Montag, 19. April 2010

Predigt: "In Jesu Spur heil werden"

Predigt über 1Petr 2,21-25
Liebe Gemeinde,
im Kirchenjahr ist heute der Sonntag dran, an dem man an die Barmherzigkeit des Herrn denkt. Dazu ist ein Bibelabschnitt vorgeschlagen, an den ich mich in der heutigen Predigt auch halte. Wir haben im Eingangswort zu diesem Gottesdienst gehört von Christus, dem guten Hirten. In der Schriftlesung aus Jesaja 53 wurde der Knecht Gottes im Bilde eines Lammes vorgestellt. In unserem heutigen Bibelabschnitt kommt beides vor, Christus als Hirte und als Lamm – und Christus kommt so mitten in den Alltag hinein. Hören wir auf 1Petr 2,21-25:

Lesen Sie den Text hier.

Jesus Christus hat Spuren hinterlassen. Spuren, in die wir hineintreten sollen. Wir suchen uns unseren Weg nicht selbst, sondern sind Nachfolgerinnen und Nachfolger.
Schön. Vertraute Worte. Das ist richtig, aber auch etwas farblos. Für die Menschen aber, an die dieser Bibelabschnitt ursprünglich gerichtet ist, für die waren diese Zeilen voller Farbe, ja mehr noch, voller Sprengkraft. Der Petrusbrief redet in diesem Abschnitt besonders die Sklaven an. Sklaven gab es selbstverständlich überall im römischen Reich und auch anderswo. Die christlichen Gemeinden waren davon nicht ausgenommen. Reiche Leute haben sich bekehrt und waren dann als Sklavenhalter in der Gemeinde. Auch Sklaven haben zum Glauben gefunden, und viele christliche Sklaven hatten keinen Christen zum Herrn. Sie hatten es schwer. Sie waren ja rechtlos. Sklaven mussten viele Ungerechtigkeiten einstecken. Sie hatten es hinzunehmen, dass ihre Herren völlig willkürlich, manchmal sogar launisch mit ihnen umsprangen. Das ist auf Dauer beklemmend. Krumme, ungerechte Zustände machen auch irgendwann die Menschen krumm. Gemeinheiten verbiegen die Seele, auch die Seelen derer, die es einstecken müssen. Es kostet Energie, damit klarzukommen. Denn die Gemeinheiten, die du eingesteckt hast, stecken dann ja irgendwo in dir. Das nagt, und so was auszuhalten, zehrt deine Kraft.

Was bleibt einem noch übrig, wenn man weggestoßen wird? Wenn einem das gute Recht vor der Nase weggeschnappt wird? Wenn einer umgeben ist von Ellbogenmenschen, die ihm tüchtig einen von der Seite reinrammen? Das passierte ja nicht nur Sklaven damals. Das erleben heute die einen auf der Arbeit, die anderen durch die Verwandtschaft oder wie auch sonst immer. Was bleibt einem dann noch übrig?

Viele in solchen Situationen werden sich in Gedanken schon die Gleise zurechtlegen, auf denen sie einen ein Ausweg suchen. Die einen suchen nach Gelegenheiten zur Rache. „Dem zahl ich’s heim! Den piesacke ich, ich stichele zurück.“ Dazu gibt es auch stille Gelegenheiten, wenn man eigentlich der Schwächere ist. Also auf dieser Schiene wird der Ausweg gesucht. Die Retourkutsche wird aufs Gleis gesetzt.
Andere legen sich die Flucht zurecht. Flucht in die Traumwelt. Oder man berauscht sich. An Alkohol oder anderen zwanghaften Ablenkungen. Auf dieser Schiene soll es leichter werden.
Oder man bahnt sich folgenden Weg: Ich kriege Druck von oben? Dann trete ich den nach unten weiter. Es gibt Leute, vor denen ich kuschen muss, aber ich wiederum bin anderen auch überlegen. Die kriegen es dann ab. Sklaven im römischen Reich mögen so gedacht haben und außerdem vielleicht jeder von uns schon einmal. Wir legen uns unsere Gleise zurecht und auf dieser Schiene könnte es dann zum Aushalten sein. Wir haben also alle unsere inneren Orientierungsmuster.

Genau hier hinein zielt nun unser Bibelwort aus dem Petrusbrief. Es setzt uns ein anderes Orientierungsmuster vor. Wir sollen reagieren anhand eines anderen Modells, nicht auf unseren angebahnten Gleisen, sondern vielmehr auf einem Pfad: in Fußspuren. In den Fußspuren von Jesus Christus. „Christus hat für euch gelitten und hat euch damit ein Beispiel hinterlassen. Tretet in seine Fußstapfen und folgt ihm auf dem Weg, den er euch vorangegangen ist!“ Der Jesusweg zeigt, wie ein Sklave reagieren kann, der vom Herrn gemein behandelt wird. Der Jesusweg zeigt auch, wie du heute antworten kannst, wenn dir jemand genüsslich die Butter vom Brot nimmt. Der Jesusweg besteht aus den einzelnen Schritten, die Jesus gegangen ist, aus seinen Fußstapfen.

Auch Jesus wurde ja beiseite gedrängt, ungerecht abgefertigt, aus dem Weg gefegt. Was tat Jesus daraufhin?
Er beschimpfte keinen. Er drohte niemandem. Er arbeitete nicht mit falschen Unterstellungen, um jemanden nach unten zu drücken. Jesus hat gelitten. Wer den Jesusweg geht, muss zum Leiden bereit sein.

Also hat Jesus das Unrecht einfach eingesteckt? Geschluckt? Wie ein Sklave, der ohnmächtig hinnehmen muss, dass er misshandelt wird, so hat Jesus alles eingesteckt?

Hier kommen wir an einen ganz entscheidenden Punkt. Jesus hat gelitten, ja, er hat vieles hingenommen, ja, aber er war dabei nicht passiv. Er hat es eben nicht einfach eingesteckt. Sondern Jesus war aktiv und hat das Böse, das er hinnahm, entgegennahm, er hat es weitergegeben. Nicht bei sich behalten, sondern weitergereicht. Nicht an den nächstbesten Schwächeren, sondern an seinen Vater im Himmel. „Jesus, der nicht mit Beschimpfungen reagierte, als er beschimpft wurde, und nicht mit Vergeltung drohte, als er leiden musste, sondern seine Sache dem übergab, der ein gerechter Richter ist.“ Das ist der Jesusweg: Hinnehmen, aber nicht einstecken, sondern weiterreichen. Und dann ist die Sache bei Gott. Und Gott wird etwas daraus machen. Jesus wusste: Für mich ist gesorgt, auch wenn mir übel mitgespielt wird, denn ich habe es meinem Vater weitergereicht und er wird etwas draus machen. Er wird handeln. Er handelt an Jesus und an jedem, dem Unrecht getan wird. Er kann den stark machen, der leiden muss. Aber Gott handelt auch an der Lage, an der Situation, und er kann dem Unterdrücker irgendwann das Handwerk legen. Solches Vertrauen hatte Jesus. Er hat Gemeinheiten hingenommen, aber nicht eingesteckt, sondern abgegeben. Jesus war also nicht passiv, sondern höchst aktiv, auch als er zu leiden hatte.

Hier sind wir gelernten Christen gefragt, welches Bild von unserem Heiland wir denn haben. Jesus, der Sanfte? Der mild zu allem schwieg, was man ihm anhängen wollte? Jesus, der wehrlose Dulder, der Unterwürfige, der nie eine zornige Regung zeigte?
Letzten Mittwoch im Bibelgespräch haben wir erkannt, dass Jesus auch ganz schön schroff war. Zu manchen Menschen war er ziemlich hart. Nicht hartherzig, aber hart in seiner Stellungnahme. Jesus hatte durchaus ein festes Auftreten. Und wo er der Macht des Bösen entgegentrat, da war er wirklich schroff. Aber – aber er hat dabei niemals jemanden verletzt! Das ist der Jesusweg, der zuerst nur Jesus selbst so hinbekommen hat in bewundernswerter Weise – das ist durchaus anbetungswürdig: Jesus war hart, gelegentlich schroff, aber ohne jemanden zu verletzen!
Bei uns ist es oft so, wenn wir unfair behandelt werden: Entweder wir sind gekränkt, oder wir hauen zurück, kränken also andere. Beides ist ein krankes Verhalten. Im Wort „kränken“ oder „gekränkt sein“ steckt das Wort „krank“. Gekränkt durch die Gegend laufen oder zurückschlagen und andere kränken – beides ist ein ungesundes Verhalten. Jesus verhielt sich gesund: Er nahm hin, ohne zurückzuschlagen, er verletzte keinen, aber er steckte es auch nicht ein, damit es in ihm weiterrumorte, sondern gab es weiter an Gott, damit Gott was draus macht. Das ist ein gesundes Verhalten, nicht nur für Jesus, nicht nur für römische Sklaven, sondern auch für uns. Das ist gesund und macht uns gesund, das ist der Jesusweg. Jesus, „der nicht mit Beschimpfungen reagierte, als er beschimpft wurde, und nicht mit Vergeltung drohte, als er leiden musste, sondern seine Sache dem übergab, der ein gerechter Richter ist.“ – „Ihr wart umhergeirrt wie Schafe, die sich verlaufen haben; doch jetzt seid ihr zu dem zurückgekehrt, der euer Hirte ist und als Beschützer über euch wacht.“ Hier kommt das Bild vom guten Hirten hinein. Jesus ist der Hirte, der seine Herde den Weg führt. Wir laufen in den Fußstapfen unseres Hirten und gehen so den Weg der Genesung, den Jesusweg.

Dieser Weg ist schwer genug. Für rechtlose Sklaven besonders, die ja auf alles gefasst sein mussten. Aber auch für uns, wenn uns ein Ellbogenmensch in die Quere kam und uns Blessuren zufügt. Den gesunden Weg Jesu gehen, das ist schwer genug.

Aber das Bibelwort aus dem Petrusbrief setzt noch einen drauf. Die Bibel lässt uns hier mit voller Wucht vor eine Zumutung laufen. Stellen wir uns die Sklaven vor. Sie sind Christen geworden. Sie sitzen im Gottesdienst. Der Petrusbrief wird im Gottesdienst vorgelesen. Sie haben eben gehört: „Ihr Sklaven, ordnet euch euren Herren unter und erweist ihnen uneingeschränkten Respekt – nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch denen, die sich niederträchtig verhalten.“ So wurde es wohl vorgelesen, und die Sklaven mögen sich angeschaut haben und geseufzt: Ja, so ist es, solche Herren haben viele von uns, niederträchtige. Dieser Petrus weiß Bescheid, er kennt unsere Lage. Und er hat es unverblümt hingeschrieben, so dass jetzt im Gottesdienst es alle hören können: Ja, es gibt auch niederträchtige Sklavenhalter. Wir erleiden solche Ungerechtigkeit.
So weit, so gut. Aber dann hörten sie weiter auf diesen Brief: „Jesus, der unsere Sünden an seinem eigenen Leib ans Kreuz hinaufgetragen hat, sodass wir jetzt den Sünden gegenüber gestorben sind und für das leben können, was vor Gott gerecht ist.“ Moment mal: Unsere Sünden? Die Sklavenhalter sind doch wohl die Sünder! Wir sind die Opfer! Wir sollen vor Gott gerecht leben? Wir? Ungerecht sind doch die anderen, die Herren! Was schreibt der uns vor, wir sollten gerecht leben? – Und noch weiter geht es im Petrusbrief: „Ihr wart umhergeirrt wie Schafe, die sich verlaufen haben.“ Wir? mögen sich die Sklaven gefragt haben. Die da, die haben sich verlaufen, für die gilt doch, was schon Jesaja gesagt hat: Verirrt wie Schafe, ein jeder sah nur auf seinen eigenen Weg. Die Sklavenhalter, ja, die sehen nur auf ihren eigenen Weg. Was hat das mit uns zu tun?

Genau das ist die Zumutung der Bibel, die vielleicht in den Gottesdiensten damals klar wurde, die jedenfalls klar wird, wenn wir diesen Bibelabschnitt lesen: Die Bibel macht keinen Unterschied zwischen Ellenbogenmenschen und den anderen, die Blessuren von denen davontragen. Sie alle werden gleichermaßen Sünder genannt und zur Gerechtigkeit gerufen, für sie alle gilt gleichermaßen die Diagnose: Ihr seid verirrt wie Schafe, ein jeder sieht nur auf seinen eigenen Weg.
Gottes Wort mutet uns die Wahrheit zu: Unterdrücker und Unterdrückte sitzen in einem Boot. Sie sind beide ichbezogen, sind Egoisten – ein jeder sah auf seinen Weg. Ellbogenmenschen und die anderen mit den Blessuren, beide sind auf einem ungesunden Weg. Sie kränken oder sind gekränkt, sie verletzen oder sind verletzt, und beides ist ungesund.
Unterdrücker und Unterdrückte sitzen in einem Boot. Sie saßen damals auch zusammen in derselben Gemeinde. Und heute oft nicht anders. Und da fliegen oft die Funken. Was macht uns denn dann gesund? Den Jesusweg kennen wir: Unrecht hinnehmen und an Gott weitergeben. Aber dieser heilende Jesusweg ist schwer. Zu schwer. Wir könnten auf diesem Weg genesen, aber wir erreichen diesen Weg oft nicht. Was macht uns denn dann noch heil?
„Durch seine Wunden seid ihr geheilt.“ Das ist die Antwort unseres Bibelabschnittes. Durch seine Wunden seid ihr geheilt. „Jesus, der unsere Sünden an seinem eigenen Leib ans Kreuz hinaufgetragen hat, sodass wir jetzt den Sünden gegenüber gestorben sind und für das leben können, was vor Gott gerecht ist. Ja, durch seine Wunden seid ihr geheilt.“

Der Jesusweg ist der Weg der Genesung. Das sind die Fußstapfen von Jesus. Aber wir brauchen noch mehr. Wir brauchen nicht nur den Weg der Genesung, sondern vorher die Quelle der Genesung. Das sind die Wunden von Jesus, das ist das Kreuz. Und an dieser Stelle begegn wir Jesus als dem Lamm. Dem Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt. Die Sünden der Leid-Zufüger und der Leid-Tragenden. Christus hat die Sünde weggetragen von uns ans Kreuz. Hat sie sich zu eigen gemacht. Christus am Kreuz, das Lamm Gottes, öffnet uns die Quelle der Genesung. „Durch seine Wunden seid ihr geheilt.“ Und dann geht Christus, der gute Hirte, den Weg der Genesung voran und zeigt uns seine Fußstapfen. Wir gehen hinterher und werden so frei von den eingeschliffenen Gleisen, dass wir verletzen und kränken. Und frei von den eingeschliffenen Gleisen, dass wir verletzt und gekränkt herumlaufen. Frei von diesen eingeschliffenen krankmachenden Gleisen. In seinen Fußstapfen genesen wir und machen einander gesund. Gesünder wenigstens.

Liebe Gemeinde, wir begegnen heute unserem Herrn Jesus Christus. Ihm als dem Lamm Gottes. Jeder von uns hatte seinen Kreuzestod nötig. Da sitzen wir alle in einem Boot. Dieser Zumutung müssen wir uns beugen. Keiner, der hier sitzt, ist gerechter als der andere. Keiner. Und wer auf Selbstgerechtigkeit baut, muss mitsamt dieser Selbstgerechtigkeit untergehen. Wir alle haben Christus, das Lamm Gottes nötig. Durch dessen Wunden sind wir geheilt. Die Quelle der Genesung. Und wir begegnen heute Jesus Christus als dem guten Hirten. Er zeigt uns den Weg der Genesung. Denn genau dass hat er im Sinn mit uns, das ist seine Leidenschaft für uns: unsere Genesung. Uns heilen. Lassen wir ihn sein Werk an uns tun!
Amen.