satz: „Ich denke an dich“ -? Wann sagt man so etwas? Wer so redet, will ja in dem Moment nicht einfach Informationen über den anderen abrufen: Ich suche grad deine Adresse heraus, ich versuche mich zu erinnern, also denke ich an dich. Es ist ja kein Informations-Satz. Sondern es ist die Sprache der Liebe. Liebende sagen sich so was am Telefon, wenn sie z. B. voneinander entfernt sind. Dieses Versprechen schlägt eine Verbindung. Wenn ich meiner Frau am Telefon das sage, dann weiß ich: Mein Herz ist ihr nahe, auch über die Entfernung, und zwar nicht nur in dem Moment, wo ich das sage, sondern auch noch später. Das Versprechen „Ich denk an dich“ wirkt nach. Und es wirkt nicht nur bei mir, sonder auch bei ihr. Auch ihr Herz ist meinem dann nahe. Wer es sagt und wer es hört, wird berührt. Die Liebe bekommt neue Funken. „Ich denke an dich“ – das ist die Sprache der Liebe.
Wir Christen sprechen diese Sprache regelmäßig. Wir sagen es oft auch ohne Worte: Ich denke an dich. Wir sagen es zu unserem Herrn Jesus. Denn jedes Mal, wenn wir Abendmahl feiern, passiert das „zu seinem Gedächtnis“ – also: indem wir an ihn denken. So schreibt es Paulus an die Korinther im 11. Kapitel:

23 Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, 24 sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! 25 Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis! 26 Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
27 Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. 28 Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. 29 Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt. 1Kor 11

Seit Jesus das erste Mal mit seinen Schülern dieses so Festmahl feierte, seitdem feiern Christen immer wieder so ein Festmahl mit Jesus und für Jesus. In der Gemeinde von Korinth war das ebenso. Paulus schreibt an diese Gemeinde und beschreibt dabei noch einmal, was alles passiert bei diesem Festmahl. Es ist ein reichhaltiges Geschehen. Vielerlei liegt in der Luft, vieles passiert gleichzeitig. Ich greife einiges davon heraus.

1. Wir denken in Liebe an Jesus.
„Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ So hat Jesus es sich gewünscht. Wenn wir miteinander feiern, denken wir an Jesus. Und zwar in Liebe. „Jesus, ich feiere jetzt dich und denke an dich“ – das ist auch beim Abendmahl kein Satz, der nackte Informationen abruft. An Jesus denken, das bedeutet ja nicht: Wir erinnern uns, da gab es doch diesen Text, der uns beschrieben hat, was Jesus damals getan hat. Wie man sich an Lernstoff aus dem Geschichtsunterricht erinnert – Schlacht bei Marathon 490 v. Chr. – so würden wir uns auch an ein anderes geschichtliches Ereignis erinnern. Nein, so ist es ja nicht. Sondern wir denken an Jesus und an das, was er für uns tat, in Liebe. „Ich denke an dich“, dieser Satz knüpft Verbindung. Diejenigen, die das zueinander sagen, kommen sich nahe. Das geht weit über das Gehirn, das Gedächtnis hinaus, das geht durchs Herz, durch die Seele und zuletzt bis ins Gefühl.
Und so funkt die Liebe zwischen uns und Jesus neu auf. Die Flamme bekommt neue Nahrung. Wir kommen Jesus im Moment des Abendmahls näher. Er wird uns gegenwärtig, er ist dann einfach da: wieder nicht nur in unseren Gedanken da, sondern in unseren Herzen und in unserer Mitte. „Tut das zu meinem Gedächtnis“ – oder „denkt dabei an mich“: Dieses Wort von Jesus ist in der Übersetzung „Gute Nachricht Bibel“ so ausgedrückt: „Tut das immer wieder, damit unter euch gegenwärtig ist, was ich für euch getan habe!“ – „Damit unter euch gegenwärtig ist“: das ist dasselbe wie „zu meinem Gedächtnis“, „indem ihr an mich denkt“. Wenn wir an ihn denken, wird er gegenwärtig. Warum? Weil es eine Angelegenheit der Liebe ist.

Das Abendmahl spricht die Sprache der Liebe. Wie feiern wir es also? Am besten erwartungsvoll. Gelassen. Auch heiter – eichte Liebe ist keine beklemmende Sache. Unter liebenden Menschen wäre das ein verkrampftes Rendezvous, wenn jeder peinlich darauf bedacht wäre, sich nicht zu versprechen, keine falsche Handbewegung zu machen, wenn man lieber gar nichts sagt als etwas Falsches ... so kommt doch keine Liebe auf. Die erste Frage bei unserer Abendmahlsfeier darf nicht sein: Wie mache ich alles richtig? Wie denke ich die richtigen Gedanken, wie unterdrücke ich jede Ablenkung durch banale Gedanken, wie vermeide ich die falschen Worte ... Die erste Frage ist: Wie bekomme ich jetzt Verbindung mit Jesus? Wie erfasse ich seine Liebe? Wie kann ich ihm meine Liebe ausdrücken?
Das Abendmahl spricht die Sprache der Liebe und deshalb dürfen wir gelassen und erwartungsvoll in die Begegnung mit Jesus gehen.

2. In der Abendmahlsfeier stellen wir uns zu Jesus.
Die Bibel drückt das so aus: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ Wir verkünden etwas über den Herrn, an den wir glauben, Jesus. Wir verkünden das nicht mit Worten, sondern indem wir dieses Jesus-Festmahl feiern.
Darin liegt zunächst eine Information: Es ist ein gestorbener Herr, dem wir vertrauen. Wir verlassen uns mit unserem ganzen Leben auf jemanden, der hingerichtet worden ist. Wir drücken also etwas aus, das charakteristisch für Jesus ist. Er ist kein unberührbarer Superheld, sondern sterblicher Mensch, verletzlicher und tödlich verletzter Mensch. Und auch darin ist er noch Gott.
Für jeden Nachbarn eines Christen aus Korinth war diese Information, diese Verkündigung eine Zumutung. Etwas Abscheuerregendes. Der römische Schriftsteller Cicero hatte gesagt: „Die bloße Bezeichnung ‚Kreuz‘ sei nicht nur von Leib und Leben der römischen Bürger verbannt, sondern auch von ihren Gedanken, Augen und Ohren. Denn alle diese Dinge sind eines römischen Bürgers und freien Mannes unwürdig." Kurz gesagt: Pfui! Zu so einem Gekreuzigten bekennen sich nun die Christen. Das verkündigen sie, das machen sie bekannt, indem sie das Abendmahl feiern.

Aber auch hier ist es nicht einfach eine Information. Die könnten wir auch auf Handzettel drucken oder von der Kanzel vorlesen. Indem wir „verkündigen“, an wen wir glauben, bekennen wir uns zu ihm. Jede und jeder, der das Abendmahl empfängt, bekennt sich dazu: So einer ist mein Herr, so einer, der am Kreuz hingerichtet wurde. Und zugleich bekennt sich jede und jeder dazu: Ich hatte das nötig. Für mich hat er es gemacht.
Ein Mensch bekennt sich zu einem anderen: Das ist in unserem Alltag wiederum eine Angelegenheit der Liebe. Nicht der Information. Wenn ein Mann seinen neunzigjährigen Vater im Rollstuhl durch den Park schiebt, der Vater ist dement, er wird in Abständen böse und beschimpft den Sohn, weil der Verstand schon längst erloschen ist, der Speichel rinnt ihm aus dem Mundwinkel – und der Sohn schiebt seinen Vater so durch die frische Luft und das Sonnenlicht im Park, dann bekennt sich der Sohn zu seinem Vater. Er zeigt: Der gehört zu mir, auch jetzt noch. Der ist mir nicht peinlich. Das ist ein Bekenntnis und es ist keine Information, sondern ein Ausdruck von Liebe.
Und wenn eine junge Frau einen neuen Freund hat, aber sie mag ihn ihren Eltern nicht vorstellen, weil er deren Erwartungen nicht entspricht, dann empfindet der Freund wohl: Die bekennt sich nicht zu mir. Und er kann an der Liebe zweifeln. Bekenntnis – Freundschaft – Liebe: das gehört zusammen.

„Sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn.“ Wir verkünden ihn, d.h. wir bekennen uns zu ihm. Gerade der Jesus ist unser Herr, dem wir vertrauen im Leben und im Sterben. Wir stellen uns zu ihm. Das wird Jesus achten als ein Zeichen der Liebe. Petrus hatte es im Feuerschein des Hofes der Hohenpriester nicht geschafft: Er hatte sich nicht bekannt. Das war ein Schnitt in die Liebe zu Jesus. „Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth“ – das zu bejahen, das wäre Liebe gewesen. Jesus hat sich später dennoch zu Petrus bekannt. Jesus hat ihm dieses Zeichen der Liebe gegeben. Und seitdem hat Petrus sich ebenfalls zu Jesus bekannt: „Der gehört zu mir. Zu dem gehöre ich.“ Genauso können wir uns zu Jesus stellen – z. B. indem wir das Abendmahl empfangen.

Deshalb kann es sinnvoll sein, es auch in der Form des Abendmahls auszudrücken: Ich bekenne mich zu ihm. Den liebe ich. Den habe ich nötig. Wenn wir nachher nach vorn gehen, um das Abendmahl zu empfangen, wenn es also nicht durch die Reihen geht, sondern wir uns sozusagen danach ausstrecken, uns aufmachen dorthin – dann ist das auch ein persönliches Bekenntnis. Und ein Zeichen der Liebe. „Der gehört zu mir. Zu dem gehöre ich.“ Ich stelle mich buchstäblich zu ihm. Das Abendmahl spricht die Sprache der Liebe.

3. Jesus sagt uns seine Liebe zu.
Die Zeichen der Liebe gehen nicht nur von uns zu Jesus. Sondern mehr noch umgekehrt. Er hat ja selbst klar gesagt, was er mit dem Abendmahl meint, was er damit ausdrücken will: „Das ist mein Leib für euch.“ – „Ich gebe mich für euch. Ich bin für euch.“ Erneut hören wir die Sprache der Liebe.
Für wen denn hat Jesus sich selbst gegeben? Für uns, für Menschen, die durchaus vergesslich sind. Menschen, die noch zu oft in der Gleichgültigkeit des Alltags ertrinken. Menschen, die gern mal Kompromisse schließen zu den eigenen Gunsten. Menschen, deren Treue nicht einmal ein Zehntel so groß ist wie die Treue von Jesus. Jesus wusste das ja. Er kennt uns doch. Und gerade so, gerade für uns, die wir so sind, hat er sich hingegeben. „Das ist mein Leib für euch.“ Für euch, so wie ihr seid.
Jesus bekennt sich also seinerseits zu uns. Bei Petrus hat er es ja auch getan, nachdem Petrus es nicht über sich gebracht hat, sich zu ihm zu bekennen. Jesus stellte sich dann zu ihm und stellt sich zu uns. Es ist ihm nicht peinlich, mit uns zusammen gesehen zu werden. Es ist ihm nicht peinlich, von so unvollkommenen und manchmal unbegreiflichen Menschen angebetet zu werden. „Für euch, so wir ihr seid, habe ich mich gegeben, und gerade euch gebe ich jetzt neu das Zeichen meiner Treue“ – das sagt Jesus uns, das sagt er dir in der Abendmahlsfeier.
Eigentlich wissen wir, dass er so ist. Eigentlich glauben wir es ihm auch. Aber in Wahrheit dringt es natürlich nicht immer in unsere Seele durch. Vor allem dann nicht, wenn wir uns selber kaum ertragen können, wenn wir uns selber verurteilen. Es ist dann im tiefsten Sinne des Wortes unglaublich, dass Jesus es noch gut meinen könnte mit uns.
Was wir dann brauchen, ist ein Zeichen. Um so ein Zeichen darf man durchaus beten – der 86. Psalm enthält exakt diese Bitte: „Tu ein Zeichen an mir, dass du’s gut mit mir meinst.“
Wer so etwas braucht, wer so betet, für den hat Jesus das Gebet erhört. Jawohl, er gibt ein Zeichen dafür, dass er dir gut ist: sein Festmahl. Deinen Platz an seinem Tisch. Dass auch du Brot und Kelch empfängst, das ist sein Zeichen dafür, dass er dir gut ist. Das ist seine Sprache der Liebe für dich.

Unsere Liebe zu Jesus und seine zu uns wird im Abendmahl gegenwärtig. Aber noch mehr. Allein solche zweiseitige Liebe ist zu wenig. Das Jesus-Festmahl am Tisch des Herrn verbindet uns ja auch untereinander.

4. Wir denken im Abendmahl zum andern hin.
Das wussten die Christen in Korinth nicht so richtig. Oder wenn sie es wussten, richteten sie sich nicht danach. Paulus muss einiges dazu sagen. Seine Briefzeilen zum Abendmahl fangen ziemlich negativ an – weil es in Korinth so negativ lief. Dies schreibt Paulus:

17 Wenn ich schon Anweisungen gebe: Das kann ich nicht loben, dass ihr nicht mehr zu eurem Nutzen, sondern zu eurem Schaden zusammenkommt. 18 Zunächst höre ich, dass es Spaltungen unter euch gibt, wenn ihr als Gemeinde zusammenkommt; zum Teil glaube ich das auch. 19 Denn es muss Parteiungen geben unter euch; nur so wird sichtbar, wer unter euch treu und zuverlässig ist. 20 Was ihr bei euren Zusammenkünften tut, ist keine Feier des Herrenmahls mehr; 21 denn jeder verzehrt sogleich seine eigenen Speisen, und dann hungert der eine, während der andere schon betrunken ist. 22 Könnt ihr denn nicht zu Hause essen und trinken? Oder verachtet ihr die Kirche Gottes? Wollt ihr jene demütigen, die nichts haben? Was soll ich dazu sagen? Soll ich euch etwa loben? In diesem Fall kann ich euch nicht loben. 1Kor 11

Was die Korinther da veranstalteten, verdiente den Namen „Abendmahl“ nicht! Warum nicht?
Nun, die Gemeinde bestand aus Reichen und Armen. Die Reichen mussten tagsüber wenig oder gar nicht arbeiten. Sie konnten schon früh zu den Gottesdiensten gehen – das waren damals immer Abendgottesdienste. Und die waren immer mit einem gemeinsamen Essen verbunden. Also wie unser Brunch – essen, um satt zu werden. Die Reichen hatten reichlich Zeit dafür. Danach ging abends der Gottesdienst los. Die Armen waren zumeist Sklaven. Die mussten lange arbeiten und kamen erst abends spät. Die Reichen hatten da das Büffet schon ziemlich leergegessen. Sie dachten: Ist ja nicht so schlimm – das echte Abendmahl, den Tisch des Herrn, das bekommen die Armen ja noch mit. Geistlich kommen sie nicht zu kurz. Aber was den Reichen egal war: dass die Armen geistlich versorgt wurden, doch mit knurrenden Mägen, während die Reichen z.T. schon angeheitert waren vom Wein.
Das ist kein Abendmahl! Das ist unwürdiges Feiern! Da essen und trinken die Reichen sich zum Gericht. Sie „bedenken nicht, dass es der Leib des Herrn ist“. Aufgepasst: „Wer nun unwürdig isst“ – das bedeutet nicht: Wer sich unwürdig fühlt. Wer unter seiner Schuld seufzt. Für Schuldbeladene ist das Abendmahl gerade da. Nein es geht nicht darum, dass jemand sich unwürdig fühlt. Die Reichen, Satten fühlten sich durchaus würdig und gerade sie waren es nicht. Es kommt auf ihre Haltung zu den anderen an. Auf die Haltung und das Verhalten.

Welche Haltung macht das Abendmahl zum Abendmahl? Welches Verhalten entspricht einem Jesus-Festmahl am Tisch des Herrn?
„Ich muss darauf achten, dass der andere satt wird.“ Wer so denkt, der feiert würdig. „Ich frage mich: Was braucht der andere?“ Diese Haltung macht das Abendmahl zum Abendmahl. Wer sich allein darum sorgt, ob er selbst eine gute Zeit hat, der feiert unwürdig. Der prüfe sich selbst.
Und dann? Nachdem man sich geprüft hat? Dann lieber kein Abendmahl feiern? Es könnte ja was falsch sein? Nein, dann gerade Abendmahl feiern – mit der erneuerten Haltung und dem erneuerten Verhalten. „Jeder soll sich selbst prüfen; dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken.“ Dann soll er essen und trinken. Paulus möchte nicht, dass viele reumütig neben dem Abendmahl stehen und sich nicht trauen mitzumachen. Paulus möchte vielmehr, dass viele, dass alle teilnehmen, weil alle ihre Haltung erneuert haben. Weil nun alle sich sagen: „Ich will darauf achten, dass der andere satt wird.“

Was macht in unseren Mahlfeiern den anderen satt? Eine Sättigungsmahlzeit haben wir nicht mehr im Gottesdienst. Kaffee und Kuchen gibt es nachher. Dennoch macht das Jesus-Festmahl am Tisch des Herrn die Seele satt. Was braucht also meine Mitschwester, mein Bruder im Glauben, um satt zu werden?
Einen Segen von mir. Ein gutes Wort manchmal. Oder einen freundlichen Blick. Er und sie braucht Wohlwollen: das Wohlwollen nämlich, dass er und sie Jesus feiern kann, ohne unter Beobachtung zu stehen, ob er es auch richtig macht. Wir brauchen gegenseitige Freiheit, damit jeder in seiner Seele satt werden kann. Freiheit. Und Mitfreude. Wenn ich den anderen spüren lasse: Ich freue mich mit dir, dass du deinen Herrn liebst und ihm gerade begegnest – das ist Wohlwollen.
„Ich muss darauf achten, dass der andere satt wird.“ Das macht eine würdige Feier. Ist unser Feiern auf diese Weise würdig? Nun, wer kann das beurteilen? Niemand. Beurteilen kann jeder von uns nur sich selbst. „Ein jeder prüfe sich selbst“ – nicht den anderen.
Das Abendmahl spricht die Sprache der Liebe. Auch der Liebe untereinander. Lassen wir diese Sprache zu Wort kommen! Geben wir uns diese Liebe! Die Freiheit. Das Wohlwollen. Die Mitfreude. Den Raum, dass jeder auch auf seine Weise heiter Liebe zu seinem Herrn Jesus ausdrücken kann.

Wir werden gleich das Jesus-Festmahl am Tisch des Herrn miteinander feiern. Wir sprechen die Sprache der Liebe zu Jesus hin, indem wir an ihn denken. Und er bekennt sich zu uns, er gibt sein Zeichen, dass er’s gut mit uns meint. „Mein Leib – für dich“. In Liebe zum Herrn und in Liebe untereinander lasst uns dann an den Tisch des Herrn kommen.
Amen.

Montag, 1. Februar 2010

Predigt: „Die Bibel – Lesen macht den Unterschied!“

Predigt über Mt 12,1-8: „Die Bibel – Lesen macht den Unterschied!“
Liebe Gemeinde,
ein kleines Erlebnis von mir und meinem Saxofon zu Beginn: Ich habe es seit anderthalb Jahren und habe versucht, mir das Spielen selbst beizubringen. Mit meinen Erfolgen war ich auch meist einigermaßen zufrieden. Bloß gibt es bestimmte Tonarten, in denen ich mich nicht so wohl fühle. Alles mit einem b davor, das fand ich sehr umständlich zu greifen. Die Tonleitern lagen sehr unbequem für die Finger. Die meiste Zeit dachte ich, das ist nun einmal so bei diesem Instrument und ich muss einfach mehr üben. Und habe die Stücke in den unbequemen Tonarten lieber ausgelassen.
Manchmal blättere ich aber im Übungsheft, und da fand ich einen Hinweis, den ich bisher so übersehen habe. Für einige Töne gibt es verschiedene Griffe und einen dieser Griffe hatte ich bisher nie benutzt. Er kam mir überflüssig vor. Kürzlich hab ich also noch mal geblättert und gesehen, dass ich bei diesem Griff die Finger anders setzen muss. Und wenn ich das tue, die Finger richtig setzen, dann ist es genau der richtige Griff für die scheinbar unbequemen Tonarten. Jetzt geht es fließend rauf und runter auch mit den b-Vorzeichen. Wie gut, dass ich noch mal nachgelesen habe! So haben sich Möglichkeiten aufgetan, die ich vorher nicht gekannt habe. Lesen hat den Unterschied gemacht!
Es gibt nun im Leben noch schwerere Dinge als Saxofonspielen. Aber auch für andere Gebiete unseres Lebens stimmt es: Lesen macht den Unterschied. Nämlich ob wir die Bibel lesen oder nicht. An die Bibel glauben ist nicht so schwer, wenn mal einmal Christ ist. „Die Bibel ist Gottes Wort, in der Bibel finde ich die Wahrheit“ – das sagt sich leicht. Das kann man auch sagen, ohne sie zu lesen. Aber wenn wir sie wirklich aufschlagen und lesen – dann tun sich ganz neue Möglichkeiten auf.

Heute lese ich den Bericht von Jesus, wie er die Frage stellt, ob wir denn nicht gelesen haben. Hören wir auf Mt 12:

1 In jener Zeit ging Jesus an einem Sabbat durch die Kornfelder. Seine Jünger hatten Hunger; sie rissen deshalb Ähren ab und aßen davon. 2 Die Pharisäer sahen es und sagten zu ihm: Sieh her, deine Jünger tun etwas, das am Sabbat verboten ist. 3 Da sagte er zu ihnen: Habt ihr nicht gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren – 4 wie er in das Haus Gottes ging und wie sie die heiligen Brote aßen, die weder er noch seine Begleiter, sondern nur die Priester essen durften? 5 Oder habt ihr nicht im Gesetz gelesen, dass am Sabbat die Priester im Tempel den Sabbat entweihen, ohne sich schuldig zu machen? 6 Ich sage euch: Hier ist einer, der größer ist als der Tempel. 7 Wenn ihr begriffen hättet, was das heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer, dann hättet ihr nicht Unschuldige verurteilt; 8 denn der Menschensohn ist Herr über den Sabbat. Mt 12

„Habt ihr nicht gelesen?“, fragt Jesus die Pharisäer. Wenn sie gelesen hätten, in der Bibel gelesen hätten, dann hätten sie besser begriffen, wie Gott das Leben gewollt hat.
Wie kam es zu dieser Auseinandersetzung? Jesus und seine Schüler waren auf der Wanderung. Und das am Sabbat, wo jeder gesetzestreue Jude nur ein paar Schritte macht und mehr nicht. Jesus hat das Gesetz sehr oft beachtet und es nie aus Jux und Dollerei übertreten. Wenn er hier nun eine Reise macht, die eigentlich verboten ist, dann muss er einen Grund gehabt haben. Vielleicht musste er sich zurückziehen. Er war längst nicht überall wohl gelitten. Man versuchte ihm Fallen zu stellen. Er musste oft ausweichen, vielleicht auch durch diese Wanderung. Proviant hatten sie nicht genug mit, aber das war kein großes Problem. Das jüdische Gesetz erlaubt ausdrücklich, dass man unterwegs für den kleinen Hunger was aus fremden Feldern abpflücken darf. So machen es die Schüler Jesu. Das war in Ordnung. Aber eben am Sabbat – das war nicht in Ordnung, das galt als Erntearbeit. Verboten!
Die ganz Gesetzestreuen, die Pharisäer, klagen das sofort an. Sie berufen sich auf ihre Bibel – auf das Mosegesetz eben. Jesus antwortet und fragt: „Habt ihr denn das andere nicht gelesen?“ Es steht noch mehr in der Bibel, nicht nur Gesetzesverordnungen, und um herauszufinden, wie Gott das Leben gewollt hat, muss man mehr lesen, nicht nur ein bisschen, sondern richtig viel. Daher die Frage von Jesus: „Habt ihr denn nicht gelesen?“ Diese Frage ist auch für uns aktuell, denn auch in unserem Leben klärt sich vieles, wenn wir einfach mehr lesen. Aber wir bleiben noch bei Damals, beim biblischen Bericht, und schauen ihn uns an.

1. Wer sollte lesen?
Wer ist das, der bitte doch mehr lesen sollte in der Bibel? Man könnte auf die Idee kommen, Jesus spricht hier mit Theologen. Pharisäer. Die müssten es ja wenigstens wissen. Von denen kann Jesus erwarten, dass sie mehr Bibel lesen. Theologen haben das gelernt und haben auch Zeit dafür. Ob Jesus dasselbe aber auch von uns, Nichttheologen zumeist, erwarten würde?
Es könnte so scheinen, als würde Jesus ein Theologen-Gebot aussprechen. Aber so ist es nicht. Denn die Pharisäer waren damals überwiegend gar keine Theologen, sondern es waren einfache Leute, Bauern, Händler. Und zwar solche, die ganzen Ernst machten mit Gott. Es war eine Laienbewegung, keine Schriftgelehrten. Die hatten kein Studium hinter sich, die hatten ihren normalen Beruf. Von diesen normalen Leuten also hatte Jesus erwartet, dass sie mehr in ihrer Bibel gelesen hätten.
Diese Pharisäer hatten zwar einen gewissen Bibelvorsprung vor uns, einfach weil sie Juden waren. Weil sie also biblischen Unterricht hatten wie jeder Jude und weil sie jeden Sabbat mehrere Schriftlesungen hörten. Das war ihr Bibelvorsprung. Aber andererseits haben wir heute auch einen ziemlich großen Bibelvorsprung vor denen. Denn lesen und schreiben können heute viel mehr von uns als bei den Leuten damals. Wir haben Zugang zu verschiedenen Bibelübersetzungen. Die Bibel im eigenen Haus: damals undenkbar, aber heute eine Selbstverständlichkeit. Dazu gibt es eine Fülle von Erklärungen, Lexika und vieles mehr. Von Internet gar nicht zu reden. So leicht wie wir heute in Deutschland hat sonst niemand es mit dem Bibellesen. Bibelvorsprung – den haben wir, nicht die Pharisäer damals. Uns würde Jesus also um so mehr fragen: „Habt ihr denn nicht gelesen?“

2. Was soll man lesen?
Kurze Antwort: Mehr. Weiter lesen. Nicht nach dem ersten neuen Gedanken aufhören. Sondern die Bibel bietet mehr. Mehr Leben. Also weiter lesen!
Die Pharisäer haben an die Sabbatgebote erinnert. So weit haben sie gelesen. Eine außerordentlich wichtige Ordnung von Gott. Sie soll das Leben schützen und fördern. Wir Menschen haben einen Hang zur Betriebsamkeit, wir wollen immer mehr haben und mehr erwerben. Das ist nicht in sich schlimm. Aber es braucht eine Grenze. Einmal aufhören und Zeit für Gott haben, Zeit für’s Leben. Das ist der Sabbat. Wenn Jesus nun eine Reise macht und seine Schüler Essen besorgen, haben sie das Sabbatgebot übertreten.
Warum aber übertreten? Eben damit das Leben geschützt wird. Jesus begründet das mit weiteren biblischen Berichten. Immer gab es die Möglichkeit, dass Gottes Wille nicht in die Gesetze vollständig hineinpasst. Die Gesetze dienen dem Leben, nicht umgekehrt. Dafür erzählt Jesus zwei Beispiele aus der Bibel – und die Pharisäer hätten das ja kennen müssen. „Habt ihr denn nicht gelesen?“ Jesus fügt noch ein drittes Bibelwort an: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“ Das hat der Prophet Hosea gesagt. Das ist Gottes Wille.
Wenn sie gelesen hätten, weiter gelesen hätten, dann hätten sie diesen Raum zum Leben auch gefunden. Lesen macht den Unterschied. Den Pharisäern ging es wie mir auf dem Saxofon: Sie konnten nur ein paar Tonarten. Bei ihnen waren es die Ordnung und das Gesetz. Aber in anderen Tonarten waren sie nicht so geläufig: in den Tonarten der Liebe und der Barmherzigkeit. Mir hat beim Saxofon geholfen, noch mal nachzulesen. Den Pharisäern hätte das auch geholfen. Sie würden neue Seiten des Lebens entdecken. Sie würden Gott besser lieben können. Und sie wären eine größere Wohltat für ihre Mitmenschen. Sie haben viel verpasst, weil sie nur ein bisschen gelesen haben, aber nicht genug. Lesen macht den Unterschied.

Was soll man lesen? Zunächst also einfach weiter lesen. Und dann? Wenn man viel gelesen hat in der Bibel? Was ist denn mit den vielen unterschiedlichen Aussagen der Bibel? Da passt ja nicht immer eins ins andere. Da ergeben sich auch Widersprüche. Was ist damit?
Schauen wir mal genau hin! Jesus hat ja gerade auf die Widersprüche hingewiesen – oder besser: auf die Vielfalt der Bibel. Auf die große Spannbreite. Die Pharisäer sprachen von den Geboten. Sie hatten recht. Die Gebote drehen sich um Sabbat und um Opfer und vieles mehr. So ist es. Jesus bestreitet das nicht – aber er zeigt auf die anderen Seiten der Bibel. Da gab es einzelne, die es noch anders gemacht haben als im Gesetz vorgesehen. Besondere Situationen, wo man das Gesetz nicht außer acht lässt, aber es mit Augenmaß anwendet. Und es gibt die Propheten, die wiederum eine eigene Art der Auslegung haben. Typisch für die Propheten ist dieses Wort, das Jesus zitiert: „Gott will Barmherzigkeit, nicht Opfer.“ Der Prophet hat also unterschieden: Opfer waren Gottes Wille, aber sie sind Mist, wenn ein unbarmherziges Herz dahinter steht. Dann will Gott keine Opfer. Die Bibel enthält also eine große Spannbreite. Hier Gesetz, dort Propheten. Hier Opfer, dort Barmherzigkeit. Und mittendrin Berichte über Gottes Handeln, wie er es auch noch gemacht hat.

Wenn Jesus nun fragt: „Habt ihr nicht gelesen?“, dann mutet er uns eine ziemlich anspruchvolle Sache zu: Er möchte, dass wir die Bibel in ihrer ganzen Bandbreite aufnehmen. Die Bibel, die oft nicht sagt: So ist es! – sondern: Einerseits – andererseits. Die Bibel, die sich auch fortlaufend selbst auslegt. Zur Zeit von Mose gab es die Propheten noch nicht, aber fünfhundert Jahre später war die Auslegung der Propheten richtig. So legt die Bibel sich fortlaufend selbst aus. All das passt nicht in eine einfache Formel. All das erfordert ein wenig Nachdenken. Man muss sich schon hinsetzen und vergleichen und fragen: Wem wurde dies eine gesagt, zu wem wurde der andere Bibelabschnitt gesagt? Man muss sich schon Zeit nehmen und einen Bibeltext neben den anderen legen und viel beten und ... weiter lesen! Das ist eine ganz schöne Herausforderung. Das ist anspruchsvoll. Das geht nicht nebenher. Das fordert Überwindung, wenn man nach einem Arbeitstag oder am Wochenende müde ist. Jesus war Handwerker und wusste das.
Aber ... Jesus erwartet dieses Engagement. „Habt ihr nicht gelesen?“ Lest weiter, lest das Einerseits und das Andererseits, fragt nach dem jetzt richtigen Verständnis, fragt, was auch die Propheten sagen ... und dann werdet ihr das Leben entdecken. Wer zu wenig liest, der verpasst das Leben allerdings, wie Gott es gemeint hat.
Ich staune, dass Jesus so viel erwartet. Niedriger legt er die Latte nicht. Mehr Rabatt gibt er nicht. Jesus selbst ging mit der Bibel so um, dass er sie in ihrer Vielfalt zitierte. „Wiederum steht geschrieben“ ... das war schon seine Waffe, als der Teufel ihn in der Wüste reinlegen wollte (Mt 4,1-11). Wir könnten heute Angst haben vor solch einem Umgang mit der Bibel: ein Bibelwort neben das andere setzen und vergleichen. „Wiederum steht geschrieben“ – führt das nicht bloß zum Streit um Worte? Aber es ist das Bibelverständnis unseres Herrn Jesus, der sagt: „Wiederum steht geschrieben!“ Jesus traut es uns zu, die Vielfalt und Spannbreite der Bibel auszuhalten. Ja mehr noch: nicht seufzend auszuhalten, sondern ihren Reichtum zu entdecken. In das Bergwerk zu gehen und nicht nur den erstbesten Fund rauszuholen, sondern wieder hineingehen und noch mehr zutage fördern und noch mehr. Jesus traut uns das zu! Denn wer sich diese Mühe macht, findet das Leben, wie es Gott gemeint hat. Wer sich diese Mühe macht und nachliest, erlernt z. B. die Tonart der Barmherzigkeit. Aus monotonen Melodien wird so ein reicher schöner Klang. Wie kommt man dahin? Lesen macht den Unterschied!

3. Wer fragt nach dem Bibellesen?
Dumme Frage. Jesus natürlich. Er ist es, der die Pharisäer fragt: Habt ihr nicht gelesen? Er ist es, der diese große Spannbreite der Bibel aufzeigt. Er ist es, der sagt: Momentan ist das Wort der Propheten wichtiger als das Wort des Mose.
Das ist ja eigentlich eine kühne Behauptung, zu sagen: Jetzt wiegt dies aus der Bibel schwerer als jenes. Wer kann sich schon anmaßen, dass er diese Unterscheidung trifft? Wer kann sich herausnehmen, der Schiedsrichter über Gottes Wort zu sein? Jeder Mensch steht doch unter Gottes Wort und nicht über ihm – die Heilige Schrift ist ja Gottes Wort. Wenn heute einer behaupten würde: Was Paulus hier schreibt, ist wichtiger als was Matthäus sagt, und ein anderer sagt: nein, umgekehrt – dann hätten wir wirklich einen Streit um die Bibel: Wort gegen Wort.

Nur einer kann maßgeblich sagen, was wichtig ist aus der Heiligen Schrift: Jesus Christus. Er ist der verbindliche Ausleger der Bibel für uns. Deshalb hat es tiefe Bedeutung, dass er diese Frage stellt: Habt ihr nicht gelesen?, und dass er es sagt: Ihr müsst noch mehr Schriftstellen hinzunehmen.
Nachdenkliche Christen haben gesagt: Jesus Christus ist die Mitte der Schrift. Das klingt erst mal ganz schön ... aber es ist ein sehr hilfreicher Satz. Ein Grundsatz, der sofort praktische Auswirkungen hat. Bei jedem Bibelabschnitt kann man fragen: Wie hätte Jesus die Verse, die ich gerade vor mir habe, wie hätte Jesus das verstanden? Als Jesus diese Verse gelesen hatte oder in der Synagoge gehört hatte – wie hat er sich dazu gestellt? Wie hätte er sich dazu gestellt? Diese Frage ist oft der Schlüssel.
- Dürfen Frauen Verantwortung übernehmen, auch mehr als Männer – oder gleich viel? Nun, wie hat Jesus das gelebt?
- Diese verstörenden Rachepsalmen aus der Bibel, die den Feinden die Pest an den Hals wünschen – wie hat Jesus die wohl gebetet?
- Müssen wir Angst haben vor Leuten mit anderer Religion? Müssen wir ihren Einfluss bekämpfen? Tja, wie ist Jesus denn umgegangen z. B. mit den Samaritern? Oder als er sich in nichtjüdischen Städten aufhielt?
Die Bibel von Jesus her lesen, das ist ein wichtiger Schlüssel. Und wer sich nun fragt: Woher soll ich denn wissen, was Jesus zu dieser oder jener Sache gesagt hat – dem sage ich nur: Lies nach! Lies mal alles durch, so viel du kannst. Du wirst Dinge finden, die du noch nie zuvor entdeckt hast, auch an Jesus.
Für uns kommt alles darauf an, wer uns das Bibellesen zumutet; wer uns fragt: Habt ihr nicht gelesen? Es ist Jesus: die Mitte der Schrift.

Zu guter Letzt fehlt noch eine Einsicht. Die betrifft nicht unser Bibellesen allgemein, sondern unsere aktuelle Gemeindesituation.

4. Unsere Gemeindekrise ist auch eine Bibelkrise!
Wer in den letzten Monaten aktiv am Gemeindeleben teilgenommen hat, dem ist es klar: Wir sind derzeit in einer Krise. Wir alle leiden unter dieser Last. Diese Krise hat recht viele verschiedene Wurzeln. Eine davon müssen wir aber heute, gerade am Bibelsonntag benennen: Unsere Krise ist auch eine Bibelkrise.
In der Tat haben wir nach vielen Gesichtspunkten gefragt, aber zu wenig nach der Bibel. Was Jesus Christus für seine Gemeinde wichtig findet, darüber steht doch nun wirklich viel geschrieben. Aber das kam in unseren Aussprachen eher am Rande vor. Wenn Jesus uns nun heute fragt: „Habt ihr nicht gelesen?“, dann kann unsere Antwort eigentlich nur voller Selbstkritik sein.

In den achtziger Jahren kam ein Buch heraus von einem katholischen Theologen. Es hieß: „Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?“ Und darin hat er ein herausforderndes, ein urchristliches Bild von Gemeinde entworfen. Wir Studenten dachten damals: Alle Achtung, so was aus katholischer Feder! Das dürfte für die katholische Kirche ja wie ein Aufruf zur Kirchenreform sein. Wir dachten auch: Eigentlich ist das ja eine typisch freikirchliche Fragestellung: Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?
Und jetzt? Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir diese Frage ziemlich aus den Augen verloren haben und wo wir uns von einem katholischen Buchtitel erinnern lassen müssen, wo wir Baptisten eigentlich herkommen: von der Bibel. Es ist nichts dabei, dass gerade ein Katholik uns daran erinnert. Es ist gut, dass er uns diesen Dienst tut. Aber was haben wir verloren, dass diese Frage nicht von uns selber ständig wachgehalten wurde! Unsere Gemeindekrise ist auch eine Bibelkrise.
Nun, lamentierender Rückblick hilft uns nicht weiter. Es kommt darauf an, wie wir nach vorn hin aus der Krise herauskommen. Das kann nur passieren, indem wir zur Bibel zurückkehren.

Also müssen wir an dieser Stelle umkehren. Und der Bibel neue Möglichkeiten geben. Reden wir doch miteinander darüber, wie wir stärker nach der Bibel fragen können. Wie die Gestalt unserer Gemeinde sich eindeutiger nach der Bibel ausrichten kann! Lasst uns gemeinsam wach werden und der Bibel wieder mehr Möglichkeiten geben!

Der Bibel mehr Möglichkeiten geben? Ja – und zugleich ist es andersherum: Die Bibel ist es doch, die für uns Lebensmöglichkeiten enthält, die uns Möglichkeiten gibt. Wenn wir sie lesen, entdecken wir sie. Die Pharisäer hatten nicht alle Tonarten des Lebens entdeckt. Z. B. nicht die der Barmherzigkeit. Sie hatten nicht genug gelesen. Wenn Jesus uns fragt: Habt ihr nicht gelesen?, dann will er uns alle Möglichkeiten Gottes für unser Leben zeigen. Wir finden sie in der Bibel. Wenn wir sie lesen. Lesen macht den Unterschied!
Amen.