Dienstag, 27. April 2010

Predigt „Glücksmomente beim Kurswechsel“

Predigt über Röm 2,4
Start mit dem Liedtext „Zeugnistag“ von Reinhard Mey)

Nein, dieser Chanson ist nicht mein Predigttext heute. Aber ich möchte sprechen über die Glücksmomente, die dieser Junge erlebt hat. Angst und Schrecken im Büro des Rektors – und dann schlägt es um in einen unerwarteten Glücksmoment. Der kleine Kerl ist plötzlich frei!
Dieser Glücksmoment war sicher nicht nur einmalig, er ist nicht nur damals passiert. Sondern jedes Mal, wenn er sich daran erinnert und an seine Eltern denkt, die ihn da rausgeholt haben, bei jeder Erinnerung kommt sicher wieder ein Glücksmoment. Und selbst uns, die wir diesen Text hören oder das Lied von Reinhard Mey, berührt es. Glücksmomente.

Geht euch das auch so, dass ihr unwillkürlich an Gott denken müsst? An Gott, der es in Jesus auch so mit uns gemacht hat? Was auch immer vorliegt gegen uns, wofür auch immer wir uns schämen müssten – Jesus sagt: „Das ist meins. Das setze ich auf meine Rechnung. Komm, Junge, lass uns gehen!“
Reinhard Mey wünscht jedem Kind Eltern, die aus diesem Holz geschnitten sind. Wir haben das Glück, einem Gott zu vertrauen, der wirklich aus solch einem Holze ist. Erbarmen statt Anklage. Der Gott, der aus solch einem Holze ist, hat zugelassen, dass sein eigener Sohn an ein Holz genagelt wurde, ans Kreuz. Und als Gott ihn auferweckte, war das wie seine Unterschrift unter unser mieses Zeugnis: Das ist okay. Es ist gut zwischen uns.

Und damit bin ich jetzt bei dem Bibelwort, das diese Predigt bestimmt. Röm 2,4:

Verachtest du etwa den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?

Gottes erste Tat ist Güte. Sein erster Gedanke ist Liebe. Als er die Welt schuf, hat er zuallererst einen unfassbar großen Reichtum hineingeschenkt. Alles, was wir sind, ist erst Antwort. Zweites Wort, nie erstes. Das erste Wort hat Gottes Güte. Ihr können wir nie zuvorkommen, er ist uns damit zuvorgekommen.

„Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?“ Umkehr – das ist der Kurswechsel, den unser Leben immer wieder nötig hat. Wir müssen anders werden, um auf der Spur von Gottes Leben zu bleiben. Aber anders werden macht Angst. Veränderung kostet Kraft. Woher nehmen wir die Kraft dazu?
Aus der Bibel hören wir heute: Es ist Gottes Güte, die uns anders werden lässt. Wenn Gott uns barmherzig beschenkt. Glücksmomente sind das, und sie führen zum Kurswechsel
.
Aus der Güte folgt die Umkehr – diese wunderbare Reihenfolge haben Christen immer schon bestaunt. Wir wollen das auch tun mit dem Lied Nr. 17: „Wie groß ist des Allmächt’gen Güte.“
...
Wer dieses Lied singt, der geht einen Weg. Zuerst steht das vor Augen, was Gott uns schenkt. Gott hat jeden Menschen als Schöpfer kreativ und unverwechselbar ausgestattet. Schau dich mal um. Keiner ist so wie du. Und niemand ist so unverwechselbar original wie dein Nachbar. Außerdem: Gott begleitet unsere verschlungenen Lebenswege in großer Geduld. Das sind tatsächlich Glücksmomente, so etwas zu erleben, und auch Glücksmomente, wieder daran zu denken. Und von diesen Momenten ausgehend wenden wir uns dann Gott zu: Dich will ich lieben. Deinen Willen möchte ich befolgen.

Wenn ich so Gottes Güte erlebe, stärkt das meine Verbindung zu Gott. Ich will gar nicht mehr, dass diese Verbindung jemals abbröckelt. Sondern ich suche seine Nähe – weil dort sein Herz schlägt und seine Liebe pulsiert.
Ich denke da wieder an den Zwölfjährigen mit seinem Schulzeugnis. Die Verbindung zu seinen Eltern wurde doch unglaublich gestärkt, weil sie großherzig waren. Der denkt doch seitdem mit Achtung an seine Eltern. Wenn sie ihn fertig gemacht hätten im Rektoratszimmer, wenn sie ihn bestraft hätten, dann hätte der Junge zwar deutlich gehört, was richtig und was falsch ist. Aber auf die Verbindung zu den Eltern hätte er seitdem pfeifen können, sie wäre für ihn nicht begehrenswert gewesen. So aber, wie sie es gemacht haben, haben sie die Verbindung gestärkt.
Nichts anderes ist doch Umkehr, ist Buße: Ich möchte wieder hin zu Gott. Ich möchte die Verbindung zu ihm stärken. Sehnsucht danach bekomme ich nicht, wenn ich eine Gardinenpredigt befürchten muss. Zuneigung zu meinem Vater im Himmel entsteht, wenn ich sein Herz voller Güte pulsieren spüre.

Mir persönlich ist es so gegangen, als ich Christ wurde. Ich hatte erlebt, wie Gott so deutlich in mein Leben gesprochen hat gerade in einer Zeit, wo ich mir das intensiv wünschte. Gott hat mir auf eine so persönliche Art geantwortet, so dass ich keinen Zweifel hatte: das ist für mich. Und dann habe ich sehr gerne ihm mein Leben geöffnet. Und habe sehr gerne danach gefragt, was er für mich will. In wichtigen Momenten später war es ebenso: Wo ich merkte, Gott öffnet mir neue Möglichkeiten, Gott hilft mir über manche meiner charakterlichen Grenzen hinweg, da habe ich neu Feuer gefangen für ihn. Wo ich dachte, ich bin nun mal so, wenig mutig damals, zurückhaltend – da hat Gott mir nach und nach Neues beigebracht. Und das hat meine Verbindung zu ihm ungemein gestärkt. Gottes Güte hat das bewirkt – Gottes Güte hat mich zur Umkehr geleitet.

Das ist Gottes Art, das ist sein Grundmuster. Jesus hat es gezeigt, dass er Leute für Gott gewinnt nicht durch Strafpredigt, nicht indem er ihnen vorgerechnet hat, wo sie überall versagt haben und Gottes Gebote übertreten haben, sondern Jesus hat sie beschenkt. Und dann wollten sie ihm folgen, wollten Gottes Willen tun. Gottes Güte hat sie zum Umkehr getrieben.
Wir wollen in einem kleinen Bibelmosaik einmal auf solche Berichte oder Leitsätze hören. Und achten wir darauf, wie aus dem Geschenk die Hingabe folgt, aus dem Glücksmoment der Kurswechsel.

Lk 19,1-10
Mt 4,17 + 5Mose 5,6+7
1Joh 3,1-3
Tit 2,11-14

Hinter jedem dieser Bibelworte steckt Lebenserfahrung. Nicht nur bei Zachäus, sondern auch, wenn der Johannesbrief schreibt: „Der Vater hat uns so große Liebe geschenkt. Wir heißen Kinder Gottes!“ Dahinter stecken Erlebnisse, die geprägt haben. Glücksmomente? Nun, „Momente“ waren es sicher nicht nur, nicht bloß kurze Augenblicke. Bei Zachäus ist Glück und Freiheit und Zufriedenheit dauerhaft eingekehrt. Aber beglückend war es eben, als er die Verbindung zu seinem Gott wieder stärkte. Als er seinen Kurs wechselte. Als er umkehrte und Buße tat. Für ihn lag darin Glück. In der Bibel ist die Kurskorrektur, die sogenannte Buße, ganz oft mit Freude verbunden. Buße ist Freude! Freude im Himmel, wenn einer zurückkehrt, dem Gott verloren gegangen war. Unbändige Freude beim Vater, als der verlorene Sohn wieder nach Hause kam. Aber auch Freude bei diesem Sohn selbst, als der eben weiter Sohn sein durfte und kein Knecht werden musste. Das Freudenfest des Vaters steckt auch den an, der Buße getan hat; die Freude springt über vom Vater auf den Rückkehrer. Dass Zachäus, der Kapitalist, plötzlich so großherzig sein konnte und sein halbes Bankkonto für die Armen plünderte – das ist nur durch unbändige Freude zu erklären. Buße ist Freude. Das passt zum heutigen Sonntag „Jubilate“. Wenn ein Mensch seinen Lebenskurs korrigiert, dann folgt das oft aus einer Glücksbegegnung. Und nach dem Kurswechsel wartet wiederum Glückserfahrung. Umkehr ist Freude.

Worin liegt das Glück? Wieso ist der Kapitalist Zachäus glücklich, wenn er gerade Geld verschenkt? Wie kann ein Mensch heute glücklich sein, wenn er seinen Streit begräbt und sein Recht nicht durchkämpft und Buße tut von seinem Ärger? Verlieren wir denn nicht etwas, geben wir nicht etwas auf, wenn wir umkehren und Buße tun? Wo ist da das Glück?

Das Glück kommt, weil wir nun frei sind. Der Kurswechsel, die Buße macht uns frei. Wir lassen nicht nur unsere Sünden zurück, unsere falschen Haltungen, sondern wir lassen auch unsere achtbaren Taten hinter uns. Beides, Böses und Gutes, zählt vor Gott nicht, wenn Gott uns sowieso begnadigt. Wir sind befreit vom Aufrechnen und dass wir uns zusammenreißen, damit Gott noch einigermaßen gut von uns denkt. Denn Kurswechsel heißt gerade nicht: Ich tue Buße – also ich reiße mich künftig zusammen. Sondern: Ich verlasse mich jetzt voll und ganz auf Jesus.
Das Glück der Buße liegt darin, dass ich nicht mehr an irgendein himmlisches Fehlerkonto denken muss. Je weniger Fehlerpunkte, desto mehr würde mich Gott lieben – und je mehr Fehlerpunkte, desto distanzierter wäre Gott. Nein, weil Gott mich immer schon geliebt hat, hat ihn das Fehlerkonto gar nicht interessiert. Es ist keine Bedingung für seine Liebe. Es tut ihm weh, wenn ich meinem Leben schade, ja. Aber das mindert seine Liebe doch nicht. Also von vornherein geliebt – das ist Glück. Und in diese Liebe zurückfinden, das macht frei. Glücksmomente, die von Dauer sind.

Ich habe neulich so eine Art Fabel gelesen, die hierher passt. Ich habe nicht mehr finden können, wo sie stand, aber ich habe sie mal aus dem Gedächtnis aufgeschrieben.

Ein König hatte keine Kinder. Wie sollte er zu einem Thronerben kommen? Er ging in das städtische Waisenhaus, lud einige Kinder in sein Schloss ein und sagte ihnen: Ihr werdet von nun an bei mir wohnen. Ihr esst an meiner Tafel und tragt kostbare Kleider. Derjenige von euch, der sich drei Monate lang wirklich königlich benimmt, der wird mein Thronerbe sein.
Die Kinder waren begeistert – vom Waisenhaus ins Schloss! Sie ließen sich vornehm einkleiden, sie übten den Umgang mit goldenen Messern und Gabeln, sie lernten höfliche Ausdrücke. Aber nach einer Woche schon blätterte das gute Benehmen ab. Sie riefen einander doch wieder die alten Schimpfwörtern zu, sie verkleckerten das vornehme Essen und zerrissen ihre Kleider, als sie auf Bäume kletterten. Weise und gütig, wie ein König sein muss, wurde schon gar keiner von ihnen. Am Ende hatte sich keiner wirklich königlich benommen.
Ein anderer König hatte ebenfalls keine Kinder. Auch er suchte einen Thronerben. Und so brach er auf, besuchte das städtische Waisenhaus, lernte die Kinder kennen und adoptierte schließlich einen Jungen. Im Schloss angekommen sagte er zu ihm: Du wirst von nun an als mein Sohn leben. Du wirst bei mir wohnen, du isst an meiner Tafel und trägst kostbare Kleider. Du wirst so lernen, königlich zu leben, und dann würdig sein, mein Thornerbe zu sein.
Der Junge gab sich alle Mühe, aber auch er nutzte bald wieder böse Schimpfwörter, verkleckerte sein edles Essen und zerriss seine Kleider, als er über den Bach sprang. Aber jeden Abend beim Zubettbringen sagte sein Vater, der König, zu ihm: Du bist der Königssohn. Du wirst mein Thronerbe sein. Und im Laufe der Zeit nahm der Sohn tatsächlich königliches Verhalten an, er wurde weise und gütig und seinem Vater ähnlich.

Was ist der Unterschied zwischen den beiden Königen? Beim ersten musste die Kinder sich beweisen – erst dann wären sie angenommen worden. Beim zweiten war der Junge angenommen, unwiderruflich. Und das prägte ihn.
Gottes Art ist die des zweiten Königs. Er gestaltet uns, er erwartet Veränderung, ja – aber nachdem er uns angenommen hat. Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?
Die Jungen beim ersten König mussten ihr Fehlerkonto im Blick behalten, weil ihr König das auch tat. Beim zweiten König war das Fehlerkonto seines Jungen völlig uninteressant, denn der war nun gültig ein Königssohn. Darin liegt bei Gott das Glück der Umkehr, die Freude der Buße: Wir kehren zurück zu einem Leben, wo wir frei sind vom Fehlerzählen, weil wir ohnehin schon geliebt sind.

Weißt du nicht, dass Gottes Güte es ist, die dich zur Umkehr treibt?
Noch einmal lasst uns zwischendurch singen in der Predigt: „Gott ist gut“.
...
„Ich lauf voll Freude zu ihm“ ... das ist Kontaktaufnahme. Das ist Kurwechsel. Und wo kommt der her? Auch in diesem Lied ist die Reihenfolge so, wie es oft bei Gott ist: „Denk ich an seine Liebe für mich, dann erfüllt mich Jubel ... und dann laufe ich zu ihm.“ Gottes Güte weckt die Umkehr.

Wir müssen jetzt hinzufügen, damit die Sache im Lot bleibt: Nicht jede Umkehr ist ein einziger Glücksmoment. Nicht jede Buße macht Freude. Ich kenne Momente, wo mir heiß und kalt wird, weil ich an Versäumnisse gedacht habe. Dann erschrecke ich und versuche, es wieder in Ordnung zu bringen. Sofern das überhaupt noch geht. In der Buße, im Kurswechsel liegt tatsächlich oft auch ein Schrecken. Wenn ich nämlich einsehe: Mein bisheriger Kurs, meine eigene Richtung, sie hätte mich weg von Gott getrieben. Ich wäre letztlich in den Tod gelaufen. Ich habe das Leben verdorben, das Gott doch so gut gemacht hat, und darüber wird Gott durchaus zornig, wenn seine Geschöpfe die guten Gaben verplempern. Das zu erkennen: ich war am Rande des Abgrunds – das begeistert nicht. Als Petrus behauptete, er kenne Jesus gar nicht, und als Jesus ihm wenig später direkt in die Augen blickte, da war das kein Glücksmoment für Petrus. Seine Kurskorrektur, seine Buße, passierte mit heißen Tränen. Wenige Tage später hat Jesus ihn dann noch einmal angesprochen. Und hat ihn neu angenommen. Petrus war wieder auf Kurs, und das war wieder tiefes Glück für ihn. Also: Kurskorrektur kann auch weh tun, vor allem wenn ich erschrocken einsehe, was ich gerade selber in meinem Leben kaputt gemacht habe durch die Sünde. Und dazu noch im Leben von anderen. Wir Menschen neigen natürlich dazu, solchem Schrecken aus dem Weg zu gehen. Deshalb hat das Wort Buße mittlerweile keinen guten Klang mehr bei uns.
Wir müssen also wiederentdecken, was Gott sich bei Buße zuerst denkt. Er ruft uns in seine Nähe. Er beweist seine Güte auf Vorschuss. Er ist zornig über unsere Sünde, weil sie uns kaputt macht, nicht weil er beleidigt wäre. Er möchte die Beziehung zu ihm stark machen – und das zu erkennen, ist dann doch Grund zur Freude.
Weißt du nicht, dass Gottes Güte es ist, die dich zur Umkehr treibt?

Kurswechsel, Umkehr, auch Buße – diese Geschenke Gottes wollen wieder einen guten Klang bei uns bekommen. Was wäre denn das Schlimmste, was einem passieren kann, der Buße tut? Was blüht dem? Wird er niedergemacht? Muss er sich demütigen? Wenn Gott uns wegholt aus falschem Kurs, dann kann uns doch nur Gutes passieren. Dann kann unser Leben doch nur besser werden. Der Gott, dessen Güte dich zur Umkehr zieht – was hättest du bei dem zu befürchten?
Wer umkehrt zu Gott, dem kann nur Gutes passieren. Wenn wir diese Wahrheit glauben, dann sollten wir noch abschließend zwei Konsequenzen ziehen.

Erstens – sagen wir Gott doch: Ich bin zur Umkehr bereit. Gott, du darfst mich ansprechen, mich zur Buße rufen. Ich lege meine Befürchtungen ab. Heiliger Geist, ich erlaube dir, mich meiner Sünden zu überführen. Denn ich fasse dabei Zutrauen, dass du es nur tust, um Güte in mein Leben zu bringen.
So zu beten, das wäre ein echter Vertrauenserweis. Solch ein Gebet würde wegführen von den Lippenbekenntnissen: Ja, wir alle sind Sünder. Ja wir alle müssen im Prinzip Buße tun. Das sind oft bloß hohle Worte. Aber so zu beten: Heiliger Geist, ich erlaube dir, mich konkret zur Umkehr zu rufen – das wäre ein Vertrauensbeweis. Willst du einmal so beten? In deiner nächsten stillen persönlichen Gebetszeit? Glaubst du, dass dir dann nur Gutes passieren kann?

Und eine zweite Konsequenz: Wenn es uns gut geht im Leben, wenn wir gesund sind, mal keine Geldsorgen haben, wenn uns Freunde geschenkt sind oder eine einigermaßen stabile Familie: Lasst uns diese Geschenke richtig deuten. Es sind Zeichen von Gottes Güte. Gott hat sie gegeben, nicht, damit du sie nimmst und dann damit weggehst. Gott hat sie gegeben, um die Beziehung zu ihm zu stärken. Er ruft dich auch durch dein Glück zu sich hin.
Wenn Gott dein Leben segnet mit Gesundheit oder Liebe: Es muss nicht automatisch heißen, dass er alles okay findet. Nach dem Motto: Wenn es mir so gut geht, dann muss Gott ja wohl zufrieden mit mir sein. Dann habe ich als guter Christ wohl irgend etwas richtig gemacht. Nein, du kannst dein Lebensglück auch anders lesen. Du kannst nicht nur im Unglück, sondern auch im Glück fragen: Wieso lässt Gott es zu? Wieso ausgerechnet ich? Womit habe ich das verdient? Vielleicht rührt Gott dein Leben an mit seinen Gaben, um dich zu rufen. Um dir zu sagen: Siehst du, verdient hast du das nicht. Aber ich denke voller Güte an dich. Komm also noch näher zu mir. Meine Güte ruft dich zur Umkehr. Meine Liebe ruft dich an mein Herz.
Vielleicht will Gott das sagen. Typisch für ihn wäre es. Gottes Güte treibt dich zur Umkehr. Weißt du das nicht? Glücksmomente beim Kurswechsel – so hat Gott es sich gedacht.

Und nun lasst uns das Lied noch einmal singen: Gott ist gut.

Freitag, 23. April 2010

Bibelstudie "Bestandsaufnahme" 6: Sardes

6 Der Brief an die Gemeinde Sardes: 3,1-6
Die Stadt Sardes hatte weniger politische Bedeutung als wirtschaftliche. Fünf wichtige Straßen liefen hier in einem Verkehrsknoten zusammen. Auch war hier ein Zentrum der Wollindustrie und des Wollhandels. Reichtum an Geld gehörte zur glorreichen Vergangenheit der Stadt: Einst regierte hier der sprichwörtlich reiche König Krösus. Damals wurden hier überhaupt die ersten Münzen geprägt: Sardes ist „die Geburtstadt des modernen Geldes“ (Barclay). Das Wasser des Flusses, der durch die Stadt floss, enthielt Gold, das man gewinnen konnte. In Gräbern hat man Juwelen gefunden (als Grabbeigaben?).
Noch mehr Reichtum – Glück im Unglück – war der Stadt in den Schoß gefallen. 17 n. Chr. passierte ein verheerendes Erdbeben (nach dem Historiker Plinius das größte Unglück im Gedächtnis der Menschheit). Der Kaiser Tiberius aber stellte 10 Millionen Sesterzen bereit und erließ für fünf Jahre die Steuern, so dass die Stadt nach zehn Jahren wieder aufgebaut war.
Noch ein anderes Ereignis der Vergangenheit war prägend: Die Stadtburg lag durch natürliche Gegebenheiten uneinnehmbar auf einer Felsnadel, wie eine Zitadelle. 546 v. Chr. belagerte der Perserkönig dennoch die Stadt. Ein Soldat beobachtete einen Wachsoldaten aus Sardes, wie der einen verborgenen Pfad aus der Zitadelle heraus benutzte. Über diesen Pfad drangen dann die Feinde ein. Die Burg war darauf in keiner Weise vorbereitet, weil niemand das für möglich gehalten hatte. Man hatte die Verteidigung quasi verschlafen. 300 Jahre später passierte dasselbe noch einmal durch andere Eroberer!
Religiös bestand für die Christen wenig Herausforderung hier: Es gab keinen ausgeprägten Kaiserkult, sondern nur eine Vielzahl anderer Einzelkulte, die aber nicht bedrohlich für die Christen waren – man musste sich nur fernhalten. „Es war das merkwürdige Schicksal von Sardes, dass es ein zu leichtes Leben gehabt hatte.“ (Barclay)

6.1 Wer redet zur Gemeinde – wie zeigt sich Christus?
Christus stellt sich wiederum vor mit Bildworten, die aus dem Beginn der Offenbarung bekannt sind. Er hat die sieben Sterne – das bedeutet: Er hält die sieben Gemeinden. So hat er sich schon Ephesus vorgestellt. Außerdem hat er „die sieben Geister Gottes“. Sie wurden schon Offb 1,5 erwähnt. Sie sind keine Engel und keine einzelnen göttlichen Geistwesen, die voneinander verschieden wären. Sondern gemeint ist die Fülle des Heiligen Geistes. Die Siebenzahl entspricht natürlich auffällig der Zahl der angeschriebenen Gemeinden. Das kann bedeuten: für jede einzelne der Gemeinden ist Geist Gottes da. Der erhöhte Herr hat sowohl die Gemeinde als auch den Geist für sie. Er kann sie miteinander in Kontakt bringen. Keine der sieben Gemeinde ist davon ausgenommen, auch nicht Sardes. Indem Christus sich so vorstellt, zeigt er Hoffnung und einen Lebensweg für die Gemeinde Sardes.

6.2 Die Haben-Seite der Gemeinde
Wie oft in den anderen Briefen stellt Christus zuerst fest, was die Gemeinde hat. Aber es ist dennoch kein Lob für einen guten geistlichen Stand. Die Gemeinde hat einen Namen – sie hat sich einen Namen gemacht, einen Ruf erworben, nämlich den, lebendig zu sein. Woher konkret dieser Ruf kam, wird nicht gesagt; irgendeine Art von „Werken“ muss es gegeben haben.
Zugleich sagt Christus aber auch, dass es nur Schein und Trug mit diesem Namen ist. In Wahrheit ist die Gemeinde tot. Es gibt also konkrete Situationen einer Ortsgemeinde, die diese Diagnose erfordern. Eine Gemeinde kann tot sein!

6.3 Was der Gemeinde fehlt
Das Defizit der Gemeinde wird in verschiedenen Wendungen ausgedrückt:
· Die Werke sind vor dem Gott Christi nicht vollwertig.
· Sie schläft.
· Die meisten haben „ihre Kleider besudelt“.

Gehen wir dem im einzelnen nach. Erinnern wir uns, wie äußerlich leicht es die Christen hatten: Keine Bedrohung durch ihr Bekenntnis. Wohlstand. Der Rückenwind einer glorreichen städtischen Vergangenheit. Friedenszeiten. „Es gibt für eine Gemeinde nichts Erstrebenswerteres als Frieden, zugleich aber hat sie nichts so sehr zu fürchten wie den Frieden des Todes, den Frieden stumpfer Lethargie, die Art von Frieden, die Sardes und seine Gemeinde eingeschläfert hatte.“ (Barclay) Die Situation gleicht der Zitadelle aus der Stadtgeschichte. Durch Schläfrigkeit kam die Gemeinde um. Das große Thema dieser Gemeinde müsste sein: „Die Last des leichten Lebens“. Sie war im Begriff, an der Leichtigkeit ihres Lebens zugrunde zu gehen.
„Warum wurde diese Gemeinde so in Ruhe gelassen? Warum blieb der Satan, der sonst keine Gemeinde ungestört ließ, Sardes fern? Weil die Gemeinde geistlich tot war. Wo Sündentod, kein Märtyrertod.“ (A. Pohl)

Diese Haltung führte offenbar dazu, dass es Tätigkeiten gab, irgendwelche „Werke“, aber sie waren durchaus nicht vollwertig. Man hat einfach irgendwas gemacht.

Das Bildwort von den besudelten Kleidern bringt noch etwas mehr Farbe hinein. Entweder meint es generell die Anpassung an die heidnische Gesellschaft, so dass der Glaube nur noch ein Lippenbekenntnis war, ohne den Alltag zu gestalten. Götzendienst war dann akzeptiert in der Gemeinde. Oder das Bild meint – konkreter – verkehrte sexuelle Freizügigkeit, so wie das auch aus anderen Gemeinde bekannt ist. Es fällt aber auf, dass der erhöhte Christus diesen Aspekt erst nachträglich, fast beiläufig erwähnt. Das Zentrum der Kritik liegt darin, dass weithin Tod herrscht.

Das Leitwort dieses Briefes ist das Wort „Name“. Der Name der Gemeinde täuscht, weil sie tot ist. Demgegenüber hat Christus sehr wohl eine kleine Minderheit im Blick, bei der es anders ist. „Du hast wenige Namen in Sardes ...“ (V.4), heißt es wörtlich, und denen, die treu bleiben, ist versprochen: Ihr Name wird vor Gott Bestand haben und Christus wird sich zu ihren Namen bekennen.
Christus fragt also nach dem Namen seiner Christen – aber zugleich danach, welches Leben sich dahinter verbirgt. Christus sucht seine Gemeinden auf und sucht dabei jeden einzelnen. Keiner kann sich hinter dem großen Namen seiner Gemeinde verstecken.

6.4 Was kann die Gemeinde noch tun?
Fünf Dinge:
· aufwachen
· das stärken, das gerade auch im Begriff ist zu sterben
· an den Anfang denken
· an der Erfahrung des Anfangs festhalten
· umkehren
Die Buße, die Umkehr, steht am Schluss und fasst alles zuvor Gesagte zusammen.

„Das Sterbende stärken“ – dieser Auftrag bedeutet auch: Die schlafenden und toten Einzelchristen in Sardes haben nicht nur Verantwortung für sich selbst und ihren eigenen geistlichen Tod. Sie sind genauso dafür verantwortlich, nicht andere – in denen noch ein Rest Leben ist – nicht mit in den Tod zu reißen. Sondern im Gegenteil: Sie müssen die anderen auf den Weg des Lebens mitnehmen.
Christus wird jeden Christen nicht nur fragen: Was hast du mit deinem Leben gemacht? Sondern auch: Was hast du für Spuren bei den anderen, vielleicht wenig stabilen Christen hinterlasen? Hast du sie mitgenommen in deine eigenen Schlaf? Oder hast du sie mitgezogen ins Leben?

„Denk doch daran, wie du [das Evangelium] empfangen hast!“ Es geht hier nicht nur um den Inhalt: was du empfangen hast. Sondern auch wie es dabei gewesen war:
· Die Sprache, die Christus gewählt hat, um zu deinem Herzen zu dringen
· Die Zeit, die er dir zum Antworten gegeben hat
· Die Befreiung, die du damals erlebt hast
· Die Entschlusskraft, mit der du dein ganzes Leben für Christus geöffnet hast

In der Formulierung "empfangen hast" liegt ein Hinweis auf Jesu Gnade und Erniedrigung: Der, der die Sterne (= die Gemeinden) hat, den hast du empfangen dürfen. Du konntest den „haben“, der doch eigentlich dich „hat“.

„Wie du empfangen hast“: nicht du „hattest“, sondern du „hast“. Das damals Empfangene war gedacht als eine Wirklichkeit, die stetig bis in die Gegenwart wirken sollte und gehalten werden sollte. In der Gemeinde Sardes war das irgendwann aber abgebrochen.

In unserer Gemeindegeschichte: Wie haben wir das Evangelium empfangen?

6.5 Was droht dieser Gemeinde?
Wenn die Gemeinde weiter auf dem bisher eingeschlagenen Weg bleibt, dann wird sie Christus zum Gegner haben! Wie ein Einbrecher wird er „über sie kommen“ – man muss hier fast an einen Überfall denken. Das Bild ist hier schärfer als in den Evangelien. Dort ist nur der „Tag“ oder die „Stunde“ so plötzlich wie ein Dieb (Lk 12,39) – hier ist es Christus selbst. „Christus als Einbrecher! Der Vergleichspunkt besteht hier in der Ahnungslosigkeit der Heimgesuchten.“ (Pohl) Aber dann doch auch darin, dass Christus gegen die Gemeinde zieht! Es gibt Situationen, wo eine Gemeinde nicht mehr verkündigen darf: Jesus ist bei uns – Christus ist auf unserer Seite.

Prophetenworte aus dem AT kommen in den Sinn, wo Gott ebenfalls als der Feind seines Volkes, als eine Krankheit im Menschen gezeigt wird:

12 Ich aber bin wie Eiter für Efraim, wie Fäulnis für das Haus Juda. [...] 14 Denn ich bin für Efraim wie ein Löwe, wie ein junger Löwe für das Haus Juda. Ich, ja ich, reiße (die Beute), dann gehe ich davon; ich schleppe sie weg und keiner kann sie mir entreißen. Hos 5

7 Deshalb wurde ich für sie zu einem Löwen, wie ein Panther lauere ich am Weg. 8 Ich falle sie an wie eine Bärin, der man die Jungen geraubt hat, und zerreiße ihnen die Brust und das Herz. Die Hunde fressen sie dann und die wilden Tiere zerfleischen sie. 9 Ich vernichte dich, Israel. Wer kommt dir zu Hilfe? Hos 13

V. 9, Elberfelder: „Es hat dich zugrunde gerichtet, Israel, dass du gegen mich, gegen deinen Helfer, bist.“ Luther: „Israel, du bringst dich ins Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir.“

6.6 Das Versprechen
Christus gibt sein Versprechen zuerst den Wenigen, die ihm treu geblieben sind. Er verspricht weiße Kleider. In der Stadt Sardes gab es an wertvollen Wollstoffen keinen Mangel – vielleicht wählt der Brief deshalb dieses Bild.

Weiß ist die Farbe
· der himmlischen Welt
· der Sieger
· der Freigesprochenen
· des Festes

Die so bekleidet sind, werden „mit ihm gehen“. Sie dürfen also weiter lebendige Nachfolgegemeinschaft praktizieren und erfahren (während es der großen Menge in der Gemeinde nur auf den Namen ankam). Im Brief nach Ephesus war es ein Anklang an die ungetrübte Gemeinschaft im Paradies, dass der erhöhte Herr zwischen den sieben Leuchtern „einherging“ (siehe Abschn. 2.1).

Dann aber, jetzt fast unerhofft, öffnet Christus sein Versprechen für alle, die siegen. Auch ihnen stehen diese weißen Kleider in Aussicht. Ihr Name wird nicht aus dem Buch des Lebens gestrichen. Das kann anspielen auf städtische Verwaltungsvorgänge: aus Bürgerverzeichnissen wurden die Verstorbenen gestrichen und auch die, die wegen eines Vergehens ihr Bürgerrecht aberkannt bekamen. Das wird den Treuen bei Gott nicht passieren! Christus wird sich zu ihrem Namen bekennen.

Aber nicht automatisch und zum Spottpreis. Der Weg dahin ist weit – fünf unerlässliche Schritte hat Christus genannt. Der Tod hat sich schon weit herumgefressen in der Gemeinde!

Dennoch ist Hoffnung für jeden einzelnen da – so wie sich Christus am Anfang zeigte: Er hat für jede seiner Gemeinde genug Geist Gottes. Er will Gemeinde und Geist in Kontakt bringen. Er jedenfalls will es.

Montag, 19. April 2010

Predigt: "In Jesu Spur heil werden"

Predigt über 1Petr 2,21-25
Liebe Gemeinde,
im Kirchenjahr ist heute der Sonntag dran, an dem man an die Barmherzigkeit des Herrn denkt. Dazu ist ein Bibelabschnitt vorgeschlagen, an den ich mich in der heutigen Predigt auch halte. Wir haben im Eingangswort zu diesem Gottesdienst gehört von Christus, dem guten Hirten. In der Schriftlesung aus Jesaja 53 wurde der Knecht Gottes im Bilde eines Lammes vorgestellt. In unserem heutigen Bibelabschnitt kommt beides vor, Christus als Hirte und als Lamm – und Christus kommt so mitten in den Alltag hinein. Hören wir auf 1Petr 2,21-25:

Lesen Sie den Text hier.

Jesus Christus hat Spuren hinterlassen. Spuren, in die wir hineintreten sollen. Wir suchen uns unseren Weg nicht selbst, sondern sind Nachfolgerinnen und Nachfolger.
Schön. Vertraute Worte. Das ist richtig, aber auch etwas farblos. Für die Menschen aber, an die dieser Bibelabschnitt ursprünglich gerichtet ist, für die waren diese Zeilen voller Farbe, ja mehr noch, voller Sprengkraft. Der Petrusbrief redet in diesem Abschnitt besonders die Sklaven an. Sklaven gab es selbstverständlich überall im römischen Reich und auch anderswo. Die christlichen Gemeinden waren davon nicht ausgenommen. Reiche Leute haben sich bekehrt und waren dann als Sklavenhalter in der Gemeinde. Auch Sklaven haben zum Glauben gefunden, und viele christliche Sklaven hatten keinen Christen zum Herrn. Sie hatten es schwer. Sie waren ja rechtlos. Sklaven mussten viele Ungerechtigkeiten einstecken. Sie hatten es hinzunehmen, dass ihre Herren völlig willkürlich, manchmal sogar launisch mit ihnen umsprangen. Das ist auf Dauer beklemmend. Krumme, ungerechte Zustände machen auch irgendwann die Menschen krumm. Gemeinheiten verbiegen die Seele, auch die Seelen derer, die es einstecken müssen. Es kostet Energie, damit klarzukommen. Denn die Gemeinheiten, die du eingesteckt hast, stecken dann ja irgendwo in dir. Das nagt, und so was auszuhalten, zehrt deine Kraft.

Was bleibt einem noch übrig, wenn man weggestoßen wird? Wenn einem das gute Recht vor der Nase weggeschnappt wird? Wenn einer umgeben ist von Ellbogenmenschen, die ihm tüchtig einen von der Seite reinrammen? Das passierte ja nicht nur Sklaven damals. Das erleben heute die einen auf der Arbeit, die anderen durch die Verwandtschaft oder wie auch sonst immer. Was bleibt einem dann noch übrig?

Viele in solchen Situationen werden sich in Gedanken schon die Gleise zurechtlegen, auf denen sie einen ein Ausweg suchen. Die einen suchen nach Gelegenheiten zur Rache. „Dem zahl ich’s heim! Den piesacke ich, ich stichele zurück.“ Dazu gibt es auch stille Gelegenheiten, wenn man eigentlich der Schwächere ist. Also auf dieser Schiene wird der Ausweg gesucht. Die Retourkutsche wird aufs Gleis gesetzt.
Andere legen sich die Flucht zurecht. Flucht in die Traumwelt. Oder man berauscht sich. An Alkohol oder anderen zwanghaften Ablenkungen. Auf dieser Schiene soll es leichter werden.
Oder man bahnt sich folgenden Weg: Ich kriege Druck von oben? Dann trete ich den nach unten weiter. Es gibt Leute, vor denen ich kuschen muss, aber ich wiederum bin anderen auch überlegen. Die kriegen es dann ab. Sklaven im römischen Reich mögen so gedacht haben und außerdem vielleicht jeder von uns schon einmal. Wir legen uns unsere Gleise zurecht und auf dieser Schiene könnte es dann zum Aushalten sein. Wir haben also alle unsere inneren Orientierungsmuster.

Genau hier hinein zielt nun unser Bibelwort aus dem Petrusbrief. Es setzt uns ein anderes Orientierungsmuster vor. Wir sollen reagieren anhand eines anderen Modells, nicht auf unseren angebahnten Gleisen, sondern vielmehr auf einem Pfad: in Fußspuren. In den Fußspuren von Jesus Christus. „Christus hat für euch gelitten und hat euch damit ein Beispiel hinterlassen. Tretet in seine Fußstapfen und folgt ihm auf dem Weg, den er euch vorangegangen ist!“ Der Jesusweg zeigt, wie ein Sklave reagieren kann, der vom Herrn gemein behandelt wird. Der Jesusweg zeigt auch, wie du heute antworten kannst, wenn dir jemand genüsslich die Butter vom Brot nimmt. Der Jesusweg besteht aus den einzelnen Schritten, die Jesus gegangen ist, aus seinen Fußstapfen.

Auch Jesus wurde ja beiseite gedrängt, ungerecht abgefertigt, aus dem Weg gefegt. Was tat Jesus daraufhin?
Er beschimpfte keinen. Er drohte niemandem. Er arbeitete nicht mit falschen Unterstellungen, um jemanden nach unten zu drücken. Jesus hat gelitten. Wer den Jesusweg geht, muss zum Leiden bereit sein.

Also hat Jesus das Unrecht einfach eingesteckt? Geschluckt? Wie ein Sklave, der ohnmächtig hinnehmen muss, dass er misshandelt wird, so hat Jesus alles eingesteckt?

Hier kommen wir an einen ganz entscheidenden Punkt. Jesus hat gelitten, ja, er hat vieles hingenommen, ja, aber er war dabei nicht passiv. Er hat es eben nicht einfach eingesteckt. Sondern Jesus war aktiv und hat das Böse, das er hinnahm, entgegennahm, er hat es weitergegeben. Nicht bei sich behalten, sondern weitergereicht. Nicht an den nächstbesten Schwächeren, sondern an seinen Vater im Himmel. „Jesus, der nicht mit Beschimpfungen reagierte, als er beschimpft wurde, und nicht mit Vergeltung drohte, als er leiden musste, sondern seine Sache dem übergab, der ein gerechter Richter ist.“ Das ist der Jesusweg: Hinnehmen, aber nicht einstecken, sondern weiterreichen. Und dann ist die Sache bei Gott. Und Gott wird etwas daraus machen. Jesus wusste: Für mich ist gesorgt, auch wenn mir übel mitgespielt wird, denn ich habe es meinem Vater weitergereicht und er wird etwas draus machen. Er wird handeln. Er handelt an Jesus und an jedem, dem Unrecht getan wird. Er kann den stark machen, der leiden muss. Aber Gott handelt auch an der Lage, an der Situation, und er kann dem Unterdrücker irgendwann das Handwerk legen. Solches Vertrauen hatte Jesus. Er hat Gemeinheiten hingenommen, aber nicht eingesteckt, sondern abgegeben. Jesus war also nicht passiv, sondern höchst aktiv, auch als er zu leiden hatte.

Hier sind wir gelernten Christen gefragt, welches Bild von unserem Heiland wir denn haben. Jesus, der Sanfte? Der mild zu allem schwieg, was man ihm anhängen wollte? Jesus, der wehrlose Dulder, der Unterwürfige, der nie eine zornige Regung zeigte?
Letzten Mittwoch im Bibelgespräch haben wir erkannt, dass Jesus auch ganz schön schroff war. Zu manchen Menschen war er ziemlich hart. Nicht hartherzig, aber hart in seiner Stellungnahme. Jesus hatte durchaus ein festes Auftreten. Und wo er der Macht des Bösen entgegentrat, da war er wirklich schroff. Aber – aber er hat dabei niemals jemanden verletzt! Das ist der Jesusweg, der zuerst nur Jesus selbst so hinbekommen hat in bewundernswerter Weise – das ist durchaus anbetungswürdig: Jesus war hart, gelegentlich schroff, aber ohne jemanden zu verletzen!
Bei uns ist es oft so, wenn wir unfair behandelt werden: Entweder wir sind gekränkt, oder wir hauen zurück, kränken also andere. Beides ist ein krankes Verhalten. Im Wort „kränken“ oder „gekränkt sein“ steckt das Wort „krank“. Gekränkt durch die Gegend laufen oder zurückschlagen und andere kränken – beides ist ein ungesundes Verhalten. Jesus verhielt sich gesund: Er nahm hin, ohne zurückzuschlagen, er verletzte keinen, aber er steckte es auch nicht ein, damit es in ihm weiterrumorte, sondern gab es weiter an Gott, damit Gott was draus macht. Das ist ein gesundes Verhalten, nicht nur für Jesus, nicht nur für römische Sklaven, sondern auch für uns. Das ist gesund und macht uns gesund, das ist der Jesusweg. Jesus, „der nicht mit Beschimpfungen reagierte, als er beschimpft wurde, und nicht mit Vergeltung drohte, als er leiden musste, sondern seine Sache dem übergab, der ein gerechter Richter ist.“ – „Ihr wart umhergeirrt wie Schafe, die sich verlaufen haben; doch jetzt seid ihr zu dem zurückgekehrt, der euer Hirte ist und als Beschützer über euch wacht.“ Hier kommt das Bild vom guten Hirten hinein. Jesus ist der Hirte, der seine Herde den Weg führt. Wir laufen in den Fußstapfen unseres Hirten und gehen so den Weg der Genesung, den Jesusweg.

Dieser Weg ist schwer genug. Für rechtlose Sklaven besonders, die ja auf alles gefasst sein mussten. Aber auch für uns, wenn uns ein Ellbogenmensch in die Quere kam und uns Blessuren zufügt. Den gesunden Weg Jesu gehen, das ist schwer genug.

Aber das Bibelwort aus dem Petrusbrief setzt noch einen drauf. Die Bibel lässt uns hier mit voller Wucht vor eine Zumutung laufen. Stellen wir uns die Sklaven vor. Sie sind Christen geworden. Sie sitzen im Gottesdienst. Der Petrusbrief wird im Gottesdienst vorgelesen. Sie haben eben gehört: „Ihr Sklaven, ordnet euch euren Herren unter und erweist ihnen uneingeschränkten Respekt – nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch denen, die sich niederträchtig verhalten.“ So wurde es wohl vorgelesen, und die Sklaven mögen sich angeschaut haben und geseufzt: Ja, so ist es, solche Herren haben viele von uns, niederträchtige. Dieser Petrus weiß Bescheid, er kennt unsere Lage. Und er hat es unverblümt hingeschrieben, so dass jetzt im Gottesdienst es alle hören können: Ja, es gibt auch niederträchtige Sklavenhalter. Wir erleiden solche Ungerechtigkeit.
So weit, so gut. Aber dann hörten sie weiter auf diesen Brief: „Jesus, der unsere Sünden an seinem eigenen Leib ans Kreuz hinaufgetragen hat, sodass wir jetzt den Sünden gegenüber gestorben sind und für das leben können, was vor Gott gerecht ist.“ Moment mal: Unsere Sünden? Die Sklavenhalter sind doch wohl die Sünder! Wir sind die Opfer! Wir sollen vor Gott gerecht leben? Wir? Ungerecht sind doch die anderen, die Herren! Was schreibt der uns vor, wir sollten gerecht leben? – Und noch weiter geht es im Petrusbrief: „Ihr wart umhergeirrt wie Schafe, die sich verlaufen haben.“ Wir? mögen sich die Sklaven gefragt haben. Die da, die haben sich verlaufen, für die gilt doch, was schon Jesaja gesagt hat: Verirrt wie Schafe, ein jeder sah nur auf seinen eigenen Weg. Die Sklavenhalter, ja, die sehen nur auf ihren eigenen Weg. Was hat das mit uns zu tun?

Genau das ist die Zumutung der Bibel, die vielleicht in den Gottesdiensten damals klar wurde, die jedenfalls klar wird, wenn wir diesen Bibelabschnitt lesen: Die Bibel macht keinen Unterschied zwischen Ellenbogenmenschen und den anderen, die Blessuren von denen davontragen. Sie alle werden gleichermaßen Sünder genannt und zur Gerechtigkeit gerufen, für sie alle gilt gleichermaßen die Diagnose: Ihr seid verirrt wie Schafe, ein jeder sieht nur auf seinen eigenen Weg.
Gottes Wort mutet uns die Wahrheit zu: Unterdrücker und Unterdrückte sitzen in einem Boot. Sie sind beide ichbezogen, sind Egoisten – ein jeder sah auf seinen Weg. Ellbogenmenschen und die anderen mit den Blessuren, beide sind auf einem ungesunden Weg. Sie kränken oder sind gekränkt, sie verletzen oder sind verletzt, und beides ist ungesund.
Unterdrücker und Unterdrückte sitzen in einem Boot. Sie saßen damals auch zusammen in derselben Gemeinde. Und heute oft nicht anders. Und da fliegen oft die Funken. Was macht uns denn dann gesund? Den Jesusweg kennen wir: Unrecht hinnehmen und an Gott weitergeben. Aber dieser heilende Jesusweg ist schwer. Zu schwer. Wir könnten auf diesem Weg genesen, aber wir erreichen diesen Weg oft nicht. Was macht uns denn dann noch heil?
„Durch seine Wunden seid ihr geheilt.“ Das ist die Antwort unseres Bibelabschnittes. Durch seine Wunden seid ihr geheilt. „Jesus, der unsere Sünden an seinem eigenen Leib ans Kreuz hinaufgetragen hat, sodass wir jetzt den Sünden gegenüber gestorben sind und für das leben können, was vor Gott gerecht ist. Ja, durch seine Wunden seid ihr geheilt.“

Der Jesusweg ist der Weg der Genesung. Das sind die Fußstapfen von Jesus. Aber wir brauchen noch mehr. Wir brauchen nicht nur den Weg der Genesung, sondern vorher die Quelle der Genesung. Das sind die Wunden von Jesus, das ist das Kreuz. Und an dieser Stelle begegn wir Jesus als dem Lamm. Dem Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt. Die Sünden der Leid-Zufüger und der Leid-Tragenden. Christus hat die Sünde weggetragen von uns ans Kreuz. Hat sie sich zu eigen gemacht. Christus am Kreuz, das Lamm Gottes, öffnet uns die Quelle der Genesung. „Durch seine Wunden seid ihr geheilt.“ Und dann geht Christus, der gute Hirte, den Weg der Genesung voran und zeigt uns seine Fußstapfen. Wir gehen hinterher und werden so frei von den eingeschliffenen Gleisen, dass wir verletzen und kränken. Und frei von den eingeschliffenen Gleisen, dass wir verletzt und gekränkt herumlaufen. Frei von diesen eingeschliffenen krankmachenden Gleisen. In seinen Fußstapfen genesen wir und machen einander gesund. Gesünder wenigstens.

Liebe Gemeinde, wir begegnen heute unserem Herrn Jesus Christus. Ihm als dem Lamm Gottes. Jeder von uns hatte seinen Kreuzestod nötig. Da sitzen wir alle in einem Boot. Dieser Zumutung müssen wir uns beugen. Keiner, der hier sitzt, ist gerechter als der andere. Keiner. Und wer auf Selbstgerechtigkeit baut, muss mitsamt dieser Selbstgerechtigkeit untergehen. Wir alle haben Christus, das Lamm Gottes nötig. Durch dessen Wunden sind wir geheilt. Die Quelle der Genesung. Und wir begegnen heute Jesus Christus als dem guten Hirten. Er zeigt uns den Weg der Genesung. Denn genau dass hat er im Sinn mit uns, das ist seine Leidenschaft für uns: unsere Genesung. Uns heilen. Lassen wir ihn sein Werk an uns tun!
Amen.

Montag, 12. April 2010

Predigt: „Die Handschrift des Auferstandenen“

Osterpredigt über Lk 24,13-35
Liebe Gemeinde,
wir feiern heute Ostern, voller Überzeugung. Wir glauben, dass Jesus lebt. Und das, obwohl niemand von uns ihn gesehen hat. Wir haben kein Beweisfoto. Wir haben überhaupt keinen Beweis. Wer nichts vom Glauben kennt, könnte meinen, hier gäbe es eine Kult um einen Unsichtbaren. Aber das wäre meilenweit von der Wahrheit entfernt. Wir haben volle Gewissheit, dass Jesus Christus lebendig ist. Denn wir haben seine Spuren erkannt und entziffert.
Glauben ohne Beweis – den allerersten Nachfolgern Jesu ging es ebenso wie uns. Besonders zwei von ihnen finde ich uns sehr ähnlich; für mich ist es einer der schönsten Osterberichte. Hören wir auf Lk 24,13-35:

(Lesen Sie den Text hier.)

Zwei Nachfolger von Jesus im Zustand der Verwirrung. Eigentlich eine typische Situation auch heute. Die beiden sind voll tiefem Schmerz, dass ihre Hoffnungen sich nicht erfüllt haben. Jahrelang haben sie alles auf den Messias Jesus gesetzt. Nun scheint ihr Leben in Einzelteile zerpflückt und sie müssen es selber wieder zusammensetzen. So meinen sie. Sie haben zwar von Ostern gehört. Einige Frauen haben ihnen die Nachricht gesagt, dass Jesus lebendig sei. Aber sie haben keinen Beweis. Und sie haben noch keine Spur in ihrem Leben vom lebendigen Jesus entdeckt.
Aber Jesus hat sie bereits entdeckt, seine zwei Nachfolger, die jetzt verzweifelt weggehen. Jesus hat sie schon entdeckt und er gesellt sich zu ihnen. Sie erkennen ihn nicht. Auch das finde ich typisch für uns heute. Ich bin manchmal blind dafür, wo der lebendige Jesus in meinem Leben ist – aber Gott sei Dank ist Jesus nicht davon abhängig, ob ich ihn erkenne. Er ist schon lange vorher da.

Warum sagt er aber nicht gleich, dass er es ist? Es sieht ja fast wie ein Spiel aus, das er mit ihnen spielt. Warum präsentiert er sich nicht sofort als der auferstandene Jesus? Dann hätten sie doch den Beweis und alles wäre klar.
Jesus gibt ihnen den Beweis nicht – ebenso wenig wie uns, uns gibt er auch keinen. Jesus möchte offenbar etwas anderes. Jesus hält etwas anderes für besser als einen Beweis. Er überfällt die beiden Wanderer jedenfalls nicht mit Ostern, sondern er gibt ihnen Zeit. Zeit zum Reden, zum Trauern. Er bleibt noch zum Abendbrot bei ihnen – und dann, ganz am Schluss, da blitzt es ihnen auf: Das war ja Jesus! Ganz am Ende haben sie ihn erkannt. Und da war er auch schon wieder verschwunden. Also wieder nichts mit einem Beweis. Sie können nichts mitnehmen – aber sie sind total verwandelt, aufgeweckt, aufgestellt und voller Energie. Sofort geht es zurück zu den anderen.

Was hat sie so verändert, wenn es kein Beweis war? Es war die unverkennbare Spur von Jesus. Es war sozusagen seine Handschrift. Er hat Dinge getan, die nur er hätte tun können. Das haben sie erkannt, dafür sind sie nun Augenzeugen, Erlebens-Zeugen. Das genügt. Dann brauchen sie keinen Beweis mehr, wenn sie nun ihre Zeugenaussage machen können.

Genauso, liebe Gemeinde, erleben wir Ostern. Wir erleben es immer wieder so, nicht nur am heutigen Festtag. Jesus ist oft viel eher bei uns als wir merken, aber irgendwann erkennen wir dann doch endlich seine Handschrift in unserem Leben. Wir stoßen auf Dinge, auf Tatsachen, auf Zeichen, die nur er hätte tun können. Unser Leben gleich oftmals einem Altpapiercontainer. Wir sehen oft nur heilloses Durcheinander. Jede Ordnung fehlt. Lauter Fetzen, die nichts miteinander zu tun haben. Und irgendwann mittendrin finden wir ein Blatt, dessen Handschrift wir wiedererkennen. Ein Brief! Oder nur ein Schnipsel davon, aber eben mit der vertrauten Handschrift. Er war also hier! Er hat etwas hinterlassen! Ein Lebenszeichen! Und dann ist Ostern, mitten im Alltag: Jesus lebt.

Was war denn damals für die beiden die spezielle Handschrift von Jesus gewesen? Woran genau konnten sie entziffern, dass es ihr Herr und Messias Jesus war?
Sie haben ihn daran erkannt, wie er ihnen das Brot gebrochen und gereicht hat. Das war zum Erkennungszeichen geworden. Das war typisch Jesus, so hatte er in den Jahren zuvor oft sie bedient wie ein Hausvater, der die Mahlzeit feierlich eröffnet hat. Nun, in ihrem Heimatort Emmaus, hatten sie ja den unbekannten Wanderer eingeladen. Es muss ihr Haus gewesen sein – sonst hätten sie die Einladung ja nicht aussprechen können. Einer von ihnen war also der Hausherr in diesem Haus und es wäre natürlich seine Aufgabe gewesen, die Hausvaterpflichten zu erfüllen, also die Mahlzeit zu eröffnen, das Brot zu nehmen, dankbar zu beten, es zu zerteilen und auszuteilen. Wahrscheinlich hat sich der betreffende Jünger auch schon bereit gemacht, eben dies zu tun. Er war ja hier Herr im Haus in Emmaus.
Aber plötzlich fällt der unbekannte Gast aus seiner Rolle. Er nimmt das Brot an sich, er hebt die Hände zum Gebet und dankt, er teilt dann aus. So wie es Jesus eben für seine Schülerinnen und Schüler zuvor so oft gemacht hat. Er ist nicht mehr Gast – er ist der Herr. Jetzt merken sie es.
Denn indem Jesus so die Rolle des Hausherrn übernahm, hat er ja ihnen gleichzeitig zu Tisch gedient. Der Herr bedient sie – das hat niemand so getan wie er. Hausväter gab es in jeder Familie. Als Hausvater das Brot zu brechen, war nichts Besonderes. Aber Herr sein am Tisch und zugleich vom tiefsten Wesen her ein Diener sein, Diener aus Leidenschaft und von Charakter, durch und durch – das hat nur Jesus so gelebt. Unter den vielen Herren der Welt war er der Herr, der bediente. „Ich bin mitten unter euch wie einer, der zu Tisch dient“, hatte er einmal gesagt. Das haben sie wiedererkannt, und so haben sie Jesu Handschrift erkannt. Das stand im Raum, auch als er gleich wieder verschwunden war. Das war nun eine Tatsache.

Für uns heute wird es Ostern, wenn wir Jesu Handschrift in unserem Leben wiedererkennen. Dann merken wir, dass er längst nicht tot ist, sondern lebt. Wann aber geschieht das, dass wir Jesu Handschrift in unserem Leben wiedererkennen?
Z. B. wenn wir erleben: In unsere Gedanken, mit denen wir uns bewerten und verurteilen, kommt ein Gedanke der Barmherzigkeit hinein. Eine Stimme, die nicht ins gleiche Horn stößt wie alle anderen Stimmen und nur fordert oder nach Leistung bewertet. Sondern eine Stimme, die sagt: Ich bin darauf aus, dir zu begegnen, so wie du bist. Ich will Zeit mit dir verbringen, nicht als Leistungsträger, sondern als mein Kind. Das z. B. wäre so eine typische Stimme von Jesus. Solche Sätze haben Autorität – ein Herr spricht sie aus, DER Herr. Aber sie sind zugleich voller Erbarmen – ein Diener sagt sie, DER Diener. Das kann nur Jesus sein, der Herr ist als Diener und im Dienen der Herr.
So z. B. kann es aussehen, wenn du Jesu Handschrift in deinem Leben entzifferst. Oder noch anders – eben so, wie er sich dir vorgestellt hat speziell in deinem Leben. Dann jedenfalls brauchst du keinen Beweis. Dann bist du gewiss geworden: Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!

Dies hier ist die erste Osterbotschaft der Predigt: Du darfst damit rechnen, auf Jesu Handschrift in deinem Leben zu stoßen.

Die zweite Osterbotschaft gilt speziell für diesen Gottesdienst heute. Wir feiern Ostern und feiern zugleich Abendmahl. Passt das zusammen? In Emmaus passte es. Der Auferstandene in Emmaus hat eine Brücke geschlagen von seinem letzen Abendmahl, bevor er starb, hin zu dieser wunderbar fröhlich verwandelten Abendmahlzeit mit den beiden Jüngern. Sie feierten mit dem lebendigen Jesus. Sie gedachten in Emmaus dann plötzlich nicht mehr nur seines Todes und verkündigten nicht allein den Tod des Herrn. Sondern sie waren Gäste des Auferstandenen. Das ist, wenn wir einmal genauer hinsehen, charakteristisch für Jesus: Der Auferstandene lädt an seinen Tisch ein. Kurz nachdem die beiden Nachfolger aus Emmaus wieder schnell nach Jerusalem geeilt sind und atemlos den anderen alles berichtet haben, da tritt Jesus selber hinzu. Und nimmt dann etwas Essen zu sich (Lk 24,41-43). Später am See Genezareth überrascht er sieben seiner Schüler frühmorgens mit einem Frühstück – erneut bricht er ihnen das Brot (Joh 21,9-12). Und erneut erkennen sie ihn gerade daran: „Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.“ Das war für die Schüler über die Maßen eindrücklich. Es hat sich ihnen so tief eingeprägt, dass Petrus später in einer Predigt davon sprechen muss:

40 Gott aber hat ihn am dritten Tag auferweckt und hat ihn erscheinen lassen, 41 zwar nicht dem ganzen Volk, wohl aber den von Gott vorherbestimmten Zeugen: uns, die wir mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken haben. (Apg 10)

Der Auferstandene lädt an seinen Tisch ein – er bricht uns das Brot. Nicht nur in Emmaus. Er ist bei jeder Mahlfeier dabei, die wir in seinem Namen feiern. Lasst uns heute also das Abendmahl österlich feiern, voller Freude, im Lobpreis über die Auferweckung Jesu. Es ist eine Feier des Lebens. Der auferstandene Christus hat das in Emmaus begonnen und dann mit seinen Jüngern fortgesetzt und will auch heute hier in dieser Kapelle mit uns das Leben feiern. Und wenn wir gleich Brot und Kelche durch die Reihen gehen lassen, dann gilt uns sein Friedensgruß: „Friede sei nun mit euch allen, die ihr bittend vor Gott steht, denn mit Händen voller Segen Christus durch die Reihen geht“ – Christus, der Auferstandene, der lebendige Herr!

Das ist die zweite Osterbotschaft dieser Predigt: Wir dürfen am Tisch des Herrn sein Leben feiern. Abendmahl ist Osterfeier. Wir sind Gäste des lebendigen Herrn, der ein Diener für uns geworden ist und gerade so unser Herr ist.

Die dritte Osterbotschaft gilt wieder für unseren Alltag. Wenn wir wieder einmal verwirrt sind wie die beiden Jünger unterwegs, bevor sie Jesus erkannten. Wenn unser Leben wieder einmal unübersichtlich ist, zerfetzt wie in einem Altpapiercontainer. Was bedeutet Ostern dann noch für uns?
Oft scheint es so, als wäre unser Glaube dann nur noch ein Gedanke. Er spielt sich innerlich ab, aber wirkt nicht so greifbar auf das Leben ein. Sondern unser Leben ist bestimmt von harten Tatsachen: Krankheit, Zukunftsangst, Geldsorgen. Und wenn uns dann jemand beobachtet, wo unser Glaube an Jesus noch zu erkennen ist, der entdeckt vielleicht eine andere Einstellung bei uns. Aber manchmal eben auch nicht mehr als das.
Nun ist eine andere Einstellung schon etwas enorm Wertvolles. Wenn ich die Dinge nicht allein aus meiner Froschperspektive betrachte, sondern aus Gottes Sicht, das ist ein sehr großer Schatz im Leben. Aber Glaube ist noch mehr – mehr als nur eine andere Sichtweise.

Als Jesus Christus – aus dem Grab auferstanden – in Emmaus mit seinen beiden Schülern Mahlzeit hielt, da zeigte er: Er ist wirklich als Mensch auferstanden. Nicht nur als Geist und schon gar nicht nur als Idee. Er war keine Vision von geschockten religiösen Fieberkranken. Nein, Visionen essen nicht ihren Teller leer. Jesus aber tat es. Die Auferweckung war körperlich. Genauso wie das Reich Gottes, das Jesus zuvor ausgerufen hat, sich auch körperlich auswirkte. Kranke wurden gesund – in der Seele und auch immer wieder am Körper. Menschen wurden satt – in der Seele, aber auch im Magen. Als Jesus lehrte, um das tägliche Brot zu beten, da hat er eben auch das gemeint, was auf dem Teller liegt.
Die Auferstehung Jesu hat den ganzen Jesus ergriffen, Körper, Seele und Geist. Seine Kraft, die Kraft des Reiches Gottes, erfasst ebenso heute uns als ganze Menschen, Körper, Seele und Geist. Gott schenkt uns Frieden und Balance im Leben – aber auch Genesung von Krankheiten. Gott erfüllt uns mit Freude – aber auch mit Tatkraft unserer Hände. Wir sind glücklich, dass Gott uns unsere Schuld vergibt – aber er versorgt uns auch mit dem täglichen Brot.
Er nimmt nicht jede Krankheit weg. Er erlöst uns vielmehr auch von dem Glauben, Gesundheit sei das Wichtigste im Leben. Nein, ist sie nicht. Aber manche Krankheit heilt er doch. Er überschüttet uns nicht mit Wohlstand und beseitigt nicht sofort jede Geldsorge. Aber das Brot für morgen hat er eben doch versprochen. Als der Auferstandene in Emmaus abends zu Gast war und das Bot brach, als er später im Jüngerkreis eben doch auch seinen Teller leer aß, da hat er gezeigt: Er berührt uns als Menschen ganz. Körper, Seele und Geist. Das dürfen wir glauben.

Glauben? Mehr nicht? Nein. Beweise gibt er nicht. Aber er zeigt uns seine Spuren. Taten, die nur er hätte tun können. Er hilft uns, seine Handschrift zu entziffern. Und dann erfüllt uns Gewissheit, die keine Beweise braucht.

Gewissheit? Und was ist mit unseren Zweifeln?
Unsere Zweifel halten Jesus nicht auf Abstand. Wie war es auf dem Weg nach Emmaus? Die beiden Jüngern waren sogar verzweifelt. Und Jesus? Er war längst an ihrer Seite!
Amen.