Montag, 12. April 2010

Predigt: „Die Handschrift des Auferstandenen“

Osterpredigt über Lk 24,13-35
Liebe Gemeinde,
wir feiern heute Ostern, voller Überzeugung. Wir glauben, dass Jesus lebt. Und das, obwohl niemand von uns ihn gesehen hat. Wir haben kein Beweisfoto. Wir haben überhaupt keinen Beweis. Wer nichts vom Glauben kennt, könnte meinen, hier gäbe es eine Kult um einen Unsichtbaren. Aber das wäre meilenweit von der Wahrheit entfernt. Wir haben volle Gewissheit, dass Jesus Christus lebendig ist. Denn wir haben seine Spuren erkannt und entziffert.
Glauben ohne Beweis – den allerersten Nachfolgern Jesu ging es ebenso wie uns. Besonders zwei von ihnen finde ich uns sehr ähnlich; für mich ist es einer der schönsten Osterberichte. Hören wir auf Lk 24,13-35:

(Lesen Sie den Text hier.)

Zwei Nachfolger von Jesus im Zustand der Verwirrung. Eigentlich eine typische Situation auch heute. Die beiden sind voll tiefem Schmerz, dass ihre Hoffnungen sich nicht erfüllt haben. Jahrelang haben sie alles auf den Messias Jesus gesetzt. Nun scheint ihr Leben in Einzelteile zerpflückt und sie müssen es selber wieder zusammensetzen. So meinen sie. Sie haben zwar von Ostern gehört. Einige Frauen haben ihnen die Nachricht gesagt, dass Jesus lebendig sei. Aber sie haben keinen Beweis. Und sie haben noch keine Spur in ihrem Leben vom lebendigen Jesus entdeckt.
Aber Jesus hat sie bereits entdeckt, seine zwei Nachfolger, die jetzt verzweifelt weggehen. Jesus hat sie schon entdeckt und er gesellt sich zu ihnen. Sie erkennen ihn nicht. Auch das finde ich typisch für uns heute. Ich bin manchmal blind dafür, wo der lebendige Jesus in meinem Leben ist – aber Gott sei Dank ist Jesus nicht davon abhängig, ob ich ihn erkenne. Er ist schon lange vorher da.

Warum sagt er aber nicht gleich, dass er es ist? Es sieht ja fast wie ein Spiel aus, das er mit ihnen spielt. Warum präsentiert er sich nicht sofort als der auferstandene Jesus? Dann hätten sie doch den Beweis und alles wäre klar.
Jesus gibt ihnen den Beweis nicht – ebenso wenig wie uns, uns gibt er auch keinen. Jesus möchte offenbar etwas anderes. Jesus hält etwas anderes für besser als einen Beweis. Er überfällt die beiden Wanderer jedenfalls nicht mit Ostern, sondern er gibt ihnen Zeit. Zeit zum Reden, zum Trauern. Er bleibt noch zum Abendbrot bei ihnen – und dann, ganz am Schluss, da blitzt es ihnen auf: Das war ja Jesus! Ganz am Ende haben sie ihn erkannt. Und da war er auch schon wieder verschwunden. Also wieder nichts mit einem Beweis. Sie können nichts mitnehmen – aber sie sind total verwandelt, aufgeweckt, aufgestellt und voller Energie. Sofort geht es zurück zu den anderen.

Was hat sie so verändert, wenn es kein Beweis war? Es war die unverkennbare Spur von Jesus. Es war sozusagen seine Handschrift. Er hat Dinge getan, die nur er hätte tun können. Das haben sie erkannt, dafür sind sie nun Augenzeugen, Erlebens-Zeugen. Das genügt. Dann brauchen sie keinen Beweis mehr, wenn sie nun ihre Zeugenaussage machen können.

Genauso, liebe Gemeinde, erleben wir Ostern. Wir erleben es immer wieder so, nicht nur am heutigen Festtag. Jesus ist oft viel eher bei uns als wir merken, aber irgendwann erkennen wir dann doch endlich seine Handschrift in unserem Leben. Wir stoßen auf Dinge, auf Tatsachen, auf Zeichen, die nur er hätte tun können. Unser Leben gleich oftmals einem Altpapiercontainer. Wir sehen oft nur heilloses Durcheinander. Jede Ordnung fehlt. Lauter Fetzen, die nichts miteinander zu tun haben. Und irgendwann mittendrin finden wir ein Blatt, dessen Handschrift wir wiedererkennen. Ein Brief! Oder nur ein Schnipsel davon, aber eben mit der vertrauten Handschrift. Er war also hier! Er hat etwas hinterlassen! Ein Lebenszeichen! Und dann ist Ostern, mitten im Alltag: Jesus lebt.

Was war denn damals für die beiden die spezielle Handschrift von Jesus gewesen? Woran genau konnten sie entziffern, dass es ihr Herr und Messias Jesus war?
Sie haben ihn daran erkannt, wie er ihnen das Brot gebrochen und gereicht hat. Das war zum Erkennungszeichen geworden. Das war typisch Jesus, so hatte er in den Jahren zuvor oft sie bedient wie ein Hausvater, der die Mahlzeit feierlich eröffnet hat. Nun, in ihrem Heimatort Emmaus, hatten sie ja den unbekannten Wanderer eingeladen. Es muss ihr Haus gewesen sein – sonst hätten sie die Einladung ja nicht aussprechen können. Einer von ihnen war also der Hausherr in diesem Haus und es wäre natürlich seine Aufgabe gewesen, die Hausvaterpflichten zu erfüllen, also die Mahlzeit zu eröffnen, das Brot zu nehmen, dankbar zu beten, es zu zerteilen und auszuteilen. Wahrscheinlich hat sich der betreffende Jünger auch schon bereit gemacht, eben dies zu tun. Er war ja hier Herr im Haus in Emmaus.
Aber plötzlich fällt der unbekannte Gast aus seiner Rolle. Er nimmt das Brot an sich, er hebt die Hände zum Gebet und dankt, er teilt dann aus. So wie es Jesus eben für seine Schülerinnen und Schüler zuvor so oft gemacht hat. Er ist nicht mehr Gast – er ist der Herr. Jetzt merken sie es.
Denn indem Jesus so die Rolle des Hausherrn übernahm, hat er ja ihnen gleichzeitig zu Tisch gedient. Der Herr bedient sie – das hat niemand so getan wie er. Hausväter gab es in jeder Familie. Als Hausvater das Brot zu brechen, war nichts Besonderes. Aber Herr sein am Tisch und zugleich vom tiefsten Wesen her ein Diener sein, Diener aus Leidenschaft und von Charakter, durch und durch – das hat nur Jesus so gelebt. Unter den vielen Herren der Welt war er der Herr, der bediente. „Ich bin mitten unter euch wie einer, der zu Tisch dient“, hatte er einmal gesagt. Das haben sie wiedererkannt, und so haben sie Jesu Handschrift erkannt. Das stand im Raum, auch als er gleich wieder verschwunden war. Das war nun eine Tatsache.

Für uns heute wird es Ostern, wenn wir Jesu Handschrift in unserem Leben wiedererkennen. Dann merken wir, dass er längst nicht tot ist, sondern lebt. Wann aber geschieht das, dass wir Jesu Handschrift in unserem Leben wiedererkennen?
Z. B. wenn wir erleben: In unsere Gedanken, mit denen wir uns bewerten und verurteilen, kommt ein Gedanke der Barmherzigkeit hinein. Eine Stimme, die nicht ins gleiche Horn stößt wie alle anderen Stimmen und nur fordert oder nach Leistung bewertet. Sondern eine Stimme, die sagt: Ich bin darauf aus, dir zu begegnen, so wie du bist. Ich will Zeit mit dir verbringen, nicht als Leistungsträger, sondern als mein Kind. Das z. B. wäre so eine typische Stimme von Jesus. Solche Sätze haben Autorität – ein Herr spricht sie aus, DER Herr. Aber sie sind zugleich voller Erbarmen – ein Diener sagt sie, DER Diener. Das kann nur Jesus sein, der Herr ist als Diener und im Dienen der Herr.
So z. B. kann es aussehen, wenn du Jesu Handschrift in deinem Leben entzifferst. Oder noch anders – eben so, wie er sich dir vorgestellt hat speziell in deinem Leben. Dann jedenfalls brauchst du keinen Beweis. Dann bist du gewiss geworden: Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!

Dies hier ist die erste Osterbotschaft der Predigt: Du darfst damit rechnen, auf Jesu Handschrift in deinem Leben zu stoßen.

Die zweite Osterbotschaft gilt speziell für diesen Gottesdienst heute. Wir feiern Ostern und feiern zugleich Abendmahl. Passt das zusammen? In Emmaus passte es. Der Auferstandene in Emmaus hat eine Brücke geschlagen von seinem letzen Abendmahl, bevor er starb, hin zu dieser wunderbar fröhlich verwandelten Abendmahlzeit mit den beiden Jüngern. Sie feierten mit dem lebendigen Jesus. Sie gedachten in Emmaus dann plötzlich nicht mehr nur seines Todes und verkündigten nicht allein den Tod des Herrn. Sondern sie waren Gäste des Auferstandenen. Das ist, wenn wir einmal genauer hinsehen, charakteristisch für Jesus: Der Auferstandene lädt an seinen Tisch ein. Kurz nachdem die beiden Nachfolger aus Emmaus wieder schnell nach Jerusalem geeilt sind und atemlos den anderen alles berichtet haben, da tritt Jesus selber hinzu. Und nimmt dann etwas Essen zu sich (Lk 24,41-43). Später am See Genezareth überrascht er sieben seiner Schüler frühmorgens mit einem Frühstück – erneut bricht er ihnen das Brot (Joh 21,9-12). Und erneut erkennen sie ihn gerade daran: „Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.“ Das war für die Schüler über die Maßen eindrücklich. Es hat sich ihnen so tief eingeprägt, dass Petrus später in einer Predigt davon sprechen muss:

40 Gott aber hat ihn am dritten Tag auferweckt und hat ihn erscheinen lassen, 41 zwar nicht dem ganzen Volk, wohl aber den von Gott vorherbestimmten Zeugen: uns, die wir mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken haben. (Apg 10)

Der Auferstandene lädt an seinen Tisch ein – er bricht uns das Brot. Nicht nur in Emmaus. Er ist bei jeder Mahlfeier dabei, die wir in seinem Namen feiern. Lasst uns heute also das Abendmahl österlich feiern, voller Freude, im Lobpreis über die Auferweckung Jesu. Es ist eine Feier des Lebens. Der auferstandene Christus hat das in Emmaus begonnen und dann mit seinen Jüngern fortgesetzt und will auch heute hier in dieser Kapelle mit uns das Leben feiern. Und wenn wir gleich Brot und Kelche durch die Reihen gehen lassen, dann gilt uns sein Friedensgruß: „Friede sei nun mit euch allen, die ihr bittend vor Gott steht, denn mit Händen voller Segen Christus durch die Reihen geht“ – Christus, der Auferstandene, der lebendige Herr!

Das ist die zweite Osterbotschaft dieser Predigt: Wir dürfen am Tisch des Herrn sein Leben feiern. Abendmahl ist Osterfeier. Wir sind Gäste des lebendigen Herrn, der ein Diener für uns geworden ist und gerade so unser Herr ist.

Die dritte Osterbotschaft gilt wieder für unseren Alltag. Wenn wir wieder einmal verwirrt sind wie die beiden Jünger unterwegs, bevor sie Jesus erkannten. Wenn unser Leben wieder einmal unübersichtlich ist, zerfetzt wie in einem Altpapiercontainer. Was bedeutet Ostern dann noch für uns?
Oft scheint es so, als wäre unser Glaube dann nur noch ein Gedanke. Er spielt sich innerlich ab, aber wirkt nicht so greifbar auf das Leben ein. Sondern unser Leben ist bestimmt von harten Tatsachen: Krankheit, Zukunftsangst, Geldsorgen. Und wenn uns dann jemand beobachtet, wo unser Glaube an Jesus noch zu erkennen ist, der entdeckt vielleicht eine andere Einstellung bei uns. Aber manchmal eben auch nicht mehr als das.
Nun ist eine andere Einstellung schon etwas enorm Wertvolles. Wenn ich die Dinge nicht allein aus meiner Froschperspektive betrachte, sondern aus Gottes Sicht, das ist ein sehr großer Schatz im Leben. Aber Glaube ist noch mehr – mehr als nur eine andere Sichtweise.

Als Jesus Christus – aus dem Grab auferstanden – in Emmaus mit seinen beiden Schülern Mahlzeit hielt, da zeigte er: Er ist wirklich als Mensch auferstanden. Nicht nur als Geist und schon gar nicht nur als Idee. Er war keine Vision von geschockten religiösen Fieberkranken. Nein, Visionen essen nicht ihren Teller leer. Jesus aber tat es. Die Auferweckung war körperlich. Genauso wie das Reich Gottes, das Jesus zuvor ausgerufen hat, sich auch körperlich auswirkte. Kranke wurden gesund – in der Seele und auch immer wieder am Körper. Menschen wurden satt – in der Seele, aber auch im Magen. Als Jesus lehrte, um das tägliche Brot zu beten, da hat er eben auch das gemeint, was auf dem Teller liegt.
Die Auferstehung Jesu hat den ganzen Jesus ergriffen, Körper, Seele und Geist. Seine Kraft, die Kraft des Reiches Gottes, erfasst ebenso heute uns als ganze Menschen, Körper, Seele und Geist. Gott schenkt uns Frieden und Balance im Leben – aber auch Genesung von Krankheiten. Gott erfüllt uns mit Freude – aber auch mit Tatkraft unserer Hände. Wir sind glücklich, dass Gott uns unsere Schuld vergibt – aber er versorgt uns auch mit dem täglichen Brot.
Er nimmt nicht jede Krankheit weg. Er erlöst uns vielmehr auch von dem Glauben, Gesundheit sei das Wichtigste im Leben. Nein, ist sie nicht. Aber manche Krankheit heilt er doch. Er überschüttet uns nicht mit Wohlstand und beseitigt nicht sofort jede Geldsorge. Aber das Brot für morgen hat er eben doch versprochen. Als der Auferstandene in Emmaus abends zu Gast war und das Bot brach, als er später im Jüngerkreis eben doch auch seinen Teller leer aß, da hat er gezeigt: Er berührt uns als Menschen ganz. Körper, Seele und Geist. Das dürfen wir glauben.

Glauben? Mehr nicht? Nein. Beweise gibt er nicht. Aber er zeigt uns seine Spuren. Taten, die nur er hätte tun können. Er hilft uns, seine Handschrift zu entziffern. Und dann erfüllt uns Gewissheit, die keine Beweise braucht.

Gewissheit? Und was ist mit unseren Zweifeln?
Unsere Zweifel halten Jesus nicht auf Abstand. Wie war es auf dem Weg nach Emmaus? Die beiden Jüngern waren sogar verzweifelt. Und Jesus? Er war längst an ihrer Seite!
Amen.