Donnerstag, 9. Juli 2009

Gemeindeleitung: Spuren suchen, Spuren zeigen

Spuren suchen – Spuren zeigen!
Gemeinde leiten nach dem Galaterbrief
Besinnung für die GL-Klausur am 11.7.2009

Paulus als Vorbild für Gemeindeleitung? Das ist sicher vielen von uns zu groß. Paulus hatte vieles, was wir nicht haben: seinen Auftrag als Apostel, seine Erfahrungen, seine Gelehrsamkeit ...
Aber dennoch bleibt genug übrig, was mit uns vergleichbar ist. Ich möchte den Galaterbrief durch ein Sieb schlagen und herausfiltern, was wir normalen kleinen Gemeindeleitungsmitarbeiter dort abschauen können.
Ich finde dabei das Grundmuster: Wer Gemeinde leitet, nimmt Gottes Spuren wahr und zeigt anderen diese Spuren. Alle gemeinsam richten sich daran aus. Dieses Grundmuster stellt sicher, dass es nicht um einzelne Lieblingsgedanken geht, für die man die Gemeinde gewinnen will, oder Lieblingsmodelle – sondern um Gottes Weisung, die gemeinsam herausgefunden wird.
Hintergrund: Paulus musste in den galatischen Gemeinde um die richtige Richtung kämpfen. Für ihn stand alles auf dem Spiel: ob das Evangelium noch gilt oder ergänzt und damit verdorben wird. Einige wollten zu Gottes Gnade eigene Leistungen hinzuaddieren. Damit – so Paulus – fallen sie aber komplett aus der Gnade heraus (Gal 5,4). Paulus benutzt seinen ganzen Brief dafür, um die Gemeinde wieder in die Spur zu bringen.

1. Gottes Spuren im eigenen Leben
Paulus lässt an manchen Stellen durchblicken, dass er sich an Gottes persönlicher Geschichte mit ihm ausrichtet. Paulus sieht in seinem Leben Spuren von Gott. Daraus gewinnt er Orientierung – nämlich indem er diese Spuren aus der Vergangenheit nun in die Zukunft hinein verlängert.
Welche Spuren sind das?

„Christus hat mich geliebt und hat sich für mich hingegeben.“ ... ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich für mich hingegeben hat. Gal 2,20

Paulus drückt das allgemein Gültige sehr persönlich aus. Christus liebt zwar immer. Aber Paulus sagt hier: Er hat mich geliebt. Nicht als ob Christus ihn jetzt nicht mehr lieben würde. Aber Paulus denkt wohl an ein bestimmtes Ereignis: Da gab es einmal jenen Moment oder jene Tat von Christus oder jene Anrede, wo er ganz für mich da war und es mir gesagt hat. Er hat mich geliebt. – Auch die Hingabe Jesu geschah zwar für jeden Menschen. Aber Paulus betont hier: Er hat sich für mich hingegeben. Nicht als ob Christus sich nicht auch für alle anderen geopfert hätte. Aber Paulus will es hier einmal nur auf sich beziehen. Paulus besinnt sich auf Markierungen in seiner Biografie, an denen er klar erkennt: Hier hat Christus eingegriffen.

In Zukunft soll mir niemand Schwierigkeiten bereiten! Denn ich trage die Malzeichen Jesu an meinem Leib. Gal 6,17

Kein Mensch weiß, was genau diese Malzeichen Jesu sind – vielleicht körperliche Wunden aufgrund der Misshandlungen oder Reisestrapazen? Wohl kaum die „Stigmata“, die man von späteren Heiligen berichtet bekam. Jedenfalls ruft Paulus hier bestimmte persönliche Erfahrungen mit Christus ab und zieht daraus Folgerungen für den Weg, den die Gemeinde nehmen soll (hier: niemand soll ihm mit Nebensächlichem belasten!).

13 Ihr wisst, dass ich euch wegen einer Krankheit, die mich niederwarf, zum ersten Mal das Evangelium verkündigt habe. 14 Trotz der Versuchung, die meine Erscheinung für euch darstellte, habt ihr mich nicht verachtet und nicht verabscheut, sondern aufgenommen wie einen Engel Gottes, wie Christus Jesus. 15 Der Grund, euch selig zu preisen, wo ist er nun geblieben? Ich kann euch nämlich bezeugen: Ihr hättet euch, wenn möglich, die Augen ausgerissen und sie mir gegeben! Gal 4

Hier klingt nun eine gemeinsame Erfahrung von Paulus und der Gemeinde auf. Auch das dürfte – von Paulus aus gesehen – eine geistliche Erfahrung gewesen sein, die zu seiner Lebensgeschichte gehört. Paulus leitet daraus wiederum den künftigen Weg der Gemeinde ab: „Wir stehen doch nicht gegeneinander! Nehmt also meine Worte als Weisung zur Wahrheit an!“
Fazit: Leiten heißt zunächst, sich selbst klarzumachen, wie Gott einen geprägt hat. Gottes Spuren im eigenen Leben müssen wir entdecken, damit wir von da aus Schlussfolgerungen ziehen können, was Gott womöglich auch künftig vorhat. Das ist nicht der einzige, aber ein wichtiger Anhaltspunkt.
Ein gereifter Nachfolger Jesu sollte sich eine gewisse Übersicht über seinen Lebens-Verlauf verschafft haben und sollte sich Rechenschaft darüber geben können: Was sind die wichtigen Markierungen Gottes in meiner Biografie?

Was also sind Gottes markante Spuren in meinem persönlichen Leben? Was gehört zu meinem Erfahrungsschatz, der mir Gott gezeigt hat? Was ist mein unaufgebbares Gepräge (= Gott prägte mich), dem ich auch künftig treu bleiben muss?

2. Gottes Spuren, die allen vorgegeben sind
Neben Gottes Markierungen im persönlichen Leben gibt es auch Spuren, die Gott allgemeingültig gezogen hat. Sie sind nicht nur von einzelnen ablesbar, sondern von allen, die hinsehen können. Auch aus solchen allgemeinen Spuren gilt es, Schlussfolgerungen für die Zukunft abzuleiten. Dadurch wird die „Spurendeutung“ davor bewahrt, allzu individualistisch zu werden.
Paulus zeigt der Gemeinde eine Spur, die sie selbst in ihrer gemeinsamen Gemeinde-Geschichte erkennen können:

2 Dies eine möchte ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist durch die Werke des Gesetzes oder durch die Botschaft des Glaubens empfangen? 3 Seid ihr so unvernünftig? Am Anfang habt ihr auf den Geist vertraut und jetzt erwartet ihr vom Fleisch die Vollendung. 4 Habt ihr denn so Großes vergeblich erfahren? Sollte es wirklich vergeblich gewesen sein? 5 Warum gibt euch denn Gott den Geist und bewirkt Wundertaten unter euch? Weil ihr das Gesetz befolgt oder weil ihr die Botschaft des Glaubens angenommen habt? Gal 3

Die Anfangserfahrung der galatischen Christen ist bei allen gleich: Gott erfüllte sie mit seinem Geist und hat seitdem begonnen, Wundertaten in der Gemeinde zu wirken. Damals hatten diese griechischen Christen keine Vorleistung für Gott erbracht – also nicht etwa das jüdische Gesetz erfüllt. Daraus folgert Paulus: Sie sind eben durch Gnade erlöst. Das sollten sie eigentlich ablesen können an der Geist-Spur in ihrem Leben. Diese Erfahrung liegt allen gleichermaßen vor.
Ein anderes Beispiel:

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, 5 damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen. 6 Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater. 7 Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott. Gal 4

Hier verknüpft Paulus zwei Zeitpunkte: den länger zurückliegenden, als Christus geboren wurde und als Jude lebte, und den kürzer zurückliegenden, als die galatischen Christen den Heiligen Geist empfangen haben. Beide Spuren führen auf Jesus in seiner Eigenschaft als Sohn Gottes zurück. Beide Spuren haben bewirkt, dass nun auch die Galater Söhne Gottes sind. Daraus lässt sich folgern: Sie sind Kinder mit voller Erbberechtigung, keine unmündigen Sklaven. Das bekamen sie als Geschenk. Weitere Schlussfolgerung: Finger weg von jeder nachträglichen Gesetzeserfüllung als Leistung für Gott!
Aus den Spuren der Vergangenheit liest Paulus Spuren für die Gegenwart ab. Paulus leitet die Christen also an, indem er Spuren sucht und diese Spuren dann zeigt.

Welche gemeinsamen Erfahrungen unserer Gemeinde könnten wir als Spuren Gottes in unserer Gemeindegeschichte deuten?

3. Das Ziel, auf das hin wir leiten
Bündeln sich die verschiedenen abgelesenen Spuren, wenn man sie in die Zukunft hinein verlängert, irgendwo? Oder führen sie in alle möglichen Richtungen? Paulus hat durchaus eine eindeutige Zielangabe für die ihm anvertrauten Christen:

[Ihr seid] meine Kinder, für die ich von neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt annimmt. Gal 4,19

Paulus möchte, dass der „Christus in uns“ auch bei den Galatern sich abzeichnet, Formen annimmt. Wenn das geschieht – wenn Christus sich in den Christen ausformt, werden diese Christen umgekehrt christusförmig.
Dieses Ziel ist jedem Glaubenden gesteckt und jeder Gemeinde. Deshalb muss dieses Ziel auch erste Priorität jeder Gemeindeleitung sein: „Wir wollen unsere Gemeinde und die uns anvertrauten Christen dahin führen, dass sie christusförmig werden.“
Paulus lässt erkennen, dass dies auch anderswo sein Ziel war, also nicht etwa nur eine galatische Spezialität. An die Kolosser schreibt er:

[Christus] verkündigen wir, indem wir jeden Menschen auf den rechten Weg weisen und jeden unterrichten in aller Weisheit, um jeden Menschen als in Christus vollkommen hinzustellen. Kol 1,28

Alle anderen Ziele einer Gemeindeleitung – etwa zahlenmäßiges Wachstum, pulsierendes Gemeindeleben, öffentliche Anerkennung der Gemeinde etc. – alle anderen Ziele müssen diesem Christus-Ziel untergeordnet sein und sich aus diesem Christus-Ziel ableiten.

Nimmt unsere Gemeinde an unserer Gemeindeleitung wahr, dass wir sie zuallererst anleiten wollen, christusförmig zu werden? Wodurch nimmt sie es wahr?

4. Das Mittel, mit dem wir leiten
Wie nun leiten einzelne Menschen eine Gemeinde (als Spurensucher und Spurenzeiger), wenn sie vielleicht nur durchschnittlich leitungsbegabt sind? Welche „Instrumente“ setzen sie ein?
Oftmals können wir nichts anderes tun als das Richtige zu sagen. Worte sind unser Mittel. Ein manchmal macht-loses Mittel. Bezwingen können wir niemanden damit. Dennoch zeigt uns das Beispiel von Paulus, dass wir es einfach tun müssen: reden; den Mund aufmachen, berichten von den Spuren, die uns persönlich geprägt haben.
Paulus zeigt es uns erstens durch seinen gesamten Brief. Er hat eben so viele Worte gemacht und sich entsprechende Mühe mit diesen Worten gemacht.
Paulus zeigt es uns zweitens durch die Wirkung, die er sich von der mündlichen Rede erhofft.

Ich wollte, ich könnte jetzt bei euch sein und in einem andern Ton zu euch reden; denn, was euch betrifft, bin ich ratlos. Gal 4,20

Der Brief erscheint Paulus in seiner Wirkung nur begrenzt, denn er gibt den (nachdrücklichen oder werbenden) Tonfall nicht wieder, der jetzt nötig wäre. Paulus würde lieber nicht schreiben, sondern „live“ mündlich reden. Das aber heißt: Das persönlich gesprochene Wort hat doch eine unersetzliche Wirkung.
Das gilt besonders deshalb, weil Paulus ja nicht nur Sachverhalte darlegt, sondern Gottes Spuren in seinem eigenen Leben bezeugt. Gemeindeleitung heißt demnach: Immer wieder freimütig davon reden, welche Erfahrungen Gott einem anvertraut hat. An dieser Stelle darf niemand aus der Gemeindeleitung sparen und keiner darf sich einfach auf den anderen verlassen. Es muss keine besondere Beredsamkeit da sein – aber die Gemeinde muss von jedem aus der Gemeindeleitung persönlich hören können, wofür er steht.
Manchmal bezeugt so eine persönliche Äußerung nicht nur etwas und wirbt nicht nur für etwas, sondern sie konfrontiert:

Also, was ist jetzt: Bin ich euer Feind geworden, weil ich euch die Wahrheit sage? Gal 4,16

Das Spuren-Zeigen von Paulus klingt oberflächlich gehört, als wäre es gegen die Gemeinde gerichtet. Aber weil Paulus auf die von Gott allgemein vorgegebenen Spuren hingewiesen hat, ist in seinen Worten Wahrheit enthalten. An ihr muss sich alles entscheiden. Manchmal steht so viel auf dem Spiel, wenn Gemeindeleitung Spuren sucht und Spuren zeigt.

Fazit
Gemeindeleitung wendet keine zeitlosen Prinzipen an, sondern zeigt darauf, was Gott getan hat. Gemeindeleitung muss immer mit dem lebendigen Gott rechnen, nicht nur mit abstrakten Wahrheiten oder passendem Handwerkszeug. Jeder aus der Gemeindeleitung trägt seinen Teil bei, indem er seine Geschichte mit Gott zur Ansicht öffnet und indem er sich nicht beirren lässt, davon zu reden. Hier sollte sich niemand von anderen aus der Gemeindeleitung vertreten lassen.