Montag, 28. Dezember 2009

„Hoffnung – aber mit Grund!“

Predigt über Lk 1,18.34: „Hoffnung – aber mit Grund!“ (20.12.2009)
Liebe Gemeinde,
in den letzten Jahren haben wir als Gemeinde etwas miterlebt, das vorher selten bei uns war: Frauen wurden schwanger und haben Kinder geboren. Es war jedes Mal ein Fest, wenn wir hier im Gottesdienst die Geburt eines neuen Babys bekannt geben konnten. Jedes Mal ist eine Hoffnung in Erfüllung gegangen.
Hoffnung: Man sagt ja auch von einer Schwangeren: Sie ist guter Hoffnung. Sie geht mit ihrem Mann einen Hoffnungsweg von neun Monaten und all den Hoffnungen, die die beiden vorher schon gehabt haben mögen.

In der Zeit, bevor Jesus geboren wurde, lebten Menschen, die auf eine bessere Zukunft hofften. Sie sahen, was gegenwärtig los war: ein besetztes Land, Armut an vielen Stellen und es war unklar, wann Gott eingreifen würde. Trotzdem hofften sie auf eine andere Zukunft. Typisch dafür war z. B. der alte Mann Simeon, von dem es heißt: „Er wartete auf die Rettung Israels.“ Aber die Berichte der Bibel über die Zeit vor Jesu Geburt kennen noch andere hoffende Menschen, und zwar zwei schwangere Frauen bzw. deren Männer. Einmal war da der alte Priester Zacharias mit seiner Frau Elisabeth. Sie hatten sehr lange gehofft auf Kinder. Aber sie bekamen keine. Die lange Zeit hatte ihre Hoffnung sehr klein werden lassen. Sie hatten schließlich hingenommen, dass es so war, wie es war. Und da war der Zimmermann Josef mit seiner Verlobten Maria. Sie hofften auf ein gemeinsames glückliches Leben, wenn sie erst einmal verheiratet wären. Die Zeiten waren hart, aber zusammen würde man glücklich sein.
Zwei hoffende Paare also. Eines mit ganz kleiner Hoffnung und eins mit wohl recht großer.
In unserem Leben ist es ganz ähnlich. Es gibt Dinge, auf die wir fröhlich hoffen, weil eigentlich alles dafür spricht, dass es auch so kommen wird. Man muss nur auf die richtige Zeit warten. Und es gibt Zustände, die drückend sind und wo wir kaum noch wissen, woher ein Grund für Hoffnung kommen soll. Hoffnung braucht ja immer einen Grund: einen Platz, wo sie ihren Anker festmachen kann. Aber wenn die Verhältnisse über lange Zeit bleiben, wie sie sind, dann scheint kein Grund vorzuliegen, dass es doch noch mal besser werden könnte.

Ich habe in den vergangenen Wochen mit vielen Menschen gesprochen und dabei – manchmal nebenbei – erfahren, wie bedrängt sie sind. Jemand ist schon krank, immer wieder, und auf einmal kommt noch eine Krankheit obendrauf. Es war so schon schwer auszuhalten, aber jetzt eine noch größere Last. Es schmerzt dann auch mich, das zu hören und daran teilzunehmen. Jemand fühlt sich den Störungen seines Nachbarn schutzlos ausgeliefert. Eine Bitte, doch Rücksicht zu nehmen, war in den Wind geredet. Die Schikanen gehen weiter und machen mürbe. Jemand sieht mit an, wie die Ehe seiner erwachsenen Kinder brüchig wird, zerbricht und wie die Enkelkinder darunter leiden. Man steht dabei und kann nicht helfen – man kann da sein und trösten, aber nichts ändern. Noch viele andere solcher Hoffnungsgespräche habe ich geführt – bzw. Gespräche, in denen die Hoffnung auf immer kleinerer Flamme brannte.
Hoffnung braucht einen Grund: einen Platz, wo sie ihren Anker festmachen kann. Sonst sind es nur wolkige Worte, die nicht tragen. Wie sehr wünsche ich den Menschen um mich und auch mir selber bei meinen Lasten eine fest verankerte Hoffnung.

Was passierte mit den beiden Ehepaaren: Zacharias und Elisabeth sowie Josef und Maria? Die einen mit kleiner Hoffnung und die anderen mit großer, und alle vier in einem Land, das auf seine Erlösung wartete?
Beide Paare wurden schwanger. Beide unerwartet. Bei den einen kam die Schwangerschaft viel später als gedacht. Bei den anderen viel früher. Als Elisabeth dann schwanger war, kann man wirklich sagen, sie war guter Hoffnung. Als Maria schwanger wurde – war das für sie und ihren Mann eine gute Hoffnung? Einen Haufen Probleme würden sie bekommen. Unverheiratet, Josef hatte mit Maria noch nicht geschlafen, er musste ja denken, sie hätte es von einem anderen, und Maria hatte die Aufgabe, erstens dem Engel das Unglaubliche zu glauben – vom Heiligen Geist würde sie schwanger werden –, und zweitens, das ihrem Verlobten glaubhaft zu machen. Das war eine Schwangerschaft wirklich zur Unzeit für diese beiden Menschen und sie waren zu Beginn wohl nicht „guter“ Hoffnung.
Beide Paare haben noch etwas gemeinsam. Beiden wurde der Nachwuchs durch einen Engel angekündigt. Gott hat es vorher gesagt, damit sie sich darauf vorbereiten könnten. Diese Vorbereitung war nötig. Maria brauchte ja diese Information, um nicht in blankes Entsetzen auszubrechen, als ihre Regel ausblieb und ihr Bauch wuchs. Und Zacharias brauchte diese Information, damit er überhaupt noch wieder Hoffnung schöpfte und im Alter noch einmal eine erotische Stunde mit seiner Frau arrangierte.
Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Paaren gehen noch weiter. Nicht nur dass beide die Nachricht durch einen Engel bekamen, sondern auch was sie dem Engel antworteten, verbindet sie. Ihre Antworten klingen ganz ähnlich. Und doch sind sie sehr verschieden. Die eine wagt Glauben und gibt Raum für die Hoffnung; der andere ist skeptisch. Hören wir mal auf ihre beiden Antworten, wie der biblische bericht aus dem Lukasevangelium sie uns zeigt.
Zacharias:
18 Und Zacharias sagte zu dem Engel: Woran soll ich das erkennen? Ich selbst bin ja alt, und meine Frau ist schon betagt. (Lk 1)
Maria:
34 Da sagte Maria zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich doch von keinem Mann weiß? (Lk 1)
Beide antworten zunächst sinngemäß so: Kann das denn sein? Das kann ja wohl nicht sein! Danach geht die Geschichte jeweils unterschiedlich weiter. Zacharias wird kritisiert. Der Engel erkennt in seiner Antwort keinen Glauben. Also bekommt Zacharias zwar sein Zeichen, aber das ist nicht witzig: Er ist monatelang stumm. Zeit, über Glauben und Hoffnung nachzudenken. Maria wird nicht kritisiert. Sie zeigt offenbar keinen Unglauben. Sondern sie sagt ja abschließend: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Dieser Satz enthält Hoffnung.
Aber vorher sagen doch beide ungefähr dasselbe! Beide bringen ihre Bedenken vor, beide schlucken ihre Einwände nicht runter! Wieso glaubt die eine, der andere aber nicht? Es liegt natürlich nicht an den Worten. Es liegt an der Haltung ihres Herzens. Wenn denn ein Engel die Herzen der Menschen lesen kann, dann fand er bei Zacharias ein Herz, das eher verschlossen war für Gottes Möglichkeiten. Und bei Maria ein Herz, das eher offen war für die Möglichkeiten Gottes. Diese Haltung ihrer Herzen nun drückt sich doch auch in ihren Worten aus, so gleichartig sie scheinen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Zacharias mit einer Feststellung schließt und Punkt. „Ich bin alt und meine Frau auch.“ Für ihn ist mit einer Tatsache alles gesagt. Maria aber schließt mit einer Frage. Sie bleibt also offen. Vielleicht verläuft hier die Grenze zwischen Zweifel und Hoffnung: ob wir Gott gegenüber einen Punkt machen oder eine Frage offen lassen.

Wenn ich an die Menschen denke, von denen ich kurz erzählt habe, Menschen mit ihren Enttäuschungen, und wenn ich an mich selbst denke mit meinen zerbrechlichen Hoffnungen, dann müssen wir uns alle, jeder für sich, dieser Frage stellen: Machen wir einen Punkt Gott gegenüber oder lassen wir eine Frage offen? Schreiben wir fest, dass sich nichts mehr ändern wird, Tatsache, Punkt –? Oder lassen wir die Tür für Gott offen, fragen wir Gott kopfschüttelnd, wie das denn bloß möglich sein solle, aber dann bleibt eben die Frage im Raum und Gott kann antworten?
Maria endete mit einer Frage und bekam dann auch eine Antwort vom Engel: „Denn für Gott ist nichts unmöglich.“ Das ist ein heller klarer Grund für Hoffnung. Hoffnung braucht ja Grund: einen Platz, wo sie ihren Anker festmachen kann. Sonst sind es nur wolkige Worte, die nicht tragen. „Für Gott ist nichts unmöglich“ – das ist wirklich ein Ankergrund für Hoffnung.

Ich selber habe die vergangenen Wochen viel über Hoffnung nachgedacht und musste merken, dass meine Seele da Zickzackkurs gefahren ist. Manchmal war ich richtig fröhlich und erwartungsvoll. Dann wieder sehr enttäuscht und entmutigt. Aber in dieser Zeit hat mich ein Satz getroffen, der sich als beständig erwiesen hat. Dieser Satz war einer der wichtigen Impulse dafür, heute über Hoffnung zu predigen. Der Generalsekretär des Europäischen Baptistenbundes hat ihn in einem Vortrag gesagt:
„[Gemeinden] müssen Träger dieser Hoffnung sein, [...] die es ablehnen, irgendeine Situation als »hoffnungslos« oder unerreichbar für die heilende Kraft Christi zu beschreiben.“ (Tony Peck)
Tony Peck macht hier zuerst etwas, was eigentlich gar nicht geht: Er sagt, man „muss“ als Christ Hoffnung haben. Hoffnung kann man aber nicht anordnen. Ich kann nicht hoffen müssen. Aber dann wird ein sehr klarer Grund für die Hoffnung genannt. Es gibt für ihn keine Situation, die unerreichbar für die heilende Kraft Christi ist. Also andersherum: Die heilende Kraft Christi ist wirksam und sie kann mich erreichen und kann jeden erreichen, der sie braucht. Wenn das so ist, dann ist wirklich keine Situation hoffnungslos.
Hoffnung ist das Gegenteil von Enttäuschung. Enttäuschung und Hoffnung sind zwei Kräfte, die gegeneinander stehen. Ich habe in den vergangenen Wochen auch mit etlichen Menschen aus unserer Gemeinde gesprochen, deren Hoffnung verschwunden ist. Sie sind so enttäuscht, dass nichts mehr blieb. Das tut mir weh, aber ich kann es auch verstehen. Jeder hat da seine eigene Geschichte, über die kein Mensch zu Gericht sitzen darf. Und man kann ja Hoffnung nicht anordnen. Keiner kann hoffen müssen.
Aber dann kommt diese Frage aus dem Vortag von Tony Peck. Ich muss sie mir zuerst selbst stellen. Sie lautet für mich und für uns alle, die wir belastet sind und deren Hoffnung nur noch am Flackern ist:

Ist unsere Situation noch erreichbar für die heilende Kraft Christi? Ist deine Situation wirklich unerreichbar für die heilende Kraft Christi?

Diese Frage muss sich jeder beantworten, der im Begriff ist zu resignieren.
Wenn ich mir diese Frage stelle, ist das längst keine billige Durchhalteparole. Es ist eine echte Frage. Und man kann sie nicht einfach fromm abnicken und sagen: Jaja, Jesus ist immer und überall, also wird alles gut. Das wäre wirklich zu platt. So eine Haltung würde nicht ernst nehmen, wie tief manche Menschen enttäuscht sind. Menschen z. B., die nicht verstehen, warum sie so lange im Alter noch unter Schmerzen leben und warum der Herr sie nicht in die Ewigkeit heimruft. Denen können wir nicht oberflächlich sagen: Jaja, der Herr Jesus macht schon alles gut. Und wir können es auch nicht sagen zu denen, deren Hoffnung in der Gemeinde angeknackst oder zerbrochen ist. Glaube heißt nicht, alle Rückfragen herunterzuschlucken. Auch Maria „durfte“ sagen: „Wie soll das geschehen, da ich doch von keinem Mann weiß?“ Sie hat die Fakten benannt. Kein frommes Jaja.
Aber uns allen will und muss ich diese Frage zumuten: Ist deine Situation wirklich unerreichbar für die heilende Kraft Christi?
Es könnte wohl sein, dass jemand unerreichbar ist für die heilende Kraft Christi. Heilende Kraft ist ja für denjenigen da, der Heilung braucht. Wer gesund ist oder wer meint, gesund zu sein, der braucht keine heilende Kraft. Von Christus aus ist seine heilende Kraft zwar da und in Reichweite. Aber derjenige, der sich für gesund hält, macht sich selbst unerreichbar für die heilende Kraft Christi. Das kann wohl sein. Darüber muss kein Mensch urteilen. Das würde Gott demjenigen selber sagen: He, ob du dir nicht doch noch mehr Heilung durch Christus wünschen müsstest?
Auch dabei gilt aber: Von Christus aus ist seine heilende Kraft da und in Reichweite. Wir alle stehen im Kampf zwischen Enttäuschung und Hoffnung. Das betrifft für jeden eine andere Frage. Die Frage nach Krankheit; die Frage „wie lange noch auf diese Erde bis zur Ewigkeit!“; die Frage, wie man es aushalten kann, nicht helfen zu können, wenn jemand in Not ist. Auch die Frage nach der Gemeinde. Jeder von uns muss sich eine Antwort geben: Ist deine Situation wirklich unerreichbar für die heilende Kraft Christi?
Und dann kommt es darauf an, wie diese Antwort ausfällt. Hat sie einen Punkt wie bei Zacharias? „Tatsachen sind Tatsachen und Punkt!“ Oder bleibt eine Frage im Raum stehen, die Gott dann beantworten kann? „Wie soll das zugehen?“ – „Gott, ich habe davon keine Ahnung, aber sprich doch bitte weiter. Ich bleibe ganz Ohr.“
Gott hat dann zu Maria weiter gesprochen, durch den Engel. Der Engel hat darauf gezeigt, was mit der anderen Frau, mit Elisabeth passiert ist, die auch unerwartet schwanger wurde, die jetzt guter Hoffnung war. Und der Engel hat gesagt: „Denn für Gott ist nichts unmöglich.“
Maria hat sich darauf eingelassen. Weil sie nicht zu früh einen Punkt gemacht hat. „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Und dann konnte die unverheiratete Frau, bisher ohne Verkehr mit einem Mann, die zuerst noch in Schwierigkeiten kommen würde durch diese Schwangerschaft – dann konnte sie dennoch „guter Hoffnung“ werden.
Amen.