Donnerstag, 30. Juli 2015

Unterschiedliche Berufungen – unterschiedlich weiter Blickwinkel

Die Propheten Sacharja und Haggai lebten und wirkten zur selben Zeit (siehe Sach 1,1; Hag 1,1) und sprachen in dieselbe Situation und zu denselben Menschen: Als nach der Rückkehr aus dem Exil zwar das normale Leben funktionierte, aber der Tempel noch nicht aufgebaut war, ermunterten sie das Volk, den Tempelbau in Angriff zu nehmen. Speziell der Statthalter Serubbabel und der Hohe Priester Jeschua wurden von den beiden Propheten angeredet.

Die Botschaft dieser Propheten war im Kern dieselbe (vgl. Sach 8,9-13 mit Hag 1,5-11; 2,5-19). Doch es besteht auch ein bemerkenswerter Unterschied. Haggai konzentriert sich ganz auf das, was aus Gottes Sicht jetzt getan werden muss: Man soll anfangen, den Tempel zu erbauen. Die Führungspersonen Serubbabel und Jeschua sollen Mut fassen. Dem Volk und dem Tempel steht eine wunderbare Zukunft bevor (z.B. Hag 2,4-9).

Die Botschaft des Propheten Sacharja unterstützt Haggais Verkündigung und bestätigt sie. Doch zugleich geht Sacharjas prophetischer Blick immer wieder weit über die Gegenwart und über die nächstliegenden Aufgaben hinaus. Er blickt nicht nur nach Jerusalem, sondern auf die ganze Erde (Sach 6,1-8). Er bekommt eine Zukunft gezeigt, die alle gegenwärtigen Vorstellungen übersteigt (9,9-10; 12,6-9; 14,1-19). Das, was eigentlich der Tempel bewirken soll – Vergebung, Reinigung, Heiligung – wird einmal noch ganz anderes erreicht werden, ohne dass der Tempel eine zentrale Rolle dabei spielt (13,1; 14,20-21).

Aus Haggais Sicht könnte diese weit gesteckte Perspektive wie eine Ablenkung wirken und als ob die Stoßkraft der prophetischen Botschaft geschwächt würde: „Ich versuche hier mit aller Kraft, Serubbabel, Jeschua und das Volk zum Handeln aufzurütteln, damit sie endlich mit dem Tempel anfangen – und du erzählst, dass es irgendwann noch etwas ganz anderes geben wird und dass es auf dem Tempel nicht immer ankommen wird!“ Doch Sacharja könnte antworten: „Ich unterstreiche deine Botschaft voll und ganz und betone auch ihre Dringlichkeit. Doch wir dürfen uns nicht im Heute und Morgen verlieren, wenn Gott übermorgen noch Größeres für uns bereit hat.“

Es wird in Gottes Reich immer Menschen mit beiden Arten von Berufung geben. Die einen – die Haggai-Typen – sind berufen, das heute Wichtige durchzusetzen, und ihre Berufung konzentriert sich auf dieses Ziel. Die anderen – die Sacharja-Typen – haben die Berufung, daneben noch weitere Gesichtspunkte einzubringen und Gottes größere Ziele und Gottes weitere Zukunft zu zeigen. Ihnen hat Gott aufgetragen, an die Vorläufigkeit des Heute und Morgen zu erinnern – so wichtig die Gegenwart auch ist. Sie helfen, dass energische Verantwortungsträger im Reich Gottes ihre Ziele nicht absolut setzen.