Mittwoch, 10. März 2010

Predigt „Voneinander enttäuscht – und nun?“

Predigt über 2Kor 12,19–13,13 (in Auswahl) „Voneinander enttäuscht – und nun?“
Liebe Gemeinde,
ein Vater beugt sich über die Wiege seines vor einigen Tagen geborenen Kindes und ist völlig versunken. Die Mutter betritt unbemerkt das Zimmer und, ohne sich zu rühren, betrachtet sie das ungläubige Staunen, die tiefe Freude und das deutliche Entzücken auf dem Gesicht ihres Mannes. Ganz leise und tief gerührt nähert sie sich dem Vater, legt liebevoll ihren Arm um seine Schultern und haucht: „Mein Liebster, ich kann mir gut vorstellen, was dich jetzt bewegt!”
Überrascht fährt der Vater aus seiner Versunkenheit auf und sagt: „Ja, ich wüsste für mein Leben gern, wie man solch eine hübsche Wiege für vierzig Euro herstellen kann. Das ist fast ein Wunder!“ (Axel Kühner)

Und es ist kein Wunder, dass die Frau enttäuscht ist. Das war nicht die erwartete Antwort. Wahrscheinlich hat jeder von uns in der letzen Woche die ein oder andere Enttäuschung erlebt, vielleicht klein, vielleicht auch groß. Wir erleben Enttäuschungen gerade da, wo man sich eigentlich liebt. Weil meine Frau mich liebt, erwartet sie natürlich auch anderes und mehr von mir als von anderen Menschen. „Hast du denn nicht gesehen, dass ...“ – ääh, manchmal habe ich es wirklich nicht gesehen. Ihre Erwartung ist enttäuscht.
Derjenige, der mir egal ist, der kann mich nur selten enttäuschen. Von dem erwarte ich ja sowieso nichts. Aber wenn mir an jemanden etwas liegt und der sich anders als erwartet verhält, dann denke ich oder sage ich: „Das hätte ich nicht gedacht! Wie konnte der nur!“
Enttäuschung ist, wo Liebe ist. Das passiert in Freundschaften, in der Ehe und auch zwischen Glaubensgeschwistern. Das war schon so, als Gemeinde gerade erst entstanden war. Jesus wurde enttäuscht von seinen Jüngern. Und auch z. B. die Christen in Korinth waren immer wieder eine große Enttäuschung. Hören wir auf einige Briefzeilen von Paulus, der einmal ziemlich enttäuscht von seiner Gemeinde war:

19 Schon längst meint ihr, dass wir uns vor euch rechtfertigen. Vor Gott reden wir in Christus. All das aber, ihr Lieben, um euch aufzubauen. 20 Ich fürchte nämlich, dass ich euch, wenn ich komme, nicht so vorfinde, wie ich es will, und dass auch ich nicht so von euch vorgefunden werde, wie ihr es wollt. Vielmehr befürchte ich Streit, Eifersucht, Wutausbrüche, Egoismus, Verleumdungen, Intrigen, Arroganz und Durcheinander, 21 so dass, wenn ich das nächste Mal komme, mein Gott mich vor euch erniedrigen wird. Dann fürchte ich in Trauer zu geraten über viele, die schon länger in Sünde leben und nicht umgekehrt sind von ihrer Art, alles in den Dreck zu ziehen, von ihrem Ehebruch und ihrer triebhaften Lebensweise. [...]
13,2 Ich hab’s bereits gesagt und sage es jetzt voraus, (damals) bei meinem zweiten Besuch nicht anders als jetzt aus der Ferne – (ich sage es) denen, die schon länger in Sünde leben und allen anderen: Wenn ich erneut komme, werde ich schonungslos auftreten. [...]
5 Prüft euch selbst, ob ihr im Glauben seid; schätzt euch selbst ein! Oder erkennt ihr euch selbst nicht als solche, in denen Jesus Christus ist? Wenn nicht, dann hättet ihr die Probe nicht bestanden. 6 Ich hoffe aber, ihr werdet erkennen, dass wir bei dieser Probe nicht durchfallen. 7 Doch beten wir zu Gott, dass ihr keinerlei Böses tut – nicht damit wir uns als Bewährte herausstellen, sondern damit ihr das Gute tut, wir aber wie Versager dastehen. [...] 9 So freuen wir uns, wenn wir schwach sind, ihr aber etwas ausrichten könnt. Darum nämlich beten wir: um eure Wiederherstellung. 10 Deswegen schreibe ich euch das aus der Ferne, damit ich nicht bei meinem Besuch schroff vorgehen muss gemäß der Vollmacht, die der Herr mir gegeben hat zum Aufbauen und nicht zum Einreißen.
11 Im Übrigen, Geschwister: freut euch, lasst euch wieder herrichten, lasst euch ermahnen, seid auf dasselbe bedacht, haltet Frieden. So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. [...]
13 Die freundliche Zuwendung des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. 2Kor 12/13

Paulus und seine Korinther. Der Gründervater und seine Gemeinde. Beide haben es nicht leicht miteinander. Und es ist eben deshalb besonders schwer, weil jedem der andere etwas bedeutet; weil sie sich lieben. Im Moment liegen sie quer zueinander. Und zwar so, dass Paulus befürchtet, es würde eine wechselseitige Enttäuschung geben:
„Ich fürchte nämlich, dass ich euch, wenn ich komme, nicht so vorfinde, wie ich es will, und dass auch ich nicht so von euch vorgefunden werde, wie ihr es wollt.“ Also wird Paulus unzufrieden mit der Gemeinde sein und die Gemeinde unzufrieden mit Paulus. Die bevorstehende Enttäuschung ist keine Einbahnstraße. Paulus weiß, dass auch er selbst nicht allen Erwartungen gerecht werden kann.
Wir können uns eine Menge abschauen an der Art, wie Paulus diese drohende Enttäuschung nun angeht. Ich möchte das, was er schreibt, in drei Durchgängen betrachten: Zum ersten möchte ich die Grundlinien zeigen, die Paulus erkennen lässt, damals für Korinth. Dann möchte ich ableiten, was wir heute daraus ziehen können für unsere Partnerschaften und Ehen. Und drittens frage ich danach, was das für Enttäuschungen in unserer Gemeinde heißen kann.

Paulus und die Enttäuschung
Paulus ist noch nicht völlig ernüchtert, aber er sieht es kommen. Und es wird ihm weh tun. Er spürt schon Vorboten der Trauer, es wird vielleicht auch nicht ohne Tränen abgehen. Wie geht er die Enttäuschung an?
Wir können eine Reihe von Grundzügen beobachten.

1. Paulus spricht alles offen an. Er verschleiert nicht, was schief läuft. Klare Worte fallen: Eifersucht, Wutausbrüche, Verleumdungen, Intrigen, Arroganz, Ehebruch, triebhafte Lebensweise – und das ist nur eine Auswahl. Der Brief, den Paulus geschrieben hat, wurde ja damals im Gottesdienst öffentlich vorgelesen und die Gemeindemitglieder müssen zusammengezuckt sein, als diese Worte wie Hammerschläge kommen. Sie haben sich vielleicht auch ängstlich umgesehen: Ist hoffentlich heute kein Gast im Gottesdienst? Aber Paulus hat es so klar ausgesprochen. Das Fehlverhalten war vor den Augen aller passiert, also benennt er es auch in der Gemeindeöffentlichkeit. (Paulus lässt sogar durchblicken, dass er an einzelne Menschen denkt: Es sind „viele, die schon länger in Sünde leben und nicht umgekehrt sind von ihrer Art, alles in den Dreck zu ziehen.“ Die Korinther konnten sich ausrechnen, an wen Paulus dachte. Peinliche Bloßstellung?) Paulus hielt es für nötig, so deutlich zu werden.

2. Paulus hat seine Enttäuschung sortiert. Er ist nicht persönlich beleidigt und breitet das etwa aus. Persönlich enttäuscht hätte er wohl sein können. Zu viele Korinther haben seine Predigten nicht befolgt. Er wurde als Mitarbeiter und als Mensch angegriffen. Man hatte sich zwischenzeitlich anderen Autoritäten zugewandt. Verständlich wäre es gewesen, wenn Paulus sich beklagt hätte: ‚So geht ihr mit mir um? Das muss ich mir bieten lassen? Ist da nicht wenigstens ein kleiner Rest an Wertschätzung?‘ Aber all das lässt Paulus unter den Tisch fallen. Er selber wäre bereit, als Verlierer aus dem Streit herauszugehen, wenn die Gemeinde nur wieder auf den richtigen Weg zurückfände: „Wir beten zu Gott, dass ihr keinerlei Böses tut – nicht damit wir uns als Bewährte herausstellen, sondern damit ihr das Gute tut, wir aber wie Versager dastehen.“ Paulus verteidigt nicht sich – sondern es geht ihm um eine größere Sache.
Welche Sache ist das?

3. Paulus erinnert daran, was er und die Gemeinde eigentlich gemeinsam wollten. Er zeigt auf den gemeinsamen Start. Damals hatte er Christus gebracht und viele haben Christus als ihren Herrn angenommen. Sie wurden dann Gemeinde. Also darum muss es gehen: Lebt ihr noch im Glauben? Also – setzt ihr noch euer ganzes Vertrauen auf Gott? Lebt Christus noch in euch? Werft ihr die Zerstörungskräfte aus eurem Leben immer noch raus, Hass z. B. und Ehebruch? Gleicht eurer Lebensstil immer noch dem Leben von Jesus? Darum geht es. Um diese Sache streitet Paulus gern und hier wäre er bitter enttäuscht, wenn die Korinther das verloren hätten. Die Korinther mögen ihrerseits von Paulus enttäuscht sein, dass er nicht moderner denkt, dass er z. B. nicht erlaubt, an öffentlichen Opferfesten teilzunehmen. Dass er auch nicht erlaubt, was alle Griechen sich erlaubten, nämlich eine Extra-Freundin für’s Bett. Hier bleibt Paulus fest, egal, ob er die Erwartungen der Gemeinde enttäuscht. Hier hält er einen hohen Anspruch aufrecht. Es gibt Dinge, da muss man enttäuschen! Wenn die Korinther sich weiter beharken, verleumden, Intrigen spinnen, dann haben sie eben nicht nur Paulus enttäuscht, sondern sich gegen Christus gestellt.
Paulus malt den Korinthern noch ein Bild vor Augen: „Ich sage all das, ihr Lieben, um euch aufzubauen.“ Das Ursprungswort lässt den Hausbau anklingen. Und damit sagt Paulus: ‚Liebe Leute, damals hat Jesus doch angefangen, etwas unter uns aufzubauen. In jedem von euch ist seine Wohnung entstanden. Wir alle als Gemeinschaft bilden Gottes Haus. Christus baut daran und wir bauen mit. Ich und ihr. Das ist doch unser gemeinsames Vorhaben. Das dürfen wir doch nicht zerstören.‘
Also geht es Paulus darum, ob das Leben in Christus aufgebaut wird oder nicht. Wenn nicht, dann wäre er sehr enttäuscht. Wenn doch, dann ist er sogar bereit, persönlich als Schwächling dazustehen. Egal. Sich selbst verteidigt Paulus nicht. Aber das gemeinsame Vorhaben sehr wohl. „Seid auf dasselbe bedacht!“
Macht Paulus also der Gemeinde Vorwürfe? Schreibt er: ‚Ihr habt euch ja total verrannt, ihr fahrt gerade mit Höchstgeschwindigkeit vor die Wand?‘
Nein, Paulus schreibt anders, und das ist der nächste Grundzug:

4. „Prüft euch selbst, ob ihr im Glauben seid; schätzt euch selbst ein! Oder erkennt ihr euch selbst nicht als solche, in denen Jesus Christus ist?“ Paulus hat sehr wohl seine Diagnose, aber er beharrt nicht darauf. Sondern die Gemeinde kann es selber herausbekommen. Sie müssen sich nur an die echten Ziele erinnern: ob das Leben in Christus sich bei ihnen aufbaut. ‚Ist das so? Ich beurteile euch nicht. Ihr selbst müsst das tun.‘

5. Und schließlich fügt Paulus noch ganz bewusst einen unverzichtbaren Schritt hinzu: „Wir beten zu Gott, dass ihr keinerlei Böses tut.“ Paulus gibt die Gemeinde im Gebet an Gott ab. Wer betet, lässt ja seine eigenen Ziele los und vertraut sie Gott an. Gott wird dann handeln und sich kümmern. Sobald Paulus betet, hat er keine Besitzansprüche mehr an die Gemeinde. Und wenn die Korinther ebenfalls für Paulus beten würden, von dem sie ja enttäuscht sind, dann hätten sie ihn auch an Gott abgegeben. Und aus ihren eigenen Erwartungen entlassen.

So. Eine Reihe von Grundzügen haben wir gesehen. So kann man es machen, wenn man voneinander enttäuscht ist. Die Knackpunkte offen ansprechen. Aber nicht sich selbst verteidigen oder rechtfertigen. Vielmehr an das erinnern, was doch beide gemeinsam wollten. An das erinnern, was Jesus Christus unter ihnen aufbauen will. Dann den, von dem man enttäuscht ist, fragen: Wie siehst du das denn? Wo siehst du dich? Bist du noch in Christus? Schließlich das Gebet. So kann man es machen, wenn man voneinander enttäuscht ist.
Wie leben wir so etwas praktisch? Wie passt das auf die vielen großen und kleinen Enttäuschungen im Alltag?
Enttäuschung ist, wo Liebe ist. Wer miteinander verheiratet ist, der z. B. hat zahlreiche Gelegenheiten zu enttäuschen. Wie kann es dann in der Ehe weitergehen?

Enttäuscht vom Ehepartner
Enttäuschung fängt nicht erst an, wenn einer fremdgegangen ist. Es geht auch eine Nummer kleiner. Sie ist von ihm enttäuscht, dass er so viel arbeitet, anstatt Zeit für zu Hause zu haben. Er ist von ihr enttäuscht, weil sie ihrer besten Freundin manchmal mehr anvertraut als ihm, ihrem Mann. Sie hätte von ihm erwartet, dass er auch mal mit dem Klassenlehrer telefoniert, um einen Schulkonflikt zu lösen, anstatt das auf ihr hängen zu lassen. Er hätte von ihr erhofft, dass sie mal Danke sagt für den Reifenwechsel am Familienauto. Das sind nur vier Beispiele aus tausend Möglichkeiten.
Was nun, wenn sie oder er so enttäuscht ist?

Gehen wir die Reihe durch, die wir eben bei Paulus gesehen haben. Sie kann offen ansprechen, was an ihr nagt. Sie wartet nicht – „da muss er doch selber drauf kommen“ – denn dann kann sie manchmal warten, bis sie verschimmelt. Nein, sie sagt z. B.: „Mir macht das etwas aus, dass du nie mal eine Idee einbringst, wie wir einen Ehe-Abend gestalten können. Im Job hast du hundert Ideen und für uns nicht – das macht mir was aus.“
Aber gleichzeitig nörgelt sie (oder er) nicht nur, sondern spricht über das gemeinsame Ziel: „Wir sind doch mal anders gestartet. Wir wollten doch viel mehr miteinander teilen als wir es momentan tun. Wir wollten doch einander treu sein, weit vor allem anderen. Wenn du eher mit deinem Beruf verheiratet bis als mit mir (oder er sagt z. B.: Wenn du als Mutter eher mit den Kindern verheiratet bist als mit mir) – das haben wir uns doch damals anders gedacht.“ Das Jawort bei der Hochzeit, es war doch wie ein gemeinsames Haus, das begann. Nicht eins aus Steinen, sondern eins aus Treue und Liebe und dass man aufeinander zugeht. Dieses Ehe-Haus weiter zu bauen, das ist das Ziel.

In der Ehe-Enttäuschung ist es weiter wichtig, nicht einfach Vorwürfe zu machen. Nicht einfach den anderen zu beurteilen: „Du willst dich ja gar nicht ändern!“ Sondern wie Paulus seine Leute eingeladen hatte: „Prüft euch mal selbst!“ So was geht auch in der Ehe-Enttäuschung. „Du, wo siehst du denn gerade unsere Ehe? Wo stehen wir denn, was denkst du? Und wo siehst du dich in unserer Ehe?“ Das ist eine offene Frage. Darauf kann man Antworten suchen.
Eins wird in der Ehe nicht so gut gehen wie bei Paulus und den Korinthern. Paulus meinte: Wenn ihr nur wieder in die Reihe kommt, dann kann ich gerne wie ein Depp dastehen. Paulus hat sich selbst zurückgestellt. In der Ehe ist das manchmal nötig, dass einer sich zurücknimmt, weil sonst der Streit überkocht. Nur wenn einer auf Dauer als Depp dasteht, das hält keine Ehe lange aus. Davon hat auch der scheinbare Gewinner im Streit nichts. Denn wer will mit einem Deppen verheiratet sein? Dein Partner braucht einen selbstbewussten, geradlinigen Ehepartner und keinen, der sich verbiegt um des lieben Friedens willen. Du kannst dein Recht wohl mal aus der Hand geben. Aber nie deine Würde. Das macht kaputt. Jeder vertrete also schon seine Interessen. Aber nicht um Recht zu behalten. Sondern wegen des gemeinsamen Ehe-Hauses. Das ist das Ziel und das kann das Ziel von beiden sein.

Und schließlich: Betet füreinander, wenn ihr voneinander enttäuscht seid. Du kannst den nicht mehr gut hassen, für den du betest.

Enttäuschungen in der Ehe werden passieren. Aber auf diesen Grundlinien können wir Ehepaare damit zurechtkommen. Und wo jemand enttäuschte und dabei wirklich schuldig wurde, da kann Vergebung die Tür wieder aufstoßen.

Enttäuscht in der Gemeinde
Enttäuschung ist, wo Liebe ist. In der Ehe werden Enttäuschungen passieren, mit Sicherheit, und in der Gemeinde auch. Paulus und Korinth, sie waren kein Sonderfall. Mir ist sehr bewusst, dass auch in unserer Gemeinde hier einige voneinander enttäuscht sind. Und da können wir am besten so mit umgehen, wie Paulus es vorgezeichnet hat.
[An dieser Stelle wurden in der Predigt einige Punkte benannt.]

Wie aber nun weiter miteinander? Wir haben in der Bibel gesehen, dass es keinen Sinn hat, sich selber zu rechtfertigen. Darauf hat Gott keine Verheißung gelegt. Sondern es muss um unsere gemeinsame Sache gehen. „Seid auf dasselbe bedacht!“ Worauf denn?

Nach der Bibel muss unsere gemeinsame Sache sein, mit dem zu brechen, was Zerstörung anrichtet. Also „Streit, Eifersucht, Wutausbrüche, Egoismus, Verleumdungen, Intrigen, Arroganz und Durcheinander“, um noch einmal Paulus zu zitieren. Unsere gemeinsame Sache muss weiter sein, dass wir unser ganzes Vertrauen auf Gott setzen und von ihm alles erwarten. Nichts anderes heißt ja „glauben“. „Prüft euch selbst, ob ihr im Glauben seid; schätzt euch selbst ein! Oder erkennt ihr euch selbst nicht als solche, in denen Jesus Christus ist?“ Jesus Christus will in jedem einzelnen von uns leben und auch zwischen uns, in unserer Gemeinschaft. Tut er das? Kann er das? Erfahren wir es oder reden wir nur davon?
„All das aber, ihr Lieben, um euch aufzubauen“, sagt Paulus weiter. Aufbauen – Christus baut sein Haus unter uns. Sein Haus aus uns, aus uns lebendigen Steinen. Das ist das gemeinsame Ziel. Passiert das? Lassen wir uns von Christus aufbauen und zusammenfügen? Oder ist jeder sein eigener Architekt, mauert vor sich hin und lässt sich von keinem was sagen?
Dies sind die Maßstäbe. Unser ganzes Vertrauen auf Gott setzen. Ein Haus für Christus sein, das ihm gehört. An diesen Maßstäben müssen wir uns messen lassen, wir alle: die Gemeindeleitung und der Pastor und die, die sich zurückziehen und die, die da bleiben. Die Maßstäbe suchen wir uns nicht selbst. Sie sind uns aus Gottes Wort gegeben. Und wenn einer vom anderen enttäuscht ist, weil der sich gerade nach dem Christus-Maßstab richten will und nicht anderweitig einlenkt – dann muss diese Enttäuschung wohl sein. Dann sind wir beim Kern der Sache angelangt. Dann ist es immer noch bedrückend, das wir einander enttäuschen. Aber dann reden wir nicht mehr über Vorlieben und Gewohnheiten und Geschmäcker, sondern über das Wesen der Gemeinde Jesu. Wie gut, wenn wir zu diesem Kern vordringen!

Eins sollte uns nicht passieren: dass wir uns gegenseitig Vorwürfe machen und Punkt. Oder Ausrufezeichen! Paulus hat nicht mit Ausrufezeichen um sich geworfen, sondern alle eingeladen: Prüft euch selbst. Auf uns heute angewandt, lautet die Frage dann ungefähr so: wo siehst du denn momentan unsere Gemeinde? Wo siehst du dich selbst in unserer Gemeinde? Und wo siehst du Dich auf deinem Weg mit Christus? Diese Fragen sind uns von Gottes Wort gestellt, aber nicht so, dass einer sie für den anderen beantwortet, sondern jeder für sich selbst.

Wird dann unsere gegenseitige Enttäuschung geringer? Lösen sich die Knoten? Zu einem guten Teil wohl schon. Nämlich dann, wenn ich erkenne: Ich war vom anderen enttäuscht, weil ich von ihm etwas erwartet habe, was ich eigentlich nicht erwarten konnte. Gottes Maßstäbe haben meine Erwartungen korrigiert. Das könnte so passieren – und dann ist die Enttäuschung schon geringer geworden.

Noch weiter geht es, wenn wir es Paulus nachmachen und noch bewusster füreinander beten. „Wir beten zu Gott, dass ihr keinerlei Böses tut – nicht damit wir uns als Bewährte herausstellen, sondern damit ihr das Gute tut, wir aber wie Versager dastehen.“ So sagt Paulus es. Wenn wir füreinander beten, dann nicht so, dass ich einen anderen in das Bild hineinbete, das ich von ihm habe. Sondern ich bete und gebe ihn damit an Gott ab. Ich bete, ich entlasse ihn so aus meinen Erwartungen – vielleicht waren sie berechtigt, vielleicht waren sie falsch, aber ich entlasse ihn jedenfalls aus meinen Erwartungen und stelle ihn im Gebet vor Gott. Auch das hilft in der Enttäuschung.

Paulus konnte nicht jede Enttäuschung vermeiden. Einige aus Korinth musste er enttäuschen, weil er am Christus-Maßstab festhielt. Auch wir werden nicht jede Enttäuschung vermeiden können. Eins aber können wir: dann in Würde miteinander umgehen. Einander nicht noch mehr verletzen. Einander freigeben. Einander vor Gott bringen. Und immer wieder uns zusammenbinden lassen in das gemeinsame Ziel, das Gott uns vorgegeben hat: Christus unter uns, und er baut uns auf als sein Haus. In diesem Ziel müssen wir uns gemeinsam treffen.
Werden unsere Beziehungen so heilen? Ist die Beziehung von Paulus und den Korinthern wieder ins Reine gekommen? Wir wissen es nicht genau. Paulus hat seine Gedanken jedenfalls abgeschlossen mit einem Segenswunsch für die, die ihn enttäuschten und die er enttäuschte. Er hat sie diesem Segen anvertraut und das klingt so:

„Im Übrigen, Geschwister: freut euch, lasst euch wieder herrichten, lasst euch ermahnen, seid auf dasselbe bedacht, haltet Frieden. So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. [...] Die freundliche Zuwendung des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.“
Amen.