Montag, 21. September 2009

Predigt über Mk 2,13-17: „Mein Leben – ein Weg“

Predigt über Mk 2,13-17: „Mein Leben – ein Weg“
Liebe Gemeinde, liebe Gäste,
„Mein Leben – ein Weg“? Ja, natürlich! Unser Leben gleicht einem Weg. Wir sprechen von unserem Lebensweg. Als Kind beginnt man eine Schullaufbahn. Danach den Ausbildungsweg oder vielleicht später auch einen Dritten Bildungsweg. Beruflich schlägt man ebenfalls eine Laufbahn ein. Die Liebe kommt offenbar auf dem Seeweg, wenn man irgendwann in den Hafen der Ehe einläuft. Und so geht es weiter auf dem Weg. Den Tod nennen manche „die letzte Reise“. Tatsächlich ist unser Leben ein Weg.
Wer schon einmal in Marburger Rathaussaal war, hat das große Gemälde von Carl Bantzer gesehen: Der Weg des Lebens. In einer Kreisbahn werden in 15 Stationen die verschiedenen Lebensalter dargestellt, und es ist ein Weg von Start zum Ziel. Als Carl Bantzer das Leben malen wollte, ist ihm eben der Weg eingefallen.
Und nun kommt es darauf an, welchen Weg man einschlägt. In der Berufslaufbahn kann man mit Glück weit voran kommen. Karriere nennt man das. Dieses Wort „Karriere“ kommt aus dem alten Frankreich und heißt einfach „Rennbahn“. Vielleicht heißen die Rennautos deswegen „Carrera“ – wer weiß?
Nicht jeder aber, der Karriere macht, ist gut angesehen. Bestimmte Karriereberufe sind im letzten Jahr geradewegs zum Feindbild geworden: Banker und Finanzanleger z. B. Hier kann man Karriere machen, aber hat nicht mehr unbedingt viele Freunde im Land.
In der Bibel steht eine Geschichte von gerade so einem Mann: Er hat Karriere gemacht im Finanzsektor. Sein Lebensweg geht also steil nach oben – was den Wohlstand anbetrifft. Aber ein gutes Image hatte er nicht. Man sah ihn lieber gehen als kommen. Er war ein Zollpächter, d.h.: Er hatte die Lizenz gemietet, Zölle und Gebühren einzutreiben. Das tat er z. B. von den Händlern und Gewerbetreibenden am Ort. Und da musste er kräftig zulangen. Er musste die Lizenzgebühren bezahlen, Angestellte entlohnen und für ihn selber sollte ja auch noch was bleiben. Also wurden damals zur biblischen Zeit die Zolltarife ziemlich nach oben gezogen. Zum Missfallen aller Leute am Ort. Hören wir auf diesen Bericht aus dem Markusevangelium:

13 Dann ging Jesus wieder hinaus an den See. Alle kamen zu ihm und er sprach zu ihnen. 14 Als er weiterging, sah er einen Zolleinnehmer an der Zollstelle sitzen: Levi, den Sohn von Alphäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Und Levi stand auf und folgte ihm. 15 Als Jesus dann in seinem Haus zu Tisch saß, waren auch viele Zolleinnehmer dabei und andere, die einen ebenso schlechten Ruf hatten. Sie alle aßen zusammen mit Jesus und seinen Jüngern. – Was die Zahl der Jünger betrifft: Es waren inzwischen viele, die Jesus nachfolgten. 16 Die Gesetzeslehrer von der Partei der Pharisäer sahen, wie Jesus mit diesen Leuten zusammen aß. Sie fragten seine Jünger: »Wie kann er sich mit den Zolleinnehmern und ähnlichem Volk an einen Tisch setzen?« 17 Jesus hörte es und er antwortete ihnen: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, solche Menschen in Gottes neue Welt einzuladen, bei denen alles in Ordnung ist, sondern solche, die Gott den Rücken gekehrt haben.« Mk 2

Levi heißt dieser reiche Zollpächter. Wir erfahren nicht sehr viel über seinen Lebensweg, aber das Wichtigste schon. Achten wir mal auf die Bewegungen, die in diesem Bericht drinstecken. Wie bewegt sich dieser Mann? Er sitzt zuerst. Später steht er auf und geht los. Er folgt jemandem. Dann treffen wir ihn wieder an, wie er sitzt – aber anderswo und mit anderen Leuten. Er sitzt nun aber nicht mehr fest, sondern ist meistens unterwegs: Er folgt Jesus nach.
Am Anfang also finden wir ihn sitzend vor. „Jesus sah er einen Zolleinnehmer an der Zollstelle sitzen: Levi.“ Das können wir uns ganz wörtlich vorstellen. Levi hatte vermutlich ein kleines Häuschen an einer zentralen Stelle im Ort, da saß er, um zu kassieren. Viele verschiedene Menschen gingen vorbei in diesem Ort Kafarnaum. Dieses Städtchen lag an einem großen See. Es war ein Fischereiort, viele Männer ernährten sich und ihre Familien von Fischfang. Aber jeder Fischer musste von seinem Ertrag Zoll zahlen an Levi.

Levi saß in seiner Station – er saß nicht nur dort auf seinem Stuhl, sondern er saß auch irgendwie in seinem Leben fest. Gut eingerichtet in einem Beruf, der Geld brachte. Aber ausgegrenzt in der Stadt, weil er eben diesen Beruf hatte. Zollpächter galten damals im Lande soviel bzw. so wenig wie Diebe und Räuber. Du konntest eine Karawane überfallen und ausrauben oder Zollpächter sein – für dein Image kam das aufs Gleiche raus. „Heuschrecke!“ Zollpächter waren vor Gericht nicht als Zeugen zugelassen, weil man ihnen nicht über den Weg traute. In die Kirche der Juden durften sie auch nicht. Auch Ihre Familien waren ausgegrenzt, denn sie wurden ja ernährt von einem, der anderen in die Tasche griff. Pfui!
So saß Levi fest in diesem Leben. Es wurde versüßt durch das Geld, aber vergiftet durch Ablehnung und Misstrauen. Geld, das süße Gift. Aber das Leben war doch wenigstens so angenehm, dass man nicht unbedingt alles ändern musste. Es gab Nachteile, ja – aber deswegen die Vorteile aufgeben? Vielleicht dann doch lieber sitzen bleiben dort, wo man sich’s eingerichtet hat? Es ging nicht richtig vorwärts auf dem Lebensweg dieses Levi.
Kennen Sie das auch? Eigentlich müsste man aufbrechen, müsste sich mal was anderes trauen, aber das Gewohnte hat doch eine starke Schwerkraft. Die zieht mich runter auf den Platz, wo ich festsitze. Angewohnheiten, derer ich schon lange überdrüssig bin, aber ich werde sie nicht los. Sitze fest. – Viele machen auch die Erfahrung, dass man immer wieder den Kürzeren zieht gegenüber anderen. Es ist wie verhext. Immer trifft es mich. So ein Finanzhai wurde abgelehnt, weil er sich selber unbeliebt machte, aber ich bin ja nicht so ein Geldsauger – und trotzdem bin ich oft der Verlierer, Andere greifen schneller zu, sind beliebter. Beim nächsten Mal gebe ich schon auf, bevor ich überhaupt angefangen habe. Auch das kann ein süßes Gift sein: Ich mache mich selbst zum Opfer, voreilig, dann hab ich es wenigstens schon gewusst, wenn es wirklich so kommt. In so einem Denkmuster kann ich ganz schön festsitzen. Und übersehe alle Gelegenheiten, wo es dann doch anders laufen könnte.
Unterm Strich sehe ich mich dann so: Ich werde ja doch bleiben, wie ich bin. Anders werden geht nicht. Wenn ich so über mich denke, dann sitze ich eben fest.
Levi saß so lange fest, bis jemand seinen Weg kreuzte, der ihn anders sah. Jesus kam vorbei, dieser Wanderprediger, von dem damals viele sagten, er sei direkt von Gott gekommen. Einige Menschen waren schon mit dem unterwegs auf Wanderschaft, ihm hinterher. Jesus kommt vorbei, sieht den Levi, wie er festsitzt und sagt: „Komm, folge mir.“ Mit anderen Worten: Du musst nicht mehr festsitzen. Dein Lebensweg führt dich noch weiter und noch woandershin. Levi dachte entweder: Ich will gar nicht anders leben – das Geld reicht mir, da brauch ich nicht viele Freunde. Oder er dachte: Ich kann ja doch nicht anders leben. Ich muss wohl bleiben, wie ich bin. Aber als Jesus kam, hatte der offenbar eine andere Sicht von Levi: Der muss nicht bleiben, wie er ist. Der kann werden, wer er eigentlich ist. Jesus sah den Levi, wie er von Gott, seinem Schöpfer her eigentlich gedacht war. Den Levi, der er eigentlich sein konnte. Das ist das Besondere an Jesus, dass er uns Menschen so sieht, uns alle: Ich muss nicht bleiben, wie ich bin. Ich kann der werden, der ich bin – der ich eigentlich von Gott her bin. Und dann ist mein Leben ein Weg, der wieder ganz offen ist und der vorwärts führt.

Für mich ist das eine der besten Sachen beim Glauben an Jesus: Ich kann aufbrechen und anders werden. Jesus traut mir neue Wege zu, wo ich mich das noch gar nicht traue. Ich habe auch einen Moment in meinem Leben gehabt, wo ich Jesus sozusagen gehört habe, wie er zu mir gesagt hat: „Komm, folge mir!“ Ich habe das nicht akustisch durch die Ohren gehört, aber es kamen damals so viele Dinge zusammen, dass das kein Zufall sein konnte und ich habe es Jesus geglaubt: Er sagt mir, ich solle aufstehen und ihm nachfolgen, ab jetzt für immer, meinen ganzen Lebensweg lang. Und wie gesagt: Mit das Beste dabei ist, dass ich nicht bleiben muss, wie ich bin. Ich muss nicht mehr festsitzen. Mein Lebensweg ist bisher so gelaufen, dass ich an vielen wichtigen Stellen oft langsam war. Ich brauche oft viel Zeit, um mich auf Neues einzulassen. Ich bin da nicht besonders mutig. Hier wünsche ich mir oft, anders zu sein: mutiger, entschlossener und auch, dass ich klarer ansagen kann: Das will ich jetzt. Solche Sätze fallen mir oft schwer. Ich denke an Momente, wo ich nur unter größter Überwindung und mit Herzklopfen und Schweißausbrüchen sagen konnte: Das will ich jetzt.
Aber ich merke auch: Nach und nach ändert sich da was. Ich glaube, das liegt an Jesus – weil er mir immer wieder sagt: Folge mir, und weil er mir neue Chancen gibt. Entscheidungen, die mir früher schwer gefallen wären, kann ich mittlerweile leichter treffen. Es ist eine Veränderung auf meinem Lebensweg, die langsam vor sich geht – na klar, ich bin eben doch der, der ich bin, und eine gewisse Langsamkeit hat Gott anscheinend bei mir eingebaut. Aber dennoch bleibe ich nicht, wie ich bin, mit allen hinderlichen Eigenschaften, sondern Jesus verändert mich – langsam und geduldig.
Das ist mein Lebensweg: Ich erlebe, dass Jesus mich voranbringt, wo ich festsitze. Levi aus der Bibel hat es auch, auf seine Weise, mit Jesus erlebt. „Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Und Levi stand auf und folgte ihm.“ Jetzt ist Bewegung auf seinem Lebensweg, jetzt ist sein Leben erst wirklich ein Weg geworden, dank Jesus.

Was hat sich verändert für diesen Levi? Welche neuen Erfahrungen hat er gemacht? Bei Levi hat Jesus den Lebensbereich in Ordnung gebracht, der ihm vielleicht am meisten weh getan hat. In dem biblischen Bericht heißt das so:

„Und Levi stand auf und folgte ihm. Als Jesus dann in seinem Haus zu Tisch saß, waren auch viele Zolleinnehmer dabei und andere, die einen ebenso schlechten Ruf hatten. Sie alle aßen zusammen mit Jesus und seinen Jüngern.“

Das klingt hier wie eine fröhliche und harmlose Feier. Jesus und die, die ihm schon länger nachfolgten, die sogenannten Jünger – sie feiern zusammen mit Levi und seinen Kollegen eine Grillparty oder so was. Aber bei näherem Hinsehen passiert hier eine kleine Sensation. Die Jünger von Jesus nämlich waren zu einem großen Teil von Beruf Fischer. Sie kamen aus den Orten um den See herum. Es waren also die Leute, die nachts aufstanden, auf den dunklen See rausfuhren, hart arbeiteten, um ihren Fang einzubringen, mittags waren sie zurück – und dann mussten sie an der Zollstation vorbei, wo bis eben noch Levi gesessen hatte und wo seine Kollegen sitzen. Und dann werden die Fischer abkassiert. Jetzt aber sehen wir beide Sorten von Menschen gemeinsam in einem Haus, wie sie miteinander feiern: die Fischer und die Zollkassierer. Wie kann das gehen? Jesus ist halt in ihrer Mitte!
Levi und seine Kollegen haben bestimmt gestaunt: Da ist Jesus und da sind Leute, die von Jesus lernen – und die trauen uns plötzlich über den Weg! Die sehen nicht nur den Abzocker in uns, sondern noch mehr! Und wenn Jesus der ist, von dem sie sagen, er sei von Gott gekommen, er sei ein Prophet oder eine Art Heiliger und wenn gerade der mit uns zusammen sein will – dann denkt Jesus wohl, Gott würde uns doch nicht ablehnen! Auch Leute wie wir, die bei allen verrufen sind, haben was mit Gott zu tun. Unglaublich!
Jesus hat bei Levi das in Ordnung gebracht, was ihm wahrscheinlich am meisten weh getan hat. Levi war ausgegrenzt und man sagte, Gott hätte ihn verstoßen. Beides ist anders geworden, als Jesus ihn gerufen hat: „Folge mir“. Gerade diese schmerzhaften Lebensbereiche sind in Bewegung gekommen und nun hat Levi einen offenen hoffnungsvollen Lebensweg vor sich. Bei uns sind es vermutlich andere Lebensbereiche, die besonders weh tun. Oder wo wir besonders fest sitzen. Oder wo wir am häufigsten an unsere Grenzen stoßen. Aber was Jesus bei Levi getan hat, das kann und will er immer noch machen, bei jedem Menschen: den Lebensweg hoffnungsvoll öffnen. Die Lebensbereiche in Ordnung bringen, die besonders weh tun. Und jedem will er zeigen: Du hast doch was mit Gott zu tun, auch wenn du bisher dachtest, Religion sei überflüssig oder Gott sei zu weit weg.
Nein, Gott ist nicht weit weg. Wir Menschen neigen dazu, uns von Gott abzuwenden. Wir organisieren unser Leben oft lieber selbst, ohne uns vor einem Gott verantworten zu wollen. Wenn wir uns auf diese Weise von Gott trennen, dann ist es exakt das, was die Bibel mit „Sünde“ bezeichnet. Sünde ist nicht ein moralischer Verstoß. Sondern Abwendung von Gott, egal ob in einem moralisch beachtlichen Leben oder einem anderen. Abwendung von Gott ist Sünde. Sie wird begangen von Anständigen und von unmoralischen Leuten, aber das Ergebnis ist das Gleiche.
Trotzdem hat Gott mit jedem von uns zu tun, auch wenn wir uns lieber von ihm abwenden. Die Frommen damals konnten sich nicht vorstellen, dass Gott mit Leuten wie Levi und den anderen Zollkassierern was zu tun haben wollte. Jesus hat denen geantwortet: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, solche Menschen in Gottes neue Welt einzuladen, bei denen alles in Ordnung ist, sondern solche, die Gott den Rücken gekehrt haben.“
Jesus lädt Menschen wie uns zu Gott ein, auch wenn wir Gott den Rücken gekehrt haben. Wenn wir festsitzen in der Abwendung von Gott. Gerade dann sagt Jesus: „Komm, folge mir.“ Damit unser Lebensweg wieder wirklich ein Weg wird.

Levi ist in Bewegung gekommen. Der Bericht aus der Bibel besteht aus lauter Worten, die das nachmalen: Er saß erst fest, dann stand er auf, ging los, folgte Jesus. Zwischendurch saß man wieder, nämlich zum Feiern. Aber da war Levi schon längst unterwegs gewesen, Jesus hinterher. Das war von nun an DIE Bewegung in seinem Leben: Er folgte Jesus nach – dem, der ihm Hoffnung gegeben hat, dem, der ihm über den Weg traute.

Aber in dem biblischen Bericht steckt nicht nur der Lebensweg von Levi drin. Sondern auch der Lebensweg von Jesus. Auch von dem finden wir Worte, die seine Bewegung malen:
Er ging, er ging weiter, er saß zusammen mit den Ausgegrenzten. Und zum Schluss sagte er seinen Kritikern: ich bin gekommen. „Ich bin gekommen, solche Menschen in Gottes neue Welt einzuladen, die Gott den Rücken gekehrt haben.“ Das ist die Grundbewegung von Jesus: Er ist gekommen, direkt von Gott her in unsere Welt, in unsere Begrenzungen. Der Lebensweg von Jesus führt steil abwärts. Er war bei Gott, hat dann aber auf alle Rechte verzichtet. Ist ein Mensch geworden, um uns Menschen aufzusuchen: Levi und viele andere und mich und auch uns alle hier. Zum Schluss wurde er getötet. Gott hat ihn dann auferweckt. Das ist der Lebensweg von Jesus: abwärts zunächst – damit unsere Lebenswege aufwärts führen können. Jesus gibt uns Hoffnung, er bietet an, das zu ordnen, was uns so weh tut. Wo wir festsitzen, sagt er: „folge mir“. Daraus entsteht ein Lebensweg mit unglaublichen Möglichkeiten.

Ich möchte diesen Lebensweg nicht mehr missen. Ich möchte nie mehr hinter meine Entscheidung zurück, Jesus nachzufolgen. Weniger als solch ein Leben wäre mir zu wenig. Weniger Lebensqualität will ich nicht.
Und jedem hier im Raum wünsche ich von Herzen ein Leben, das wirklich ein Weg ist. Ein Weg, den Jesus Christus aufmacht, ein Weg voller Hoffnung.
Amen.