Montag, 31. August 2009

Glaube und Taufe – ein Paar voller Wirkung

Predigt über Gal 3,26-29; 4,6+7: „Glaube und Taufe – ein Paar voller Wirkung“
Lieber A., liebe Gemeinde, liebe Gäste,
woran merken wir, dass heute ein besonderer Sonntag ist?
Wir merken es an der feierlichen Atmosphäre, an der Hochstimmung bei vielen, an den erwartungsvollen Gesichtern, aber wir merken es auch an der Kleidung. Der Pastor hat diesmal einen Talar an, hier vorne sitzt jemand ganz in Weiß und viele andere haben sich auch festlicher als sonst angezogen.
Nun will ich hier nichts über irgendeine Kleiderordnung für Gottesdienste sagen. Die gibt es bei uns nämlich nicht. Aber die Kleidung bildet doch oft ab, wer wir sind oder wie wir sind. Davon schreibt Paulus einmal an die Gemeinde in Galatien, und er kommt dabei auch auf die Taufe zu sprechen. Hören wir auf einige Zeilen aus Gal 3+4:

3,26 Denn ihr seid alle Söhne und Töchter Gottes durch den Glauben in Christus Jesus. 27 Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. 28 Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus. 29 Wenn ihr aber Christus gehört, dann seid ihr Nachkommen Abrahams und gemäß der Verheißung seine Erben. [...] 4,6 Weil ihr aber Söhne und Töchter seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, den Geist, der da ruft: Abba, Vater! 7 So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe – durch Gott. (Gal 3/4)

Hier hören wir ganz einfach, was die Taufe bedeutet: „Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen.“ Taufe heißt Ankleiden. Wer getauft wurde, ist neu eingekleidet – durch und durch.
Was bedeutet das? Nun, die Kleidung bildet oft ab, wer wir sind oder wie wir sind. Nicht jede Kleidung passt zu jedem Menschen. Bei einer Hochzeit trägt nur die Braut ein Brautkleid und keine der Gäste käme auf die Idee, auch noch im Brautkleid an einer Hochzeit teilzunehmen. Wer das Glück hat, zu einem festlichen Abendessen ins Kanzleramt eingeladen zu werden, der geht da in einem ziemlich feinen Anzug hin. Man ist doch wer, wenn man da hin darf. Der Anzug bildet ab, dass man wer ist. Aber nicht nur Smokings werden voller Stolz getragen. Wer mit Leib und Seele Handwerker ist, trägt seinen Blaumann oder Overall voller Stolz. Man ist auch wer als Handwerker, denn man kann Dinge, die längst nicht jeder kann.
Keine Frau wird zur Braut, nur indem sie ein Brautkleid überzieht. Da gehört schon mehr zu, unter anderem ein Bräutigam. Keiner wird zum Ehrengast, nur wenn er im feinen Anzug an eine Tür klopft. Man muss schon eingeladen worden sein. Niemand wird zu einem achtbaren Handwerker, indem in den Overall steigt. Wenn ich im Blaumann montags in die Kirche käme und zu unserem Hausmeister sagte: „Hier, was gibt es zu reparieren, ich bin voll einsetzbar“ – er würde wohl müde lächeln und sagen: „Ach, dann zähl mal die Stühle, und danach noch mal.“ Die Kleidung macht’s noch nicht.

Ihr seid alle Söhne und Töchter Gottes durch den Glauben in Christus Jesus. Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. – Zu Söhnen und Töchtern Gottes werden wir nicht durch etwas, das außen an uns geschieht, auch nicht durch die Taufe. Zu Söhnen und Töchtern Gottes werden wir durch den Glauben an Jesus Christus. Der glaube ist es, der das bewirkt. Aber dennoch hat auch die Taufe eine Wirkung. Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen.

Es ist wie mit der Kleidung. Der feine Anzug macht mich nicht zu einem Ehrengast. Aber wenn ich den feinen Anzug anhabe, dann macht der doch auch was mit mir. Er zeigt nicht nur, wer ich bin, er wirkt durchaus auch auf mich ein. Er verschafft z. B. Zutritt. Ich komme einfach leichter ins Kanzleramt, wenn ich dorthin eingeladen wurde und wenn ich im Anzug komme. Ich könnte auch die Einladungskarte vorzeigen und im Jogginganzug da stehen, aber die Formalitäten würden vermutlich deutlich länger dauern. Die Kleidung verschafft Einlass. Wenn sie passt. Passen muss sie schon. Der feine Anzug verschafft mir keinen Einlass, wenn ich im Wehrdaer Weg in die „Bremsspur“ will. Das ist ein Motorradlokal und da sollte ich besser in schwarzer Lederkleidung hingehen. Diese Kleidung ist aber wiederum unpassend für den Sprung ins Schwimmbecken – da brauche ich noch einmal andere Kleidung, um da reinzudürfen.

Kleidung bewirkt was, Zutritt z. B. Und noch mehr. Sie wirkt auch so auf mich ein, dass ich ein gutes Selbstbewusstsein habe. Mit der richtigen Kleidung kann ich erhobenen Hauptes und mit starkem Rückgrat herumlaufen. Die Braut weiß, dass sie heute heiratet, aber das Brautkleid verschafft ihr noch zusätzlich das Selbstbewusstein: Heute geht es um mich, ich bin die Braut! Falls ich jemals den Motorradführerschein machen sollte, dann brauche ich ja auch eine schützende Lederkombination, und wenn ich die trage und dann bei der Bremsspur reingehe, was meint ihr, wie stolz ich dann bin! „He, ich gehöre jetzt auch dazu.“
Kleidung zeigt nicht nur etwas, sondern bewirkt auch etwas. Selbstbewusstsein z. B. Ebenso ist es mit der Taufe. Sie zeigt an: Der glaubt jetzt an Jesus Christus. Er bekennt sich zu ihm. Die Taufe wirkt dann aber auch auf den Getauften. Sie macht etwas mit ihm, das sonst in dieser Weise so nicht passieren würde. Z. B. das Selbstbewusstsein: „He, ich gehöre jetzt dazu, ich bin ein Kind Gottes. Ich habe mich zu Christus bekannt.“ Wer seine Taufe bewusst erlebt und sich später bewusst daran erinnert, der darf und soll eine hohe Meinung über sich aus seiner Taufe beziehen: Ich bin getauft und das ist gut so. Denn nun gehöre ich Jesus Christus.

A., so hoch sollst du von heute an von dir denken. Es werden wohl auch Zeiten kommen, wo du unsicher bist und zweifelst, wo du auch mal zerknirscht bist über eine Schuld. Trotzdem bleibt bestehen: Du bist getauft, du gehört deinem Herrn Jesus Christus. Deine Taufe soll dir auch in solchen Momenten zeigen, wer du wirklich bist: Kind Gottes. So ist es für A. und auch für jeden anderen Getauften unter uns. Wir sollen groß von uns denken, weil Gott uns als Kinder angenommen hat. Getaufte sollen selbstbewusst sein. Eine Wirkung der Taufe ist das.

Und es gibt noch eine Wirkung der Taufe: Die Taufe bringt auch das Geschenk des Heiligen Geistes mit sich. „Weil ihr aber Söhne und Töchter seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt.“ – „Eben dieser Geist bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“ (Röm 8,16) Es ist ein Kreislauf: Wir sind Gottes Kinder, deshalb schenkt er uns seinen Geist. Weil er uns seinen Geist schenkt, sind wir fest überzeugt, dass wir Gottes Kinder sind. Und nun sagt die Bibel an ganz vielen Stellen, dass der Geist in besonderer Weise gerade mit der Taufe kommt. So war es ja auch bei Jesus, als er getauft wurde. Also auch das ist eine Wirkung der Taufe: Gottes Geist erfüllt die Getauften. Gottes Gesinnung ist ihnen nicht mehr fremd. Das neue Leben kommt von innen aus ihnen heraus, denn Gottes Geist hat den Keim des neuen Lebens eingepflanzt. Getaufte erfüllen Gottes Willen nicht mehr nur aus oberflächlichem Gehorsam. Sondern von Herzen, von innen heraus. A., wenn du versuchst so zu leben, wie Gott es möchte: Achte nicht nur auf Gottes Gebote. Erfülle nie einfach nur eine Pflicht. Sondern versuche zu spüren, zu welchem Verhalten Gottes Geist dich drängt. Er drängt nicht gewaltig, sondern sanft. Aber das reicht schon. Wenn du leben willst, wie Gott es möchte, und es nur aus Pflicht tust – dann wird dein Verhalten bald von dir abbröckeln wie der Putz von einer alten Hauswand. Aber wenn du lebst, wie Gott es gefällt, und es mit dem leisen Rückenwind des Heiligen Geistes tust – dann hast du Ausdauer. So ist es bei jedem Getauften, der ja Gottes Geist bekam.

Für viele von uns liegt unsere Taufe mehr oder weniger lang zurück. Heute ist ein guter Tag, dass wir uns daran erinnern. Und damit stellt sich die Frage: Wie ist das mit unserer Lebensführung? Leben wir, wie es Gott gefällt, nur aus Pflichterfüllung? Oder spüren wir noch das sanfte Drängen des Heiligen Geistes? Nur der Heilige Geist kann uns Ausdauer geben. Niemals wir selbst, auch wenn wir uns noch so zusammenreißen. Und wer auch immer jetzt zurückdenkt und merkt: Das sanfte Drängen des Heiligen Geistes habe ich schon lang nicht mehr gespürt, eigentlich spule ich ja nur noch mein frommes Programm ab – wer das merkt, für den wäre heute ein guter Tag, zurückzukehren zu seiner Taufe. Gott gab doch damals seinen Heiligen Geist. Bitte doch Gott neu um Erfüllung mit seinem Geist. Es ist auch eine gute Hilfe, das mit einer Schwester oder einem Bruder im Glauben gemeinsam zu tun, so ein Gebet zu sprechen. Der Fürbitte- und Segnungsdienst nach dem Gottesdienst ist dazu die Gelegenheit.

In der Mitte der Predigt lasst uns mal zurückschauen, welchen Weg wir bisher gegangen sind. Wir haben von den Wirkungen der Taufe gehört: Sie gibt uns ein richtiges Selbstbewusstsein und sie bringt den Heiligen Geist mit sich. Es ist wie mit der Kleidung. Das Brautkleid macht dich nicht zu einer Braut, aber wenn du eine Braut bist, dann macht das Kleid auch was mit dir. Die Taufe macht dich nicht zu einem Kind Gottes. Aber wenn du durch den Glauben an Jesus Christus zum Kind Gottes geworden bist, dann macht die Taufe auch was mit dir. Glaube und Taufe gehören zusammen. Glaube und Taufe sind ein Paar voller Wirkung. Die Taufe hat ihre Wirkung vom Glauben her. Aber vom Glauben her hat sie auch eine Wirkung. Bloß alleine, ohne Glauben, macht die Taufe noch niemanden zum Christen.
Das ist ja auch der Grund, warum wir vorhin die kleine S. nicht getauft, sondern gesegnet haben. Sie ist eine wunderbare Schöpfung Gottes, von ihm gewollt und er hat liebevolle Gedanken über ihre Zukunft. Sie ist gesegnet, aber sie kann noch nicht sprechen und kann noch nicht glauben. Sie kann nicht in einer Taufe Christus anziehen. Das kann sie erst später, und eine wichtige Wirkung von Gottes Segen wäre, wenn sie bald Glauben fasst und Christus kennen lernt.

So, mancher hat bis hierher schon genug gehört zum Nachdenken. Das ist gut – dann bleib dabei und kaue noch auf deinen Gedanken herum. Wer aber noch was aufnehmen kann, für den möchte ich noch etwas anfügen.

Glaube und Taufe haben Folgen. „Ihr seid alle Söhne und Töchter Gottes durch den Glauben in Christus Jesus.“ Gottes Kinder sind wir. Aber was für Kinder Gottes? Kleine Kinder, die grad erst laufen können? Oder Babys? Oder Schulkinder?
Paulus hat etwas anderes im Sinn, wenn er von Kindern schreibt. „Weil ihr aber Söhne und Töchter seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, den Geist, der da ruft: Abba, Vater! So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe – durch Gott.“ Paulus denkt an mündige Kinder mit allen Rechten, an Erben, die wissen, was ihnen gehört. Das Wort „Sohn“ hatte damals immer diesen Nebenklang: Jemand, der die vollen Rechte eines Sohnes hat.
Solche Kinder Gottes werden wir durch den Glauben. Wir bleiben keine schwachen, hilflosen Kleinkinder. Wir bleiben auch keine Kinder, die zwar wissen, was Papa will, aber nicht begreifen, warum er es will. Sondern mündige Kinder auf dem Weg zum Erwachsenen – dazu macht der Glaube uns.
A., das also ist dein Ziel: Du sollst wissen, was Gott dir für ein Erbe schenkt. Du sollst dich auskennen in dem Reichtum, den Gott bereit hat. Du sollst auch wissen, was Gott, deinen Vater, im Herzen bewegt. Du sollst verstehen lernen, was ihm wichtig ist. Natürlich wirst du es nicht immer verstehen. Natürlich gehen Gottes Absichten über unseren Verstand hinaus. Aber was macht ein mündiger Sohn, wenn er den Vater nicht versteht? Er fragt ihn, wieder und wieder, wenn’s nötig ist. Er sagt nicht nur: „Ist gut, Vater, mach ich“ – sondern er führt ein Gespräch. Zum Schluss sagt der Sohn sicherlich manchmal: „Ich begreife es nicht, Vater, aber ich mach’s trotzdem, weil ich Vertrauen zu dir habe“. Aber es ist gut, so einen Satz zu beten nach einem langen Zwiegespräch mit Gott, in dem man verstehen wollte – und nicht als Ersatz fürs Nachdenken. Denn wenn wir uns bemühen, Gottes Absichten zu verstehen – dann begreifen wir sie wirklich manchmal! Und dann tun wir seinen Willen viel überzeugter als ohne ein Zwiegespräch mit Gott. Solche aufrechten mündigen Kinder werden wir durch den Glauben. A. – und alle anderen, die wir Gott glauben: Wir sind keine Kleinkinder und auch keine ABC-Schützen. Wer Christus angezogen hat, trägt keinen geistlichen Strampelanzug. Wir sind mündige Töchter und Söhne Gottes mit allen Rechten. Wir sollen uns auskennen in dem, was der Vater für uns bereit hat. Also lassen wir nicht nach, uns mit ihm zu besprechen. Sich nicht trauen, den Vater zu fragen – das ist nun wirklich kein Zeichen von Vertrauen. Wer dem Vater vertraut, traut sich auch, ihn alles zu fragen. Wir werden dann nicht alles begreifen – aber das bisschen, was wir dann begreifen, ist schon ein unermesslicher Reichtum, und unser Herz wird desto mehr zum Vater hingezogen, je tiefer wir seine Liebe begriffen haben. Bleiben wir Wachsende – werden wir erwachsen im Vertrauen und Verstehen!

Das wäre eine Folge von Glauben und Taufe. Eine Folge für jeden einzelnen, der an Christus glaubt. Glaube und Taufe haben aber nicht nur Folgen für den einzelnen, sondern auch Folgen für uns alle miteinander. Der Glaube macht uns eins in Christus und die Taufe zeigt das. „Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus.“
Keine Unterschiede mehr? Alle eins in Christus? Aber wir erleben doch noch Unterschiede in der Gemeinde. Wir reiben uns auch daran. Nicht so sehr an den Unterschieden zwischen Mann und Frau, zwischen Juden und Griechen. Aber an denen zwischen Jung und Alt, zwischen sesshaft und aufbruchsbereit. Was ist denn mit diesen Unterschieden? Gelten sie nicht mehr? Können wir voneinander erwarten, dass jeder sich dem anderen angleicht? Dass die Alte sich dem Jungen angleicht und die Junge dem Alten, dass der Sesshafte sich dem Aufbruchsbereiten anpasst und umgekehrt? Sollen wir alle gleich werden und voneinander erwarten, dass der andere wird wie wir?
Nein, nicht das sollen wir voneinander erwarten. Die Vielfalt der Gemeinde bleibt bestehen. Wenn wir Christus angezogen haben, ist das keine Uniform. Aber genau dies können wir voneinander erwarten und müssen es auch: dass jeder aus der Gemeinde jemand ist, der Christus angezogen hat. Ihr Jungen, erwartet von den Alten keine plötzliche Geschmacksveränderung, aber erwartet von ihnen, dass sie Christus angezogen haben und dass man das merkt. Ihr Alten, erwartet von den Jungen nicht, dass sie die Tradition genauso lieben wie ihr. Aber erwartet von ihnen, dass sie sich mit Christus bekleidet haben und dass man das merkt. Ihr Sesshaften, erwartet nicht von den Aufbruchsbereiten, dass sie stillsitzen können, aber erwartet von ihnen, dass sie in Christus sind wie in einem Gewand. Ihr Aufbruchsbereiten, erwartet nicht von den Sesshaften, dass sie begeistert alles umkrempeln wollen. Aber dies sollt ihr von ihnen erwarten – – genau: dass sie Christus angezogen haben und dass man es merkt. So werden die Getauften eins: in Christus. Nicht in der Gleichförmigkeit. Allerdings – wer eins in Christus ist, der geht wohl auch auf den anderen zu. Das ist eine Folge von Glaube und Taufe – eine Folge, die wir dringend brauchen.

Lieber A., liebe Gemeinde, Glaube und Taufe sind ein Paar voller Wirkung. Der Glaube bewirkt die Taufe, und aus den beiden folgen weitere echte Wirkungen. Ein großes Selbstbewusstsein z. B. Das Geschenk des Heiligen Geistes – er macht frei von aller äußeren Pflichterfüllung. Der Geist pflanzt Gottes Gesinnung in unser Herz.

Lieber A., durch deinen Glauben an Jesus Christus bist auch du ein mündiger Sohn von Gott. Zieh dein neues Leben an. Es gibt dir Würde. Trag es aufrecht!
Amen.

Montag, 24. August 2009

Zum Schulanfang 2009

Besinnung zum Schulanfang, 23.8.2009
Liebe Gemeinde, Kleine und Große,
heute ist der letzte Tag. Der letzte Tag der Sommerferien. Morgen geht das Schuljahr los. Für viele Schüler ist es ein ganz normaler Start: auf derselben Schule eben ein Jahr weiter. Für andere aber ist es etwas Besonders: Jemand kommt auf eine neue Schule. Oder in die Oberstufe. Da weiß man noch nicht so genau, wie es wird.
Es gibt auch Größere hier, für die ebenfalls etwas Neues beginnt. Eine neue Arbeitsstelle. Oder ein Praktikum im Ausland. Ein freiwilliges soziales Jahr. Da weiß man ebenfalls nicht so genau, wie es wird.
Wenn jemand mitgehen würde, der sich schon auskennt und Bescheid weiß, das wäre klasse. Und den gibt es auch. Gott geht mit. Er segnet gerne jeden von uns, der etwas Neues anfängt. Gottes Segen wird mitgehen.
Wie ist das mit Gottes Segen? Wie sieht der aus? Kann man den anfassen? Kann man das essen?
Ein bekanntes Segensgebet geht so:

24 Der HERR segne dich und behüte dich. 25 Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir. 4Mose 6

Dieser Segen geht noch weiter, aber schon in diesen ersten Worten steckt etwas ganz Besonderes drin: „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir.“
„Angesicht“, das ist einfach das Gesicht. Das Gesicht von Gott leuchtet. Geht das? Habt ihr schon mal das Gesicht von jemandem leuchten gesehen?
Was hat denn da geleuchtet? Die Haut, mit Hintergrundbeleuchtung? Die Haare? Oder ist die Nase zu einer Glühbirne geworden?
Die Augen! Wenn jemand leuchtende Augen hat. Wir sagen auch: „Du strahlst mich ja so an.“ Das sieht man am Mund und an der Stirn, aber besonders an den Augen. Die Augen leuchten, wenn jemand begeistert ist oder total fröhlich. Oder wenn der jemanden sieht, den er sehr lieb hat. Dann strahlt man, die Augen leuchten.
„Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir“, das heißt: Gottes Augen sollen strahlen, wenn er dich sieht, weil er sich über dich freut. Er hat dich lieb und strahlt dich an. Das ist sein Segen.
„Leuchten über dir“ – ich habe da an die Sonne gedacht. Die leuchtet ja über mir und euch. Ich stelle mit Gottes leuchtendes Gesicht so wie die Sonne vor. Mit der Sonne ist es etwas besonders. Wenn sie scheint, kann ich ihr nicht weglaufen. Sie ist immer da über mir, wo ich bin, egal wo ich hingehe. Wenn wir ganz schnell fahren, mit dem Zug oder mit dem Auto, dann saust alles ganz schnell an uns vorbei, alle Häuser und Bäume und Menschen. Aber de Sonne bleibt immer genau über uns, egal wie schnell wir fahren. Ich habe das in dieser Woche noch mal ausprobiert, zusammen mit meiner Tochter, und sie hat es gefilmt. Auf diesem Film sieht man: Wir sind schnell gefahren, aber haben es nicht geschafft, der Sonne über uns zu entkommen!
So ist es mit Gottes Gesicht. Es ist immer genau über uns, egal wo wir hingehen. Gottes Liebe ist wie die Sonne, und sein Segen ist ebenfalls wie die Sonne. Gottes Segen geht mit.
Manchmal ist das Neue, das wir anfangen, ja ziemlich verwirrend. Ein Durcheinander wie wenn auf einer Fahrt alles ganz schnell vorbeirauscht. Wir haben keine Übersicht mehr. Aber Gottes Segen geht mit, wie die Sonne. Das sollt ihr nicht vergessen morgen, wenn das neue Schuljahr anfängt.
Um diesen Segen wollen wir für euch beten.

Und hier noch etwas für die, die aus der Schule schon längst raus sind. Wir Großen haben ja auch Angst vor vielen neuen Situationen. Sei es ein neuer Job, ein Umzug, oder dass neben uns jemand Neues einzieht oder am Schreibtisch nebenan im Büro. Da muss sich erst zeigen, ob in Zukunft alles besser wird oder etwa schlechter.
Ich habe mich gefragt, was für uns wohl das Wichtigste ist, wenn Neues beginnt. Ich glaube fast, es sind die Menschen, mit denen wir zu tun haben. Das Büro kann hässlich sein und der Computer vielleicht veraltet, aber das macht nichts, wenn die Menschen drum herum freundlich sind. Und umgekehrt, ein Super-Job mit Bomben-Gehalt kann nervig und belastend sein, wenn es mit den Menschen nicht stimmt – wenn die mir nichts gönnen oder mich ausgrenzen.
Eine Freundin von uns hat eine neue Stelle angefangen, und nach dem ersten Tag sagte sie: Die konkrete Arbeit ist noch nicht das, was ich mir eigentlich gewünscht hatte, aber die Leute da sind hilfsbereit. Und sie klang ganz erleichtert.
Und wenn nicht? Wenn die Leute um mich seltsam sind oder eklig?
Gottes Liebe ist wie die Sonne, haben wir gesungen. Und über die Sonne hat Jesus mal folgendes gesagt:

Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. (Mt 5,45)

Gottes Liebe ist wie die Sonne, und sein Segen ebenso. Ich bete darum, dass Gott mich segnet. Er möge irgendwie mein Leben beeinflussen, dass es gut läuft. Über mir leuchtet dann sein Angesicht, seine Segens-Sonne geht mit.
Aber Gottes Sonne, so sagt Jesus es, scheint nicht nur über mich, sondern über Gute und Böse. Gott sieht auch die seltsamen oder ekligen Menschen, die in meiner Umgebung sind. Hat Gott die auch lieb? Zweifellos. Gott kennt sie ja, Gott weiß, warum sie so sind, wie sie sind, Gott hat seinen Sohn Jesus Christus auch für sie hingegeben. Auch sie sind seine Geschöpfe und sie sind dazu bestimmt, Gottes Kinder zu werden; Gottes Kinder genau wie ich eins bin. Gottes Sonne scheint über Gute und Böse und über Seltsame und Eklige. Und manchmal bin ich selber ja auch seltsam und ich brauche es, dass Gottes Sonne über Gute und Böse scheint.
Segnet Gott sie dann auch alle? Was Gott genau in deren Leben macht, kann ich nicht wissen. Aber er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Ich habe ja für mich gehofft, Gottes Segen möge mein Leben beeinflussen. Wenn Gottes Sonne aber über alle scheint, dann wird Gott also auch das Leben von allen beeinflussen. Ich habe vielleicht Angst vor Menschen, die mir nichts Gutes wollen. Aber Gott hat Einfluss auch auf diese Leute. Ich komme mir manchmal verloren vor und abhängig von anderen Menschen. Aber diese Menschen, von denen ich abhängig bin – die sind wiederum von Gott abhängig. Gott hat Möglichkeiten, auch auf sie einzuwirken. Also bin ich nicht allein. Sondern Gottes Segen geht mit mir und Gott ist sowieso schon da an den Orten, vor denen mir mulmig ist. Gott ist schon da. Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute. Gott wirkt auf sie ein. Und wer weiß, vielleicht erkennt er ja viel mehr Liebenswertes an denen, als ich erkennen kann. Dann leuchten seine Augen auch über diese Menschen. Und über mich.
Gottes Liebe ist wie die Sonne. Diese Sonne ist schon dort, wo ich hinkomme, und sie ist schon da, bevor ich dort hinkomme.
Gott sei Dank! Wenn das so ist - da fangen meine Augen doch auch glatt an zu leuchten!

Montag, 17. August 2009

Predigt zum Israelsonntag: „Gottes Liebe schreibt Geschichte“

Predigt zum Israelsonntag über Mk 12,28-34: „Gottes Liebe schreibt Geschichte“

Liebe Gemeinde,
es war einmal ein junger Mann. Der lernte eines Tages eine sehr nette Frau kennen und spürte bald: Das könnte die Frau meines Lebens werden. Der Mann wollte sie kennen näher lernen, traf sich mit ihr und erfuhr einiges über sie.
Dann sagte er sich: Wenn das wirklich die Frau ist, mit der ich mein Leben verbringen werde, dann muss ich sie noch tiefer kennen lernen. Ich muss wissen, wie sie denkt und fühlt und tickt. Also machte er sich an die Arbeit. Er wusste, dass sie 1985 geboren wurde. Dieses Jahr war also bestimmt prägend für ihr ganzes weiteres Leben. Er besorgte sich Informationen über alle Ereignisse aus 1985 und überlegte, was dieser Frau damit in die Wiege gelegt war. Dann notierte er sich einige Prinzipien der 1985er.
Der Vater seiner Auserwählten war Arzt. Der Mann beschäftigte sich also mit diesem Beruf und mit den Besonderheiten von Arztfamilien. Dann notierte er sich einige Prinzipen des Arzthaushaltes. Damit, so meinte er, wäre er der begehrten Frau schon ein gutes Stück näher gekommen.
Sie hatte ihm erzählt, dass sie in Oberfranken geboren sei. Die Landschaft prägt zweifellos die Seele. Der Mann recherchierte über die Mentalität der Oberfranken und notierte sich wiederum einige Prinzipen.
Als er erfuhr, die Frau habe noch zwei ältere Brüder, versenkte er sich in die Lehre von den Geschwisterkonstellationen und versuchte, das Seelenbild eines jüngsten Geschwisterkindes zu erstellen. Auch das ergab wieder einige prächtige Prinzipien.
Im Café hatte er beobachtet, dass die auserwählte Frau Linkshänderin war. Er besorgte sich ein Buch über die Psyche der Linkshänder. Ein Freund riet ihm, er solle auch noch ihr Sternzeichen herausbekommen, um die Lebensprinzipien z. B. von Steinböcken zu finden, aber der Mann war nicht abergläubisch. Doch die Vorgehensweise hätte ihm gefallen.
Schließlich hatte er alles zusammengetragen und verabredete sich erneut mit der Frau. Beide fanden Gefallen aneinander und der Mann war sich seiner Sache sicher. Er kannte ja alle wichtigen Prinzipien seiner Freundin. Wenn sie aus ihrem Leben erzählte, machte es bei ihm sofort „klick“, wenn er eins seiner Prinzipien wiedererkannte. Ja, er wusste, wie diese Frau funktioniert! Bloß – das andere, was sie ihm erzählte, vergaß er schnell wieder. Er war sich seiner Liebe gewiss, aber der Frau kamen immer mehr Zweifel, ob er wirklich sie meinte. –

Liebe Gemeinde, warum kann es nicht klappen, jemanden auf diese Weise lieb zu gewinnen?
Weil ein Mensch nicht nach Prinzipien funktioniert. Deshalb kann sich die Liebe auch nicht einfach nach Prinzipien richten. Um jemanden kennen zu lernen, muss ich wohl seine Geschichte kennen. Die Erfahrungen, die jemand macht, prägen ihn sehr. Aber die Geschichte ist viel mehr als irgendwelche Prinzipien. Wenn du an deine Lebensgeschichte denkst, dann findest du wahrscheinlich viele Überraschungen, manche Brüche und auch immer wieder einen roten Faden. Aber eben alles bunt gemischt und nicht nach Prinzipien gegliedert. Oder?
So ist es in der Liebe und so ist es auch im Leben mit Gott. Gott funktioniert schon gar nicht nach Prinzipien, und seien es biblische Prinzipien. Gott hat andere Interessen als sich nach Grundsätzen zu richten. Gott ist Liebe und gibt Liebe und fragt nach Liebe, das ist ihm das Wichtigste. Hören wir auf einen Bibelabschnitt, der für den heutigen Israelsonntag vorgeschlagen ist:

28 Und einer der Schriftgelehrten, der gehört hatte, wie sie miteinander stritten, trat zu ihm (Jesus). Und da er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches Gebot ist das erste von allen? 29 Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist allein Herr, 30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand und mit all deiner Kraft. 31 Das zweite ist dieses: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Höher als diese beiden steht kein anderes Gebot. 32 Und der Schriftgelehrte sagte zu ihm: Schön hast du das gesagt, Meister, und du hast Recht! Einer ist er, und einen anderen außer ihm gibt es nicht 33 und ihn lieben mit ganzem Herzen und mit ganzem Verstand und mit aller Kraft und den Nächsten lieben wie sich selbst – das ist weit mehr als alle Brandopfer und Rauchopfer. 34 Und Jesus sah, dass er verständig geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, ihm eine Frage zu stellen. Mk 12

Zwei Juden reden miteinander. Ein ausgebildeter Schriftlehrer und ein Rabbi, der keine offizielle Ausbildung hatte, aber von großer Weisheit war: Jesus. Sie reden über das größte aller Gebote. Jesus greift aus der Fülle zwei heraus und erklärt, diese beiden seien Gott die wichtigsten. Der andere Schriftlehrer stimmt zu. Beide zitieren dabei ihre Bibel. Und so wie der Schriftlehrer mit Jesus einverstanden ist, so ist Jesus mit dem Schriftlehrer einverstanden. Es gibt keinerlei Spannung zwischen den beiden.
Alles, was hier geredet wird, ist für Juden völlig normal. Jesus bringt hier nichts, was einen Juden vor den Kopf stoßen würde. Auch andere Rabbinen haben versucht, aus der Fülle der Gebote das wichtigste herauszuziehen und an die Spitze zu stellen. Rabbi Hillel sollte einmal jemandem das ganze Gesetz erklären, solange der auf einem Fuß steht. So knapp also. Und Hillel tut es, er nennt eine Regel, die Jesus auch gesagt hat. Unterscheiden zwischen dem Kern des Gesetzes und dem Rand – das ist also gut jüdisch. Und welche beiden Gebote Jesus nun herausgreift – das ist erst recht gut jüdisch. „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist allein Herr, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand und mit all deiner Kraft.“ Das ist das wichtigste Bekenntnis der Juden bis heute. Sie beten es morgens und abends und wenn Gott Gnade schenkt auch als letztes Wort bei ihrem Tod. Gott lieben ist das Größte. Jesus stimmt dem zu – Jesus ist eben ein Jude.

Heute erinnern wir uns an unsere besondere Verbundenheit mit Gottes Volk. Und der Bibelabschnitt bestätigt uns: Jesus ist außerordentlich eng verbunden mit Gottes Volk. Er bricht nicht aus. Er steht vielmehr mitten in der Geschichte, die Gott mit seinem Volk gegangen ist und noch geht. Es ist eine Liebesgeschichte – eine Geschichte voller Treue. Gott hat Abraham ein Versprechen gegeben und hat daran festgehalten. Über die Generationen hinweg gilt dieses Versprechen. Bei allen Umwegen und Abwegen, die Gottes Volk gegangen ist: Gott stand und steht zu seinem Versprechen und zu seinem Volk. Und Jesus steht eben mitten in dieser Geschichte. Das ist eins der größten Geschenke, die das Judentum uns macht: Die Juden als Gottes Volk zeigen uns einen Gott, der zuerst liebt und geliebt sein will. Also keinen Gott, der uns Dogmen gibt und dessen Wahrheit man sich unterwerfen müsste. Ein Gott, dessen Überlegenheit man auf Knien anerkennen müsste. Das hat zwar auch alles irgendwann seinen Platz – der Gehorsam, die Anbetung, die Ehrfurcht. Aber an erster Stelle steht etwas anderes: die Liebe zu Gott. Gott zeigt sich uns so, als Liebhaber, und zwar zeigt er sich uns durch sein Volk, die Juden, als solch ein Liebhaber. Gott beschenkt uns also durch sein Volk. Jesus bestätigt das.

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben – das ist das erste.“ Wir dürfen das ganz persönlich nehmen. Wir sind keine Juden, aber wir folgen Jesus nach, seitdem er uns erlöst hat. Diese Rangfolge der Wichtigkeiten nehmen wir also von Jesus an. Am wichtigsten findet er, Gott zu lieben. Wenn wir das persönlich nehmen, wird unser Leben sehr tief berührt. Die Irrtümer über Gott werden weggefegt. Und wir können aufatmen.

Gott ist es nicht am wichtigsten, dass wir keine Fehler machen – sondern dass wir ihn lieben. Wer liebt, macht auch noch Fehler – aber diese Fehler zerstören die Beziehung nicht, weil man sich eben liebt. Ich mache viele Fehler gegenüber meiner Frau, ich vergesse Wichtiges und ich missverstehe sie manchmal. Aber das zerbricht unsere Ehe nicht. Warum nicht? Weil sie von Liebe getragen wird. Manchmal verletze ich sie. Das heilt aber aus, wenn sie mir vergibt. Ich möchte sie nicht absichtlich verletzen, aber das Motto unserer Ehe ist nicht: Geht behutsam miteinander um, verletzt einander nicht. Um das zu schaffen, müssten wir ja ständig Abstand halten. Nein, nicht dies ist das Motto: Fehler vermeiden. Sondern: Liebe schenken. So ist es auch mit Gott. Mach dir das Leben nicht selber schwer damit, dass du alle Fehler zu vermeiden suchst. Erstens schaffst du das sowieso nicht und zweitens findet Gott das gar nicht am wichtigsten. Liebe ist das erste – dann können deine Fehler die Beziehung zu Gott nicht zerstören.
Gott ist es auch nicht am wichtigsten, dass wir nach seinen Prinzipien leben. Natürlich hat er seine Gebote gegeben – aber nicht als kalte Prinzipen. Du kannst dein Leben nach den besten biblischen Prinzipien führen und Gott dabei doch auf Abstand halten. So wie in der komischen Geschichte vom Anfang der Predigt. Das schafft noch keine Zuneigung, wenn du versuchst zu begreifen, wie Gott funktioniert oder wie das wohlgefällige Leben funktioniert. Ein Leben, das Gott gefällt, „funktioniert“ überhaupt nicht. Es ist doch kein Uhrwerk und kein Busfahrplan! Ein Leben, das Gott gefällt, ist eins, das ihn liebt. Wer Gott liebt, will auch seine Gebote erfüllen, klar. Aber aus Liebe und nicht als Ersatz für die Liebe.
Jesus stellt uns in eine große Freiheit, wenn er sagt, zuerst erwartet Gott Liebe von uns. Das nimmt dir allen Druck. Und wenn du im Zweifel bist, ob Gott gut über dich denkt, ob du dich mit deinem Leben zu ihm hintrauen kannst – wenn du da im Zweifel bist, dann wäge nicht die Gebote ab, die du erfüllst, gegen die, die du überschreitest. Stell nicht deine Fehler deinen guten Taten gegenüber. Das hätte ja mit Liebe nichts zu tun. Sondern besinne dich auf deine Geschichte mit Gott. Die gemeinsame Geschichte füttert die Liebe. Wenn ein Ehepaar ihre Liebe neu anfachen möchte, dann zählt ja nicht jeder auf, was er für den anderen gutes getan hat. Sondern sie stupsen sich an und sagen: „Weißt du noch? Wir zwei – damals?“ Die gemeinsame Geschichte füttert die Liebe. So auch mit Gott. Überlege, welche Höhen und Tiefen deine Geschichte mit Gott schon genommen hat und wo du Gottes Treue siehst. Deine Geschichte mit Gott hat in Jesus angefangen. Er hat Jesus für dich hingegeben, noch bevor du geboren wurdest. Mit diesem Plus, mit diesem Vorschuss bist du schon gestartet. Deine Antworten auf Gottes Liebe mögen manchmal gelungen sein und manchmal nicht. Oft hast du Gott vielleicht auch gar nicht gehört. Aber weil Gott eben eine Liebesgeschichte schreibt, wartet er einfach auf Zeichen deiner Liebe und freut sich über jeden Moment, wo du ihm solch ein Zeichen gibst. Vielleicht ganz schüchtern, aber Gott weiß es zu schätzen. Gottes Liebe schreibt Geschichte, und zwar eine Geschichte der Treue. Keine Abfolge von Prinzipien und Regeln. Wenn wir heute neu von Jesus hören, was Gott zuallererst am Herzen liegt, dann dürfen wir aufatmen und unser Blick klebt nicht mehr an unserem Scheitern und unseren Fehlern. Für die ist Jesus längst gestorben.
Ich habe im Urlaub ein bewegendes Buch gelesen und möchte es an dieser Stelle sehr warm empfehlen: Die Hütte. Ein Roman über einen Durchschnittschristen, dem das Leben tiefe Wunden geschlagen hat. Gott kommt mit ihm ins Gespräch. Eine ganz faszinierende Sicht von Gott tut sich auf, und es ist eben der Gott, der eine Geschichte gestaltet und der eine Beziehung der Liebe anknüpft. Nicht der Gott der Regeln und Grundsätze. Der hier beschriebene Gott ist durchaus heilig und unbestechlich. Keine Kuschelvariante des Zeitgeistes. Aber dieser Roman macht eben ernst damit, dass Gott zuerst Liebe ist und zuerst Liebe erwartet. Beim Lesen ist ein gutes Stück meines Gottvertrauens heil geworden und ich glaube, dass es vielen anderen auch so geht. Der Büchertisch hat einige Exemplare da.

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand und mit all deiner Kraft.“ Auf diese Antwort wartet Gott. Aber wie geht das nun? Wie lieben wir Gott? Wie sollten wir das anfangen?
Der Israelsonntag ist eine gute Gelegenheit, auch hier von den Juden zu lernen. Ich habe viele verschiedene jüdische Auslegungen dieses Gebotes gefunden. Zwei möchte ich vorstellen. Ich meine, dass diese beiden auch im Sinne von Jesus sind.

Zunächst haben sich die jüdischen Gelehrten Gedanken gemacht, was es heißt, Gott „mit ganzem Herzen“ zu lieben. Das ganze Herz – was gehört dazu? Viele Gelehrte sehen im menschlichen Herzen zwei Triebe, nämlich den guten und den bösen Trieb. Der gute Trieb zieht und zu Gott hin, der böse Trieb zieht uns zu den egoistischen Leidenschaften hin. Kenne ich. Ihr auch? Wenn aber Gott nun „von ganzem Herzen“ geliebt sein will, dann also auch mit beiden Trieben, mit dem guten wie auch mit dem bösen Trieb.
Das ist überraschend. Ich kann mir wohl vorstellen, Gott mit dem guten Trieb zu lieben. Aber mit dem bösen? Mit meiner Selbstsucht? Meinem Misstrauen? Meiner Angst, zu kurz zu kommen, so dass ich erst an meine eigene Sicherheit denke – wie kann ich Gott damit lieben?
Wenn ich diese Triebe und Ängste überwinde, dann wäre das natürlich ein starkes Zeichen von Vertrauen zu Gott. Aber oft bin ich noch mitten drin in dem Kampf und habe die Selbstsucht und das Misstrauen noch nicht überwunden. Ich kann Gott dann trotzdem lieben, gerade so lieben, indem ich mitten in meinem Kampf zu ihm gehe. Mit meinem gespaltenen und flatterhaften Herzen. Das ist Liebe zu Gott, wenn ich ihm sage: „Gott, ich bin so unvollkommen, aber ich kann nicht warten, bis ich ohne Schuld bin, ich muss jetzt schon zu dir, auch mit meinem zerrissenen Willen“ – das ist Liebe zu Gott. Ich klammere meine Kämpfe nicht aus, ich präsentiere Gott nicht nur meine Schokoladenseite, sondern ich zeige ihm auch meine Wunden. Die Wunden, die man mir geschlagen hat und die, die ich anderen schlug und die, die ich Gott zufügte. In aller Zerrissenheit komme ich zu ihm – das ist Liebe zu Gott mit dem guten wie auch mit dem bösen Trieb. Wenn ich Gott nur in meinen Erfolgen lieben würde, dann hätte ich großen Abstand zu ihm. Weil ich eben oft keinen Erfolg habe. Aber wenn ich Gott liebe in Gehorsam und auch in Schuld – dann komme ich ihm nahe. Und mein böser Trieb verdorrt langsam in der Sonne von seiner Liebe.
Wir haben vorhin mit dem Psalm gebetet: „Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ (Ps 103,1) – „Was in mir ist“, soll Gott loben. Was ist denn in mir? Gute Absichten und schwache Momente. Gottes Begabungen und auch allerlei Unrat. Was in mir ist, soll ihn loben. Ich muss nicht die Hälfte verstecken. Ich liebe Gott mit dem, was in mir ist, mit dem guten und dem bösen Trieb – oder anders gesagt: ich liebe ihn „mit meinem ganzen Herzen.“ Und dann macht er mein Herz wirklich ganz.

Wie lieben wir Gott? Die jüdischen Gelehrten haben noch eine andere Weise gefunden, Gott zu lieben. Wir können ihn lieben, „wenn wir uns in einer Art und Weise verhalten, durch die Gott bei anderen beliebt wird.“ [W. G. Plaut, Die Tora in jüdischer Auslegung; Bd. 5: Dewarim / Deuteronomium, S. 114.] Gott lieben heißt: ihn bei anderen beliebt machen. Anderen einen Anlass geben, dass sie Gott lieb gewinnen. Jesus hat es so gesagt: „damit die Menschen eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Mt 5,16)
Liebe zu Gott wecken bei anderen – das macht Gott Freude und darin sieht er auch unsere Liebe. Wieder merken wir: Es geht nicht zuerst um Prinzipien und nicht um Wahrheiten. Es ist nicht am wichtigsten, andere von der Wahrheit der Bibel zu überzeugen oder von der Wahrheit der Schöpfungslehre oder von der Wahrheit, dass Jesus Gottes Sohn ist. Wir können andere sowieso nicht davon überzeugen. Aber wenn unser Leben spüren lässt, dass wir Gott lieben, wenn man an uns erkennt, wie Gottes Liebe uns verändert und heil macht, dann könnten wohl auch andere eine Sehnsucht nach Gott bekommen und ihn lieb gewinnen. Also ist dies unsere Mission: Liebe zu Gott hervorlocken. Und nicht zuerst: den Glauben verteidigen. Letzten Sonntag wurde dieser unglaublich klare und einfache Satz zitiert: „Mission heißt: zeigen, wer man ist und was man liebt.“ (Fulbert Steffensky) Das passt genau zu dem größten Gebot, das Jesus uns gibt. Wer bist du? Bist du nicht jemand, der Gott liebt? Wen liebst du? Liebst du nicht den Gott, der seine Geschichte der Treue auch in deinem Leben geschrieben hat? Zeig, wer du bist und was du liebst, dann ist der Druck weg, du müsstest mit klugen Argumenten die Wahrheiten des Glaubens verteidigen. Wer Gott lieb gewinnt, wird ihn dann sowieso als Wahrheit anerkennen. Zeig, wer du bist und was du liebst. Mach Gott so beliebt. Das ist auch eine Art, Gott zu lieben. Von jüdischen Bibelauslegern können wir das lernen.
Gott lieben, das ist das größte Gebot. Und das andere ist genauso groß: den Nächsten wie uns selbst lieben. Wenn ich Gott beim meinem Nächsten liebenswert mache, dann habe ich beide geliebt, Gott und meinen Nächsten.

Ich komme zum Schluss. Heute am Israelsonntag danken wir Gott für die Geschenke, die er uns durch sein Volk Israel macht. Gott hat mit seinem Volk eine Liebesgeschichte geschrieben, eine Geschichte voller Treue. Er hat sich gezeigt als Gott, der Liebesbeweise ausstreut und der Liebe erwartet. Weil Jesus für uns gestorben ist, haben auch wir unseren Platz in dieser Liebesgeschichte, obwohl wir nicht von Haus aus zu Gottes Volk gehören. Auch wir verdanken also den Juden diese Offenbarung Gottes. Wir können Gott lieben und an ihm froh werden, weil er keine Richtigkeiten von uns erwartet und keine Fehlerfreiheit, sondern Liebe. Wenn Gott so ist – sollte das nicht wiederum unsere Liebe wecken?
Amen.

Freitag, 14. August 2009

Wie viel Geld gehört Gott?

Hier eine ältere Predigt vom Mai 2009:

Predigt über Mt 23,23: „Wie viel Geld gehört Gott?“


Liebe Gemeinde,
die Predigt heute geht über unser Geld. Und zwar darum, ob wir nicht zehn Prozent unseres Geldes für Gott geben könnten. Bei diesem Thema fühle ich den starken Drang, am Anfang zu sagen: Keine Angst, es tut nicht weh!
Natürlich ist die Geldbörse eines unserer empfindlichsten Körperteile. Aber wir werden hören, welche Gedanken Gott dazu hat, und es war noch nie Gottes Absicht, uns einfach nur weh zu tun. Keine Sorge also!
Es ist nun sieben Jahre her, dass der Euro eingeführt wurde. Die D-Mark-Münzen und -Scheine wurde abgeschafft und sie kamen bald alle in den Himmel. Petrus entscheidet, wer hinein darf und wer nicht. Er winkt die Pfennige und Markstücke rein. Auch die Zwei- und Fünfmarkstücke dürfen hinein. Sogar die Zehnernoten. Auch ein paar Zwanzigerscheine sind dabei. Plötzlich sieht er aber die Fünfziger und Hunderternoten heranströmen und wehrt ab: „Halt, halt. Ihr wart euer Leben lang nie in der Kirche, ihr kommt hier nicht hinein!“
Tja, dieser Witz ist bestimmt nicht in einer Freikirche erfunden worden. Diese kirchlichen Kollekten von 23 Euro und zwei Hosenknöpfen kennen wir ja so nicht. Wir sind geübt darin, finanzielle Verantwortung für unsere Gemeinde zu tragen. Das verdient allen Respekt. Normale Kirchgänger würden sich wundern, wenn sie wüssten, wie viel bei uns gespendet wird.
Dennoch ist es immer wieder gut, dass wir uns klar machen: Entspricht das, was wir tun, unserem Herrn der Gemeinde, Jesus? Wie sieht er die Sache mit dem Geld?
Ich habe in der Vorbereitung auf dieses Thema eine Überraschung erlebt. Ich habe entdeckt dass Jesus einen Satz gesagt hat zu der Regel der zehn Prozent. Jesus hat seine Meinung zum Geben des Zehnten ausgesprochen. Das war mir vorher so nicht klar. Lasst uns diesen Satz von Jesus heute einmal betrachten. Er steht in Mt 23.

23 Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Mt 23

Ein heftiger Vorwurf an die Pharisäer. Wehe euch! Und das als Predigttext heute? Noch einmal sage ich: Keine Angst, es tut nicht weh! Jesus wirft den Pharisäern vor: Sie nehmen es genau mit den Kleinigkeiten, aber das Wichtigste fällt unter den Tisch. Ihr redet den anderen Menschen rein, wenn es um kleinste Ausführungsbestimmungen geht, aber beim Thema Barmherzigkeit sagt ihr nichts. Dabei wäre das doch nötig.
Diesen Vorwurf würde er uns so sicher nicht machen. Wir reden einander nicht rein, wenn es um kleinste Ausführungsbestimmungen geht. Wir achten die Entscheidungen des anderen. Wir leben in einer Zeit, die höchsten Respekt hat vor dem Lebensentwurf des einzelnen Menschen. Das ist in unserer Gemeinde nicht anders. Es gibt hier keine Kontrolle und keine Aufsicht, wer wie oft in den Gottesdienst kommt oder wer wie viel spendet. Das soll jeder selbst entscheiden. Und das, was Jesus als besonders wichtig bezeichnet: Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Treue – das ist wohl auch bei uns ein hoher Wert. Da sprechen wir einander schon drauf an: Sollten wir nicht barmherziger miteinander umgehen? Also: Unsere Gemeinde versucht, so zu leben, dass die wichtigen Themen oben stehen und die unwichtigen unten. Jesu Vorwurf an die Pharisäer trifft uns so nicht.
Aber nun hat Jesus ja trotzdem etwa gesagt zu der Übung, den Zehnten zu geben. „Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.“ Also: Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Treue, das soll man tun. Aber zehn Prozent des Einkommens zu geben, das soll man trotzdem nicht bleiben lassen. Auch das hat seinen Ort – wenn man Gottes Willen sucht. Jesus hat den Zehnten nicht einfach abgeschafft. Er hat einen Sinn darin gesehen, selbst wenn er damals falsch praktiziert wurde. Jesus ist dafür, zehn Prozent seines Geldes Gott zu geben.
Warum? Welchen Sinn hat Jesus darin gesehen?
Ich möchte dem nachgehen und sechs Sätze über den Zehnten sagen. Erst mit allen sechs Sätzen ist das Bild vollständig.

1. Gott nimmt uns nichts weg.
Gott will uns nicht abkassieren. Es gibt verschiedene Sorten der Zehn-Prozent-Abgabe in der Bibel. Eine davon hat ein ganz bestimmtes Ziel: Man soll davon am Tempel ein fröhliches Fest feiern.

Du sollst jedes Jahr den Zehnten von der gesamten Ernte geben [...]. Du sollst davon [...] alles kaufen, worauf du Appetit hast – Rinder, Schafe, Ziegen, Wein und Bier, alles, wonach es deinen Gaumen verlangt –, und dann sollst du vor dem Herrn, deinem Gott, Mahl halten und fröhlich sein, du und deine Familie. Dtn 12,22.26

Gott will, dass sein Volk feiert, in seiner Gegenwart. Und die Feier soll großzügig sein. Wir Menschen sind nun mal oft knauserig und sparen hier und da was ab. Aber von dieser Feier in Gottes Gegenwart soll niemand etwas absparen. Deshalb ordnet Gott die Zehn-Prozent-Abgabe an. Man hat das eine Art „Zwangssparkasse“ genannt. Zwang, ja, oder besser: Gottes Gebot. Aber eben damit man feiern kann. Gott kassiert sein Volk nicht ab, sondern will das Leben, das fröhliche Leben. Das ist eine Sorte dieser Zehn-Prozent-Abgabe. Es gibt auch noch andere Sorten: Arme werden versorgt. Der Tempeldienst wird finanziert. Aber das kommt alles Menschen zugute. Gott leitet das Geld um zu anderen Menschen. Und immer wieder soll sein Volk davon feiern.
Aber wenn das alles so fröhlich ist, wieso dann der Zwang? Wieso das Gebot? Das führt uns zum zweiten Satz:

2. Wir geben die Verfügung ab, wenigstens für 10 %.
Das ist der springende Punkt beim Zehnten: Keiner sucht sich aus, wohin der gegeben wird, Gott hat es schon angeordnet. Eigentlich gehört ja sowieso alles Gott, was wir haben. Alles kommt von ihm. Aber er vertraut es uns an. Wie können es in Freiheit und Verantwortung verwalten. Gott lässt uns vielfach die Entscheidungsfreiheit. Bloß an einer Stelle setzt Gott ein Zeichen, damit wir es nicht vergessen, dass ihm alles gehört: Bei zehn Prozent unseres Geldes sollen wir nicht frei entscheiden. Diese zehn Prozent sind wie ein Platzhalter, eine Erinnerung: Gib das mal bewusst weg und in Gottes Hand – damit du wieder spürst, dass eigentlich dein ganzes Leben Gott gehört.
Gott macht das ja auch in anderen Lebensbereichen so: z. B. bei der Zeit. Jeder Tag unseres Lebens kommt von ihm. Wir können keine Sekunde zu unserer Lebenszeit hinzufügen. Gott hat Anspruch auf unser ganzes Leben. Aber er lässt uns unglaublich viel Freiheit, unsere Zeit zu gestalten. Bloß an jedem siebten Tag sagt Gott: Das lege ich fest. Da sollt ihr nicht selbst entscheiden, sondern gebt mir diese Zeit. Das ist der Ruhetag. Und auch der Ruhetag ist ja nicht von Gott zu unserer Qual erfunden, sondern damit wir da aufleben, raus kommen aus dem Zwang zur Leistung. Gott will, dass wir leben, und bei einem Siebtel unserer Lebenszeit macht er eine Vorgabe. Sonst nicht.
So auch mit dem Geld. Bei einem Zehntel macht er eine Vorgabe. Der Rest ist frei. Diese Vorgabe soll erinnern, dass auch die übrigen 90 Prozent von Gott kommen.
Man erzählt sich von einem Bettler, der schon lange Zeit an einem bestimmten Platz der Stadt von einem freundlichen Mann täglich einen Euro bekommt. Eines Tages sind es nur noch fünfzig Cent, und nun bleibt es auch bei dem halbierten Betrag. Irgendwann spricht der Bettler den Mann an: „Mein Herr, früher gaben Sie mir täglich einen Euro und seit einiger Zeit nur noch die Hälfte?” Der Mann antwortet ihm freundlich: „Es tut mir Leid, aber mein Sohn studiert jetzt, und dafür brauche ich nun mehr Geld. Sie wissen ja, wie teuer das heutzutage ist. Das müssen Sie doch verstehen!” Da murmelt der Bettler vor sich hin: „Eigentlich unverschämt! Lässt der Mann seinen Sohn auf meine Kosten studieren!”
Lebt Gott auf unsere Kosten, wenn er einen Anteil von unserem Geld festlegt? Sollen wir uns ärgern über eine Abgabe, die Gott erwartet? Oder lieber dankbar sein, dass er uns so viel zur freien Verfügung anvertraut?

3. Der Zehnte soll Gottes Reich fördern
Auch deshalb hat Jesus wohl die Zehn-Prozent-Abgabe nicht einfach abgeschafft: Sie hat gute Ziele. Ich nenne nur ganz kurz, was man aus dem Alten Testament zusammenlesen kann:
Die Lebensfreude haben wir schon erwähnt. Man soll feiern können.
Das zweite sind die Armen, die versorgt werden sollen.

28 In jedem dritten Jahr sollst du den ganzen Zehnten deiner Jahresernte in deinen Stadtbereichen abliefern und einlagern 29 und die Leviten, die ja nicht wie du Landanteil und Erbbesitz haben, die Fremden, die Waisen und die Witwen, die in deinen Stadtbereichen wohnen, können kommen, essen und satt werden, damit der Herr, dein Gott, dich stets segnet bei der Arbeit, die deine Hände tun. Dtn 14

Und das dritte ist der Gottesdienst. Die Diener am Tempel waren damals die Leviten. Sie hatten kein eigenes Land und bekamen daher extra Spenden, damit sie leben konnten und den Gottesdienst versorgen konnten.
Das Ziel der Zehn-Prozent-Abgabe: Gerechtigkeit, Frieden und Treue.
All das kommt den Menschen also zugute. Gott zieht nichts ab von den Menschen. Gott lenkt es nur so um, dass es auch die bekommen, die sonst leer ausgingen. Auch die Abgaben für die Leviten sind eine Investition in den Menschen. Denn du lebst wirklich als Mensch, als Geschöpf, wie Gott es sich dachte, wenn du Gottesdienst feierst und dich ihm hingibst. Gottesdienst macht den Menschen zum vollständigen Menschen.
Wozu soll also die Zehn-Prozent-Abgabe dienen? Um Gottes Reich zu fördern. Gottes Reich aber geht nicht auf Kosten von uns Menschen, sondern kommt uns zugute.

4. Die Zehn-Prozent-Abgabe ist kein Gesetz!
Das müssen wir jetzt dick unterstreichen – wir, die wir von Jesus herkommen. In der Gemeinde Jesu gab es nie Finanzvorschriften. Freiwillig soll jede Gabe kommen. Erzwungene Gaben oder missmutige Gaben sind nicht in Gottes Interesse. Wenn Jesus auch die Zehn-Prozent-Abgabe befürwortet hat, so hat doch keine der frühen Gemeinden das zur Regel erhoben.
Warum nicht?
Weil eine Regel gar nicht nötig war. Viele der frühen Christen gaben ohnehin mehr ab als nur zehn Prozent. Zachäus gab 50 % – er war allerdings auch reich genug. Barnabas hat ein wertvolles Grundstück verkauft. 150 Jahre später gaben Christen im Römischen Reich immer wieder größere Geldbeträge „zum Unterhalt und Begräbnis von Armen, von elternlosen Kindern ohne Vermögen, auch für bejahrte, bereits arbeitsunfähige Hausgenossen, ebenso für Schiffbrüchige, und wenn welche [wegen ihres Glaubens] in den Bergwerken, auf Inseln oder in Gefängnissen sind“. So sagt es ein Kirchenlehrer. Wer als Christ solche Beträge zahlte, hat wahrscheinlich nicht immer die Prozente ausgerechnet. Ein französischer Bischof der Alten Kirche hat gesagt: „Der Herr hat statt des Zehnten die Verteilung der gesamten Habe unter die Armen geboten und befohlen.“ Die Juden hatten „den Zehnten dem Herrn geweiht; die aber die Freiheit empfangen haben, die widmen ihren gesamten Besitz dem Herrn und geben ihn freudig und freiwillig hin, nicht bloß den kleineren Teil, da sie ja die Hoffnung auf größeres haben.“ Also ist die Zehn-Prozent-Abgabe kein Gesetz in der Gemeinde Jesu, weil viele sowieso mehr als zehn Prozent geben wollten. Zumindest in der Anfangszeit. Sie taten es freiwillig, von Herzen. Daran können wir uns ein Beispiel nehmen. Und an der Höhe ihrer Spenden auch? Wenn es von Herzen kommt – ja!

5. Gelebter Glaube braucht eine Form.
Das ist in der Beziehung zu Gott so wie in der Beziehung zu Menschen: Sie braucht eine Form. Irgend eine wenigstens. Meine Frau und meine Kinder sind die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Sie wissen das. Ich weiß es auch. Aber es genügt natürlich nicht, einfach nur vorauszusetzen, dass wir es wissen. Sie wollen es auch spüren – zu Recht. Also braucht diese Beziehung Formen. Ich sage meiner Frau, dass ich sie liebe. Ich wähle bestimmte Worte dafür. Ich plane mir Zeit ein, die ich nur mit ihr verbringe. Auch mit den Kindern. Ein Spaziergang mit meiner Tochter ist eine gute Zeit, dass wir einfach mal alles quatschen können, was uns einfällt. Eine Kissenschlacht mit meinem Sohn zeigt ihm eindeutig, dass ich ihn mag. Ich werde nicht zu ihm sagen: Wir brauchen keine Kissenschacht machen, du weißt doch auch so, dass ich dich mag. Nein, unsere Beziehung benötigt eine Form. In zwanzig Jahren wird es eine andere Form sein. Ich werde ihn dann nicht in seiner Wohnung besuchen und ihm grinsend ein Sofakissen auf den Kopf klatschen. Aber dann werde ich eine andere Form haben, ihm meine Zuneigung zu zeigen.
Bei Gott ist es ebenso. Alle meine Zeit möchte ich mit ihm leben, aber trotzdem ist es gut, z. B. die Form des Sonntags zu benutzen. Glaube, der nicht irgendeine Gestalt angenommen hat, verdunstet bald.
Also braucht auch unsere geistliche Haltung zum Geld eine Form. Irgend eine. Ich kann natürlich sagen: Gott, du weißt doch, dass dir mein ganzes Leben gehört, auch das, was ich besitze. Das muss ich dir doch nicht dauernd zeigen. Aber wenn ich es nur erkläre und beteure, aber nie praktiziere, gehört mein Besitz sehr bald eben doch nicht mehr Gott, sondern mir allein. Auch die geistliche Haltung zum Geld braucht eine Form.
Die Zehn-Prozent-Abgabe ist so eine Form. Wer für sich persönlich eine bessere gefunden hat – wunderbar. Der mag seine Form aus ganzem Herzen füllen und fröhlich praktizieren. Das verdient alle Achtung. Aber wer für seine geistliche Haltung zum Geld noch keine feste Form gefunden hat oder wer es sich jedes Mal neu überlegt oder auch öfter vergisst, es sich zu überlegen – warum dann nicht mal die Zehn-Prozent-Abgabe ausprobieren?

6. Geben tut nicht weh, wenn’s von Herzen kommt.
Das hab ich ja am Anfang versprochen: Keine Angst, es tut nicht weh. Nun mag trotzdem mancher zusammenzucken, wenn er ausrechnet, wie viel denn zehn Prozent seines Einkommens sind und wie viel er dann spenden würde. Autsch! Aber es tut dennoch nicht weh, wenn es von Herzen kommt.
Das erste Mal, dass in der Bibel jemand die Zehn-Prozent-Abgabe praktiziert hat, passierte völlig abseits vom Gebot. (1. Mose 14,17-20) Das Gesetz Gottes war noch gar nicht gegeben. Abraham hatte es freiwillig getan. Er fand, das sei eine gute Idee. Das wird ihm nicht weh getan haben.
Später wurde der Tempel in Israel gebaut. Der König David fing an und stiftete eine kräftige Spende. Die anderen aus Gottes Volk machten dann mit. Wir haben in der Textlesung davon gehört. Alle waren begeistert, dass sie spenden konnten. Danach hat David gebetet. Er hat Gott gedankt – nicht nur für die vielen Spenden. Sondern vor allem, dass alle so fröhlich und freiwillig gespendet hatten. Dieses Dankgebet ist wie ein ungläubiges Staunen darüber, dass alle so spendenbereit waren. Man hat also nicht gespendet und dann zu Gott gesagt: „Bitteschön.“ Sondern gespendet und dann gesagt: „Dankeschön, dass du unser Herz so bewegt hast!“ Das tat nicht weh. Das war ein fröhlicher Schwung in Gottes Volk. Sie spürten: Es kann nur Gott gewesen sein, der unsere Herzen so angerührt hat. Dann erst hat David auch Gott um etwas gebeten:

Herr, Gott unserer Väter Abraham, Isaak und Israel, erhalte diese Gesinnung für immer im Herzen deines Volkes! Lenke sein Herz auf dich! 1Chron 20,18

Wir heute geben doch immer dann fröhlich etwas ab, wenn wir meinen: Das ist gut angelegtes Geld. Hier haben wir gut investiert. Die Zehn-Prozent-Abgabe für Gottes Reich: ist das nicht eine gute Investition?

Ich möchte schließen mit einer alten jüdischen Legende:
Es waren einmal zwei reiche Kaufleute, die hießen Akiba und Tarphon. Tarphon war aus einem reichen Haus und hatte nie die Armut kennen gelernt. So vergaß er die Armen und verbrauchte seinen ganzen Reichtum nur für sich. Akiba aber war Kind armer Leute gewesen und wusste, wie bitter die Armut ist. So verwandte er einen großen Teil seines Geldes dazu, die Not anderer Menschen zu lindern.
Weil er seinen Freund Tarphon liebte, tat es ihm weh, dass dieser niemals etwas für die Armen gab. – Eines Tages ging er zu seinem Freund und erbot sich, für ihn ein prächtiges Landgut zu einem günstigen Preis zu erwerben. Tarphon war erfreut über die günstige Gelegenheit und gab Akiba eine große Summe Geld. Der aber ging damit ins Armenviertel und verteilte es unter die Bedürftigen. Nach einiger Zeit wollte Tarphon sein Landgut besichtigen, und Akiba nahm seinen Freund mit in das Armenviertel. „Hier soll das Gut sein, von dem du mir vorgeschwärmt hast?” fragte Tarphon überrascht. „Ich habe dein ganzes Geld an die Armen verteilt! Komm, lass uns dein Gut ansehen”, sagte Akiba. In einer schmutzigen Gasse traten sie in ein Haus. Drinnen war es finster, kein Tageslicht drang in das ärmliche Zimmer. Nur ein Herd brannte, ein Tisch und ein Stuhl standen im Raum. „Warum hast du diesen Menschen nichts gegeben?” „Ich habe ihnen gegeben”, antwortete Akiba, „früher war der Herd kalt, der Topf leer und die Leute lagen auf der Erde!”
In einem anderen Haus trafen sie einen Studenten, der beim Schein der Kerze in einem Buch las. „Warum hast du diesem Jungen nichts gegeben?” „Ich habe ihm etwas gegeben. Früher hatte er weder ein Buch noch ein Licht, und er konnte überhaupt nicht studieren, sondern musste als Tagelöhner arbeiten!” sagte Akiba. So gingen sie weiter. Und das Entsetzen Tarphons wurde immer größer, als er begriff, wie viel Elend und Not es in seiner Stadt gab. Er schämte sich, dass er bisher so wenig für die Armen getan hatte. Auf dem Nachhauseweg fragte Akiba: „Nun, wie gefällt dir das Landgut, das ich für dich gekauft habe?” Da senkte Tarphon seinen Blick und meinte: „Ich werde deine Lehre beherzigen und noch viele prächtige Landgüter erwerben, um anderen Menschen in ihrer Not zu helfen!”

Gute Investitionen machen Freude.
Amen.

Dienstag, 11. August 2009

"Wie hören wir Gottes Reden?" - 6

6 Innerer Frieden als Hinweis auf Gottes Willen

Gottes Wort verspricht: Wer Gottes Willen tut, lebt im Frieden. „Großen Frieden haben, die dein Gesetz lieben; sie werden nicht straucheln.“ (Ps 119,165) Hier hat jemand Gottes Willen bereits gefunden und erfreut sich des Friedens. Wir sind oft noch nicht so weit: wir haben Gottes Willen noch nicht immer erkannt, sondern suchen danach. Gott markiert manchmal einen „Treffer“ dadurch, dass er uns in unserem Herzen Frieden spüren lässt. Das ist eine Bestätigung für eine eingeschlagene Richtung. Umgekehrt kann eine innere Unruhe Signal für eine falsche Richtung sein.

6.1 Frieden in der Seele als „Treffermarkierung“ (Röm 8,6)

Das Sinnen des Geistes ist Leben und Frieden. Röm 8,6

Wer dem Heiligen Geist folgt, gelangt zum Frieden. Der erste Impuls, Gottes Willen zu erkennen, kommt aus einer inneren Führung durch Gottes Geist. Der Frieden kommt dann bestätigend als Zweites hinzu.
Paulus hat auch die umgekehrte Erfahrung gemacht: Er fand keinen Frieden und musste Gottes Willen deshalb woanders suchen.

12 Als ich nach Troas kam, um das Evangelium von Christus zu verkündigen, stand mir zwar eine Tür offen im Herrn, 13 mein Geist aber fand keine Ruhe, weil ich meinen Bruder Titus nicht antraf; so verabschiedete ich mich von ihnen und zog weiter nach Makedonien. 2Kor 2

5 Denn auch als wir nach Makedonien kamen, fand unser ängstliches Herz keine Ruhe, nur Bedrängnis von allen Seiten: von außen Kämpfe, von innen Ängste. 6 Doch der die Geringen tröstet, Gott, er hat uns durch die Ankunft des Titus getröstet, 7 und nicht nur durch seine Ankunft, sondern auch durch den Trost, den er bei euch erfahren hat, denn er hat uns von eurer Sehnsucht nach mir berichtet, von eurem schmerzlichen Verlangen und eurem Eifer, und das hat mich erst recht gefreut. 2Kor 7

Paulus kam von einem Konflikt mit der Gemeinde in Korinth her. Dieser Konflikt war noch nicht gelöst. Titus war beauftragt, eine Klärung zu schaffen. Inzwischen war Paulus weitergezogen.
Der Ort, an dem Paulus jetzt war – Troas in der heutigen Türkei –, hatte viele Merkmale, dass Gott Paulus dort jetzt haben wollte. Paulus kam – so wörtlich – „nach Troas zum Evangelium von Christus“: wie wenn das Evangelium schon vorher da war und Paulus es jetzt noch weiter fördern konnte. In der Tat gab es bereits in Troas eine Gemeinde. Paulus konnte für sie noch mehr Menschen hinzugewinnen – das sagt das Bild von der offenen Tür. Paulus tut exakt das, wozu Christen allgemein und er im Speziellen berufen ist. Paulus lebt hier im Einklang mit Gottes Absichten.
Aber sein Herz war voller Unruhe, denn die Versöhnung mit den Korinthern stand noch aus. Paulus musste erst Klarheit darüber haben und den Bericht von Titus bekommen. Deshalb machte er sich auf die Suche. Auch der Wechsel nach Makedonien (von der türkischen auf die griechische Landseite) war nicht schon für sich genommen der Wille Gottes. Auch hier erlebte Paulus starke Unruhe, dazu noch Druck von außen. Zudem fehlte hier auch noch eine offene Tür. Erst als Titus kam und Versöhnungsnachrichten brachte, war der innere Friede hergestellt.
Zwei Signale von Gottes Geist können sich also zeitweilig widersprechen: einerseits die offene Tür und andererseits der fehlende Friede. Paulus musste sich für eins der beiden Signale entscheiden. Warum hat er sich hier gegen die Evangelisation entscheiden? Vielleicht weil sie für diesen Moment „auf Kosten anderer“ ging. Der Friede mit Korinth war in dieser Situation wichtiger als die Evangelisation in Troas. Paulus konnte nicht über seine Mission Frieden empfinden, wenn an anderer Stelle Unfriede herrschte. Der Segen in Troas wog den gestörten Segen in Korinth nicht auf. Klärung war die nötige Voraussetzung für eine tiefgehende Evangelisation.

Gibt es auch Situationen, wo ich mich gegen meine innere Unruhe entscheiden muss, für ein anderes Signal von Gottes Geist?

Die innere Unruhe bei Paulus hat ihn ja auf einen ganz bestimmten, realen Unfrieden hingewiesen: das gestörte Verhältnis zur Gemeinde in Korinth. Wenn mich meine innere Unruhe trotz längeren Suchens nicht auf eine echte greifbare Missstimmigkeit hinweist, dann könnte es sein, dass ich dem anderen Signal des Geistes folgen sollte. Dann aber wird wahrscheinlich früher oder später Gottes Friede einkehren.

6.2 Unruhe aus Gottes Geist – Unruhe aus der eigenen Seele

Kommt eine innere Unruhe immer oder meist von Gottes Geist? Kann sie nicht aus falscher seelischer Unruhe kommen?

Alfred Christlieb unterscheidet zwischen Unruhe als Geistesleitung und der „Naturunruhe“. Er empfiehlt eine Art Test: Was passiert, wenn ich der Unruche nicht folge? Falle ich dann ganz aus Gottes Frieden heraus, so war die Unruhe von Gott – ich muss ihr also doch folgen. Oder aber es „bleibt im tiefsten innersten Seelengrund ganz ruhig und still, und auch die Naturunruhe legt sich allmählich“. Es war dann eine „natürliche oder vom Feind gewirkte Unruhe“. (A. Christlieb: Innere Unruhe, in ders.: Licht von Oben Bd. 3, Marburg 1967, 82-84.) Es kommt also darauf an, sich ein wenig Zeit zu lassen, die Unruhe zu beobachten und nach Gottes Frieden zu suchen. Paulus sagt ja, sein Geist „fand“ keine Ruhe. Er muss zuerst danach gesucht haben – das braucht etwas Zeit.

Es gibt eine spezielle Art innerer Unruhe, die geistlich daherkommt und doch nicht Gottes Reden ist: wenn jemand sich ständig neu Unruhe macht wegen einer Schuld, die schon bekannt und vergeben ist. Hier soll man nicht der Unruhe folgen, sondern sein eigenes Herz beruhigen:

19 Daran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und vor ihm werden wir unser Herz beruhigen. 20 Denn auch wenn das Herz uns verurteilt: Gott ist größer als unser Herz und erkennt alles. 1Joh 3

Die Unruhe sagt hier fälschlich: Du bist von Gott entfernt. Die richtige Antwort muss heißen: Gott ist großer als mein unruhiges Herz. Weil er mir vergeben hat, bin ich hier und jetzt in der Wahrheit.

6.3 Gegenprobe 1: Innere Unruhe, in der man bleiben muss (Jeremia)

In Ausnahmefällen gibt es eine innere Unruhe, die nicht so schnell aufgelöst wird, so dass es dann etwa „im tiefsten innersten Seelengrund ganz ruhig und still bleibt“ (Christlieb). Trotzdem kann man sich mitsamt seiner Unruhe genau im Zentrum von Gottes Willen befinden.
Diese Erfahrung musste Jeremia machen. Immer wieder war er tief verstört über Gottes Absichten mit seinem Leben.

10 Wehe mir, dass du, meine Mutter, mich geboren hast, einen Mann des Streits, einen Mann, der zerstritten ist mit dem ganzen Land, niemand ist mir etwas schuldig, und ich schulde niemandem etwas: Jeder verflucht mich. [...] 17 Nie habe ich im Kreis derer gesessen, die ihren Spaß hatten, und nie war ich fröhlich, aus Furcht vor deiner Hand saß ich einsam, denn mit Groll hast du mich erfüllt. 18 Warum nimmt mein Schmerz kein Ende und ist meine Wunde unheilbar? Sie will nicht heilen. Wie ein trügerischer Bach, so bist du für mich, Wasser, auf das kein Verlass ist. Jer 15

7 Du hast mich überredet, HERR, und ich habe mich überreden lassen; du bist stärker als ich, und du hast gewonnen; den ganzen Tag lang bin ich ein Gespött, jeder macht sich lustig über mich. 8 Denn wenn immer ich rede, schreie ich auf. Gewalttat und Unterdrückung!, rufe ich. Denn den ganzen Tag lang gereicht mir das Wort des HERRN zu Hohn und Spott. 9 Und wenn ich sage: Ich werde nicht an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, dann wird es in meinem Herzen wie brennendes Feuer, eingeschlossen in meinem Gebein. Und ich habe mich abgemüht, es zu ertragen, und ich kann es nicht. Jer 20

Jeremia ist in einem Dilemma: Folgt er seinem Auftrag, so ist er mit allen anderen Menschen zerfallen – und das raubt ihm den Frieden. Aber folgt er seinem Auftrag nicht, so „wird es in seinem Herzen wie brennendes Feuer“. Frieden hat er also auch so nicht. Er findet überhaupt keinen Frieden, auch oft nicht, wenn er Gottes Willen tut. Das Endergebnis sieht dann so aus:

17 Und aus dem Frieden hast du mich verstoßen, was Glück ist, habe ich vergessen! (Klagelieder 3)

Jeremia hört zwar auch Worte des Trostes von Gott: „Denn nicht von Herzen hat er erniedrigt und die Menschen in Kummer gestürzt.“ (Klgl 3,33). Aber der Friede ist nur Zukunftsmusik für ihn.

Wie kann sich Jeremia sicher sein, dass er nicht aus seiner Situation fliehen soll trotz seiner Unruhe? Weil er eine klare Lebensberufung bekam und weil diese Berufung schon von Anfang an von Druck und Widerstand sprach (Jer 1,10.18.19). Jeremia musste viel mehr Negatives als Positives sagen (1,10: ein Verhältnis von 4 zu 2). Gott hat ihm später bestätigt, dass der Druck, die Unsicherheit und das menschliche Misstrauen noch zunehmen würden (Jer 12,5+6). Gott ließ also Jeremia mit seiner Unruhe nicht allein, sondern sprach immer wieder zu ihm. Dieses aktuelle Reden Gottes stellte klar, dass beide im Zentrum von Gottes Willen nebeneinander ihren Platz haben: Jeremia und auch die Unruhe.
Unruhe ist also kein Zeichen, woandershin aufzubrechen, wenn Gott klar redet, dass man dort bleiben soll. Aber solche klaren Worte von Gott sind dann auch schon nötig, um es aushalten zu können.

6.4 Gegenprobe 2: Frieden als faule Sicherheit (Zefanja, Amos)
Es gibt auch einen inneren Frieden, den man sich selbst verschafft, den man nicht von Gott geschenkt bekommt. Gott würde gerade Unruhe geben, damit man aus einer untragbaren Lage aufbricht, aber jemand übersieht solche Signale Gottes und meint, im Frieden mit sich zu sein.
Die Propheten zeigen solchen faulen Frieden auf:

Zur selben Zeit will ich Jerusalem mit der Lampe durchsuchen und aufschrecken die Leute, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen und sprechen in ihrem Herzen: Der HERR wird weder Gutes noch Böses tun. Zef 1,12

1 Wehe den Sorglosen in Zion und denen, die sich in Sicherheit glauben auf dem Berg von Samaria, den Vornehmen der ersten unter den Nationen, zu denen das Haus Israel kommt! [...] 3 Die ihr meint, der Tag des Unheils sei fern, und die ihr dafür gesorgt habt, dass die Herrschaft der Gewalt nahe gerückt ist! 4 Die auf Lagern aus Elfenbein liegen, hingefläzt auf ihren Ruhebetten, und die Widder essen von der Herde und Rinder aus der Mast, 5 die sich zum Klang der Harfe versuchen und sich für David halten an den Instrumenten, 6 die Wein aus Schalen trinken und sich salben mit dem besten Öl, aber nicht erschüttert sind über den Zusammenbruch Josefs! Amos 6

Hier hätte man durchaus unruhig, erschüttert sein müssen. Warum? Weil Ungerechtigkeit herrscht und man selbst die Ursache dafür ist. Der eigene Friede geht auf Kosten anderer.

Wie kann ich mich prüfen, ob ich in einem selbstgemachten oder Gott-gegebenen Frieden lebe?

Ich setze mich Gottes Anrede aus. Ich befasse mich umfassend mit Gottes Willen in der Bibel, nicht nur mit ausgewählten Stellen. Wenn ich dann zunehmende Unruhe spüre, ist diese Unruhe wohl ein Signal Gottes: Ich soll umkehren.
Wenn ich meinen Seelenfrieden nur dann aufrecht erhalten kann, indem ich bestimmte Lebensbereiche nicht vor Gott bringe, dann dürfte es ebenfalls ein fauler Friede sein.

6.5 Fazit

Der innere Friede ist ein gutes Signal für Gottes Willen, aber keins, das allein schon für sich spricht. Es muss immer abgestimmt sein mit den anderen Weisen, wie Gott redet.