4 Der Brief an die Gemeinde in Pergamon: 2,12-17
Anders als die Städte Ephesus und Smyrna war die Stadt Pergamon nicht wirtschaftlich bedeutend; es war keine Hafenstadt. Der Name „Pergamon“ aber lässt an zweierlei denken: an das Pergamon-Museum in Berlin und an das Wort „Pergament“. In der Tat wurde das Schreibmaterial Pergament in Pergamon erfunden und nach dieser Stadt benannt – und dort reichlich verwendet. Pergamon hatte eine berühmte Bibliothek, war also wie eine Kulturhauptstadt.
Das Berliner Museum enthält den Pergamon-Altar, eine riesengroße Darstellung mit Szene aus den griechischen Mythen. Aber zur Zeit des NT glaubte man nicht mehr aus voller Überzeugung an die griechischen Götter. In Pergamon gab es andere Kulte: zum einen den Gesundheitskult um den Schlangengott Asklepios. Dieser Gott hatte den Beinamen „sotēr“, Retter – die Bezeichnung, die Christen ihrem Herrn Jesus gegeben hatten! Viele Heilstätten und Arztschulen waren in der Stadt. Zum anderen war Pergamon als Sitz des Statthalters der Provinz Asia auch Hochburg des Kaiserkultes.
4.1 Wer redet zur Gemeinde – wie zeigt sich Christus?
Der die Gemeinde anspricht, trägt das scharfe zweischneidige Schwert. So hatte sich Christus bereits zu Anfang vorgestellt, und zwar als Richter. Mir dem Schwert trennt er, unterscheidet er – jede falsche Vermischung hat vor ihm keinen Bestand.
Christus greift mit dem Schwert eine Eigenschaft auf, die bei Jesaja der Knecht Gottes hat (49,2).
1 Hört auf mich, ihr Inseln, merkt auf, ihr Völker in der Ferne! Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt. 2 Er machte meinen Mund zu einem scharfen Schwert, er verbarg mich im Schatten seiner Hand. Er machte mich zum spitzen Pfeil und steckte mich in seinen Köcher. 3 Er sagte zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will.
Damit hat Christus angezeigt, dass er als Messias kommt.
Die Selbstvorstellung wirkt zunächst erschreckend und verlockt nicht gerade zu großer Nähe zu Christus. Der weitere Verlauf des Briefes wird zeigen, wie Christus tatsächlich mit dem Schwert kämpft, aber auch, welche besondere enge Verbundenheit Christus zu den Glaubenden knüpft. Für Pergamon ist Christus kein distanzierter Herr.
4.2 Was der Gemeinde gut gelungen ist
Zunächst lobt Christus nicht die Gemeinde für das, was sie gut gemacht hat, sondern nennt ihren Wohnort: am Thron Satans. Das Wort, das hier gebraucht ist, steht nicht für vorübergehendes Wohnen, quasi auf Durchreise, wie Pilger – sondern hier für dauerhaftes Wohnen. Man konnte sich diesem Ort nicht entziehen. Wohnort der Gemeinde und Satans (13b) war derselbe; die Christen lebten in Wohngemeinschaft mit dem Satan.
Was war der Thron Satans? Wahrscheinlich haben sich verschiedene Einflüsse verdichtet, so dass eine bestimmte religiöse „Atmosphäre“ (Pohl) entstanden war. Am bedrängendsten war der Kaiserkult, der Christen täglich in Gefahr brachte, weil sie nicht opfern wollten. Daneben wirkte der Asklepios-Kult: die Schlange konnte als Symbol Satans gelten, zumal Asklepios als „Heiland“ verehrt wurde. Die griechischen Göttertempel überragten für alle sichtbar die Stadt auf einer Anhöhe – wie ein „Thron“. Später in der Offenbarung, 13,2, wird der Thron noch einmal genannt – hier ist das römische Reich gemeint. Demnach wäre der Kaiserkult das am meisten Satanische in Pergamon.
Der Gemeinde ist in der Vergangenheit und in der Gegenwart manches gut gelungen: In früheren Tagen hat sie sich zum Glauben an Jesus bekannt – möglich ist auch die Übersetzung: „Treue zu Jesus“. Zwischen beidem gibt es keinen Unterschied: „an“ Jesus glauben die, die „ihm“ treu sind. In frühere Tagen gab es auch schon ein Todesopfer um des Glaubens willen – Antipas, über den man nichts Weiteres weiß. Wer wie dieser Zeuge treu ist, zu dem hält Jesus eine besondere Verbundenheit: Er nennt Antipas „treuen Zeugen“ und nennt ihn damit so, wie er, Jesus, sich selbst genannt hat (1,5). Jesus würdigt ihn mit Namensgemeinschaft und Schicksalsgemeinschaft.
In der Gegenwart der Gemeinde gelingt es gut, am Namen Jesu festzuhalten. Kaiseropfer und Jesusname waren ein strikter Gegensatz.
Heute kann man religiös oder gläubig sein, ohne sofort den Namen von Jesus auszusprechen. Auch wir Christen haben Formulierungen entwickelt, die Gottes Namen oder gar den Namen Jesu vermeiden:
>> „Der da oben weiß es schon ...“
>> „Wir wissen ja, an wen wir glauben ...“
>> „Der liebe Gott ...“
>> „Da können wir nur noch die Hände falten ...“
Was könnte der Grund sein, dass wir auch im Gespräch mit Christen solche Ersatzformulierungen verwenden?
Was wäre eine Redeweise von Jesus, die uns zu Recht als „zu fromm“ vorkäme?
Wenn in unserer Gesellschaft eine zunehmende Toleranz gegenüber anderen Religionen als guter Ton gilt, z. B. im Blick auf den Islam – wie können wir als einzelne Christen davon „profitieren“? Hilft uns das, unsererseits unbefangener von Jesus Christus zu reden?
4.3 Was der Gemeinde nicht gut gelang
Christus kritisiert, dass es manche Leute gibt, von denen Ungutes ausgeht. Er sagt, es sei eine „Kleinigkeit“ (V. 14) Gleich wird aber deutlich, dass Christus das doch sehr ernst nimmt und als Richter auftreten wird – es kann also gar keine Kleinigkeit sein. Möglicherweise greift er ein Schlagwort auf, das in der Gemeinde umging: Ach die ... das ist ja nur eine Kleinigkeit ...
Wahrscheinlich hat Christus eine einzige Gruppe im Blick: Sogenannte „Nikolaiten“, die einen gesellschaftliche Kompromisskurs fahren und lehren,
· sowohl in der Frage der Opferfleischmahlzeiten
· als auch in im Blick auf sexuelle Freizügigkeit.
Das Problem der Mahlzeiten trat besonders bei Geschäftsessen oder Familien- und Freundeskreisfeiern auf (siehe Abschn. 2.2.2). Nach Jesus muss man sich hier notfalls von einer Situation trennen (so sagt es der, der das trennende Schwert hat).
Sexuelle Freizügigkeit war in der damaligen Gesellschaft moralisch anerkannt. Der Redner Demosthenes (384-322 v. Chr.) hatte den Zustand (ohne Wertung, neutral) beschrieben: „Wir haben Konkubinen, um uns mit ihnen zu ergötzen, sodann gekaufte Huren, um unseren Körper zu pflegen, und schließlich Frauen, die uns rechtmäßige Kinder schenken sollen und deren Aufgabe es ist, alle unsere häuslichen Angelegenheiten zu überwachen.“
Der Kaiser Alexander Severus (Amtszeit 222-235) stattete seine Gouverneure der Provinzen mit dem Nötigen aus, nämlich mit einem Pferd, mit einer Dienerschaft und – wenn der Statthalter unverheiratet war – mit einer Konkubine (nach W. Barclay).
Freizügigkeit bei der Götterfrage und beim Sex traten oft gemeinsam auf. „Das erste Gebot, das vor Nebengöttern warnt, ist unterirdisch mit dem sechsten Gebot, das vor Nebenfrauen warnt, verbunden. Treue ist unteilbar, ob es sich nun um die Treue zu Gott oder zur eigenen Frau handelt.“ (Pohl)
4.4 Die Reaktion der Gemeinde – die Reaktion Christi
Obwohl nun einige aus der Gemeinde auf dem falschen Gleis sind, soll die gesamte Gemeinde umkehren. Sie steht, ob sie will oder nicht, in Verbindung, Solidarität mit den Falschlehrern: nicht sie sind bei dir, sondern „du hast“ diese Menschen bei dir.
Dementsprechend wird Christus als Reaktion auch „über dich“, die ganze Gemeinde kommen (wenn die Gemeinde ihre Reaktion versäumt). Gegen die einzelnen Falschlehrer wird Christus kämpfen. Zugehörigkeit zur Gemeinde schließt nicht aus, dass man Christus gegen sich haben kann! Die Umkehr der Gemeinde würde also einzelne davor bewahren, Christus gegen sich zu haben. Auch so sind alle insgesamt mit den einzelnen verbunden.
Wie kann eine gesamte Gemeinde umkehren, wenn es bloß einzelne sind, die schief liegen?
Die Gemeinde Ephesus verabscheute die „Taten“ der Nikolaiten (2,6), nicht die Menschen. Wie sieht die Umkehr einer Gemeinde aus, welche die falsche Taten abstellt, aber nicht zugleich die Menschen ausgrenzt? Geht das überhaupt?
4.5 Das doppelte Versprechen
Denen die treu bleiben, verspricht Christus zweierlei:
4.5.1 Das verborgene Manna
Wer treu bleiben wollte, musste auf manche fröhliche Mahlzeit verzichten. Christus kündigt etwas Besseres an: Er selber lädt zur Mahlzeit ein. Auf dem Tisch wird „verborgenes Manna“ stehen. „Darüber sollte man den Appetit zum Götzenopferfleisch verlieren.“ (J. A. Bengel) Gott versorgte damals sein Volk mit Nahrung, wo es eigentlich keine Nahrung zu erwarten gab. Nach jüdischer Denkweise war eine Gefäß mit Manna im Tempel aufbewahrt. Bei der Zerstörung des Tempels war es verschwundne – in messianischer Zeit würde es wieder auftauchen. Wenn Christus darauf anspielt, zeigt er erneut an, das er der Messias ist.
Soll ich mir etwas selber nehmen – auch um den Preis eines Kompromisses? Oder soll ich warten, bin Gott es mit von sich aus gibt? – Glaubende stehen immer wieder vor dieser Entscheidung. Schon im Paradies hätten die ersten Menschen vertrauen können, dass Gott ihnen das Wissen um gut und Böse zur rechten Zeit gibt – aber sie nahmen es sich selber. Jesus in der Wüste verzichtete darauf, dass Engel ihn nach dem Sturz vom Tempel auffangen würden – und wenig später bekam er eben dies: dass die Engel ihm dienten.
Wer von uns kann eine Erfahrung berichten, dass Gott mit dem versorgt hat, was man aus Gehorsam sich selber nicht genommen hat?
4.5.2 Der weiße Stein
Weiße Steine wurden in der damaligen Gesellschaft ab und zu benutzt; z. B. in einer Abstimmung der Volksersammlung. Wer in einer Sache einen weißen (statt eines schwarzen) Stein abgab, hatte für Freispruch gestimmt.
Marmortafeln mit dem eingravierten Namen darauf hatten die Sieger der olympischen Spiele, um sich zu Hause als rechtmäßige Preis-Empfänger auszuweisen. Damit bekommen die „Sieger“ (V. 17) die Zusage: ihr seid es rechtmäßig!
Einen neuen Namen hatte Gott z. B. bei Jesaja für sein Volk versprochen. Damit wollte er zugleich eine neue Geschichte schenken, wie eine neue Biografie: die alte Geschichte des Scheiterns wird so nicht fortgesetzt!
(An Israel: )
2 Dann sehen die Völker deine Gerechtigkeit und alle Könige deine strahlende Pracht. Man ruft dich mit einem neuen Namen, den der Mund des Herrn für dich bestimmt. 3 Du wirst zu einer prächtigen Krone in der Hand des Herrn, zu einem königlichen Diadem in der Rechten deines Gottes. 4 Nicht länger nennt man dich «Die Verlassene» und dein Land nicht mehr «Das Ödland»,sondern man nennt dich «Meine Wonne» und dein Land «Die Vermählte». Denn der Herr hat an dir seine Freude und dein Land wird mit ihm vermählt. Jes 62
Einen Namen, den niemand kennt außer dem Namensträger selbst, wird Christus selber mit sich führen (Offb 19,12). Wie beim treuen Zeugen Antipas verspricht Christus also hier der ganzen Gemeinde einen wertvollen Schatz, den er selber hat, und stellt sie in diesem Punkt sich gleich; zieht sie an sich. Wenn Christus auch der unzweideutige Richter ist, möchte er keine Distanz seiner Gemeinde zu sich.