Montag, 26. Oktober 2009

Bibelarbeit: Amnestie des Messias!

Der Messias ruft Amnestie aus!
Was ist eine Amnestie?
Eine Amnestie (v. griech. amnestia „Vergessen, „Vergeben“, auch als Abolition bezeichnet) ist ein vollständig oder zu Teilen erfolgter Straferlass. Eine Amnestie beseitigt weder das Urteil noch die Schuld des Straftäters. Im Gegensatz zur Begnadigung wirkt die Amnestie über Einzelfälle hinaus für ganze Tätergruppen. – Eine Generalamnestie wird häufig nach bewaffneten Konflikten erlassen um entweder eine Straflosigkeit zu erreichen oder einen angestrebten Aussöhnungsprozess zu begünstigen. Sie zeichnet sich durch einen erheblich inklusionistisch formulierten Erlass, der alle Taten innerhalb einer Zeit oder bis zu einer gewissen Schwere mit einbezieht, aus. – Eine „Jubelamnestie“ erfolgt aus Anlass eines besonderen Ereignisses wie Gedenktagen. (nach Wikipedia)

Unser Bibeltext:
14 Jesus aber kehrte in der Kraft des Geistes nach Galiläa zurück. Und die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Umgebung. 15 Und er lehrte in ihren Synagogen und wurde von allen gepriesen. 16 Und er kam nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie er es gewohnt war, am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um vorzulesen. 17 Und man reichte ihm das Buch des Propheten Jesaja. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht:
18 Der Geist des Herrn ruht auf mir,
weil er mich gesalbt hat,
Armen das Evangelium zu verkündigen.
Er hat mich gesandt,
Gefangenen Freiheit
und Blinden das Augenlicht zu verkündigen,
Geknechtete in die Freiheit zu entlassen,
19 zu verkünden ein Gnadenjahr des Herrn.
20 Und er tat das Buch zu, gab es dem Diener zurück und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. 21 Da begann er, zu ihnen zu sprechen: Heute ist dieses Schriftwort erfüllt - ihr habt es gehört. 22 Und alle stimmten ihm zu und staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund kamen, und sagten: Ist das nicht der Sohn Josefs?
23 Und er sagte zu ihnen: Gewiss werdet ihr mir jetzt das Sprichwort entgegenhalten: Arzt, heile dich selbst! Wir haben gehört, was in Kafarnaum geschehen ist. Tu solches auch hier in deiner Vaterstadt! 24 Er sprach aber: Amen, ich sage euch: Kein Prophet ist willkommen in seiner Vaterstadt. 25 Es entspricht der Wahrheit, wenn ich euch sage: Es gab viele Witwen in Israel in den Tagen Elijas, als der Himmel drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam, doch 26 zu keiner von ihnen wurde Elija geschickt, sondern zu einer Witwe nach Zarefat bei Sidon. 27 Und es gab viele Aussätzige in Israel zur Zeit des Propheten Elischa, doch keiner von ihnen wurde rein, sondern Naaman, der Syrer.
28 Da gerieten alle in der Synagoge in Wut, als sie das hörten. 29 Und sie standen auf und trieben ihn aus der Stadt hinaus und führten ihn an den Rand des Felsens, auf den ihre Stadt gebaut war, um ihn hinunterzustoßen. 30 Er aber schritt mitten durch sie hindurch und ging seines Weges.

Jesus zeigt hier erstmals öffentlich, als wer er gelten will: als Messias. „Heute sind diese Schriftworte unter euch erfüllt“ – es waren speziell messianische Schriftworte.
Wenn wir Archäologen wären, würden wir hinter dem Text aus Lk 4 zwei tiefere Textschichten ausgraben können.

Textschicht 1
Zuerst stoßen wir auf den Text, den Jesus direkt zitiert hat: Jes 61,1-2; ergänzt durch eine Formulierung aus Jes 58,6 („damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze“). Jesus beansprucht also der zu sein, der in Jes 61 „ich“ sagt.
Jesus zitiert aber den Jesajatext nur unvollständig! Im AT geht er eigentlich noch weiter; er heißt:

um ein Jahr des Wohlwollens des HERRN auszurufen
und einen Tag der Rache unseres Gottes,
um alle Trauernden zu trösten ...Jes 61,2

Jesus lässt den Hinweis auf Gottes Rache weg. Er spricht nur von der Gnade. Das war eine bewusste Auslassung und man hat ich damals in der Synagoge auch so verstanden: „Und alle stimmten ihm zu und staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund kamen.“ – „Worte der Gnade“, ohne Gericht, enthielt diese Jesuspredigt. Jesus ist einseitig, so wie er auch im Johannesevangelium sagte, er sei nicht um zu richten gekommen, sondern um zu retten. Diese Einseitigkeit findet zunächst Zustimmung – wenn auch nur für einen kurzen Moment.

Textschicht 2
Hinter Jes 61,1f. liegt aber noch eine ,weitere Textschicht. Zwei Signalwörter deuten auf sie hin:
· „Freilassung auszurufen für die Gefangenen“
· „ein Jahr des Wohlwollens des HERRN auszurufen“
Dieses „Jahr des Wohlwollens“ ist ein biblischer Fachausdruck; er meint das Erlassjahr (auch Jobeljahr oder Halljahr genannt). Der dahinter liegende Text ist 3Mose 25, in dem u.a. dies steht:

8 Und du sollst sieben Jahrwochen zählen, sieben mal sieben Jahre, die Dauer von sieben Jahrwochen ist neunundvierzig Jahre. 9 Dann sollst du das Signalhorn ertönen lassen, im siebten Monat, am Zehnten des Monats. Am Versöhnungstag sollt ihr überall in eurem land das Horn ertönen lassen. 10 Und ihr sollt das fünfzigste Jahr für heilig erklären und eine Freilassung ausrufen im land für all seine Bewohner. Es soll für euch ein Jobeljahr sein, und jeder von euch soll wieder zu seinem Besitz kommen, und jeder soll zurückkehren zu seiner Sippe. Lev 25
39 Und wenn dein Bruder neben dir verarmt und sich dir verkaufen muss, sollst du ihn nicht als Sklaven arbeiten lassen. 40 Wie ein Tagelöhner, wie ein Beisasse soll er bei dir sein, bis zum Jobeljahr soll er bei dir arbeiten. 41 Dann soll er frei werden, er und mit ihm seine Kinder, und er soll zu seiner Sippe zurückkehren und wieder zum Besitz seiner Vorfahren kommen. 42 Denn meine Sklaven sind sie, die ich herausgeführt habe aus dem land Ägypten. Sie sollen nicht verkauft werden, wie man einen Sklaven verkauft. 43 Du sollst nicht mit Gewalt über ihn herrschen, sondern sollst dich fürchten vor deinem Gott. Lev 25

„Alle Jubeljahre“ passierte also u.a. dies:
· Die Grundstücke, die in den Jahrzehnten zuvor ge- bzw. verkauft wurden, fielen an ihren ursprünglichen Besitzer zurück, weil Gott der eigentliche Eigentümer allen Landes ist.
· Ebenso wurden Sklaven freigelassen.
Der Sprecher („ich“) von Jes 61 wendet diese Regel auf seinen Auftrag an: Er bringt Heilung, Befreiung und eben auch einen Erlass. Damit könnte gemeint sein: Zur Zeit, als Jes 61 gesprochen bzw. niedergeschrieben wurde, war das Volk Israel aus der Gefangenschaft in Babylon zwar wieder zurückgekehrt, aber die Verhältnisse im Land waren nicht rosig. Vieles lag noch in Trümmern, das „Heil“ war noch nicht erkennbar, es gab soziale Unterschiede und Spannungen zwischen Arm und Reich (vgl. Jes 58,3.6f.9f.). Vielleicht meint der messianische Sprecher: Jetzt soll ein Erlass erfolgen, auch in der Form, dass diejenigen, die sich bei der Rückkehr ins bis dato verlassene Land rasch bereichert haben, nun ihre Besitztümer mit den Benachteiligten teilen.

Textoberfläche: Lk 4
Jesus nimmt nun diese messianische Botschaft auf und sagt über sich: Wenn ich meinen Messiasdienst beginne, soll zugleich ein Erlassjahr Gottes stattfinden. Weil Jesu Botschaft vom Reich Gottes unpolitisch war, muss sich der Erlass auf andere Verschuldungen beziehen. Gemeint ist wohl: Gott rechnet ab jetzt die Schuld nicht mehr an. Man wird in zweiter Linie auch an die Aufforderung zur gegenseitigen Vergebung denken müssen, die in Jesu Lehre ja einen außerordentlich zentralen Platz hat (Mt 6,12.14f.).
In Jesu Predigt berühren sich also zwei Aussagelinien:
· die Botschaft vom Schuldenerlass
· der Verzicht auf ein Vergeltungswort
Jesus ist hier ganz der Prediger der Gnade. Die juristische Vorstellung von der Amnestie passt sehr gut hierzu. Der Messias ruft Amnestie aus!
Paulus hat das ganz genauso aufgefasst:

19 Denn ich bin gewiss: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat. 2Kor 5

Gott hat die Verfehlungen einseitig nicht angerechnet, egal wie die Menschen darüber denken!

Die Reaktion der Hörer
Es ist sehr auffällig, dass die Hörer erst erfreut, dann aber ablehnend reagieren. Die Ablehnung bezieht sich wohl zuerst auf seinen Messiasanspruch (Lk 4,22b: Er ist doch Josefs Sohn!); dann auf die Nachricht, dass der Gesandte nicht automatisch nur zu Israel kommt, sondern sich auch Menschen aus anderen Völkern zuwendet (Lk 4,25-27).
Ob darüber hinaus auch die Botschaft von der Amnestie Gottes die Hörer geärgert hat?
Immerhin wissen wir, dass die Pharisäer daran mächtig Anstoß nahmen: „Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten: Der nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.“ (Lk 15,2). Und auch einer, der Jesus gut verstanden hat, war sehr irritiert, dass Jesus keine Gerichtsbotschaft brachte. Johannes der Täufer hatte Jesus eigentlich so angekündigt:

10 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird gefällt und ins Feuer geworfen. 11 Ich taufe euch mit Wasser zur Umkehr; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich; mir steht es nicht zu, ihm die Schuhe zu tragen. Er wird euch mit heiligem Geist und mit Feuer taufen. 12 In seiner Hand ist die Wurfschaufel, und er wird seine Tenne säubern. Seinen Weizen wird er in die Scheune einbringen, die Spreu aber wird er in unauslöschlichem Feuer verbrennen. Mt 3

Jesus hat aber eben nicht das Gerichtsfeuer gebracht – was Johannes zutiefst verstörte: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ (Mt 11,3)

Ist also die gute Nachricht von einer Amnestie für Fromme ärgerlich?
Wenn ja – warum auch heute noch?

Amnestie heute zwischen Menschen?!
Jesus hat die Nachricht von der Vergebung durch Gott immer verbunden mit der Aufforderung, einander zu vergeben.

14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird auch euer Vater eure Verfehlungen nicht vergeben. Mt 6

Es ist zutiefst göttlich und jesusförmig, eine Amnestie zu gewähren denen, die mir Übles angetan haben. Dabei ist wichtig:
· Die Verfehlung wird nicht gerechtfertigt.
· Das Urteil – „Das war verwerflich! Du hast Schuld auf dich geladen!“ -wird nicht zurückgenommen.
· Aber die „Strafe“ wird nicht vollstreckt.
· Die Verfehlung hat keine Wirksamkeit mehr.
· Was mir angetan wurde, ist für mich kein Argument mehr in einer Auseinandersetzung.
· Was mir angetan wurde, bestimmt mein Verhalten nicht mehr gegenüber dem Täter.
Das Ziel einer Amnestie im politischen Bereich ist z. B.:
· Sie geschieht zu Ehren eines Staatsoberhauptes oder einer Idee – z. B. am Nationalfeiertag oder am Geburtstag ... (vgl. auch Mt 27,15.)
· Sie dient der Aussöhnung verfeindeter Gruppen.
Kann nicht christliche Vergebung ebensolche Ziele haben: Wir ehren unseren gütigen Herrn, der durch und durch Liebe ist; wir ersteben Aussöhnung?

Wie können wir in unserer Gemeinde einen „Versöhnungstag“ gestalten, der als einladend und heilend empfunden wird?
Ist ein festgesetzter Termin eine Hilfe zur Entscheidung („sich endlich mal einen Ruck geben“)?
Unter welchen Umständen wäre ein festgesetzter Termin ein unzulässiger Druck auf die Seelen?
Was würde uns helfen, nach einem solchen „Amnestie-Tag“ an dem Vorhaben festzuhalten, alte Schuld nicht mehr hevorzuholen oder gegen jemanden zu verwenden?

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Predigt vom 8. März 2009

Hier als Nachtrag eine ältere Predigt:

Predigt über Joh 12,20-26: „Hingabe – der Weg zum Leben“
Liebe Gemeinde,
wer von euch hat schon mal gehört von „alternativen Lebensentwürfen“?
Alternative Lebensentwürfe werden z. B. in der Familienpolitik diskutiert. Früher galt nur ein Grundmuster: Familie mit Kindern, mit eigenen leiblichen Kindern, und die Eltern sind verheiratet. Heute hat sich das Bild verändert. Viele andere Modelle werden gelebt: Alleinerziehende mit Kindern oder Patchworkfamilien z. B., die je nach Lebenssituation neu zusammengesetzt werden. Die einen finden solche alternativen Lebensmodelle gut und zeitgemäß, die anderen bedauern, dass es sie gibt.
Alternative Lebensentwürfe gibt es aber auch in ganz anderen Lebensfeldern – und nicht erst seit heute. Wenn im Jahre 632 ein Mann oder eine Frau ins Kloster ging, um Mönch oder Nonne zu werden, dann war das auch ein alternativer Lebensentwurf.
Ich habe noch einen weiteren alternativen Lebensentwurf entdeckt. Und zwar bei Jesus. Er hat ein Lebensmuster gehabt, ein Schema, das ihn vollständig geprägt hat. Wir finden es häufig in der Bibel, z. B. auch in einem Bericht aus Johannes 12. Dieses Kapitel erzählt von Jesus auf dem Weg zu seinem letzten Passahfest. Auch andere hatten sich aufgemacht, um das Passahfest zu besuchen:

20 Auch einige Griechen waren anwesend – sie gehörten zu den Pilgern, die beim Fest Gott anbeten wollten. 21 Sie traten an Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und sagten zu ihm: Herr, wir möchten Jesus sehen. 22 Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es Jesus. 23 Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. 24 Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. 25 Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. 26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren. 27 Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Joh 12

Letzten Sonntag war der Beginn der Passionszeit. Wir besinnen uns darauf, dass Jesus auf den Tod zugegangen ist, freiwillig. In unserem biblischen Bericht ist davon die Rede. Das Passahfest steht bevor, das für Jesus das letzte sein wird. Jesus weiß das, denn er kennt und spürt die Todfeindschaft gegen ihn. Das setzt ihm zu. Er ist aufgewühlt. Diejenigen, für die er gekommen ist und für die er gelebt hat, lehnen ihn ab. Seine Hoffnung hat sich nicht erfüllt.
Aber ein anderer Hoffnungsschimmer ist aufgeleuchtet. Andere gibt es, die ihn nicht ablehnen, im Gegenteil, die ihn aufsuchen, weil sie sich von Jesus etwas versprechen. Einige Griechen, zum Judentum übergetreten, gehen zum Fest und wollen Jesus sehen. Sie fragen den Schüler Philippus. Der nimmt sich noch einen zweiten Schüler mit und sagt Jesus Bescheid.
Man fragt also doch nach Jesus. Eine Tür ist offen geblieben. Ob das für Jesus wie ein Notausgang hätte sein können? In Jerusalem lehnt man ihn ab und bringt ihn zur Strecke, aber andere von weither suchen ihn – ob er wenigstens für sie etwas bedeuten kann? Ob es nicht klug wäre, auf die zuzugehen und sie zu empfangen? Für Jesus würde das sicherlich eine Anerkennung bedeuten inmitten aller Feindschaft.
Aber Jesus lässt diese Besucher völlig links liegen! Er redet nur mit den beiden Jüngern, die ihn angesprochen haben. Jesus redet tatsächlich von Anerkennung, ja mehr noch: dass er, Jesus, jetzt geehrt wird. Aber Jesus denkt überhaupt nicht an die Besucher, sondern an eine ganz andere Ehre. „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Die Stunde ist gekommen – das ist zweifellos die Todesstunde. Jesus wird sterben und so wird er verherrlicht. Jesus wird sterben, in die Erde fallen wie ein Weizenkorn und ganz zu Tode kommen. Nur so entsteht Frucht aus ihm. Nicht durch die Anerkennung der Menschen, nicht durch den Zulauf von Unterstützern. Sondern im Tod.
Jesus gibt sich selbst vollständig hin. Er ist bereit, sich ganz und gar zu verströmen. Das ist das Grundmuster seines Lebens. Das ist sein alternativer Lebensentwurf. Jesus gewinnt das Leben, indem er sich ausströmt. Dieses Grundmuster haben wir bereits gehört in der Schriftlesung: Er „entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ Er „entäußerte sich“ – eigentlich bedeutet dieses Wort: Er hat sich ausgeleert. Er hat sich verströmt. Da blieb nichts zurück. Jesus hat sich ausgeleert, verströmt, vollständig hingegeben. Das ist sein Lebensmuster.
Jesus hat das gelebt nicht erst zum Schluss, als er ins Sterben ging. Sondern zeit seines Lebens hat ihn dieses Muster bestimmt. Gleich zu Beginn seiner Wirksamkeit z. B. Er wurde in die Wüste geführt. Der Teufel wollte ihn verführen. Z. B. wollte er ihn verlocken, vom Tempel zu springen. Gottes Engel würden ihn dann auffangen. So stehe es ja in der Bibel. Wenn Jesus das getan hätte, hätte er gleich zu Beginn einen Beweis gehabt: Ja, sie tragen mich, die Engel, weil ich Gottes Sohn bin. Eine Erfahrung, die ihm fortan Sicherheit hätte geben können. Jesus hat es nicht getan. Er hat lieber auf die Hilfe der Engel verzichtet. Verzichtet auch auf einen Beweis, dass er Gottes Sohn ist. Zurück bleibt am Ende ein erschöpfter Jesus in der Wüste. Aber noch mehr: „Da traten die Engel zu ihm und dienten ihm!“ Jesus hat nicht selbst nach den Engeln gegriffen. Er hat darauf verzichtet. Und dann bekommt er von Gott nachher eben dies doch: Hilfe durch Engel. Jesus hat das gewonnen, gerade weil er es sich nicht selbst genommen hat. Sein Grundmuster war: Ich nehme nichts an mich, sondern ich gebe hin. So hat Jesus Leben gewonnen.
Auch schon vorher: Jesus hat auf Ehe und Familie verzichtet. Und in den letzten drei Lebensjahren auf ein festes Zuhause. Er hat vertraut, dass er Geborgenheit dennoch erfährt, anders als durch Menschen. Jesus wirkt auf uns allerdings wie ein sehr geborgener Mensch. Er hat sich das nicht selbst genommen. Er hat es von seinem Vater im Himmel empfangen.
Und dann zum Schluss: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ So hat er gelebt. Dieser Satz gilt aber auch für jeden seiner Nachfolger: wir alle sollen diesen Lebensentwurf annehmen. „Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.“ – „Wo ich bin, soll auch mein Diener sein“ – wo ist Jesus denn? Sehr bald am Kreuz. Und vorher und nachher ist Jesus in der Haltung der Hingabe: hat sich ausgeleert, sich verströmt. In dieser Haltung möchte Jesus auch uns sehen. Unser Leben soll jesusförmig sein. Das ist der einzige Weg zum Leben: jesusförmig werden.

Was sind in unserem Leben die Weizenkörner, die in die Erde fallen und sterben und so Frucht bringen? Weizenkörner, die allein und nutzlos bleiben, wenn sie nicht sterben?

Manchmal platzen Träume. Wir müssen uns unter Schmerzen davon verabschieden. Wir neigen in solchen Situationen oft dazu, dass wir meinen: „Das Leben ist von nun an nur noch zweitklassig. Ich hätte ja gewusst, was gut für mich ist und was zu meinem Glück beiträgt. Aber das Leben hat nicht mitgespielt. Gott hat nicht mitgespielt. Ab jetzt wird es nur noch Schmalspur-Glück geben.“ Ja, tatsächlich ist etwas gestorben, wie ein Weizenkorn in der Erde versenkt. Aber was ist gestorben? Der Traum, ja. Das Glück auch? Oder nur die Kontrolle über das Glück? Dass du meinst, du könntest genau beschreiben, was dein Glück wäre? Wer weiß – vielleicht entseht aus deinem gestorbenen Traum ja erst recht reiche Frucht: erst ab dem Moment, wo du es nicht mehr in der Hand hast. Wenn du dich von deinem Traum verabschiedest, kann Gott vor dir eine ganz neue Tür aufmachen. Frage ihm beharrlich danach!

Was sonst noch ist in unserem Leben so ein Weizenkorn, das Frucht bringt, nachdem es gestorben ist?
Vergebung, die wir gegenseitig aussprechen. Jemand anderem vergeben, der mir richtig weh getan hat – das ist ein bisschen wie Sterben. Ich hatte doch recht und der andere nicht! Ich wurde übervorteilt. Und dennoch vergeben? Alles wieder gut sein lassen? Aber die Schuld des anderen, die tatsächlich da ist und zum Himmel schreit, die kann ein Weizenkorn werden. In der Erde begraben, stirbt sie – und in mir, der ich vergebe, stirbt auch etwas, nämlich das Anrecht auf diese Schuld. Ich kann sie nicht mehr gegen jemanden verwenden. Aber Gott wird aus dem gestorbenen Weizenkorn reiche Frucht schaffen. Freiheit nämlich. Der Schatten liegt nicht mehr auf meiner Seele. Ich muss den inneren Film, den ich über diese Situation damals gedreht habe, nicht mehr ständig wiederholen. Er wird vom Spielplan abgesetzt und mein Blick wird frei für Neues.

Weizenkörner in unserem Leben. Das Grundmuster Jesu bildet sich dann bei uns ab: Hingabe. Jesus hat sich ausgeleert, verströmt, ohne Sicherheiten, und so ist es dann auch bei uns. Wir werden jesusförmig.

Noch eine Möglichkeit möchte ich zeigen, was wir hingeben können: Vertrauen. Dem anderen über den Weg trauen. Auch wenn er mir verdächtig vorkommt. In unserer Gemeinde sind viele Glaubensgeschwister auch freundschaftlich verbunden. Andere haben keine besondere Nähe auf menschlicher Ebene. Und wieder andere begegnen einander misstrauisch. Ich weiß das. Nicht jeder muss in der Gemeinde des anderen Freund sein. Aber Misstrauen wirkt wie Mehltau über unserer Gemeinde. Vielleicht hat der andere mein Vertrauen nicht verdient. Und doch fordert Christus mich auf, ihm Vertrauen zu schenken. Vorschussvertrauen sogar. Das ist eine Art von Hingabe ohne jede Sicherheit. Ich weiß ja nicht, ob der andere mein Vertrauen erwidert oder ob er es sogar ausnutzt. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder jeder wartet auf den anderen, dass der anfängt. Dann bewegt sich nichts. Oder ich frage an, mache den ersten Schritt oder gehe die zweite Meile mit. Ich wage es, Vorschussvertrauen zu geben. So hat Gott es ja auch mit mir gemacht. Christus hat sich hingegeben, verströmt. Wenn ich einem Glaubensbruder oder einer Schwester im Glauben vorab Vertrauen schenke, habe ich solche Hingabe Jesu gelebt. Dann habe ich jesusförmig gelebt. Darauf wird Segen sein. Daraus wird Frucht erwachsen.
Ein bekanntes Gebet beschreibt dieses Lebensmuster der Hingabe, diesen alternativen Lebensentwurf:

Herr, lass mich trachten:
nicht dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer da hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, erwacht zum ewigen Leben.
(Gemeindelieder Nr. 411, ursprünglich aus Frankreich um 1913)
Jesus sagt dazu: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.“

Das ist jedem einzelnen von uns gesagt: Wir können, jeder für sich, jesusförmig werden. Ich glaube aber, das Grundmuster Jesu gilt auch für uns als Gemeinde insgesamt. Unsere Gemeinde muss in ihrer Gestalt und allen ihren Lebensbereichen jesusförmig sein – weil wir ja Gemeinde Jesu sind. Also muss man das Grundmuster Jesu – er entäußerte sich, er hat sich ausgeleert, verströmt, er hat auf Ehre verzichtet und auch auf Sicherheit – dieses Grundmuster Jesu muss man in unserer Kirche finden können.
Wir stehen wahrlich vor einem ungewissen Weg als Gemeinde. Seit Monaten denke ich jeden Tag daran, und oft eben mit Ungewissheit. Wir müssen klären, wo wir als Gemeinde unseren Standort haben wollen. Bleibt er hier oder wechselt er?
Aber der Standort ist erst zweitrangig. Zuallererst müssen wir entscheiden, was wir für eine Gemeinde sein wollen. In aller Unsicherheit und Unwägbarkeit – greifen wir nun nach den besten Sicherheiten? Halten wir jedes Risiko möglichst gering? Ist das die Überschrift über unserer Entscheidung?
Oder sind wir bereit zur Hingabe? Trauen wir uns, wie Jesus uns sozusagen auszuleeren, zu verströmen, alles erst einmal loszulassen? Unsere Garantien und auch unsere Lebenserfahrungen, die uns bisher getragen haben?
Viele von uns sind besorgt: Reicht die Kraft unserer Gemeinde für einen neuen Weg? Sind wir nicht ausgelastet nur damit, dass wir gegenseitig für uns sorgen? Sind das nicht Verantwortungen genug? Diese Sorge ist völlig verständlich und auch berechtigt. Wir sind wahrlich nicht in der Lage, leichtsinnige Pläne zu fassen.
Aber unsere Entscheidung für die Zukunft darf nicht allein von der Sorge bestimmt sein. Sondern sie muss jesusförmig sein. Es muss also eine Entscheidung sein, die von Hingabe geprägt ist. Wir dürfen nicht fragen: Wie können wir möglichst viel von dem retten, was uns bisher wichtig war? Sondern wir müssen uns fragen: Für wen kann unsere Gemeinde Frucht bringen? Und den Weg bis hin zur Frucht, den hat Jesus gezeigt und vorgelebt. Es ist der Weg des sterbenden Weizenkorns. Vielleicht werden wir dann eine zeitlang sehr unsicher dastehen. Wie Jesus. Nur so aber greift dann Gottes Verheißung, dass er neues Leben schaffen wird. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“
In jedem Falle wird ein neuer Weg vor uns liegen. Auch wenn wir mit unseren Gebäuden alles beim Alten lassen, müssen wir in diesen alten Gebäuden einen neuen Weg gehen. Einen jesusförmigen Weg, den der Hingabe. In den alten Gebäuden muss eine Gemeinde entstehen, die für andere Frucht bringt. Oder diese Gemeinde entsteht am neuen Ort. Egal. Hauptsache, eine jesusförmige Gemeinde sind wir.
Manche von uns halten den jetzigen Standort für aussichtsreicher. Er scheint Sicherheit zu versprechen. Andere versprechen sich mehr von einem neuen Standort. Da können sich manche eher eine fruchtbringende Gemeinde vorstellen. Aber auch ein Wechsel wird nicht der sicherere Weg sein. Auch dort ist mehr Frucht, mehr Leben nicht garantiert. Mehr Frucht und mehr Leben ist für uns überhaupt nicht garantiert. Sondern wenn wir es wie Jesus machen, lassen wir erst einmal alles los, auch alle Befürchtungen und Hoffnungen und Pläne. Wir lassen uns ganz in Gottes Hand fallen. Und dann? Dann hat er uns Frucht nicht garantiert. Aber versprochen.
Eines aber müssen wir fürchten wie die Pest: Dass wir eine Gemeinde werden, hier oder dort, die nur für sich selbst lebt und nur sich versorgt und den Weg der größtmöglichen Sicherheit geht. Eine Gemeinde, die den Auftrag für andere nach hinten stellt, um erst mal ihr eigenes Auskommen zu sichern. Solch eine Gemeinde müssen wir fürchten. Denn solch eine Gemeinde gleicht dem Weizenkorn, das nicht in die Erde fällt und nicht stirbt. Und allein bleibt. Und am Ende dann natürlich doch stirbt. Aber ohne Auferstehung.
Unser Auftrag ist es, jesusförmig zu sein. Jesus hat diesen alternativen Lebensentwurf gelebt von Anfang bis Ende. Hat sich hingegeben, ausgeleert, sich verströmt. Verströmt bis aufs Blut, das in den Dreck von Golgatha getropft ist.
Ich habe den Eindruck, Christus stellt uns vor die Wahl. Wir müssen sein Muster nicht annehmen. Jesus hat vier mal „wenn“ gesagt. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt ...“, „wenn es aber stirbt ...“, „wenn einer mir dienen will ...“, „wenn einer mir dient ...“. Christus legt uns nicht fest. Er lässt uns durchaus die Wahl. Er zeigt uns bloß die Folgen auf: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“
Der Weg der Hingabe, dieser Jesusweg: Ist er tragfähig? Ist er nicht gefährlich? Könnte eine falsche Entscheidung unsere Gemeinde etwa auf lange Sicht ruinieren?
Für seine Nachfolger hat Jesus die Aussicht, dass sie keineswegs ruiniert werden. Vielmehr geehrt bei Gott – das stellt Jesus seinen hingegebenen Dienern in Aussicht. „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.“
Amen.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Predigt über Lk 12,13-21: „Hast du Geld oder hat dein Geld dich?“

Predigt über Lk 12,13-21: „Hast du Geld oder hat dein Geld dich?“
Liebe Gemeinde,
es ist das Geld, das dafür sorgt, dass die Welt sich noch dreht. „Money Makes The World Go Round“ war der Titel des Präludiums, und der Text dieses Liedes sagt: „Geld macht, dass die Welt sich dreht. Horch auf seinen Ruf! Hundert Pfennig sind ne Mark. Winkt uns allen zu: Liebe füllt das Herz mit Glück, Glück weicht dann dem Schmerz. Doch mit Geld scheint dir die Sonne, jeder Regen ist aus Gold.“
Natürlich ist das ein bescheuerter Text, aber tatsächlich sieht es so aus, als ob das Leben nach so einem bescheuerten Text funktioniert: „Geld macht, dass die Welt sich dreht.“
Eigentlich wird alles in Geld gemessen: Gesundheit, Ehre, Zeit. Wir merken das, wenn wir Berichte über Gerichtsverfahren lesen. Egal was das Verbrechen war – ganz oft wird der Schaden mit einem Geldbetrag gemessen. Wenn ich jemanden verletze, muss ich Schmerzensgeld zahlen. Der Schmerz wird dadurch ja nicht leichter und das gebrochene Bein heilt nicht schneller, aber es muss ja irgend eine Gerechtigkeit her, und die wird in Geld dargestellt, als ob das Geld gesund machen würde. Wenn jemand mich in der Sauna fotografiert und die Bilder dann in der Zeitung druckt, vielleicht noch mit einer zweideutigen Bildunterschrift, dann kann ich ebenfalls auf Schmerzensgeld klagen. Meine Ehre ist beschädigt, also wird mir Schadensersatz zugesprochen. Für das Geld kann ich mir keine intakte Ehre kaufen, aber wie soll man es denn nun einmal anders bemessen als in Geldbeträgen? Unsere Gesellschaft kennt kein anderes Mittel.
Und Zeit wird sowieso mit Geld bewertet. Auch wenn es eigentlich gar nicht stimmt, dass Zeit Geld ist. Ein schlauer Mensch hat gesagt: „Zeit ist Geld. Aber viel Geld lässt kaum noch Zeit.“ Allerdings. Wer Geld erwirbt, kommt in Zugzwang. Das war schon zu allen Zeiten so und auch die Menschen um Jesus haben es erlebt. Das Lukasevangelium berichtet von einer Begegnung eines Menschen mit Jesus und was Jesus dazu gesagt hat:

13 Da rief einer aus der Menge: »Meister, sag doch meinem Bruder, dass er das väterliche Erbe mit mir teilen soll.«14 Jesus erwiderte: »Mann, wer hat mich zum Richter über euch gemacht, um in solchen Dingen zu entscheiden?« 15 Und er fuhr fort: »Nehmt euch in Acht! Begehrt nicht das, was ihr nicht habt. Denn auch dem, der im Überfluss lebt, wächst sein Leben nicht aus dem Besitz zu.«
16 Und er gab ihnen folgendes Gleichnis: »Das Land eines reichen Mannes hatte gut getragen. 17 Da dachte er bei sich: Was soll ich tun? Ich habe keinen Raum, wo ich meine Ernte lagern kann. 18 Und er sagte sich: ‚Ich weiß, was ich mache! Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen. Auf diese Weise habe ich genug Platz, um alles zu lagern. 19 Und dann werde ich mich zurücklehnen und mir sagen: Mein Freund, du hast für Jahre genug eingelagert. Genieße das Leben. Iss, trink und sei fröhlich!‘ 20 Aber Gott sagte zu ihm: ‚Wie dumm von dir! Du wirst noch heute Nacht sterben. Und wer wird dann das alles bekommen?‘ 21 So geht es dem, der für sich Reichtümer aufhäuft und nicht reich ist vor Gott.« Lk 12

Zwei Männer. Einer aus dem echten Leben und der andere aus einer Beispielgeschichte. Beide meinen, ihr Leben ginge vorwärts durch das Geld – Geld würde dafür sorgen, dass ihre Welt sich dreht. Beide drehen sich selbst um das Geld. Beide erscheinen gar nicht besonders geldgeil, sondern ihr Leben stellt ihnen Fragen, auf die sie Antwort finden müssen.
Dem ersten Mann steht ein Erbe zu. Sein Bruder will es nicht rausrücken. Nach jüdischem Recht musste immer der älteste Bruder einverstanden sein, wenn das Erbe geteilt wurde. Der war das offenbar nicht. Der Mann, der zu Jesus kam, war also ein jüngerer Bruder, dem Geld zustand, aber der sein Recht nicht bekam. Ein Betrogener, ein Unterlegener – ein Fall für Jesus? Um die Unterlegenen hat Jesus sich ja oft gekümmert. Jetzt tut er’s aber nicht. Denn obwohl dieser Mann im Recht ist, sieht Jesus ihn in eine Falle laufen. Von dieser Falle erzählt Jesus dann in seiner Beispielgeschichte.
Auch der zweite Mann, der aus der Geschichte, war nicht von vornherein gierig und versessen aufs Geld. Er war nun einmal reich und er hatte noch zusätzliches Glück. In diesem Jahr konnte er nämlich eine sehr gute Ernte einfahren. Es ist völlig klar, dass er reagieren muss. Er steht in der Verantwortung, achtsam mit dem Segen umzugehen, den er bekam. Aus Faulheit die Hälfte verrotten lassen – das wäre ganz falsch. Er muss sich kümmern.

1. Warum wollen wir Geld haben?
Welche Rolle spielt das Geld oder der Besitz nun für diese beiden Männer? Es spielt ungefähr dieselbe Rolle wie bei uns heute auch. Der erste Mann, der mit dem Erbe rechnete, hat wahrscheinlich an seine Zukunftsvorsorge gedacht. Er wusste, dass ihm einmal etwas zufallen würde, so wie wir wissen, wann z. B. ein Bausparvertrag fällig ist. Das kalkulieren wir ein, das rechnen wir in unsere Altersvorsorge ein. Es ist klug, das zu tun. Es geht uns eben um Vorsorge, nicht um Geld an sich oder um Reichtum. Aber vorsorgen müssen wir nun mal. Hinter dem Geld steckt ein Grundbedürfnis, das jeder Mensch hat: das Bedürfnis nach Sicherheit. Niemand will böse überrascht werden, niemand will plötzlich im Regen stehen. Ich will nicht als eine Niete dastehen, die Frau und Kinder nur lückenhaft versorgt hätte. Jeder Mensch hat einen natürlichen Sicherheitstrieb, und heute wie damals ist Geld der Stoff, aus dem sich Sicherheit schneidern lässt.
Auch der zweite Mann, der aus der Beispielgeschichte, zeigt dieses urtümliche Grundbedürfnis. „Du hast für Jahre genug eingelagert. Genieße das Leben. Iss, trink und sei fröhlich“ – das will er erreichen. Er sucht also nach Ruhe vor dem täglichen Existenzkampf, er will genug auf dem Teller und im Becher haben und er will, dass sich das gut anfühlt. Wenn wir in Sicherheit sind, ist das eben auch einfach ein gutes Gefühl. Wie kommen wir dahin? Durch Geld. Geld ist nicht das Eigentliche. Um Sicherheit geht es. Sollte Jesus etwas dagegen haben?
Bestimmt nicht. Aber Jesus zeigt den Preis, den ein Mensch bezahlt, wenn er sich Sicherheit einfach durch Geld erkaufen will. Der Preis für diese Sicherheit ist ein Leben, das auf sehr festgelegten Schienen verläuft. Solch ein Leben ist ziemlich vorprogrammiert.

2. Was macht das Geld mit uns?
Achten wir mal darauf, wie Jesus das Leben des reichen Gutsbesitzers beschreibt. Es fällt auf, dass er mehrmals mit sich selbst zu Rate geht. „Er dachte bei sich“, „er sagte zu sich“, „er sprach zu seiner Seele“. Ich finde das zunächst eigentlich gut. Er handelt nicht blind drauflos, sondern überlegt. Er hat offenbar Zugang zu sich selbst. Er hält inne und fragt: Was brauche ich jetzt? Es ist nicht das Schlechteste, wenn man sich erst einmal über sich selbst klar wird, wenn die eigene Seele kein Fremder ist und wenn man zu sich selbst Kontakt hat.
Doch andererseits – es zeigt auch, wie arm er ist, wenn er nur mit sich selbst zu Rate geht. Ein Orientkenner schreibt: „Das ist ein ganz trauriges Bild. Im Nahen Osten treffen Dorfbewohner ihre wichtigen Entscheidungen immer nach langen Aussprachen mit ihren Freunden. Familien, Gemeinwesen und Dörfer sind eng miteinander verwoben. Was dich betrifft, betrifft jeden dort. Selbst banale Entschlüsse trifft man nach stundenlangen Debatten mit Familie und Freunden. Aber dieser Mann hat anscheinend keine Freunde. Er lebt isoliert von der menschlichen Gemeinschaft um ihn, und der einzige, mit dem er vor einer wichtigen Entscheidung sprechen kann, ist – er selbst.“ (Kenneth E. Bailey, Jesus Through Middle Eastern Eyes, 2008, S. 303.)
Also ist dieser Mann wohlhabend, aber einsam. Er hat mehr als genug, aber menschlich muss er sich selbst genügen. Der Preis für seinen Wohlstand. Er hat sich nicht nur von den Menschen isoliert, sondern auch von Gott. Denn wenn ihm plötzlich dies passiert: „Das Land eines reichen Mannes hatte gut getragen“ – wenn ihm das passiert, dann ist ihm ja ein Glück in den Schoß gefallen. Eine gute Ernte kann man nur erhoffen, sie kommt nicht automatisch für jeden, der fleißig ist. Ihm ist das in diesem Jahr in den Schoß gefallen, aber wer hat es ihm denn hineingeworfen? Jeder glaubende Jude erkennt Gottes Segen darin. Im Selbstgespräch des Mannes aber kommt Gott mit keiner Silbe vor, auch kein Dank. Der Mann ist in sich selbst verkapselt.

Macht Geld einsam? Uns heute nicht. Wir haben Geld und haben Freunde. Aber übers Geld redet jeder doch nur mit sich selbst. Geld ist bei uns ein Tabu. Man verrät einander nicht, wie viel Geld man verdient, und jemanden nach der Höhe seines Einkommens zu fragen wäre taktlos. Wir verraten es nicht aus Angst vor Neid und zeigen so sehr deutlich, wie das Geld doch Freundschaften belasten könnte. Geld ist intim und die Geldbörse ist eine Schamzone. Mir fällt das oft bei Kollekten auf. Natürlich will man nicht mit seiner Spende prunken, aber ich finde es witzig, dass der Korb verschämt und schnell weitergereicht wird wie ein glühendes Eisen, und bei der Kollekte gucken alle unter sich und wer was reintut, beugt sich vor, damit niemand es sieht – so eine Scham kenne ich sonst nur vom Herren-WC. Geld ist intim! Also folgen Selbstgespräche.

Jesus zeigt uns noch eine andere Wirkung des Wohlstandes. Er bringt in Zugzwang. Sobald der Mann mehr Besitz hat, muss er reagieren. Geld macht Stress! Er ist fast getrieben. „Er dachte bei sich: Was soll ich tun?“ Womit er nun seine Gedanken füllt, das ist vorprogrammiert. Merkwürdig. Geld soll uns Sicherheit geben, aber es macht uns Stress. Einer der Reichen unserer Republik hat im Interview gesagt: „Der Wert von Geld interessiert mich null. Mich interessiert die Freiheit, die das Geld mir verschafft: morgens aufstehen und machen, worauf ich Lust hab.“ Es war Dieter Bohlen, der das sagte. Klingt ganz ähnlich wie der reiche Gutsbesitzer: „Genieße das Leben. Iss, trink und sei fröhlich!“ Aber so frei ist er ja gar nicht – er muss eben reagieren. Wie ich es am Anfang der Predigt zitiert habe: „Zeit ist Geld. Aber viel Geld lässt kaum noch Zeit.“ Das Geld nimmt seine Maske herunter. Es ist eine Macht. Es ist ein strenger Herrscher. Wir denken, wir hätten Geld, aber allzu oft hat das Geld uns. Wir haben’s nicht in der Hand, sondern es hat uns im Griff. Es setzt unser Leben auf fest einzementierte Schienen. Es verspricht uns Sicherheit, aber dafür müssen wir uns ihm unterwerfen.

Aber später – später hat man doch ausgesorgt. Jetzt muss man reagieren, ja, auch sich antreiben lassen vom Geld, jetzt muss man in Kauf nehmen, dass das Geld Stress macht. Jetzt auf den festgelegten Schienen fahren, aber später, wenn genug Geld da ist, dann frei sein. Sicherheit und das gute Gefühl. Wäre es das nicht wert?
Aber was heißt denn „später“? Der reiche Mann hat sich für jetzt auf die festen Schienen setzen lassen, in der Hoffnung auf die Freiheit später, aber er musste plötzlich erfahren, dass es kein „Später“ gibt. Er war vielleicht klug – aber nicht weise. Er legte sich für die Gegenwart enge Grenzen auf – „ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen“, ich stecke jetzt meine ganze Zeit in dieses Projekt – er legte sich diese engen Grenzen auf, als ob er unbegrenzt Lebenszeit hätte. In Wahrheit war es umgekehrt. Seine Lebenszeit war begrenzt, aber in der Gegenwart hätte er schon in Freiheit leben sollen und nicht abgekapselt vom Leben. Das war der große Irrtum: Er dachte, Reichtum würde ihn einmal frei machen, aber in Wahrheit war arm. Lebensarm. Deshalb sagt Jesus: „Nehmt euch in Acht! Begehrt nicht das, was ihr nicht habt. Denn auch dem, der im Überfluss lebt, wächst sein Leben nicht aus dem Besitz zu.“

Jesus sagt das dem Mann, der sein Erbe bekommen will. Dem Mann, der ja im Recht war und nur allzu verständlich die Altersvorsorge sichern wollte. Auch für so einen verantwortlich rechnenden Menschen gilt: „Begehrt nicht das, was ihr nicht habt. Denn auch dem, der im Überfluss lebt, wächst sein Leben nicht aus dem Besitz zu.“ Auch dieser Mann soll nicht einfach klug sein. Sondern weise. Nicht klug: Geld jetzt, Leben später. Sondern weise: Leben jetzt!
Was erwartet Jesus also von ihm? Und von uns?

3. Jesus stellt uns vor eine Entscheidung.
Jesus sagt dem Mann nicht, was er tun soll. Er zeigt ihm nur die Möglichkeiten auf. Er sagt: Wenn – dann. Wenn du aus deinem Besitz heraus dein Leben erwartest, dann wirst du es verpassen. Wenn du dein Leben auf dein gutes Recht gründest, dann wirst du vielleicht dein Recht bekommen. Aber nicht das Leben. Genauso urteilt er auch über den reichen Gutsbesitzer. Jesus sagt nicht: Ihr dürft nicht so leben wie der. Jesus sagt bloß: Wenn man so lebt wie der – dann ist man arm vor Gott. Aussuchen müssen wir es uns selbst, was wir wollen. Jesus drängt uns nicht zu der einen oder der anderen Seite. Er zeigt nur auf die Tatsachen und auf die Folgen. Auch zu anderer Gelegenheit hat er ja nicht gesagt: „Unterwerft euch bloß nicht dem Mammon, der Macht des Geldes, bitte tut das nicht!“ Er hat bloß die Tatsachen aufgezeigt: Niemand kann zwei Herren gleichzeitig dienen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Es geht einfach nicht – das ist die Tatsache.

So ist es auch heute. Jesus drängt uns nicht zu einem bestimmten Leben. Er sagt nur was geht und was nicht – und lässt uns dann wählen. Wir können nicht Hingabe an Gott kombinieren mit einem geldbestimmten Leben. Das geht nicht. Wo Geld die letzte Instanz ist, sind wir eben nicht an Gott hingegeben. Wir können auch nicht ein erfülltes Leben finden, wenn wir zugleich arm vor Gott sind. Wir können aber dies: alles von Gott erwarten – von Gott, der dem reichen Gutsbesitzer eine gute Ernte in den Schoß fallen ließ; alles von Gott erwarten, der unser Ratgeber sein will anstatt dass wir Selbstgespräche führen. Wir können wohl alles von Gott erwarten, der ja selber will, dass wir aufatmen und essen und trinken und fröhlich sind. Ja, wenn Gott es uns sagt, was der reiche Mann zu sich selber sagt: „Genieße das Leben. Iss, trink und sei fröhlich!“ – wenn wir es von Gott hören und empfangen, dann gewinnen wir das echte Leben. Der tiefe Reichtum, den Gott uns gibt, der reicht dann weit über unsere Lebenszeit hinaus.
Jesus lässt uns wählen. Wir müssen nur den Tatsachen ins Auge sehen. Wir müssen uns entscheiden, entweder klug zu sein oder weise. Wir haben die Wahl.
„So geht es dem, der für sich Reichtümer aufhäuft und nicht reich ist vor Gott.“ Das war Jesu Schlusswort. Wie werden wir denn reich vor Gott?

4. Wie werde ich reich vor Gott?
Arm vor Gott ist ein Leben, das in sich verkapselt ist. Das keinen Blick für den hat, von dem der Segen kommt. Reich vor Gott also ist mein Leben, wenn ich dankbar bin: wenn ich das Gute, das ich erfahre, immer zurückführe auf den Guten, der mich beschenkt. Wenn ich von der Sache durchblicke in die Beziehung.
Reich vor Gott ist mein Leben, wenn ich danke. Je öfter ich Dankgebete zu Gott schicke, desto aufrechter werde ich. Ohne Gott bin ich verkrümmt in mich selbst. Der dankbare Blick zu Gott aber richtet mich auf, stärkt mein Rückgrat, macht mich stark. Jedes Dankgebet ist also ein Kraftzentrum. Jedes Dankgebet zeigt mir, wer mich in Wahrheit regiert: Gott und keine andere Macht neben ihm. Danken macht mich also frei. So lebe ich demütig und zugleich reich vor Gott.

Und noch einen anderen Weg gibt es, reich vor Gott zu werden. Er ist genauso wichtig. Wenn ich meinen irdischen Wohlstand richtig investiere, werde ich reich vor Gott. Und wohinein soll ich meinen Wohlstand investieren? Dorthin, wo Gott mein Geld vervielfacht. Gott tut das bei den Armen. Er vervielfacht mein Geld, wenn ich es spende, denn er macht daraus Nahrung, Medizin, Gesundheit, Hoffnung, Dankbarkeit, Zukunft, Lebenszeit, Lebensmut. Welche Bank könnte denn sonst eine solch reiche Rendite versprechen? Der Kirchenlehrer Bischof Augustinus hat über den reichen Gutsbesitzer gesagt: „Er hat nicht gemerkt, dass die Bäuche der Armen ein viel sichereres Depot wären als seine Scheunen.“
Ich werde reich vor Gott, wenn ich mein Geld in diesem sicheren Depot anlege: bei den Armen. Deren Leben und vielleicht deren Dank zu Gott sind eine unvergleichliche Rendite.
Ich müsste dazu natürlich von meinem Geld was weggeben. Ich kann es eigentlich komplett selber gut gebrauchen. Weggeben ist immer ein Einschnitt. Aber erst wenn ich von meinem Geld was weggebe, merke ich wirklich, ob ich mein Geld habe oder ob mein Geld mich im Griff hat. Erst wenn ich es schaffe, abzugeben, merke ich, ob ich arm vor Gott bin oder reich. Erst wenn ich mich traue, Geld zu verschenken, merke ich, ob ich nur klug bin – oder weise.

Kann ich das schaffen? Nicht wenn ich es mir nur selbst überlege. Nie im Selbstgespräch. Nur im Zwiegespräch mit Gott.
Amen.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

"Wie hören wir Gottes Reden?" 7

7 Eine „offene Tür“ als Platzanweisung von Gott
(Mit diesem Beitrag endet die Bibelgesprächsreihe zum Thema "Gottes Reden hören".)

Manchmal zeigt Gott uns den Ort, an dem er uns haben will, durch günstige äußere Umstände. Es ist wie wenn sich eine Tür vor uns öffnet. „Günstige Umstände“ heißt nicht einfach dass es uns gut geht – sondern es sind günstige Umstände für Gottes Vorhaben, sein Reich wachsen zu lassen. Deshalb betet der Glaubende nicht: Ebne meinen Weg vor mir, sondern: „Ebne vor mir deinen Weg“ (Ps 5,9).
Paulus hat an manchen Stellen Gottes Wegweisung durch die offene Tür erkannt.

7.1 Offene Tür – ein „Ja“ von Gott
5 Ich werde zu euch kommen, auf dem Weg über Makedonien. In Makedonien nämlich bin ich nur auf Durchreise, 6 bei euch aber werde ich, wenn es sich gibt, länger bleiben oder gar den Winter verbringen. Dann mögt ihr mich für die Weiterreise ausrüsten, wohin ich auch gehe. 7 Ich möchte euch jetzt nämlich nicht nur im Vorbeigehen sehen, ich hoffe ja, wenn der Herr es zulässt, einige Zeit bei euch zu verbringen. 8 Bis Pfingsten aber werde ich in Ephesus bleiben. 9 Denn eine Tür hat sich mir aufgetan, groß und wirksam – und viele Widersacher sind da. 1Kor 16

Paulus hat verschiedene Möglichkeiten, aus denen er wählen muss. Einerseits wäre es gut, nach Korinth zu kommen – aber wenn, dann für längere Zeit, nicht nur auf Stippvisite. Andererseits hat er jetzt, in Ephesus, noch große Möglichkeiten für die evangelistische Gemeindearbeit. Er entscheidet sich also für jetzt gegen Korinth. Warum? Wegen der momentanen Möglichkeiten – sie sind seine offene Tür.
Woran erkennt Paulus die offene Tür? An den Wirkungen, die er in Ephesus erzielen kann (die Lutherübersetzung lautete bis 1964 etwas freier: Eine Tür, die viel Frucht wirkt.)
Es hätte auch andere Signale gegeben, die Paulus vielleicht als Nein Gottes zu Ephesus deuten können: viele Gegner. Aber dieser Widerstand hat die guten Wirkungen nicht vereitelt – deshalb war die offene Tür als Signal Gottes für Paulus wichtiger. Widerstände sprechen nicht gegen eine offene Tür als Ja von Gott.
Paulus will aber von vornherein nur bis Pfingsten bleiben. Für seine Planung spielen also auch noch andere Faktoren mit. Die offene Tür ist nicht das einzige geistliche Kriterium, nach denen er seine Pläne gestaltet.

7.2 Offene Tür – nicht immer ein „Ja“ von Gott
12 Als ich nach Troas kam, um das Evangelium von Christus zu verkündigen, stand mir zwar eine Tür offen im Herrn, 13 mein Geist aber fand keine Ruhe, weil ich meinen Bruder Titus nicht antraf; so verabschiedete ich mich von ihnen und zog weiter nach Makedonien. 2Kor 2

In einer anderen Situation gab es ebenfalls eine offene Tür, aber Paulus hat sich dennoch gegen sie entschieden. Ein anderes wichtiges Signal stand dagegen – der fehlende innere Friede aufgrund der fehlenden Versöhnung (siehe 6.1).
Wenn Gott also durch eine offene Tür redet, dann müssen wir immer auch andere Signale Gottes vergleichen. Eine Entscheidung sollte nicht ausschließlich wegen einer offenen Tür getroffen werden. Es kommt auf das Zusammenspiel von Gottes Signalen an.

7.3 Ein „Ja“ von Gott, obwohl die Tür noch zu ist
2 Haltet fest am Gebet, wachen Sinnes und voller Dankbarkeit! 3 Betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für sein Wort öffne und wir das Geheimnis Christi verkündigen können, um dessentwillen ich in Fesseln liege, 4 damit ich es offenbar machen und davon reden kann, wie es meine Aufgabe ist. Kol 4

Paulus ist im Gefängnis. Er hat oft gesagt, dass das zum Weg Gottes mit ihm gehört. Deshalb nennt er sich manchmal einen „Gefangenen Jesu Christi“. Das bedeutet a) Er ist von Christus „ergriffen“ worden, er gehört jetzt ihm als sein Eigentum. b) Paulus ist wegen seines Einsatzes für Christus gefangen. c) Paulus ist nicht der Gefangene der römischen Behörden, sondern gehört immer noch zuerst Christus. Die irdischen Machthaber werden entmächtigt durch diesen Ausdruck „Gefangener Jesu Christi“. Für Paulus ergibt sich daraus: Im Gefängnis ist er jetzt am richtigen Ort, obwohl er natürlich auf Freispruch hofft.
Paulus braucht nicht irgendeine offene Tür, damit er sich sicher ist: Gott sagt jetzt „Ja“ zu seinem Gefängnisaufenthalt. Aber wenn Gott den Paulus nun einmal dorthin stellt, dann sollte doch wohl auch eine Tür für Gottes Reich aufgehen! Darum sollen die Christen in Kolossä beten. Paulus rechnet damit, dass die Tür zu den Menschen nicht geschlossen bleibt – warum? Weil es in Freiheit oder im Gefangenschaft immer seine Lebensberufung ist, Jesus zu verkündigen (V. 4). Dazu hat Gott sowieso „Ja“ gesagt. Aus diesem Ja soll dann eine offene Tür folgen.
Manchmal brauchen wir also keine offene Tür als Entscheidungshilfe. Unsere Entscheidungen können wir dann klar treffen, wenn wir uns über unsere Berufung im Klaren sind. Offene Türen könnten aber nachträglich eine weitere Bestätigung für unsere Entscheidung sein.

7.4 Ein Ja Gottes, obwohl die Tür nicht aufgeht?
Gibt es auch die Situation, wo Gott uns an einen Platz gestellt hat und wir dort bleiben sollen, obwohl auf Dauer keine Tür aufgeht?
Das kann es geben. David hatte seine Platzanweisung von Gott schon früh bekommen: er war zum König gesalbt worden. Zunächst schien sich auch ein Weg an den Königshof zu bahnen, obwohl dort noch ein anderer König war, Saul. David kam als Musiker dorthin. Später heiratete er sogar in die Königsfamilie ein. Doch danach verschlossen sich alle Türen, er wurde von Saul verfolgt, musste fliehen und in den Untergrund gehen. Dennoch war seine Lebensberufung klar. Erst sehr spät, nach Ablauf einer langen aufreibenden Zeit, ging die Tür zum Königtum dann doch auf.
Wann können wir in unserem Leben an einem Ja Gottes zu unserer Berufung festhalten, auch wenn die äußeren Türen zugehen? Wenn Gott uns auf eine an-dere, sehr deutliche Weise unsere Lebensberufung klar gemacht hat.

7.5 Eine geschlossene Tür als ein „Nein“ von Gott
Es kann auch vorkommen, dass Türen zugehen und Gott dies als Signal gibt, dass wir unseren Ort wechseln sollen. Gott bringt uns dann zum Aufbruch und die geschlossene Tür ist ein Reden Gottes. Auch das hat Paulus einmal erlebt:

19b So habe ich denn das Evangelium Christi verkündigt von Jerusalem und seiner Umgebung aus bis nach Illyrien 20 und dabei stets alles darangesetzt, das Evangelium nur dort zu verkündigen, wo Christus noch nicht bekannt war. Ich will ja nicht auf eines andern Fundament bauen [...]. 22 Das ist es, was mich immer wieder daran gehindert hat, zu euch zu kommen. 23 Jetzt aber habe ich keinen Raum mehr hier in diesem Gebiet, auch sehne ich mich seit Jahren danach, zu euch zu kommen, 24a wenn ich einmal nach Spanien reise. Röm 15

Paulus hat lange Zeit Gottes Ja zu seinem Wirkungsgebiet gespürt, aber nun hat er „keinen Raum“ mehr dort. Die Möglichkeiten sind zu eng geworden. Wenn er jetzt noch bleiben würde, müsste er vielleicht dort wirken, wo bereits andere Evangelisten an der Arbeit sind – und das gehört ausdrücklich nicht zu Paulus’ Auftrag.
Die sich schließende Tür gibt Paulus also Anlass, sich neu zu orientieren.
Das kann auch in anderen Zusammenhängen einmal so sein. Der Prophet Amos zeigt dem Volk auf, wie ihre Möglichkeiten nach und nach immer enger werden, und versteht das als Signal Gottes (das aber leider nicht beachtet wird).

6 Und so habe dann ich euren Zähnen nichts zu kauen gegeben in allen euren Städten und euch Mangel gegeben an Brot an allen euren Orten. Dennoch seid ihr nicht zurückgekehrt zu mir! Spruch des HERRN.
7 Und so habe dann ich euch den Regen vorenthalten, als es noch drei Monate waren bis zur Ernte. Und auf die eine Stadt ließ ich es regnen, auf die andere aber ließ ich es nie regnen. Ein Feld erhielt Regen, ein anderes aber, auf das es nie regnete, vertrocknete. 8 Da wankten zwei, drei Städte zur selben Stadt hin, um Wasser zu trinken, aber sie wurden nicht satt. Dennoch seid ihr nicht zu-rückgekehrt zu mir! Spruch des HERRN.
9 Mit Kornbrand und mit Vergilben habe ich euch geschlagen; eure Gärten und eure Weinberge habe ich zahlreich gemacht, eure Feigen und eure Oliven aber hat die Raupe gefressen. Dennoch seid ihr nicht zurückgekehrt zu mir! Spruch des HERRN.
10 Ich habe euch die Pest gesandt, wie ich sie Ägypten gesandt habe. Eure jun-gen Männer habe ich umgebracht mit dem Schwert, und auch eure gefangenen Pferde, und den Gestank von euren Lagern habe ich aufsteigen lassen in eure Nase. Dennoch seid ihr nicht zurückgekehrt zu mir! Spruch des HERRN.
11 Ich habe eine Zerstörung unter euch angerichtet wie die Zerstörung von Sodom und Gomorra durch Gott, und ihr wart wie ein Holzscheit, das aus dem Brand gerettet wurde. Dennoch seid ihr nicht zurückgekehrt zu mir! Spruch des HERRN. Amos 4

Die sich schließenden Türen waren ein Aufruf zur Umkehr. Man hätte aufwachen und neu nach Gott fragen sollen. Ähnlich ruft auch der Prophet Haggai auf: „Achtet doch mal darauf, wie es euch geht!“ (Hag 1,5.7; 2,15.18).
Es könnte jemandem schlecht gehen und er ist von Gott her dennoch am rich-tigen Platz. Das müsste derjenige aber dann deutlich von Gott gehört haben (so wie Paulus im Gefängnis). Oder aber es geht jemandem schlecht, weil die vorherige bessere Lage ohne Gott zustande gekommen ist. Dann muss man umkehren.

7.6 Fazit
Auch die „offene Tür“ ist ein Signal Gottes, das nur in Zusammenhang mit anderen Signalen aussagekräftig ist. In einer Entscheidung sollten wir auf den Zusammenklang der verschiedenen Äußerungen Gottes achten und nicht nur wegen eines einziges Eindruck entscheiden.