Montag, 10. Mai 2010

Bibelstudie "Bestandsaufnahme" 7: Philadelphia

7 Der Brief an die Gemeinde Philadelphia (3,7-13)
Für diesen Brief in diese Stadt ist es besonders aufschlussreich, die historischen Gegebenheiten zu kennen, denn sie spiegeln sich vielfach im Brief wider.
Zur geografischen Lage: Die Stadt war erst vor kürzerer Zeit (wohl bewusst) am Grenzpunkt dreier Länder angelegt worden: an der Nahtstelle zu Mysien, Lydien und Phrygien. Sie lag am oberen Ende eines langen Talzuges, der ca. 50 km lang bis zum Mittelmeer führte. Wichtige Handelsstraßen kreuzten sich hier. Die wichtigste Orientierung aber bestand in der „Öffnung“ zum unkultivierten Land Phrygien: Die Stadt solle quasi missionarisch die griechische Sprache und Kultur in dieses Land hineinbringen. Sie galt daher als „Tor zum Osten“.
Landschaftlich war die Stadt außerordentlich begünstigt dadurch, dass sie in fruchtbarem Vulkanbodengebiet lag – Weinbau hatte optimale Bedingungen. Heiße Quellen dort zogen Genesungssuchende an. Ein großes Problem aber beeinträchtigte die Stadt: Sie wurde als eine von 12 Städten 17 n. Chr durch ein Erdbeben zerstört, wie auch Sardes. Wie Sardes wurde Philadelphia zwar mit großer Finanzhilfe des Kaisers wieder aufgebaut, aber fortan war die Stadt erdbebengefährdet. Daher siedelten viele Bewohner aufs Land über und die verbliebenen Stadtbewohner waren stets auf der Hut und zur raschen Flucht bereit.
Der Name „Philadelphia“, „Bruderliebe“ stammte aus der Gründungsgeschichte der Stadt. König Eumenes hatte sie zu Ehren seines Bruders Attalos so genannt – diese Bruder Attalos hatte sich mehrfach als äußerst zuverlässig, loyal und treu gegenüber Eumenes gezeigt. So hatten römische Herrscher den Attalos ermutigt, seinen Bruder auszubooten und an seiner Stelle König zu werden – was Attalos nicht tat. Die Tugend der Treue also gehört zur Gründungs-Legende der Stadt.
Zu erwähnen ist noch die Sitte, dass die Stadt verdiente Bürger dadurch ehrte, dass ihnen eine Tempelsäule gewidmet wurde. Auf der stand der Name des Geehrten.

7.1 Wer redet zur Gemeinde – wie zeigt sich Christus?
Der erhöhte Christus wird hier mit den denkbar höchsten biblischen Würdetiteln bezeichnet: der Heilige, der Wahre. Im Jesajabuch sind das Beinamen Gottes selbst – hier trägt Christus sie.
Außerdem ist Christus der Träger des „Schlüssels Davids“. Diese Bezeichnung leitet sich aus Jes 22,20-23 ab (hier nachzulesen).

Dieser Eljakim wurde an Stelle des untreuen Schebna eingesetzt. Nun ist er der einzige, der noch auf- und zuschließen kann – als priesterlicher „Haus“-Verwalter. Schon das Judentum deutete diese Stelle messianisch – hier wird sie nun auf Christus bezogen.

All diese Facetten der Selbstvorstellung Christi ergeben in der Gemeindesituation einen tröstlichen Sinn. Die Gemeinde war bedrängt von einer Judenschaft mit ihren „Absperrversuchen“ (Pohl) – dass Christen in Gottes Gunst stünden, wurde von ihnen bestritten. Christen, die aus dem Judentum stammten, mussten den Synagogenausschluss hinnehmen. Hier sagt Christus nun: Er sei gewürdigt, die atl. Gottesbezeichnungen zu tragen; er sei der Messias; er sei bevollmächtigt, der Gemeinde Gottes Reich aufzuschließen. Die Bestreitungen der Judenschaft sind damit widerlegt. Wenn Christen auch aus der Synagoge ausgeschlossen werden, so ist ihnen der Zugang zu Gott doch aufgeschlossen.

Dieser Brief gilt also einer Gemeinde, die zu gering von sich denken könnte: als ob mit ihr nichts los wäre. Der erhöhte Herr zeigt dagegen, dass diese Sicht falsch ist!

7.2 Der Zustand der Gemeinde
Christus hat dieser Gemeinde nicht das Geringste vorzuwerfen! Die „Werke“ der Gemeinde, also ihre Gesamthaltung, sind Christus bekannt:
· Geringe Kraft – d.h. wohl wenig Einfluss und Durchsetzungsvermögen
· Festhalten an Jesu Wort
· Treues Bekenntnis zum Namen Jesu
· Standhaftigkeit gemäß Jesu Wort (V. 10)

Aus anderen Städten wissen wir, wie groß die Versuchung war, dem Jesus-Bekenntnis untreu zu werden. In der Stadt Philadelphia war zumindest der Dionysoskult prägend. Diese Gemeinde aber hat der Versuchung widerstanden. Die im Städtenamen aufbewahrte Brudertreue und Loyalität wird gerade von der kleinen Christenschar in dieser Stadt lebendig praktiziert.

Was würde es für uns bedeuten, an Jesu Wort festzuhalten? Auf welchen Aspekt müssen wir besonders achten?
>> unverfälschte Lehre?
>> mutiges öffentliches Bekenntnis?
>> tatkräftiger Gehorsam?

7.3 Christi Werk an dieser Gemeinde
Beim Lesen dieses Briefes fällt auf, wie konzentriert von den Aktionen Christi die Rede ist – und wie wenig vom Handeln der Gemeinde.
· Ich kenne
· Ich habe gegeben
· Ich gebe (V. 9 wörtl.)
· Ich werde machen (dass sie ...)
· Ich, ja ich habe geliebt
· Ich werde bewahren
· Ich komme
· Ich werde machen (V. 12)
· Ich werde schreiben
Zwei dieser Aktivitäten sind in der Vergangenheit geschehen, die anderen kommen in der Zukunft.

7.3.1 Was Christus tat
Eine offene Tür gegeben – dafür gibt es zwei Verstehensmöglichkeiten:

a) Ganz häufig im NT ist damit eine offene Gelegenheit Gemeinde, das Evangelium auszurichten. (Apg 14,27; 1Kor 16,9; 2Kor 2,12, Kol 4,3). Wenn Christus das meint, dann würde die Gemeinde darin auch die Geschichte ihrer Stadt wiedererkennen: Als „Tor zum Osten“ „Missionar“ sein für griechische Lebensart – und die Gemeinde eben auch für das Evangelium. Das würde einen guten Sinn ergeben.

b) Prägend ist aber auch noch die Selbstbezeichnung Christi als dem Träger des Schlüssels. Christus schließt auf, wo andere der Gemeinde die Tür zusperren wollen. Dann hieße „offene Tür“: vollen Zugang zum Heil zu Gottes Reich. – Diese Deutung würde sich noch enger an den Text des Briefes halten.

Außerdem hat – nach V. 9 – Christus der Gemeinde seine Liebe zugewandt. Das könnte die erste Erkenntnis Christi meinen, etwa bei der Entstehung der Gemeinde. Es wäre dann so etwas wie die „erste Liebe“ (vgl. 2,4). Oder der Satz ist aus der Rückschau formuliert: Die jetzt feindlichen Juden werden erkennen, dass Christus die Gemeinde geliebt hat – in der jetzigen Gegenwart, während die Juden dies noch bestreiten.

7.3.2 Was Christus tun wird
Die Aussichten sind umfassend günstig:

a) Christus wird Menschen „geben“ – und zwar die gegnerischen Juden. Er wird „machen“, dass sie demütig anerkennen, wie geliebt die Gemeinde von Christus ist. In den Ausdrücken „geben“ und „machen“ ist festgehalten, dass die Gegner, die jetzt alle Möglichkeiten haben, in Wahrheit ganz Christi Zugriff ausgeliefert sind. Er hat das Heft des Handelns in der Hand.
Die Gegner sind hier bedeutsam benannt: Sie halten sich für echte Juden, sind es aber nicht. Für schriftkundige Juden ist das Versprechen Christi an seine Gemeinde besonders brisant: Eigentlich ist in der Heiligen Schrift verheißen, dass in der Zeit der Vollendung die Heiden zu Israel kommen werden (Jes 60). Israel wird der Zielpunkt der Geschichte sein. Diese Verheißung Gottes bleibt gültig – man wird die Erfüllung erleben! Bloß für die Gegner der Gemeinde Philadelphia gilt erschreckenderweise das Gegenteil: Sie werden zu den Christen kommen und sie anerkennen! Ihr Anspruch gegenüber der Gemeinde wird widerlegt werden. Freilich ist Christus der einzige, der die Schrift so souverän umdeuten kann!

Die Gegner der Gemeinde werden Lügner genannt. Zwar könnte man auf die Idee kommen, Jesus halte sie für Menschen des Teufels („Synagoge Satans“). Das sind sie aber nicht allein deshalb, weil sie Juden wären. Sie sind nicht komplett verworfen nur aufgrund ihres Judentums. Sondern deshalb, weil sie sich ihrer echten Bestimmung als Juden, als Volk Gottes, entzogen haben. Wahrhaftige Juden wären keineswegs „Synagoge Satans“. Außerdem zeigt die angekündigte Umkehr der Juden, dass Juden in Christus Sicht eben dies können: umkehren. Also keine Rede von einer Verwerfung ganz Israels! „Die Glieder der Synagoge sind nicht abgeschrieben, so wenig Petrus abgeschrieben war, als der Herr zu ihm sagte: „Gehe hinter mich, Satan!“ (Mt 16,23).“ (Pohl) (Vgl. Näheres zu Smyrna, Abschn. 3.2.2!)

Weshalb werden diese Juden umkehren?
Die Gemeinde Jesu wird anerkannt werden – aufgrund welcher Qualifikation?

Hier nicht wegen ihrer Treue. Sondern aufgrund dessen, was Christus an ihr tut – er liebt sie, er (so wird es stark betont).

Wer unsere Gemeinde als Gast oder neugieriger Beobachter besucht:
>> Wie kann er merken, dass wir von Christus geliebt sind?
>> Woran ist es erkennbar?
>> Wie sieht es konkret aus, dass wir uns in Christi Liebe aufhalten und bewegen?
>> Wo merkt man unser Empfangen, nicht nur unser Tun?

b) Christus wird die Gemeinde „aus“ der Stunde der Versuchung bewahren. Zwar meinen einige Ausleger, diese Gemeinde (nur speziell Philadelphia) würde gar nicht erst in die endzeitliche Versuchung gelangen – sie „hat ihre Feuerprobe bereits bestanden und bedarf keiner weiteren mehr“ (U.B. Müller nach Bousset). Aber sprachlich meint das „aus der Versuchung“, dass sie eben vorher „drin“ war. Anders klingt es auch nicht mit Joh 17,15 zusammen. Die große Versuchung trifft zwar „alle Bewohner der Erde“, aber für die Nichtchristen unter ihnen wäre die Bedrängnis ja kaum eine Versuchung – sie folgen Christus ja sowieso schon nicht. Demnach ist auch die Mehrzahl der Christen von dieser endzeitlichen Versuchung betroffen (U.B. Müller nach Bousset).
Versuchungen haben die Gemeinde auch bisher schon zu bestehen gehabt: Kompromisse mit dem Götzenkult, Beteiligung an Prostitution, Flucht vor dem Leiden. Das Buch der Offenbarung kündet noch schärfere, endgültige Versuchungen an. Christus wird die dort hindurchretten, die sich jetzt schon treu zu ihm bekennen.

c) Wer treu bleibt, wird zu einer Säule im Tempel gemacht – Tempel hier als Bildwort für die vollendete Anbetungsherrlichkeit. Das könnte eine stabile, tragende Säule sein, so wie es in Jes 22,23 anklingt. (Allerdings ist dieser feste Pflock, Eljakim, auf lange Sicht doch nicht so stabil: Jes 22,24+25). Oder – so Pohl – es ist eine freistehende Säule als „Zeuge“ gemeint, in Zeichenfunktion. Das könnte mit den Gedenk-Säulen in den heidnischen Tempeln Philadelphias zusammenhängen.
Wichtig ist: Wer einmal so im Tempel Gottes steht, wird dort bleiben dürfen und nicht fliehen müssen. Diese Flucht war das Lebensgefühl der erdbebenbedrohten Philadelphier. In der Vollendung wird das Schnee von gestern sein: „Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

d) Ein neuer Name wird verliehen (ähnlich wie in Pergamon, 2,17). Den Glaubenden steht es für alle eindeutig „ins Gesicht geschrieben“, dass sie zu Gott gehören (was die Judenschaft nicht anerkennen konnte). Der Gottes-Charakter dieser „Beschriftung“ wird dreifach genannt:
· Der Name des Gottes Christi
· Der Name von Jerusalem, der Stadt des Gottes Christi
· Der neue Name Jesu selbst
Obwohl hier Vater und Sohn anklingen, ist das neue Jerusalem kaum – trinitarisch – auf den Heiligen Geist bezogen. Eher könnte man die Dreiheit dessen erkennen, „der da war (Gott) und der da ist (Christus) und der da kommt (die neue Stadt)“ (1,4).

Im Rückblick zeigt dieser Brief, wie Christus die bedrängte Situation einer Gemeinde ganz in ihr Gegenteil verkehren kann – was andere als Makel, als Schwäche sehen, ist vor Gott sehr anerkannt und gewürdigt. Die Gemeinde lebt vom Handeln Christi, und wo sie sich treu darauf verlässt, ist der Appell zu eigener Aktivität kaum hörbar. (Wenn sie sich nicht darauf verlassen hätte, wäre sie zu energischer und entschlossener Umkehr gerufen worden. Es wäre aber die Umkehr nicht zu einem Gehorsamsleistung gewesen, sondern eine Umkehr zu Christi Handeln. Das ist das Evangelium dieses Briefes.)