Montag, 16. November 2009

„Zorn zwischen Gottes Geist und Teufel“

Predigt über Eph 4,22–5,2: „Zorn zwischen Gottes Geist und Teufel“
Liebe Gemeinde,
neulich hab ich im Gespräch ein beeindruckendes Fremdwort gelernt: „Prokrastination.“ Ich habe drei Anläufe gebraucht, um es aufzuschreiben. Prokrastination ist die Bezeichnung für den Hang, Arbeiten aufzuschieben bis zuletzt. „Aufschieberitis“ sagt man auch. Man kommt erst richtig in Gang mit einer Pflicht, kurz bevor sie erledigt sein muss. Lernen erst in der Nacht vor Prüfungsbeginn. Einkauf erst wenn der Kühlschrank leer ist. Ich selber würde es weit von mir weisen, an Prokrastination zu leiden ... allerdings ... die Steuererklärung mache ich meist erst nach der ersten Mahnung.
Manche Menschen fühlen sich einigermaßen wohl dabei, alles auf den letzten Drücker zu machen. Ohne eine festen Termin würden sie nie anfangen. Termindruck ist erst die Starthilfe. Andere leiden unter dem Aufschieben. Und wieder andere könnten sich gar nicht vorstellen, erst anzufangen, wenn’s schon fast brennt – viele fühlen sich gut mit einem langfristigen Arbeitsplan. Eigentlich kann ja jeder es machen wie er will, solange er zufrieden ist.
Es gibt aber einige Bereiche, da darf man nichts aufschieben. Sonst geht was kaputt. Ich sage nur: Zähne putzen! Kinder würden das am liebsten aufschieben. Warum nicht bis Samstag Abend warten und dann so lange putzen, dass es für die ganze Woche reicht? Geht nicht. Beim Zähneputzen kennen wir Eltern keine Ausnahme. Es wird drei mal täglich zum festen Termin geputzt. Sonst geht was kaputt, und es nach einer Woche nachholen ist dann zu spät.
Ich selber habe das als Kind und Jugendlicher nicht so richtig praktiziert. Mit Ende 20 war dann eine große Sanierung nötig. Mein Zahnarzt wurde zum Tiefbauarbeiter. Ich habe noch im Ohr, wie er mir erklärte, was beim Essen mit den Zähnen passiert: Säureangriff! Das klang total dramatisch. Aber dass ich mich vorher zu wenig um diesen Säureangriff gekümmert habe, das war dann ja auch dramatisch, wie ich mit offenem Mund unter der Lampe lag.
Es gibt also Dinge, die darf man nicht aufschieben. Da muss man einen Termin haben. Wie beim Zähneputzen.
Wir hören heute aus der Bibel von einem anderen Lebensbereich, der ebenfalls feste Termine braucht – sonst geht etwas kaputt. Und zwar ist das der Zorn. Hören wir auf Paulus, was er der Gemeinde in Ephesus schrieb:

22 Legt den alten Menschen ab, der in Verblendung und Begierde zugrunde geht, ändert euer früheres Leben 23 und erneuert euren Geist und Sinn! 24 Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
25 Legt deshalb die Lüge ab und redet untereinander die Wahrheit; denn wir sind als Glieder miteinander verbunden. 26 Lasst euch durch den Zorn nicht zur Sünde hinreißen! Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen. 27 Gebt dem Teufel keinen Raum!
28 Der Dieb soll nicht mehr stehlen, sondern arbeiten und sich mit seinen Händen etwas verdienen, damit er den Notleidenden davon geben kann. 29 Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, stärkt und dem, der es hört, Nutzen bringt. 30 Beleidigt nicht den Heiligen Geist Gottes, dessen Siegel ihr tragt für den Tag der Erlösung. 31 Jede Art von Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung und alles Böse verbannt aus eurer Mitte! 32 Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat. 5,1 Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder 2 und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und als Opfer, das Gott gefällt. Eph 4/5

Paulus schreibt an eine Gemeinde und greift ins tägliche Leben. Es geht um Zorn, Bitterkeit, Geschrei und alles mögliche andere Böse. Das kommt vor, natürlich, oft. Das kennen wir und auch damals in den Gemeinden war es keine Überraschung, dass man zornig wurde, laut, auch bitter. Ich kann uns hier gleich am Anfang eine gute Nachricht sagen: Zorn ist keine Sünde! Zorn ist menschlich. „Wenn ihr zornig werdet, dann sündigt dabei nicht“, sagt Paulus. Man kann also zornig sein und noch nicht gleich schon damit sündigen. Es liegt noch ein Schritt zwischen Zorn und Sünde. Zorn ist menschlich.
Er macht keinen Spaß. Er bringt Stress. Aber er kommt eben vor. Es ist wie mit den Zähnen. Wenn ich Weingummi esse oder diesen löslichen Cappuccino mit 80 % Zucker trinke, dann kommt der Säureangriff. Er kommt, bestimmt fünf mal am Tag. (Bei mir sieben Mal.) Das ist nicht schön für die Zähne, aber es passiert. Das ist normal. Ebenso der Zorn. Jeder Zorn ist wie ein Säureangriff. Nicht nur dem gegenüber, auf den ich zornig bin. Sondern auch ein Säureangriff auf meine Seele. Das greift sie an, das bringt Stress. Aber es passiert. Es ist täglich normal. Zorn ist noch keine Sünde.
Bloß muss der Zorn dann ziemlich bald wieder abgebaut werden. Sonst macht er was kaputt. Nicht schon der erste Angriff zerstört. Aber wenn der Zorn bleibt, richtet er Schaden an. Wie bei den Süßigkeiten. Die Säure greift an, aber das ist erst dann schlimm, wenn sie bleibt. Wenn sie nicht abgebaut wird. Dann greift es die Zähne an. Es hilft also nur eins: ein engmaschiger Termin, der nicht lange aufgeschoben wird. Ein fester Zeitpunkt, regelmäßig und angewöhnt, wo ich die Zähne putze. Dann wird die Säure abgebaut, die Zahncreme bringt Fluor heran, der Zahnschmelz wird wieder gestärkt. Das klappt wunderbar, wenn ich die Termine einhalte. Mehrmals täglich. Säurenangriff gestoppt, Zerstörungskraft wurde abgebaut.

Für den Säureangriff des Zorns setzt Gottes Wort ebenfalls einen regelmäßigen Termin. „Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen.“ Also nicht schon nach jeder Hauptmahlzeit, aber beim Tagesabschluss soll ich meinen Zorn abbauen. Ihn loslassen. Bevor die Sonne untergeht, geht der Zorn unter. Ich soll ihn nicht mit in den Schlaf nehmen. Das ist die tägliche Pflege, die meine Seele braucht.

Paulus sieht es hier übrigens ziemlich einseitig. Er betrachtet nur die eine Seite dessen, der erzürnt wurde. Zorn ist ja oft eine zweiseitige Angelegenheit. Ich habe ja Grund zum Zorn. Man hat mich gereizt oder geärgert. Der andere war doch Auslöser, der müsste erst mal seinen Fehler einsehen. Aber Paulus betrachtet nur die eine Seite der Angelegenheit: mich, der ich mich habe erzürnen lassen. Ich kann ganz viel für mich tun, um meinen Zorn abzubauen, egal wie der andere sich verhält. „Jede Art von Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung und alles Böse verbannt aus eurer Mitte!“ Das kann ich für mich machen. Ich kann aus meinem Herzen all das rauswerfen. „Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat.“ Das kann ich einseitig tun, unabhängig von anderen Menschen: ich kann Güte bekunden, ich kann Vergebung gewähren. Und zwar zum festgesetzten Termin: bei Tagesabschluss. Aufschieben würde schaden, so wie es den Zähnen schadet, das Putzen aufzuschieben.

Wir haben in den Bibelgesprächen intensiv darüber diskutiert, ob das immer so geht: bei Sonnenuntergang, am Ende eines jeden Tages. Oder ob Paulus die Latte da zu hoch hängt. Braucht nicht mancher Zorn erst Zeit, um zu verrauchen? Kann man es denn immer gleich nach ein paar Stunden abschütteln? Es ist wohl gut, diese Zeitangabe nicht immer allzu wörtlich zu nehmen. Sonst wäre es ja im Winter noch schwerer, wo die Sonne früher untergeht, und Sommer wäre die Jahreszeit, wo wir länger zornig sein dürften. So ist es bestimmt nicht gemeint. Also – wer gute Gründe hat, den Zorn noch eine Weile bei sich zu behalten, der kann das tun. Man wird sich wohl immer wieder einmal sagen müssen: Jetzt noch nicht. Bloß – dann muss man sich auch sagen, wann denn dann. Wenn es ein „Zu-früh“ gibt, dann doch auch ein „Jetzt-gerade-richtig“. Den Zeitpunkt muss man finden. Und dann auch nutzen. Eins ist sicher: Von alleine passiert meist gar nichts. Von alleine wird die Seele sich nur selten melden, um zu sagen: Hallo, jetzt bin ich so weit. Da muss ich schon bewusster drauf achten. In Sachen Zorn geht es wohl den meisten von uns so wie den Studenten mit Aufschieberitis. Sie kommen erst in Wallung, wenn der Abgabetermin kommt, und wenn es nie einen Abgabetermin gäbe, wenn sie es immer selbst aussuchen dürften, dann würden sie wohl gar keine Seminararbeit geschrieben kriegen. Der Termin hilft, sich aufzuraffen. Ebenso beim Zorn. Ein Abgabedatum hilft, sich aufzuraffen. Und wenn dieses eine Abgabedatum nicht richtig ist, weil die Seele noch nicht so weit ist, dann muss man ein anderes Abgabedatum finden. Von alleine wird sich meist nichts tun.

Zorn ist noch keine Sünde. Zorn ist menschlich und alltäglich. Der Säureangriff passiert immer wieder. Der Zorn ist von der Sünde noch einen Schritt weit entfernt. Aber wann wird Zorn zur Sünde? Wenn er aufbewahrt wird. Wenn er sich einnistet und sich in Groll verwandelt. Zorn ist das eine, lang andauernder Groll das andere. Groll ist wie Zahnbelag, der nicht geputzt wird. Dann bleibt die Säure und dringt ein und zerstört. Geht das länger so, liegt der Nerv irgendwann frei. Aufbewahrter Groll ist wie Zahnbelag und macht in der Seele Karies. Schwarze Löcher.
Und noch mehr. Paulus wird an dieser Stelle richtig ernst. „Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen. Gebt dem Teufel keinen Raum!“ Beide Sätze folgen aufeinander und bilden eine Gedankenfolge. Bewahrt den Zorn nicht lange auf und gebt nicht damit dem Teufel Raum! Das aber heißt: Wenn ich meinen Zorn aufbewahre und zum Groll werden lasse, dann gebe ich dem Teufel Raum. Der Zorn kommt nicht vom Teufel. Der verfestigte Zorn, der Groll auch nicht. Aber der Groll öffnet dem Teufel die Tür. Irgendwann sind meine Vorwürfe, meine Bitterkeit, mein Grimm – irgendwann ist das mehr als mein Groll. Irgendwann ist es Groll plus Teufel. Auch den Teufel kann ich wieder los werden. Aber da muss ich schon sorgfältig aufpassen. Wenn der Teufel erst mal Raum bei mir gefunden hat, könnte es ja sein, dass ich irgendwann Gefallen finde am Groll. Er ist ja der Vater der Lüge, der Verdreher schlechthin, und er kann mich dahin bringen zu glauben, ich hätte ein Recht auf meine Vorwürfe und sie würden meinem Leben erst richtig Schwung geben. Ein Teufelskreis.
Liebe Gemeinde, Zorn ist noch keine Sünde, aber aufbewahrter Zorn ist ein Spiel mit dem Feuer! Er gibt dem Teufel Raum! Das ist eine klare Ansage aus Gottes Wort.

Am besten, es kommt gar nicht erst so weit. Am besten, ich beachte die Abgabetermine. Am besten ich mache es wie mit den täglichen Säureangriffen auf meine Zähne: Die kann ich nicht umgehen, aber ich kann sie unschädlich machen.

Unser Körper hat dabei übrigens eine wunderbare Einrichtung. Schon bevor ich meine Zähne putze, ist mein Körper bereits dabei, die Säure unschädlich zu machen und die Zähne zu reparieren. Das ist so in mir drin. Und zwar passiert das durch den Speichel! Der Speichel ist leicht alkalisch, also das Gegenteil von Säure. Er neutralisiert die Säure ein bisschen. Dazu braucht er Zeit. Zwischen den Säureangriffen muss ich Pausen machen, also Zeiten ohne Süßigkeiten. Dann tut der Speichel sein gutes Werk und neutralisiert die Säure. Und er macht noch etwas: Er transportiert Mineralstoffe in den Zahnschmelz. Remineralisierung heißt das. (Noch ein tolles Fremdwort! ’Tschuldigung!) Also – in mir ist die Reparatur schon angelegt. Der Schöpfer hat Kräfte in mich eingefügt, die den Schaden begrenzen und die Zerstörungskraft abbauen.
Gilt das auch für den Säureangriff des Zorns? Allerdings! Der Neuschöpfer hat Kräfte in mich eingefügt, die den Schaden begrenzen und die Zerstörungskraft abbauen. Welche Kräfte sind das? Es ist der Heilige Geist. Davon ist im Bibelwort die Rede: „Beleidigt nicht den Heiligen Geist Gottes, dessen Siegel ihr tragt für den Tag der Erlösung.“ Ich kann den Heiligen Geist, diese Erneuerungskraft, zwar betrüben. Aber damit ist ja auch gesagt: Der Heilige Geist ist erst mal in mir. Er wohnt in mir. Davon kann ich ausgehen. Wenn ich also mit Zorn zu tun habe, dann ist es gut, mich den Erneuerungskräften zu überlassen, die schon da sind. Dass ich mich dem Heiligen Geist überlasse. Dazu braucht er Zeit zwischendurch – Zorn soll also kein Dauerzustand sein (wie ich auch nicht pausenlos Sirup trinken soll). Aber wenn ich dem Heiligen Geist Raum verschaffe, dann kann der Zorn nicht mehr zerstören. Eingepflanzte Erneuerungskraft!
Unser Bibelwort nennt noch eine weitere Kraft, die schon längst für uns bereit steht: Es ist Jesus Christus. „Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist.“ Der neue Mensch – der Mensch, der Gott gefällt: den muss ich nicht erst erschaffen. Den bringe nicht ich hervor. Der ist schon geschaffen. Nach dem Bild Gottes: Jesus Christus ist das wahrhaftige Bild Gottes. Er ist der neue Mensch. Wer immer auf Christus getauft ist, der hat Christus angezogen, sagt Paulus anderswo (Gal 3,27). Ich soll ihn nun immer wieder anziehen. Er liegt schon bereit, der neue Mensch, wie ein Kleidungsstück, in das ich nur noch schlüpfen muss.
Das ist die gute Nachricht: Ich muss es nicht von A bis Z selber leisten, dass der Zorn mich nicht zerstört. Es kommt nicht auf meine Leistung an. Ich muss mich nur den Kräften überlassen, die Gott schon gegeben hat. So wie meine Zähne schon durch die Wiederherstellungskräfte geschützt werden, die Gott in mir geschaffen hat.

Damit haben wir jetzt klar in den Blick bekommen, wo unser Zorn steht. Er steht zwischen Gottes Geist und Teufel. Wenn ich Zorn aufbewahre, bekommt der Teufel Raum. Wenn ich aber Gottes Geist Raum gebe, verliert der Zorn seine Zerstörungskraft. Ich muss die richtige Seite wählen. Aufbewahrter Groll ist ein Spiel mit dem Feuer. Doch andererseits ist die Heilungskraft ganz nahe: Christus in mir, der neue Mensch. Ich muss die richtige Seite wählen. Dazu hat Gottes Wort eine Hilfe gezeigt: das Abgabedatum. Der gesetzte Termin. „Lasst euch durch den Zorn nicht zur Sünde hinreißen! Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen.“ Dann ist der Säureangriff gestoppt.

Bei unseren Kindern dulden wir kein Aufschieben, wenn es ums Zähneputzen geht. Nach jeder Hauptmahlzeit, termingerecht. Damit auf Dauer nichts kaputt geht. Wie können wir Eltern das unseren Kindern am besten beibringen? Mit Argumenten? Mit Belohnungen? Mit Strafen?
Am besten durch das Vorbild. Wenn wir’s tun, sehen das die Kinder an uns. Den Zorn begrenzen, damit er nicht zum Groll wird – welches Vorbild haben wir dafür? Paulus nennt uns das Vorbild:
Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat. Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat.
Christus war überzeugt, dass es richtig ist, so zu leben: barmherzig, voller Liebe. Vergebungsbereit. Er hat alles auf diese eine Karte gesetzt, weil er überzeugt war von der Heilungskraft der Barmherzigkeit. Er hat so gelebt. Gibt es ein glaubwürdiges Vorbild? Für uns bleibt dies zu tun:
Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat. Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat.
Amen.