Freitag, 23. April 2010

Bibelstudie "Bestandsaufnahme" 6: Sardes

6 Der Brief an die Gemeinde Sardes: 3,1-6
Die Stadt Sardes hatte weniger politische Bedeutung als wirtschaftliche. Fünf wichtige Straßen liefen hier in einem Verkehrsknoten zusammen. Auch war hier ein Zentrum der Wollindustrie und des Wollhandels. Reichtum an Geld gehörte zur glorreichen Vergangenheit der Stadt: Einst regierte hier der sprichwörtlich reiche König Krösus. Damals wurden hier überhaupt die ersten Münzen geprägt: Sardes ist „die Geburtstadt des modernen Geldes“ (Barclay). Das Wasser des Flusses, der durch die Stadt floss, enthielt Gold, das man gewinnen konnte. In Gräbern hat man Juwelen gefunden (als Grabbeigaben?).
Noch mehr Reichtum – Glück im Unglück – war der Stadt in den Schoß gefallen. 17 n. Chr. passierte ein verheerendes Erdbeben (nach dem Historiker Plinius das größte Unglück im Gedächtnis der Menschheit). Der Kaiser Tiberius aber stellte 10 Millionen Sesterzen bereit und erließ für fünf Jahre die Steuern, so dass die Stadt nach zehn Jahren wieder aufgebaut war.
Noch ein anderes Ereignis der Vergangenheit war prägend: Die Stadtburg lag durch natürliche Gegebenheiten uneinnehmbar auf einer Felsnadel, wie eine Zitadelle. 546 v. Chr. belagerte der Perserkönig dennoch die Stadt. Ein Soldat beobachtete einen Wachsoldaten aus Sardes, wie der einen verborgenen Pfad aus der Zitadelle heraus benutzte. Über diesen Pfad drangen dann die Feinde ein. Die Burg war darauf in keiner Weise vorbereitet, weil niemand das für möglich gehalten hatte. Man hatte die Verteidigung quasi verschlafen. 300 Jahre später passierte dasselbe noch einmal durch andere Eroberer!
Religiös bestand für die Christen wenig Herausforderung hier: Es gab keinen ausgeprägten Kaiserkult, sondern nur eine Vielzahl anderer Einzelkulte, die aber nicht bedrohlich für die Christen waren – man musste sich nur fernhalten. „Es war das merkwürdige Schicksal von Sardes, dass es ein zu leichtes Leben gehabt hatte.“ (Barclay)

6.1 Wer redet zur Gemeinde – wie zeigt sich Christus?
Christus stellt sich wiederum vor mit Bildworten, die aus dem Beginn der Offenbarung bekannt sind. Er hat die sieben Sterne – das bedeutet: Er hält die sieben Gemeinden. So hat er sich schon Ephesus vorgestellt. Außerdem hat er „die sieben Geister Gottes“. Sie wurden schon Offb 1,5 erwähnt. Sie sind keine Engel und keine einzelnen göttlichen Geistwesen, die voneinander verschieden wären. Sondern gemeint ist die Fülle des Heiligen Geistes. Die Siebenzahl entspricht natürlich auffällig der Zahl der angeschriebenen Gemeinden. Das kann bedeuten: für jede einzelne der Gemeinden ist Geist Gottes da. Der erhöhte Herr hat sowohl die Gemeinde als auch den Geist für sie. Er kann sie miteinander in Kontakt bringen. Keine der sieben Gemeinde ist davon ausgenommen, auch nicht Sardes. Indem Christus sich so vorstellt, zeigt er Hoffnung und einen Lebensweg für die Gemeinde Sardes.

6.2 Die Haben-Seite der Gemeinde
Wie oft in den anderen Briefen stellt Christus zuerst fest, was die Gemeinde hat. Aber es ist dennoch kein Lob für einen guten geistlichen Stand. Die Gemeinde hat einen Namen – sie hat sich einen Namen gemacht, einen Ruf erworben, nämlich den, lebendig zu sein. Woher konkret dieser Ruf kam, wird nicht gesagt; irgendeine Art von „Werken“ muss es gegeben haben.
Zugleich sagt Christus aber auch, dass es nur Schein und Trug mit diesem Namen ist. In Wahrheit ist die Gemeinde tot. Es gibt also konkrete Situationen einer Ortsgemeinde, die diese Diagnose erfordern. Eine Gemeinde kann tot sein!

6.3 Was der Gemeinde fehlt
Das Defizit der Gemeinde wird in verschiedenen Wendungen ausgedrückt:
· Die Werke sind vor dem Gott Christi nicht vollwertig.
· Sie schläft.
· Die meisten haben „ihre Kleider besudelt“.

Gehen wir dem im einzelnen nach. Erinnern wir uns, wie äußerlich leicht es die Christen hatten: Keine Bedrohung durch ihr Bekenntnis. Wohlstand. Der Rückenwind einer glorreichen städtischen Vergangenheit. Friedenszeiten. „Es gibt für eine Gemeinde nichts Erstrebenswerteres als Frieden, zugleich aber hat sie nichts so sehr zu fürchten wie den Frieden des Todes, den Frieden stumpfer Lethargie, die Art von Frieden, die Sardes und seine Gemeinde eingeschläfert hatte.“ (Barclay) Die Situation gleicht der Zitadelle aus der Stadtgeschichte. Durch Schläfrigkeit kam die Gemeinde um. Das große Thema dieser Gemeinde müsste sein: „Die Last des leichten Lebens“. Sie war im Begriff, an der Leichtigkeit ihres Lebens zugrunde zu gehen.
„Warum wurde diese Gemeinde so in Ruhe gelassen? Warum blieb der Satan, der sonst keine Gemeinde ungestört ließ, Sardes fern? Weil die Gemeinde geistlich tot war. Wo Sündentod, kein Märtyrertod.“ (A. Pohl)

Diese Haltung führte offenbar dazu, dass es Tätigkeiten gab, irgendwelche „Werke“, aber sie waren durchaus nicht vollwertig. Man hat einfach irgendwas gemacht.

Das Bildwort von den besudelten Kleidern bringt noch etwas mehr Farbe hinein. Entweder meint es generell die Anpassung an die heidnische Gesellschaft, so dass der Glaube nur noch ein Lippenbekenntnis war, ohne den Alltag zu gestalten. Götzendienst war dann akzeptiert in der Gemeinde. Oder das Bild meint – konkreter – verkehrte sexuelle Freizügigkeit, so wie das auch aus anderen Gemeinde bekannt ist. Es fällt aber auf, dass der erhöhte Christus diesen Aspekt erst nachträglich, fast beiläufig erwähnt. Das Zentrum der Kritik liegt darin, dass weithin Tod herrscht.

Das Leitwort dieses Briefes ist das Wort „Name“. Der Name der Gemeinde täuscht, weil sie tot ist. Demgegenüber hat Christus sehr wohl eine kleine Minderheit im Blick, bei der es anders ist. „Du hast wenige Namen in Sardes ...“ (V.4), heißt es wörtlich, und denen, die treu bleiben, ist versprochen: Ihr Name wird vor Gott Bestand haben und Christus wird sich zu ihren Namen bekennen.
Christus fragt also nach dem Namen seiner Christen – aber zugleich danach, welches Leben sich dahinter verbirgt. Christus sucht seine Gemeinden auf und sucht dabei jeden einzelnen. Keiner kann sich hinter dem großen Namen seiner Gemeinde verstecken.

6.4 Was kann die Gemeinde noch tun?
Fünf Dinge:
· aufwachen
· das stärken, das gerade auch im Begriff ist zu sterben
· an den Anfang denken
· an der Erfahrung des Anfangs festhalten
· umkehren
Die Buße, die Umkehr, steht am Schluss und fasst alles zuvor Gesagte zusammen.

„Das Sterbende stärken“ – dieser Auftrag bedeutet auch: Die schlafenden und toten Einzelchristen in Sardes haben nicht nur Verantwortung für sich selbst und ihren eigenen geistlichen Tod. Sie sind genauso dafür verantwortlich, nicht andere – in denen noch ein Rest Leben ist – nicht mit in den Tod zu reißen. Sondern im Gegenteil: Sie müssen die anderen auf den Weg des Lebens mitnehmen.
Christus wird jeden Christen nicht nur fragen: Was hast du mit deinem Leben gemacht? Sondern auch: Was hast du für Spuren bei den anderen, vielleicht wenig stabilen Christen hinterlasen? Hast du sie mitgenommen in deine eigenen Schlaf? Oder hast du sie mitgezogen ins Leben?

„Denk doch daran, wie du [das Evangelium] empfangen hast!“ Es geht hier nicht nur um den Inhalt: was du empfangen hast. Sondern auch wie es dabei gewesen war:
· Die Sprache, die Christus gewählt hat, um zu deinem Herzen zu dringen
· Die Zeit, die er dir zum Antworten gegeben hat
· Die Befreiung, die du damals erlebt hast
· Die Entschlusskraft, mit der du dein ganzes Leben für Christus geöffnet hast

In der Formulierung "empfangen hast" liegt ein Hinweis auf Jesu Gnade und Erniedrigung: Der, der die Sterne (= die Gemeinden) hat, den hast du empfangen dürfen. Du konntest den „haben“, der doch eigentlich dich „hat“.

„Wie du empfangen hast“: nicht du „hattest“, sondern du „hast“. Das damals Empfangene war gedacht als eine Wirklichkeit, die stetig bis in die Gegenwart wirken sollte und gehalten werden sollte. In der Gemeinde Sardes war das irgendwann aber abgebrochen.

In unserer Gemeindegeschichte: Wie haben wir das Evangelium empfangen?

6.5 Was droht dieser Gemeinde?
Wenn die Gemeinde weiter auf dem bisher eingeschlagenen Weg bleibt, dann wird sie Christus zum Gegner haben! Wie ein Einbrecher wird er „über sie kommen“ – man muss hier fast an einen Überfall denken. Das Bild ist hier schärfer als in den Evangelien. Dort ist nur der „Tag“ oder die „Stunde“ so plötzlich wie ein Dieb (Lk 12,39) – hier ist es Christus selbst. „Christus als Einbrecher! Der Vergleichspunkt besteht hier in der Ahnungslosigkeit der Heimgesuchten.“ (Pohl) Aber dann doch auch darin, dass Christus gegen die Gemeinde zieht! Es gibt Situationen, wo eine Gemeinde nicht mehr verkündigen darf: Jesus ist bei uns – Christus ist auf unserer Seite.

Prophetenworte aus dem AT kommen in den Sinn, wo Gott ebenfalls als der Feind seines Volkes, als eine Krankheit im Menschen gezeigt wird:

12 Ich aber bin wie Eiter für Efraim, wie Fäulnis für das Haus Juda. [...] 14 Denn ich bin für Efraim wie ein Löwe, wie ein junger Löwe für das Haus Juda. Ich, ja ich, reiße (die Beute), dann gehe ich davon; ich schleppe sie weg und keiner kann sie mir entreißen. Hos 5

7 Deshalb wurde ich für sie zu einem Löwen, wie ein Panther lauere ich am Weg. 8 Ich falle sie an wie eine Bärin, der man die Jungen geraubt hat, und zerreiße ihnen die Brust und das Herz. Die Hunde fressen sie dann und die wilden Tiere zerfleischen sie. 9 Ich vernichte dich, Israel. Wer kommt dir zu Hilfe? Hos 13

V. 9, Elberfelder: „Es hat dich zugrunde gerichtet, Israel, dass du gegen mich, gegen deinen Helfer, bist.“ Luther: „Israel, du bringst dich ins Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir.“

6.6 Das Versprechen
Christus gibt sein Versprechen zuerst den Wenigen, die ihm treu geblieben sind. Er verspricht weiße Kleider. In der Stadt Sardes gab es an wertvollen Wollstoffen keinen Mangel – vielleicht wählt der Brief deshalb dieses Bild.

Weiß ist die Farbe
· der himmlischen Welt
· der Sieger
· der Freigesprochenen
· des Festes

Die so bekleidet sind, werden „mit ihm gehen“. Sie dürfen also weiter lebendige Nachfolgegemeinschaft praktizieren und erfahren (während es der großen Menge in der Gemeinde nur auf den Namen ankam). Im Brief nach Ephesus war es ein Anklang an die ungetrübte Gemeinschaft im Paradies, dass der erhöhte Herr zwischen den sieben Leuchtern „einherging“ (siehe Abschn. 2.1).

Dann aber, jetzt fast unerhofft, öffnet Christus sein Versprechen für alle, die siegen. Auch ihnen stehen diese weißen Kleider in Aussicht. Ihr Name wird nicht aus dem Buch des Lebens gestrichen. Das kann anspielen auf städtische Verwaltungsvorgänge: aus Bürgerverzeichnissen wurden die Verstorbenen gestrichen und auch die, die wegen eines Vergehens ihr Bürgerrecht aberkannt bekamen. Das wird den Treuen bei Gott nicht passieren! Christus wird sich zu ihrem Namen bekennen.

Aber nicht automatisch und zum Spottpreis. Der Weg dahin ist weit – fünf unerlässliche Schritte hat Christus genannt. Der Tod hat sich schon weit herumgefressen in der Gemeinde!

Dennoch ist Hoffnung für jeden einzelnen da – so wie sich Christus am Anfang zeigte: Er hat für jede seiner Gemeinde genug Geist Gottes. Er will Gemeinde und Geist in Kontakt bringen. Er jedenfalls will es.