3 Der Brief an die Gemeinde zu Smyrna
Smyrna (das heutige Izmir) war zur Zeit des NT eine besonders bedeutende und schöne Stadt. Nur Ephesus übertraf sie an Bedeutung. Smyrna verfügte über Reichtum, denn die Stadt hatte einen sicheren Hafen und lag an bedeutenden Handelsstraßen. Der kulturelle Anspruch zeigte sich darin, dass man meinte, Geburtsstadt des Dichtes Homer zu sein. Die Stadt war politisch stark, denn sie hatte immer die besondere Nähe zu Rom gesucht – deshalb stand sie unter besonderem römischen Schutz. 26 n. Chr. lagen einige kleinasiatische Städte in einem Wettbewerb, wer dem Kaiser Tiberius einen Tempel bauen dürfte – Smyrna gewann. Dementsprechend wurde gerade hier der Kaiser religiös verehrt. Schließlich war Smyrna auch von der Natur her und städtebaulich besonders schön. Sie galt als „Perle Asiens“. Sie wurde überragt vom Berg Pagos, um dessen Gipfel sich ein Kranz von säulengeschmückten Gebäuden zog. Das Bild vom Kranz werden wir noch wieder antreffen.
Die äußere Situation war gar nicht so verschieden wie die vom prächtigen Ephesus. Aber die Lage der christlichen Gemeinde war völlig verschieden. Ein Zeichen dafür, dass sich jede Gemeinde wirklich als Einzelfall betrachten muss. Ähnliche äußere Umstände können doch Rahmen sein für eine ganz unterschiedliche Einschätzung durch Christus.
3.1 Wer redet zur Gemeinde – wie zeigt sich Christus?
Christus stellt sich vor und greift dabei wieder Elemente aus der Eröffnungs-Vision auf. Hier zeigt er sich als der, der Martyrium und Tod erlitten hat und auferweckt wurde. Damit ist gleich das Thema der Gemeinde gegeben: Es geht um Leben und Tod. In allem, was der Gemeinde passiert, kann sie den Weg von Jesus Christus wiedererkennen – und das soll sie sehen lernen.
Anders als bei Ephesus gibt Christus dieser Gemeinde weder Lob noch Tadel. Diese Gemeinde ist nicht in der Lage, etwas Richtiges zu tun oder etwas Falsches zu lassen – sie ist quasi eingeklemmt und kann nur darunter leiden. Keine Gemeinde, die nicht aktiv, sondern nur passiv sein kann.
Christus erklärt nun, dass er das alles weiß: „Ich kenne deine Lage!“
3.2 Drei Belastungen der Gemeinde
Dreifach werden die Probleme benannt:
1. Bedrängnis
2. Armut
3. Verleumdung / Beleidigung
Die Bedrängnis wird in V. 10 beschrieben: Einige müssen ins Gefängnis und sind da womöglich (nicht unbedingt zwangsläufig) vom Tode bedroht. Das wird so geschehen – die erste und die dritte Bedrückung bestreitet Christus nicht, als ob es nicht so schlimm wäre. Doch, so wird es kommen!
Nur die zweitgenannte Last bestreitet Jesus: Die Christen sind arm (inmitten einer glänzenden und blühenden Stadt) – aber das macht nichts, das nun ist tatsächlich nicht so schlimm, denn in Wirklichkeit sind sie reich.
3.2.1 Armut
Welche Armut ist gemeint? Materielle oder innere? Zunächst kann es wirklich materielle Armut sein. Das hier benutzte Wort meint nicht den ärmeren Menschen, der durch harte Arbeit noch gerade über die Runden kommt, sondern den total Verarmten, der gar nichts mehr hat. So arm konnten Christen werden, z. B. weil sie bedrängt wurden und man ihnen das Vermögen einzog. Hebr 10,34:
Ihr habt mitgelitten mit den Gefangenen und den Raub von Hab und Gut mit Freuden hingenommen im Wissen, dass ihr selbst ein besseres und bleibendes Gut habt.
Materielle Armut aber kann innere Folgen haben. „Allzu leicht ruft Armut seelische Schädigungen hervor. [...] Armut macht so leicht ärmlich, Gehasstwerden gehässig, Geschlagenwerden verschlagen.“ (A. Pohl) Also braucht es eine Gegenkraft und eine andere Sicht. Christus deutet auf den Reichtum der Christen.
Hat Gott nicht die erwählt, die in den Augen der Welt arm sind, und sie zu Reichen im Glauben und zu Erben des Reiches gemacht, das er denen verheißen hat, die ihn lieben? Jak 2,5
Dabei müssen wir heutigen Bibelleser aufpassen. Nicht jeder Gemeinde spricht Jesus pauschal einen Reichtum zu, sondern hier gerade der Gemeinde, die sich für arm hält. Umgekehrt gibt es Gemeinden, die sich reich vorkommen, aber in Christi Sicht gerade arm sind (Offb 3,17)! Es kommt schon darauf an, ob man sich selbst Reichtum zuspricht oder das von Jesus hört.
3.2.2 Die Gegner der Gemeinde
Feinde der Gemeinde sind zum einen die Smyrnäer Juden. Gerade diese Stadt hatte damals eine fest als Volkskörperschaft zusammengeschlossene jüdische Bewohnerschaft. Offenbar habe die bei den Behörden Stimmung gegen die Christen gemacht. Warum? Vielleicht weil etliche von ihnen zu der „Christensekte“ übergelaufen waren.
Zu beachten: „Die Juden“ an sich sind hier nicht die pauschalen Gegner aller Christen. „Der Name ‚Juden‘ ist im ganzen Neuen Testament niemals Schimpfname“! (H. Lilje) Sondern weil sie ihren Gegnern, den Christen, schaden zufügen, sind sie gerade keine Juden. An sich bleibt „Jude“ oder „Israel“ in der Bibel ein Ehrenname. Jesus nennt sie „Synagoge Satans“ – also das Gegenteil dessen, wie sie sich selbst sahen, nämlich „Synagoge des Herrn“. Warum gerade „Satans“? Nun, der Satan ist (schon von der Namensbedeutung her) der Ankläger. So offenbar haben sich diese Juden den Christen gegenüber verhalten. Nicht von Geburt an und nicht generell sind alle Juden „Synagoge Satans“, sondern diese hier deshalb, weil sie sich so verhalten, nämlich verleumden und anklagen.
(Das Wort Joh 8,44 – „ihr habt den Teufel zum Vater“ – gehört nicht in diesen Zusammenhang, denn es ist nicht allgemein den Juden gesagt, sondern bestimmten christusgläubigen Juden!)
Auf die Gemeinde wirkten aber nicht nur menschliche Gegner ein, sondern auch der Teufel (V. 10) – er ist es, der einige ins Gefängnis bringt. Darin werden die Christen auf die Probe gestellt – von wem? Vom Teufel? Die Formulierung im Passiv („ihr werden versucht“) lässt jeden Juden an Gott als Urheber denken; im Passiv wird vermieden, den Namen Gottes auszusprechen. Also wirken eben doch nicht nur die Gegner auf die Gemeinde ein, sondern darin wirkt Gott!
Aber stellt Gott seine Kinder auf die Probe? Hier tut er es ja nicht direkt, sondern indem er den Gegner eine Weile freie Hand lässt. Durch äußere Umstände kann Gott sehr wohl ans Licht bringen, was im Tiefsten in uns lebt.
... darum reden wir: nicht um Menschen zu gefallen, sondern um Gott zu gefallen, der unsere Herzen prüft. 1Thess 2,4
Gott aber sorgt dafür, dass diese Probe nicht zur Überforderung wird. Nur „zehn Tage“ haben die Gegner freie Hand; eine begrenzte Zeit (wie es in Daniel 1 auch eine begrenzte Zeit ist, die man bewältigen kann).
Gott aber ist treu: Er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kräfte versucht werdet, sondern mit der Versuchung auch den Ausweg schaffen, dass ihr die Kraft habt, sie zu bestehen. 1Kor 10,13
3.3 Tatsachen gegen die Bedrängnis
Im Laufe des Briefes nennt Christus eine Reihe von Wirklichkeiten, die der Gemeinde eine neue Sicht auf ihn, auf sich selbst und auf ihre Lage geben. Diese Wirklichkeiten stellen die Gemeindesituation in ein neues Licht. Es sind folgende:
· Die Gemeinde wird christusförmig, weil sie denselben Weg geht, den Christus gegangen ist: tot und wieder lebendig ...
· Christus kennt die Lage der Gemeinde.
· Die Gemeinde ist in Wahrheit reich und kann diesen Reichtum in den Blick nehmen.
· Die Tage der Bedrängnis sind gezählt – buchstäblich!
3.4 Zwei Gebote: Furchtlosigkeit und Treue!
3.4.1 Furchtlos sein!
Aus den gegebenen Tatsachen heraus leitet Christus das Gebot ab: „Fürchte dich nicht!“ (V. 10)
Damit benennt Jesus die einzige Bedrohung, die der Gemeinde wirklich etwas anhaben könnte: Angst. Furcht vor den falschen Mächten und dann falsche Rücksichtnahme auf diese Mächte. Diese Mächte sind da – „es werden einige ins Gefängnis kommen“, unbestritten. Aber diese Aussicht soll keinen Schrecken verbreiten.
Die Angst vor dem Falschen ist auch für uns eine Versuchung:
Es trifft sie Furcht und Schrecken, obwohl doch nichts zu fürchten ist. Ps 53,6
Wen hast du denn gescheut und gefürchtet, dass du gelogen und nicht an mich gedacht hast, es dir nicht zu Herzen genommen hast? Jes 57,11
Von welchen Kräften sind wir heute stark beeindruckt?
Von welcher Angst oder Sorge müssten wir uns lösen, weil sie nicht die echten, von Christus gegebenen Wirklichkeiten berücksichtigt?
3.4.2 Treu sein!
Selbst wenn der Tod droht, sollten die Smyrnäer Christen sich treu zu Christus bekennen (V. 10) – weil der Tod eben keine echte Bedrohung ist.
Unsere Situation ist derzeit anders. Unsere Treue ist nicht durch Todesgefahr auf die Probe gestellt. Die Frage ist, wie wir jetzt schon unser Treubleiben vorbereiten können.
Ein Geschäftsmann wird in zwei Monaten gemeinsam mit seiner Projektgruppe in die Firmenfiliale nach Übersee geschickt werden. Dort stehen mehrtätige Verhandlungen an. Er weiß aus Erfahrung, dass schon im Flugzeug viele seiner Kollegen ihre Eheringe vom Finger ziehen. Denn in der Filiale werden sie überaus attraktiven Kolleginnen begegnen – und diese paar Tage könnte man ja nutzen ...
Wie kann dieser Mann jetzt schon so leben, dass er in zwei Monaten treu bleiben wird? Was stärkt seine Ehe heute? Was lässt sie auch in der Versuchung stabil bleiben?
Was davon ist anwendbar auf unsere Beziehung zu Gott? Wie können wir unsere Beziehung zu ihm jetzt gestalten, damit sie auch in der Versuchung stabil bleibt? Was macht unsere Beziehung zu Gott stark, so dass wir treu sein werden?
3.5 Das Versprechen
Der bedrängten Gemeinde gibt Christus ein großes doppeltes Versprechen: Er wird den Kranz des Lebens geben. Das Bild von Sportwettkämpfen klingt an, in denen der Sieger bekränzt wird (heute bekommt er eine Medaille). Sportwettkämpfe waren im damaligen Smyrna häufig. Die Stadt selbst hatte ja den Wettbewerb um den Tempelbau gewonnen (s.o.). Die Bewohner von Smyrna hätten vielleicht auch an den schmückenden Kranz von Säulen-Häusern rund um den Gipfelberg denken können (s.o.).
Wenngleich Christen auch nicht durch ihre Werke gerettet werden, so wird Christus doch auf alle Fälle das anerkennen, was uns gelungen ist. Solange wir nicht auf unsere Leistung vertrauen, dürfen wir uns durchaus freuen auf sein „gut gemacht!“. „Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!“ (Mt 25,21)
Außerdem verspricht Christus Bewahrung vor dem zweiten Tod. Im jüdischen Sprachgebrauch ist das der Tod, aus dem heraus es keine Auferstehung mehr gibt. (Offb 20,14) Der Kreis schließt sich: Der „Erste und der Letzte“, der Lebendige, sagt zu, das zuletzt das Leben siegen und der Tod unterliegen wird.
Beides sind bedingte Versprechen, d.h. sie sind an eine Bedingung geknüpft. Sie gelten allen Christen, sofern sie treu bleiben und überwinden (auch ihre falsche Angst muss überwunden werden, wenn sie von Christus wegzieht). Die Liedzeile „Uns wird kein Leid vom Tode wiederfahren“ darf nicht zu Selbstsicherheit verleiten. Das ist kein Automatismus. Wohl aber macht Christi Versprechen Hoffnung und gibt Energie zum Treubleiben.