2 Apg 15,15: Das geistlich aktuell gedeutete Schriftwort
Gott redet zuerst durch sein Wort, durch die Bibel. Die Bibel aber ist zu allen Zeiten gültig und wir erkennen nicht sofort, was aus ihrer Fülle das wegweisende Wort für eine konkrete Situation ist.
Manchmal beauftragt Gott dann Menschen durch seinen Geist, ein bestimmtes Bibelwort in eine Situation hineinzusprechen. Diese Boten Gottes reden keine eigenen Worte, sondern sprechen nur die Heilige Schrift nach. Aber die Auswahl:
· Welches Bibelwort wird gesagt?
· Wann wird es gesagt?
· Zu wem wird es gerade gesagt?
... diese Auswahl ist dann auf Anregen des Heiligen Geistes passiert. Das Bibelwort bekommt so prophetischen Charakter, ohne dass es ein durch Menschen formuliertes Wort geworden ist.
Das kann immer wieder in der Predigt vorkommen – um dieses Geschehen in unseren Gottesdiensten beten wir ja. Es kann auch außerhalb der Predigt vorkommen; es kann sich in einer Gruppe ereignen oder zwischen zwei Christen.
2.1 Jesus deutet die Schrift in einem Gottesdienst
16 Und er kam nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie er es gewohnt war, am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um vorzulesen. 17 Und man reichte ihm das Buch des Propheten Jesaja. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht: 18 Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen das Evangelium zu verkündigen. Er hat mich gesandt, Gefangenen Freiheit und Blinden das Augenlicht zu verkündigen, Geknechtete in die Freiheit zu entlassen, 19 zu verkünden ein Gnadenjahr des Herrn. 20 Und er tat das Buch zu, gab es dem Diener zurück und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. 21 Da begann er, zu ihnen zu sprechen: Heute ist dieses Schriftwort erfüllt – ihr habt es gehört. Lk 4
Was ging hier vor, als Jesus dieses Schriftwort verlesen hat?
Im Synagogengottesdienst gab es zunächst die Lesung aus der Tora; der Schriftabschnitt war für jeden Sabbat festgelegt. Später kam eine zweite Lesung aus den Prophetenbüchern. Für beide Lesungen wurde ein Mann aus der Gemeinde aufgerufen bzw. meldete seine Bereitschaft an. Der Schriftabschnitt aus den Prophetenbüchern war nicht festgelegt; man konnte auswählen. Debetsprechen „fand“ Jesus eine bestimmte Stelle. Andererseits konnte er auch nicht frei aus allen Propheten auswählen. Jesus bekam gerade die Jesajarolle gereicht, und sie muss eher zum Ende hin aufgerollt gewesen sein: Jesus konnte ja kaum die Schriftrolle von vorn bis hinten durchrollen. Im größeren Umfeld von Jes 61 muss sie aufgerollt gewesen sein. „Durch ein Zusammentreffen von nicht gewollter Fügung der Umstände und bewusster, freier Wahl stieß Jesus auf die wie für ihn oder aus seiner Seele heraus geschriebenen Worte aus Jes 61,1f., die er verlas.“ (Th. Zahn)
Jesus las nicht nur vor, sondern erklärte: Hier und heute ist dieses Wort erfüllt. Das war also die geistgeleitete aktuelle Deutung.
Wenig später wird deutlich, dass man Jesus nicht geglaubt hat, ihn vielmehr töten wollte. Die Werke des Gesandten haben in Nazareth nicht stattgefunden! Ist also das Schriftwort doch nicht eingetroffen?
In Kafarnaum hat der Gesalbte vorher sehr wohl seine Werke getan (4,23). Das Schriftwort drückt eine Sendung aus, eine Absicht Gottes. Es wird dadurch nicht widerlegt, wenn Menschen es nicht annehmen. Auch heute kann ein Schriftwort durchaus Gottes Absicht aktuell ankünden, auch wenn man diese Absichten nicht annimmt. Die geistliche Deutung des Schriftwortes ist damit nicht schon automatisch widerlegt.
2.2 Aktuelle Schrift-Deutung in einer Gemeindeversammlung
6 Da traten die Apostel und die Ältesten zusammen, um über diese Sache zu befinden. 7 Als es dabei zu einem heftigen Streit kam, stand Petrus auf und sagte zu ihnen: Brüder, ihr wisst, dass Gott von langer Hand die Entscheidung getroffen hat, durch meinen Mund alle Völker das Wort des Evangeliums hören und sie zum Glauben kommen zu lassen. 8 Und Gott, der die Herzen kennt, hat das beglaubigt, indem er ihnen den heiligen Geist gab, so wie er ihn uns gegeben hat. 9 Er hat zwischen uns und ihnen keinen Unterschied gemacht, denn er hat ihre Herzen durch den Glauben gereinigt. 10 Was also wollt ihr jetzt Gott noch auf die Probe stellen, indem ihr den Jüngern ein Joch auf den Nacken legt, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten? 11 Wir glauben doch, dass wir durch die Gnade des Herrn Jesus gerettet werden, auf die gleiche Weise wie sie.
12 Da schwieg die ganze Versammlung und hörte Barnabas und Paulus zu, wie sie erzählten, welch große Zeichen und Wunder Gott durch sie unter den Völkern gewirkt hatte.
13 Als sie geendet hatten, ergriff Jakobus das Wort und sprach: Brüder, hört mir zu! 14 Simeon hat erzählt, wie Gott von Anfang an darauf bedacht war, aus allen Völkern ein Volk für seinen Namen zu gewinnen. 15 Damit stimmen die Worte der Propheten überein; so steht geschrieben:
16 Danach werde ich umkehren und wieder aufbauen die Hütte Davids, die zerfallene. Aus ihren Trümmern werde ich sie wieder aufbauen und sie wieder aufrichten, 17 damit den Herrn suchen, die überlebt haben unter den Menschen, alle Völker, über denen ausgerufen ist mein Name, spricht der Herr, der dies tut. 18 Bekannt ist es von Ewigkeit her. [Amos 9,11f.]
19 Darum halte ich es für richtig, denen aus den Völkern, die sich zum Herrn wenden, keine Lasten aufzubürden, 20 sie aber anzuweisen, sie sollten sich fernhalten von Verunreinigung durch fremde Götter, durch Unzucht oder durch Ersticktes und Blut. 21 Denn seit Menschengedenken hat Mose in jeder Stadt seine Verkündiger, da an jedem Sabbat in den Synagogen aus ihm vorgelesen wird. Apg 15
Jakobus zitiert ein Schriftwort und wendet es auf die konkrete Situation an.
Welche neue Gedanken bringt das Schriftwort hinein?
Warum fiel wohl gerade dieses Wort dem Jakobus ein – abgesehen vom Heiligen Geist, der es ihm eingab?
Hätte es andere Schriftworte gegeben, die dieselbe Wahrheit ausgedrückt hätten?
Wie viel von der Schlussfolgerung, die Jakobus zieht (V. 19ff.), ist bereits im Schriftwort enthalten?
Welche anderen Momente gab es vorher, in denen Gott zur Versammlung redete?
Das aktuell gedeutete Schriftwort ist hier ein Glied in einer längeren Kette von Hinweisen Gottes:
· Streit und Verhandlungen (V. 6+7)
· Bericht eines Zeugen über Gottes Taten (7b-9; vgl. 4)
· Anwendung auf die aktuelle Situation (10f.)
· Zeit des Schweigens in der Gemeinde (12a.13a)
· Berichte von weiteren Zeugen über Gottes Taten, die sie wahrgenommen haben (12)
· Schriftwort (13b-18)
· Schlussfolgerung (19-21)
· Beschlussfassung durch die Führenden und die gesamte Gemeinde (22ff.)
Das Schriftwort wirft also nicht allein das Ruder völlig herum, aber es bestätigt eine Richtung, die sich schon vorher durch Gottes Geist abgezeichnet hat.
Um so ein Schriftwort in die Versammlung einbringen zu können, muss man sich in der Bibel auskennen: man muss etwas belesen sein. Daran knüpft dann Gottes Geist an und zeigt mit dem inneren Finger auf ein Wort aus dem persönlichen Schatz der vertrauten Schriftworte.
2.3 Hinweis auf weitere biblische Beispiele
Der Lobgesang der Maria ist ein Beispiel, wie Gottes Geist einem einzelnen Menschen ein Schriftwort für die persönliche Situation gibt: Maria betet ausgehend vom Lobgesang der Hanna. Vgl. Lk 1,46-55 mit 1Sam 2,1-10.
Paulus belehrt die Korinther über die Ereignisse um die Auferstehung der Toten. Er schreibt dabei ein prophetisches Wort nieder, das er offenbar von Christus empfangen hat: 1Kor 15,51. Der Ausdruck „ich sage euch ein Geheimnis“ ist wahrscheinlich ein Fachausdruck für ein prophetisches Wort.
Wenig später ergänzt er das durch zwei Schriftzitate. Sie setzen das prophetische Wort fort, sind aber nicht mehr unmittelbare Prophetie, sondern nun gebraucht Paulus vor-formulierte Worte. Gottes Geist hat ihm gezeigt, dass diese Zitate jetzt in die besondere Situation passen (1Kor 15,55).
Prophetie und aktuell gedeutetes Schriftwort ergänzen sich also.
2.4 Fragen für heute
Wie kann ich unterscheiden, ob mir einfach so ein Bibelwort einfällt oder ob Gott es mir durch seinen Geist speziell für eine Situation in den Sinn gegeben hat?
Wie kann ich bei jemand anderem unterscheiden, ob der jetzt ein Schriftwort auf Anregen des Geistes sagt – oder ob es ihm nur menschlich gerade so eingefallen ist?
Ist es statthaft, dass jemand bei uns sagt: „Ich habe den Eindruck, Gott sagt uns heute gerade dieses Schriftwort.“ –?
Wenn einer oder mehrere den Eindruck haben, Gott gibt ein bestimmtes Bibelwort: Wie können wir es davor bewahren, überhört zu werden? Wie schützen wir es, dass es nicht untergeht in der Fülle anderer Worte und Argumente?
Wie finden wir heraus, welche Schlussfolgerung aus einem aktuelle Bibelwort gezogen werden soll? Was ist, wenn es verschiedene mögliche Schlussfolgerungen gibt?
Haben wir als Gemeinde ein „Instrument“, ein Verfahren, um geist-gegebene Bibelworte richtig auszuwerten?
Dürfen wir Gott um ein wegweisendes Schriftwort bitten – oder müssen wir darauf warten, ob und wann und wie Gott es schenkt?