Die Propheten Sacharja und Haggai lebten und wirkten zur selben Zeit
(siehe Sach 1,1; Hag 1,1) und sprachen in dieselbe Situation und zu
denselben Menschen: Als nach der Rückkehr aus dem Exil zwar das normale
Leben funktionierte, aber der Tempel noch nicht aufgebaut war,
ermunterten sie das Volk, den Tempelbau in Angriff zu nehmen. Speziell
der Statthalter Serubbabel und der Hohe Priester Jeschua wurden von den
beiden Propheten angeredet.
Die Botschaft dieser Propheten war
im Kern dieselbe (vgl. Sach 8,9-13 mit Hag 1,5-11; 2,5-19). Doch es
besteht auch ein bemerkenswerter Unterschied. Haggai konzentriert sich
ganz auf das, was aus Gottes Sicht jetzt getan werden muss: Man soll
anfangen, den Tempel zu erbauen. Die Führungspersonen Serubbabel und
Jeschua sollen Mut fassen. Dem Volk und dem Tempel steht eine wunderbare
Zukunft bevor (z.B. Hag 2,4-9).
Die Botschaft des Propheten
Sacharja unterstützt Haggais Verkündigung und bestätigt sie. Doch
zugleich geht Sacharjas prophetischer Blick immer wieder weit über die
Gegenwart und über die nächstliegenden Aufgaben hinaus. Er blickt nicht
nur nach Jerusalem, sondern auf die ganze Erde (Sach 6,1-8). Er bekommt
eine Zukunft gezeigt, die alle gegenwärtigen Vorstellungen übersteigt
(9,9-10; 12,6-9; 14,1-19). Das, was eigentlich der Tempel bewirken soll –
Vergebung, Reinigung, Heiligung – wird einmal noch ganz anderes
erreicht werden, ohne dass der Tempel eine zentrale Rolle dabei spielt
(13,1; 14,20-21).
Aus Haggais Sicht könnte diese weit gesteckte
Perspektive wie eine Ablenkung wirken und als ob die Stoßkraft der
prophetischen Botschaft geschwächt würde: „Ich versuche hier mit aller
Kraft, Serubbabel, Jeschua und das Volk zum Handeln aufzurütteln, damit
sie endlich mit dem Tempel anfangen – und du erzählst, dass es
irgendwann noch etwas ganz anderes geben wird und dass es auf dem Tempel
nicht immer ankommen wird!“ Doch Sacharja könnte antworten: „Ich
unterstreiche deine Botschaft voll und ganz und betone auch ihre
Dringlichkeit. Doch wir dürfen uns nicht im Heute und Morgen verlieren,
wenn Gott übermorgen noch Größeres für uns bereit hat.“
Es wird
in Gottes Reich immer Menschen mit beiden Arten von Berufung geben. Die
einen – die Haggai-Typen – sind berufen, das heute Wichtige
durchzusetzen, und ihre Berufung konzentriert sich auf dieses Ziel. Die
anderen – die Sacharja-Typen – haben die Berufung, daneben noch weitere
Gesichtspunkte einzubringen und Gottes größere Ziele und Gottes weitere
Zukunft zu zeigen. Ihnen hat Gott aufgetragen, an die Vorläufigkeit des
Heute und Morgen zu erinnern – so wichtig die Gegenwart auch ist. Sie
helfen, dass energische Verantwortungsträger im Reich Gottes ihre Ziele
nicht absolut setzen.