Dienstag, 30. März 2010

Predigt: „Der König und seine Macht“

Predigt über Joh 18,28-40: „Der König und seine Macht“
Liebe Gemeinde,
„wenn ich einmal an der Regierung wäre – ich würde da mal aufräumen. Ich würde endlich mal was Vernünftiges zustande bringen!“ Auch schon mal so gedacht? Diese Politiker, die nur von heute auf morgen denken – wenn die mich nur einmal ranlassen würden?
Dieser Traum klingt so ähnlich wie der vom Milchmann Tewje aus dem Musical: „Wenn ich einmal reich wär!“ Ja, dann würde alles anders. Wenn ich einmal reich wär – so träumt der Milchmann es:
„Ich bau den Leuten dann ein Haus vor die Nase hier in die Mitte uns’rer Stadt.“ – „Mein Weib stolziert herum, beladen mit Geschmeide und aufgedonnert wie ein Pfau. Sie zu sehen ist eine wahre Pracht. Die feinsten Delikatessen lässt sie sich servieren, spielt sich auf als ‚Gnädige Frau‘, scheucht das Personal bei Tag und Nacht.“ So wird es sein – wer reich ist und endlich mal mächtig, der kann sich auch mächtig dicke machen und andere das spüren lassen. Aber Milchmann Tewje merkt, dass es ja doch nicht so kommen wird, und seufzt zu seinem Schöpfer: „Herr, du schufst den Löwen und das Lamm – sag, warum ich zu den Lämmern kam?“

Einfache Leute wie Milchmänner wechseln selten auf die Seite der Löwen. Es gab einmal einen Mann, der schon lange auf der Seite der Löwen stand, ein Mächtiger und sicher auch Reicher. Er lebte im Römischen Reich, zählte zu den oberen Zehntausend, er gehörte dem vornehmen Ritterstand an. Geboren in Mittelitalien, wurde er irgendwann mit einer anspruchsvollen Aufgabe betraut. Er wurde zum Präfekten einer der unruhigsten Provinzen das römischen Reiches ernannt. Die Rede ist von Pontius Pilatus, dem Statthalter von Judäa. Ob der irgendwann einmal geträumt hat: „Wenn ich doch einmal reich und mächtig wäre?“ Dann wäre sein Traum jedenfalls in Erfüllung gegangen. Pilatus, Befehlshaber über römische Truppen an der Spitze der Provinzregierung.
An einem Morgen ganz früh wurde Pilatus einmal geweckt und man stellte ihm einen Mann gegenüber. Einen Angeklagten. Der wolle angeblich König sein. Und dann stehen sie voreinander, der mächtige Präfekt und dieser angebliche König. Hören wir auf den Bericht aus Joh 18:

(Lesen Sie den Bibeltext hier.)

Zwei Männer stehen sich gegenüber. Wer Pilatus ist, ist klar – der Mann an der Macht eben. Und Jesus? Er sagt, er sei ein König. Damit wäre er ja noch mächtiger als Pilatus. Aber was für ein König ist das? Wie steht er denn da?
Ein König in Handschellen! Ein König auf der Anlagebank. Hin- und hergestoßen zwischen dem jüdischen Oberpriester und dem römischen Statthalter und wohl auch noch zum König Herodes hin und zurück – ein Spielball. Jetzt bei Pilatus wird er beschuldigt. Aber man macht sich nicht einmal die Mühe, eine ordentliche Anklage zu formulieren: »Wenn er kein Verbrecher wäre, hätten wir ihn nicht zu dir gebracht.« Das soll reichen, als wäre er ein Stück Kehricht, das man ganz schnell wegfegen kann.
Pilatus merkt, dass hinter der Beschuldigung nicht viel steckt. Er fragt nur noch mal zur Sicherheit zurück – und muss hören, dass dieser König total weltfremd ist. „Ja, ich bin ein König, aber mein Königreich ist nicht von dieser Welt. Soldaten z. B. habe ich keine.“ Wie soll der Machtpolitiker Pilatus denn das finden? Das ist doch wohl ein Witz! So redet doch ein Spinner. Fast belustig scheint er, wenn er zurückfragt: „Aber, äh, ein König bist du tatsächlich?“
Jesus lässt sich nicht beirren – und das Bild eines irdischen Königs wird nur noch absurder. „Du hast Recht – ich bin ein König. Ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeuge zu sein; dazu bin ich geboren. Jeder, der auf der Seite der Wahrheit steht, hört auf meine Stimme.“ Das ist das einzige, was König Jesus vorweisen kann: ‚Wer erkannt hat, wer ich bin, der hört auf meine Stimme, der hört auf meine Worte.‘ Das ist die Macht dieses Königs: die Macht seiner Worte. Keine adlige Familie im Hintergrund. Kein Netzwerk an Beziehungen zu einflussreichen Wirtschaftsleuten. Keine Truppen. Geld sowieso nicht. Nur eine einzige Macht kann der vorweisen: die Macht seiner Stimme.

Soll man das rührend finden? Naiv? Oder einfach nur verrückt? Jeder weiß doch, welche Bedeutung Worte in der Politik haben. Am nächsten Tag sind sie oft schon Schnee von gestern. Und auch damals wird es Machthaber gegeben haben, die sich dachten oder sagten: „Was kümmert mich mein saudummes Geschwätz von gestern?“ Worte in der Politik – manchmal sind das nicht mehr als Schallwellen. Dieser Mann da aber, Jesus, nennt sich König und baut seine gesamte Macht nur auf seine Stimme – auf das, was er sagt. Das ist allerdings weltfremd. Dem soll man folgen? Dem sich unterstellen?
Pilatus kann damit nichts anfangen. Diese sogenannte Wahrheit, was bedeutet sie schon! Andererseits hat er gemerkt, dass dieser weltfremde Mann kein Gesetz gebrochen hat. Er will ihn loswerden. Er würde ihn laufen lasen. Aber die jüdischen Führer wollen ihn nicht freigelassen sehen. Sie nehmen lieber einen Verbrecher, einen Aufständischen, Barrabas, der nun tatsächlich das getan hat, was sie Jesus anhängen wollen: Widerstand gegen die Staatsgewalt. Am Ende – wie steht Jesus da? Ausgetauscht gegen einen Verbrecher. Das Leben dieses Königs war noch weniger wert als das eines Banditen. So ein König ist das. Nach den Maßstäben der Welt einfach eine traurige Figur.

Die Menschen, die Jesus besser kannten, die ihn vorher begleitet haben, sie wussten: Der ist ja keineswegs naiv. Der kennt sehr wohl auch die Realitäten dieser Welt. Er ist kein Phantast. Warum lässt der sich denn dann am Ende so hinstellen wie ein Spinner, als traurige Figur? Warum lässt der das mit sich machen? Es gibt nur eine Antwort: Er wollte es so. Freiwillig. Es war seine Entscheidung.

Und nun müssen wir ein zweites Mal hinschauen. Was ist das für ein König? Wie steht er da? Was für eine Figur macht er wirklich, wenn er mit Pilatus redet?

Der große Schweizer Prediger Walter Lüthi hat vor 70 Jahren über diesen biblischen Bericht gepredigt und dabei gesagt: „Er ist der einzig Königliche hier. Seine Peiniger meinen, ihn vor den Richter zu führen. [...] Sie meinen, ihn gebunden zu haben, und er ist der einzig Freie hier.“
Wohl wahr. Jesus steht königlich vor diesem römischen Präfekten. „Ich bin ein König. Ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeuge zu sein.“ Jesus nennt sich eine Zeugen, er macht eine Zeugenaussage. Also ist er gar nicht der Angeklagte, sondern eben Zeuge. In Wahrheit findet hier ein anderer Prozess statt als Pilatus meint. Jesus definiert, was sich hier abspielt. Und Pilatus? Hat er wirklich die Macht? In dieser Szene regiert er gar nicht, sondern er reagiert. Oder wie es Walter Lüthi sagt: „Pilatus meint, er mache Weltgeschichte, und wird geschoben. [...] Pilatus fragt, Jesus gibt die Antwort. Jesus steht in königlicher Würde da, Pilatus rennt hin und her wie ein Lakai. Seht ihn an, diesen Pilatus! wie geschmeidig und nach allen Seiten er seine Bücklinge macht, und wie bebend er um den herumdienert, der hier als König vor ihm steht.“ So ist es. Pilatus weiß, was er eigentlich tun müsste – Jesus freilassen –, und bringt es nicht fertig. Getrieben von Rücksichten, auf der einen Seite die Juden, auf der anderen der Kaiser, eingeklemmt in diese Zwänge, probiert er sich durchzulavieren, trifft lauter halbherzige Entscheidungen und versucht, die Verantwortung abzuschütteln, wie ein nasser Hund sich schüttelt. Souverän sieht anders aus. Jesus steht dabei, aufrecht. Königlich. Mit seiner Zeugenaussage für die Wahrheit.

Seine Macht ist nur sein Wort, sonst nichts? Jawohl. Aber was für ein Wort! Er hatte schon längst vorher gesagt, wie er umkommen würde. Er hatte das Kreuz im Blick. Die jüdischen Führer wollten, dass Pilatus ihn kreuzigt. Pilatus will den Juden erlauben, ihn selber abzuurteilen. Das hieße, er würde gesteinigt. Die Juden lehnen das ab. Aber weder die jüdischen Führer noch Pilatus entscheiden letztlich darüber, wie Jesus stirbt, sondern unser biblischer Bericht sagt: „So sollte sich das Wort erfüllen, mit dem Jesus angedeutet hatte, auf welche Weise er sterben werde.“ Jesus wird ans Kreuz emporgezogen werden, nicht weil die Juden es wollten oder weil Pilatus es wollte, sondern weil Jesus es bereits gesagt hat. „Sie handeln, ohne es zu wissen, auf Befehl des Königs, der hier gebunden vor Pilatus steht.“ (W. Lüthi) Diese Macht hat Jesus, der König: die Macht seiner Worte – und seine Worte bestimmen. Seine Worte erfüllen sich. Sie sind die innere Achse durch das Geschehen.

Pilatus konnte sich später bemerkenswert lange im Amt halten. Zehn Jahre, das ist beachtlich für diese Unruheprovinz Judäa. Aber irgendwann wurde er doch abgesetzt. Er wurde vor den Kaiser zitiert, um sich zu rechtfertigen. Sein Schicksal verschwindet im Dunkel der Geschichte. Der römische Kaiser, der über ihn richten sollte – er war schon tot, als Pilatus in Rom eintraf. Und das Reich, für das der Kaiser stand, das römische Reich – Jahrhunderte später war es aufgelöst. So viel zum Thema Macht und irdische Machthaber. Jede Regierung geht einmal kaputt. Jeder Machthaber muss abtreten. Das Königreich von Jesus hat bisher niemand kaputt machen können. Es ist nur auf die Stimme von Jesus gegründet, auf nicht mehr, und jede zusätzliche Macht, seien es Soldaten, sei es Geld, jede zusätzliche Macht hat Jesu Königreich immer nur geschadet. Es ist allein auf die Stimme von Jesus gegründet. Aber es hat Bestand. Jesus und Pilatus – wer ist hier der König?

Jesus und Pilatus – aber das Bild ist damit noch nicht vollständig. Dann auch wir gehören dazu. Wo sind wir? Wie stehen wir zwischen diesen beiden Männern, wie stehen wir zu Jesus?

Wir sind die, für die Jesus sich dahingestellt hat. Er hat sich ja dem Spott ausgesetzt. Hat sich als traurige Figur anblicken lassen? Warum macht jemand so was? Das macht einer nur, wenn es ihn etwas wert ist. Jesus hat sich zum Gespött machen lassen – das war es ihm wert. Wir waren es ihm wert. Er hat sich öffentlich abwerten lassen vor Pilatus – sich entwerten lassen. Was mit entwerteten Sachen passiert, wissen wir. Einen entwerteten Fahrschein werfen wir bald achtlos weg. Er hat sich entwerten lassen für uns – und uns damit aufgewertet. Wer sind wir? Wir sind die Wertgeschätzten.

Jesus zeigt uns, wo in Wahrheit die Macht ist. Er allein hat sie. Andere Mächte gehen unter, er aber bleibt. Wir sind in unserem Leben nicht immer obenauf. Auf unsere menschlichen Sicherheiten ist nicht immer Verlass. Selbst unser Glaube kann scheitern. Das ist so, weil wir menschlich sind und menschliche Kräfte eben ihr Ende finden. Wir können uns aber an Jesus hängen, uns diesem König unterstellen. Sein Reich, so schwach es scheint und so wenig machtvoll, sein Reich wird bleiben. Wenn wir uns hineinstellen in seine Herrschaft, dann haben wir Zukunft – nur dann. Aber dann auch eine Zukunft über den Tod hinaus. Jesus ist noch dann König, wenn alle anderen Machthaber abgetreten sind, und zuletzt wird auch der Fürst dieser Welt, der Teufel, seine Macht verlieren. Das Königreich von Jesus bleibt. Wir haben Zukunft, wenn wir in seine Herrschaft eintreten.
Das Wort dieses Königs erfüllt sich. Es ist zuverlässig die innere Achse auch durch unser Leben. Wie stehen wir zu Jesus? Jesus steht zu uns, mit seinem Wort, das sich erfüllt.

Wie hat er es gesagt? „Ich bin ein König. Ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeuge zu sein; dazu bin ich geboren. Jeder, der auf der Seite der Wahrheit steht, hört auf meine Stimme.“ Hier zeigt Jesus uns unseren Platz. „Jeder, der auf der Seite der Wahrheit steht, hört auf meine Stimme.“ Wir also sind die Hörenden. Wir leben davon, dass wir auf Jesu Stimme hören.
Wir haben das Vorrecht, in einer Umgebung zu sein, wo das Wort von Jesus überreich da ist. Wir haben Bibeln. Wir haben Lesehilfen für die Bibel. Wir haben Verkündigung und Schriftauslegung, in dieser Gemeinde, in vielen anderen Kirchen und Gemeinden in unserer Stadt, im Fernsehen und im Internet. Jesu Stimme ist für uns zugänglich. Wir sind reich.
Aber nicht das macht uns zu Christen und nicht das bringt uns ins Leben, dass wir Jesu Stimme hören. Christen sind nicht die, die Jesus zuhören. Sondern die auf Jesus hören. Auf diesen Unterschied kommt es an und ich meine, wir kennen in unserem täglichen Leben diesen feinen Unterschied sehr wohl. Ich als Vater merke, ob meine Kinder mir zuhören – „Jaja, Papa“ – oder ob sie auf mich hören. Jesus sagt: „Jeder, der auf der Seite der Wahrheit steht, hört auf meine Stimme.“ Und damit spielt er uns den Ball zu. Jedes Mal, wenn wir Kontakt haben zur Bibel oder zum Losungsbuch oder zu einer Predigt oder zu sonst einer biblischen Betrachtung, jedes Mal sollten wir uns fragen: Höre ich Jesus zu? Oder höre ich auf ihn?

Sein Königreich bleibt. Er selber als König bleibt ewig. Wir haben Zukunft, wenn wir auf ihn hören. Wir können unsere Entscheidungen in unsere eigene Macht stellen. Aber was mit eigener Macht letztendlich passiert, sehen wir an Pilatus. Lassen wir uns erfassen von Jesu Königreich – dann werden wir bleiben!

Wir haben, liebe Gemeinde, zwei Arten von Macht gesehen. Die Pilatusmacht und die Jesusmacht. Wenn wir seufzen, so wie ich es zum Beginn der Predigt erwähnt habe: „Hach, wenn ich einmal an der Regierung wäre – wenn die mich nur einmal ranlassen würden ...“ – wenn wir so seufzen oder träumen, dann meinen wir oft eine Pilatusmacht. Und der Milchmann Tewje, der träumt: „Wenn ich einmal reich wär“? Der wollte auch gerne ein feiner reicher Mann sein, angesehen und mit Einfluss. Er hat es Gott geklagt:
„Herr, du schufst den Löwen und das Lamm. Sag, warum ich zu den Lämmern kam! Wär es wirklich gegen deinen Plan, wenn ich wär ein reicher Mann?“
Zu den Lämmern wollte er nicht kommen. Er wollte lieber Löwe sein. Pilatus hätte sich sicher mit dem Löwen verglichen. Christus ist das Lamm Gottes. Das Lamm hat den Löwen überlebt.

Amen.