Montag, 2. November 2009

Predigt über Lk 4,16-22: „Schuldenerlass: jetzt!“

Predigt über Lk 4,16-22: „Schuldenerlass: jetzt!“
Liebe Gemeinde,
welche Last auch immer wir mit uns herumtragen: Gott will sie uns nehmen. Gott übernimmt unsere Bürde. Er braucht dazu unsere offene Hand. Wo Hände aufgehen und loslassen, kann Gott übernehmen.
Wir hören heute einen biblischen Bericht darüber, wie Gott das macht: unsere Last nehmen. Wieder einmal sehen wir es am besten an Jesus. Hören wir, was Jesus über sich und über Gott und über die Lasten der Menschen gesagt hat:

16 Als Jesus nach Nazareth kam, wo er seine Kindheit verbracht hatte, ging er wie gewohnt am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um aus der Schrift vorzulesen. 17 Man reichte ihm die Schriftrolle des Propheten Jesaja, und als er sie aufrollte, fand er die Stelle, an der steht: 18 »Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt, um den Armen die gute Botschaft zu verkünden. Er hat mich gesandt, Gefangenen zu verkünden, dass sie freigelassen werden, Blinden, dass sie sehen werden, Unterdrückten, dass sie befreit werden, 19 und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.« 20 Er rollte die Schriftrolle zusammen, gab sie dem Synagogendiener zurück und setzte sich. Alle in der Synagoge sahen ihn an. 21 Und er sagte: »Heute ist dieses Wort vor euren Ohren Wirklichkeit geworden!« 22 Und alle Anwesenden sprachen sich gegen ihn aus und waren befremdet über die Botschaft der Gnade, die er hören ließ. »Wie kann das sein?«, fragten sie. »Ist das nicht Josefs Sohn?« (Lk 4; Die Übersetzung von V. 22a nach einem Vorschlag von Joachim Jeremias)

Eine Szene aus dem Synagogengottesdienst in Nazareth. Dieser Gottesdienst fand ungefähr 28 n. Chr. statt. Damit wir verstehen, was hier passiert ist, müssen wir aber weit zurückgehen. Wir machen eine Zeitreise, werden dann irgendwann auch wieder in Nazareth auftauchen und schließlich bei uns heute ankommen.

Kanaan im Jahr 1100 v. Chr. In einer kleinen Stadt denken wir uns einen Mann namens Abidan. Er ist 38 Jahre alt und war früher ein selbständiger Handwerker. Jetzt aber ist er ein Sklave. Er hatte im Leben Pech gehabt. Abidan hatte seinem Cousin eine Menge Geld geliehen. Der wollte davon Kamele kaufen. Aber auf einer Reise war der Cousin überfallen worden, ausgeraubt und getötet. Das Geld war weg. Abidan war der Geprellte. Wenig später hatte Abdian einen Unfall verursacht. Es war Markt gewesen, am Abend hatte man etwas Wein getrunken, Abidan war in Streit mit irgendeinem Kerl geraten, Abidan hatte sein Messer in der Hand – und plötzlich fehlte dem anderen das rechte Auge. Abidan war die Hand ausgerutscht. Für so einen Fall war Schadensersatz vorgesehen, aber Abidan hatte ja kein Geld mehr. Es blieb ihm also nur eins: Er musste sich selbst als Sklaven auf Lebenszeit verkaufen. Das war 16 Jahre her. Seitdem also war Abidan Sklave. Er arbeitete in einer kleinen Töpferei. Das war keine schlechte Arbeit, das hatte er schließlich gelernt – aber es war hart. Krüge formte er gern, aber der heiße Ofen setzte ihm zu.
38 Jahre jetzt – nach harter Arbeit vom Morgen bis zum Abend war er kaputt und in dem Alter hatte man als Sklave nicht mehr lange zu leben. Doch Abidan hatte Hoffnung. Noch zwei Jahre! Dann war er raus. Und wenn dann erst mal die Schufterei vorbei war, dann würde er sich vielleicht erholen und noch länger leben. Noch zwei Jahre! Wieso nur noch so kurz?
In zwei Jahren war Jobeljahr. Erlassjahr! Das Gesetz Gottes, durch Mose gegeben, legt fest: Alle fünfzig Jahre wird ein Jobeljahr angesetzt. Alle Schulden werden erlassen. Alle Grundstücke, die irgend jemand von irgendwem gekauft hatte, fielen an den ursprünglichen Besitzer zurück oder an dessen Kinder. Alle Sklaven wurden freigelassen. Abidan wusste: Er hatte hart bezahlen müssen für seinen Leichtsinn, aber keine Verschuldung zwischen Menschen in Israel war für die Ewigkeit, Spätestens nach 50 Jahren würde sie erlassen. Jobeljahr! In zwei Jahren war es so weit! Abidan ertappte sich dabei, dass er manchmal ein Lied sang: „Wir sind entkommen wie ein Vogel aus dem Netz des Jägers. Das Netz ist zerrissen und wir sind frei! Unsere Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ 1100 v. Chr. in Kanaan.

Fahren wir weiter auf unserer Zeitreise. Judäa, im Jahr 520 v. Chr. Wir nehmen an, hier lebte Sakkai mit seiner Familie. Und zwar lebte er erst seit kurzem hier. Er war Jude, aber in Babylon geboren. Die Juden waren nach dort verschleppt worden. Er hatte in Babylon eine jüdische Frau gefunden, er hatte die Geschichten seiner Eltern und Großeltern oft gehört, wie es damals war, daheim in Judäa, wie man dort leben konnte. In Babylon hatte Sakkai einen Plan gefasst: Wenn er irgendwann mal nach Judäa kommen sollte, dann wollte er Olivenbäume pflegen, eine Plantage anlegen, eine Ölkelter betrieben. Olivenöl braucht jeder.
Jetzt war er da. Er kannte die Berichte genau, wo seine Sippe Land besessen hatte. Er wusste, dass dort eine alte Ölbaumplantage war. Er war dorthin zurückgekommen – aber dann war es schwierig geworden. Nicht alle Juden waren während der letzten 70 Jahre in Babylon gewesen. Einige hatten auch zu Hause bleiben dürfen. Die hatten sich ganz schön breit gemacht. Und als dann die verschleppten Juden aus Babel freigelassen wurden, da hatten die Glück, die mit der ersten Reisewelle ankamen. Die suchten sich die besten Plätze. Sakkai war nicht in der ersten Reisewelle gewesen. Er hatte zu guter Letzt seine Plantage kaufen müssen – die doch seiner Familie eigentlich gehörte. Vielen ging es ähnlich. Die Stimmung im Land war verbittert. Man traute einander kaum über den Weg. Die Verwerfungen waren zu groß.
Sakkai war eines Tages auf dem Weg von der Olivenbaumplantage nach Hause, als er auf dem Markt eine Menschentraube sah. Alle drängten sich um einen Redner. Sakkai schob sich näher und erkannte, wer es war. Ein Mann Gottes, er war bekannt als „der Jesajaprophet“. Er rief seine Botschaft aus. Da sei jemand gekommen, mit Gottes Geist erfüllt. Der würde von Gott gute Nachricht für alle Armen bringen. Der würde gebrochene Herzen heilen und Gefangene befreien. Er würde ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen und den Tag der Vergeltung für alle Feinde.
Ein Gnadenjahr des Herrn? Komisch. Dieses alte Mosegesetz vom Jobeljahr hatte man lange schon nicht mehr praktiziert. Wie war das noch gleich? Da sollten alle Sklaven freigelassen werden und alle Grundstücke an die ursprünglichen Besitzer zurückfallen. Ha, so ein Erlassjahr hätte Sakkai gebraucht, als er aus Babylon kam. Dann hätte er seinen Ölgarten rechtmäßig bekommen. Dann wäre viel Wut und Hass unnötig gewesen. Dann wäre das Miteinander nicht so vergiftet. Nun, aber die erste Reisewelle der babylonischen Juden war ja noch längst keine 50 Jahre im Land. War denn jetzt schon ein Erlassjahr dran?
Der Jesajaprophet sprach mit großer Überzeugung. Tja, wenn Gott einfach einen Propheten schickt und einfach jetzt die Zeit festsetzt? Erlassjahr – jetzt? Seinen Ölgarten hatte Sakkai schon, der war wieder in die Familie gekommen. Und die Wut? Die wäre dann auch abgehakt. Gott würde die Bösen bestrafen – dafür war ja der Tag der Rache gedacht. Also könnte Sakkai die Sache aus der Hand geben – er hätte seinen Frieden gefunden. Erlassjahr – jetzt schon? Eigentlich nicht schlecht! Ein Psalm ging Sakkai durch den Kopf: „Wir sind entkommen wie ein Vogel aus dem Netz des Jägers. Das Netz ist zerrissen und wir sind frei! Unsere Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ 520 v. Chr. in Judäa.

Und nun gehen wir weiter nach Galiläa. Nazareth, 28 n. Chr. Wir begegnen hier Kezia. Eine selbstbewusste Frau. Sie ist verheiratet, hat fünf Kinder und hat mit dem Haushalt schon allerlei zu tun. Doch außerdem ist sie mit der Zeit die erste Bäckerin am Ort geworden. Viele Nazarener lassen ihr Brot am liebsten bei Kezia backen – sie kriegt es einfach hin wie keiner sonst.
In einem aber ist Kezia wie alle aus Nazareth: Sie seufzt unter den Römern. Alle sind wütend auf diese Heiden, die das Land beherrschen. Einerseits ist Kezia froh, dass keiner ihrer Söhne in den Untergrund gegangen ist und Anschläge verübt. Andererseits – verdient hätten es die Römer schon.
Einen Anschlag verüben – das würde Kezia auch gerne gegen ihre Schwiegermutter. Die alte Schachtel ist nicht darüber hinweggekommen, dass Kezia ihren Sohn geheiratet hat, und nun lässt sie keine Gelegenheit aus, Kezia ihre Verachtung zu zeigen. Einmal hat sie sogar eine Schippe Dreck in Kezias Brotteig gekippt. Kezia hatte danach zwei Tage geheult. Seit ein paar Monaten aber ist Kezia richtig in der Klemme. Der älteste Sohn hat geheiratet und, man kann es wenden wie man will, aber er hätte doch ... hm ... eine andere Schwiegertochter ins Haus bringen können. Kezia würde ihr nie Dreck ins Essen kippen, aber bei der Erziehung würde man schon kräftig nachbessern müssen. Als aber ihr Sohn neulich sagte: Kezia sei eine genauso miese Schwiegermutter wie die Mutter seines Vaters – da hat Kezia wieder zwei Tage geheult. Und hat sich gefragt, ob es denn ewig so weiter gehen muss, dass man das Böse von Generation zu Generation weiterträgt.
Nun sitzt Kezia hinten in der Synagoge von Nazareth, in der Abteilung für die Frauen. Sie hat gesungen und gebetet und die Gesetzeslesung gehört wie jeden Sabbat. Nun ist die Prophetenlesung dran. Der Älteste vom Joseph ist aufgestanden, um zu lesen. Dieser komische Typ, der ein fleißiger Handwerker in Nazareth gewesen war, aber geheiratet hat er nie, auch mit Anfang 30 noch nicht. Sehr seltsam – und eigentlich hat Gott doch geboten, sich zu mehren. Trotzdem lief der neulich von zu Hause weg, um als Rabbi zu predigen. Naja, jetzt ist er wieder in der Heimatsynagoge und liest aus dem Propheten Jesaja.
»Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt, um den Armen die gute Botschaft zu verkünden. Er hat mich gesandt, Gefangenen zu verkünden, dass sie freigelassen werden, Blinden, dass sie sehen werden, Unterdrückten, dass sie befreit werden, und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.« Dann rollt er die Schriftrolle zusammen, gibt sie dem Synagogendiener zurück und setzt sich. Einfach so. Er hat einfach aufgehört. Er hätte doch weiterlesen müssen, wie alle es kennen. Die Jesajastelle ging doch noch weiter: „Ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen und einen Tag der Vergeltung unseres Gottes!“ Wo bleibt denn der Tag der Vergeltung? Den brauchen wir doch, denkt Kezia, damit die Römer das kriegen, was sie verdienen. Was maßt dieser Zimmermann sich an, den Tag der Rache wegzulassen?
Und dann hält er noch nicht mal eine vernünftige Predigt. Sondern sagt nur dies: „Heute ist dieses Wort vor euren Ohren Wirklichkeit geworden!“ Heute? Was ist heute Wirklichkeit geworden? Das Gnadenjahr des Herrn? Das Erlassjahr? Das war doch so eine Sache, die Mose im Gesetz geboten hat. Sklaven frei lassen, Schulden durchstreichen, nicht mehr das einfordern, was einem zusteht ... wie kann der denn behaupten, jetzt wäre plötzlich so ein Erlassjahr dran?
Und was wäre, wenn er recht hätte? Naja, Schulden hat sie keine einzutreiben. Aber Rache würde sie schon gern sehen. An den Römern – und an ihrer Schwiegermutter. Bei Jesus fällt die Rache ja aus, denkt sie bitter. Schulden nicht mehr einfordern – auch der fiesen Schwiegermutter nicht mehr vorhalten, was sie mir angetan hat? Das wäre ja dann wohl auch fällig, wenn Erlassjahr wäre. Alte Rechnungen abhaken. Vielleicht könnte sie dann auch wieder besser schlafen und ihr Magen würde nicht mehr schmerzen, wenn sie was Scharfes isst. Gefangene werden frei, hat Jesus aus der Jesajaschriftrolle gelesen. Kezia könnte frei werden vom Groll, wenn Jesus recht hätte mit dem Erlassjahr.
Weil die Predigt heute anscheinend ausfällt, Jesus hat ja nur einen einzigen Satz gesagt, kommt jetzt ein Psalm dran. Kezia singt mit allen zusammen: „Wir sind entkommen wie ein Vogel aus dem Netz des Jägers. Das Netz ist zerrissen und wir sind frei! Unsere Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ 28 n. Chr. in Nazareth.

Hat Kezia Jesus richtig verstanden? Jawohl, das hat sie. Jesus hat damals tatsächlich nur Worte der Gnade vorgelesen und die Botschaft von der Vergeltung weggelassen. Die Menschen in der Synagoge haben das sehr genau gehört – und sich geärgert. „Alle Anwesenden sprachen sich gegen ihn aus und waren befremdet über die Botschaft der Gnade, die er hören ließ. »Wie kann das sein?«, fragten sie. »Ist das nicht Josefs Sohn?«“ Jesus hat einseitig gepredigt, so wie er überhaupt einseitig gelebt hat. „Gott hat den Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Joh 3,17) So hat Jesus es an anderer Stelle gesagt. Das ist allerdings einseitig. Und später hat der große Prediger Paulus es ähnlich ausgedrückt: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat.“ (2Kor 5,19) Gott hat hier etwas getan, einseitig. Er hat die Welt mit sich versöhnt. Das hat er getan, bevor wir Menschen an irgendeine Umkehr gedacht haben. Da hat Gott schon bei sich beschlossen, uns unsere Verfehlungen nicht anzurechnen – so sagt Paulus es wirklich. Es ist göttlich, Schulden durchzustreichen. Es ist christusgemäß, alte Rechnungen abzuhaken. Es ist Gottes Plan, immer wieder Zeitpunkte zu setzen, wo der Zähler auf Null springt. Das ist Gottes Idee hinter dem Gnadenjahr, hinter dem Erlassjahr. Als Jesus kam, kam auch dieser gesetzte Zeitpunkt: Schuldenerlass.
In unserem Sprachgebrauch gibt es ein Wort, das diese Idee ungefähr meint. Wir sprechen von einer Amnestie. Das bedeutet: Es gibt Täter, die schuldig geworden sind, aber die Schuld wird nicht weiter verfolgt. Die Strafe wird nicht bis zu Ende durchgezogen. Wer eine Amnestie bekommt, wird nicht von allem reingewaschen, als hätte er nie etwas getan. Nein, es bleibt bestehen: der ist schuldig, der ist ein Täter. Aber dann wird die Sache abgehakt.
Eine Amnestie ist strenggenommen ungerecht. Manchmal ist das aber der einzige Weg für Aussöhnung und Neubeginn. Als die staatliche Rassentrennung in Südafrika zu Ende ging, hat man eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingesetzt. Sie hat die Verbrechen der weißen Machthaber beleuchtet. Die Täter – sie hatten z. B. gefoltert und gemordet – mussten ihre Verbrechen zugeben. Sie mussten den Schwarzen gegenübertreten, an denen sie sich vergangen haben. Aber danach wurden sie nicht bestraft. So wollte man einen Neuanfang für das Land möglich machen. Sehr schwer war das für diejenigen, deren Angehörige z. B. grausam getötet worden waren. Gerechtigkeit, kann man sagen, sieht anders aus. Aber wenn man Vergeltung gewollt hätte, dann wäre das Land vielleicht jahrzehntelang in Hass und Kampf versunken. Amnestie – sie hat einen Neuanfang gebracht. Zähler auf Null.

Gehen wir weiter auf unserer Zeitreise. Marburg, 2009 n. Chr. Wir sprechen in unserer Gemeinde immer wieder davon, dass es Ballast aus der Vergangenheit gibt. Spannungen, ungeklärte Konflikte. Viele wissen nicht genau, was jeweils gemeint ist. Wir haben auch nicht klar benannt, wie lange die einzelnen Dinge schon zurückliegen. Vielleicht denkt auch jeder an einen anderen Brandherd oder ein anderes Glutnest.
In einem Gemeindeforum wurde nun der Vorschlag gemacht: Wir bestimmen für uns einen Tag, ab dem dieser alte Ballast nicht mehr herbeizitiert werden soll. Einen Stichtag, an dem wir diese Sachen abhaken. Heute ist der erste November. Im November ist der Buß- und Bettag wie geschaffen für so ein Vorhaben.
Ich möchte uns einladen, dass wir uns auf eine solchen Erlasstag vorbereiten. Nicht schon heute ist der Tag, wo alte Geschichten abgehakt werden sollen. Nein, das braucht wohl noch Vorbereitung. Aber bis zum 18. November, dem Buß- und Bettag, haben wir noch Zeit, um uns vorzubereiten – jeder kann es tun. Warum? Weil Schuldenerlass göttlich ist. Weil Jesus ein Erlassjahr ausgerufen hat. Weil Gott einseitig in Vorleistung getreten ist. Er hat unsere Auflehnung abgehakt. Er hat sie am Kreuz an seinem Sohn abgestraft und nun ist sie erledigt. Gott hat einen Tag gesetzt, diesen Tag von Golgatha. Weil dieser Karfreitag auf Golgatha wirksam ist bis in alle Ewigkeit, deshalb können wir für uns auch einen Aussöhnungstag ableiten von diesem Karfreitag.
Was auch immer alter Ballast ist – was auch immer einzelne belasten mag: Um eine Sorte von Spannungen wird es bei dem Aussöhnungstag nicht gehen. Es ist nicht unser schlimmstes Problem, dass wir momentan Meinungsverschiedenheiten haben. Dass wir uns noch nicht einig sind über unseren Weg in die Zukunft. Das ist keine Schuld vor Gott. Differenzen muss man barmherzig austragen und im Gespräch klären. Unsere Differenzen müssen wir uns einander nicht vergeben. Sie sind keine Schuld. Wir können höchstens schuldig werden in der Art, wie wir unsere Differenzen austragen. Wenn wir z. B. unbarmherzig sind. Das kann dann gleich hineingenommen werden in den Aussöhnungstag. Aber dass wir überhaupt gemeinsam um den richtigen Weg ringen – das ist noch keine Schuld vor Gott und es ist kein Grund zur Empörung. Sonder wir sprechen über Streitigkeiten aus der Vergangenheit.

Wie können wir alten Ballast loswerden? Wie sähe es praktisch aus, wenn wir unsere Hände öffnen, um loszulassen?
Es gibt drei Möglichkeiten. 1. Möglichkeit: Ich war direkt beteiligt an einem Konflikt und derjenige, mit dem ich quer lag, ist noch erreichbar für mich. Man könnte noch miteinander sprechen. Das Klima ist noch nicht völlig vergiftet. Dann wäre die erste Möglichkeit eben die, dass ich ein Gespräch suche. Einen Termin verabrede. Eine Verabredung treffen – dafür ist es bis zum 18. November noch massenhaft Zeit.
2. Möglichkeit: Vielleicht ist es nicht sinnvoll, mit jemandem direkt zu sprechen. Vielleicht lebt er nicht mehr oder ist weggezogen oder er weiß gar nicht, was ich ihm übel genommen habe. Oder die Beziehung ist so brüchig, dass wir uns nur neu einander verletzen würden. Dann kann ich – als 2. Möglichkeit – ein seelsorgliches Gespräch suchen mit einer Vertrauensperson. In der Gegenwart Gottes kann ich Verletzungen loslassen, Schuld vergeben und Gott um Heilung bitten. Der Andere wird nicht sofort merken, dass ich die Sache begraben habe. Aber ich selbst werde es sofort merken.
3. Möglichkeit: Ich mache die Sache vor Gott mit mir selbst aus. Zu Hause im Gebet oder still für mich in der Gemeinde, am Buß- und Bettag im Aussöhnungsgottesdienst. Keiner merkt das – wohl aber Gott. Und ab dann werde ich alte Geschichten nicht mehr herbeizitieren und nicht mehr als Argument verwenden. Der andere, der mir quer liegt hat sich vielleicht gar nicht geändert. Aber ich habe mich geändert – einseitig.
Was könnten wir gewinnen, wenn wir uns auf so eine Aussöhnung einlassen? Zweierlei. Jeder persönlich kann Heilung erfahren. Und als Gemeinde könnten wir einen Neuanfang erleben. Beides wären Geschenke der Gnade. Sie sind nicht bei uns entstanden, sondern Gott hat sie vorbereitet. Aber um sie zu empfangen, müssen wir unsere Hände öffnen. Dazu lade ich dringlich und herzlich ein. Gottes Versprechen liegt schon lange vor. Jesaja hat es über den Messias, den Christus gesagt, und Christus will es auch heute noch tun:

Der Geist Gottes, des HERRN, ruht auf mir. Denn der HERR hat mich gesalbt, um den Armen frohe Botschaft zu verkünden, er hat mich gesandt, um die zu heilen, die ein gebrochenes Herz haben, um Freilassung verkünden für die Gefangenen und Befreiung für die Gefesselten, um ein Gnadenjahr des HERRN auszurufen [...], um alle Trauernden zu trösten. (Jes 61)

Werke des Christus! Amen.