Dienstag, 7. Juli 2009

"Wie hören wir Gottes Reden?" - 5

5 Prophetie in der Gemeinde des Neuen Testaments II

Das Grundmuster, wie Prophetie geprüft wird, steht in 1Thess 5:

19 Den Geist bringt nicht zum Erlöschen! 20 Prophetische Rede verachtet nicht! 21 Prüft aber alles, das Gute behaltet! 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt! 1Thess 5

Dabei wird deutlich:

· Prophetie muss geprüft werden, aber dieses Prüfen darf den Heiligen Geist nicht auslöschen.
· Die Prüfung hat nicht das Ergebnis, dass eine prophetische Äußerung komplett angenommen oder komplett verworfen würde. Dann hätte es heißen müssen: Prüft alle Prophetien und die guten behaltet.
· An jeder einzelnen Prophetie wird das Gute übernommen und das Unbrauchbare ausgesondert.
Das NT enthält einige Beispiele, wie man mit Prophetien umging. Diese drei Beispiele sind in einer bestimmten Hinsicht nicht sehr typisch: sie betreffen Vorgänge in der Zukunft. Dennoch zeigen sie ein Grundmuster des Prüfens.

5.1 Ankündigung einer Hungersnot

27 In diesen Tagen kamen auch Propheten von Jerusalem nach Antiochia herab. 28 Einer von ihnen mit Namen Agabus trat auf und kündigte durch den Geist eine große Hungersnot an, die über die ganze Erde kommen werde; diese trat dann unter Claudius ein. 29 Von den Jüngern aber stellte ein jeder zur Verfügung, was er zu geben imstande war, um es den in Judäa wohnhaften Brüdern und Schwestern zur Unterstützung zukommen zu lassen. 30 Und dann schickten sie es durch die Hand des Barnabas und des Saulus den Ältesten. Apg 11

Wie bisher schon gesehen tritt auch hier kein einzelner Prophet auf, sondern eine Gruppe, aus der heraus ein einzelner spricht. Er kündigt ein zukünftiges Ereignis an. Mehr tut er nicht. Ab V. 29 ist eine andere Personengruppe aktiv: die Gemeinde. Der Prophet bestimmt also nicht selbst darüber, was man mit seiner Botschaft anfängt.
Die hörende Gemeinde zieht aus der Zukunfts-Botschaft nun Schlussfolgerungen für die Gegenwart. Aus verschiedenen denkbaren Möglichkeiten wählt sie einzelnes aus – es wird nicht alles getan, was man irgendwie machen könnte.

Ankündigung: (a) Hungersnot, (b) groß, (c) betrifft die ganze Erde
Konsequenz: (a) Unterstützung, Spenden, (b) Es wird nicht möglichst viel gespendet, sondern je nach persönlichem Vermögen, (c) Die Spende geht nur an die Gemeinde in Judäa, (d) Durchführung: durch Boten wird es an die Ältesten gesandt

Die Gemeinde nimmt also die Prophetie entgegen, indem sie fürs Hier und Heute herausfindet, was konkret zu tun oder zu lassen ist.
Prüfung von Prophetie heißt offenbar: Schlussfolgerungen ziehen.

5.2 Ankündigung einer Gefangennahme

8 Am nächsten Tag brachen wir auf, kamen nach Cäsarea, gingen in das Haus des Evangelisten Philippus, der zu den Sieben gehörte, und blieben bei ihm. 9 Dieser hatte vier Töchter, prophetisch begabte Jungfrauen.
10 Wir waren schon mehrere Tage dort, als von Judäa ein Prophet mit Namen Agabus zu uns herabkam. 11 Der kam auf uns zu, nahm den Gürtel des Paulus, band sich Hände und Füße damit und sagte: So spricht der heilige Geist: Den Mann, dem dieser Gürtel gehört, werden die Juden in Jerusalem auf eben diese Weise fesseln und in die Hände der Heiden geben. 12 Als wir das hörten, baten wir ihn, unterstützt von den Jüngern, die dort wohnten, nicht nach Jerusalem hinaufzuziehen. 13 Da entgegnete Paulus: Was soll es, dass ihr klagt und mir das Herz schwer macht? Ich bin bereit, mich in Jerusalem nicht nur fesseln zu lassen, sondern auch zu sterben für den Namen des Herrn Jesus. 14 Da er sich nicht umstimmen ließ, wurden wir ruhig und sagten: Des Herrn Wille geschehe! Apg 21

Wieder spricht ein einzelner Prophet aus einer Prophetengruppe heraus (hier: die Töchter des Gastgebers). Wieder ist es eine Zukunftsansage und wiederum bestimmt der Prophet nicht darüber, was man mit seiner Prophetie anfangen soll.
Hier gibt es nun zwei verschiedene Personen bzw. Personengruppen, welche die Prophetie „deuten“. Sie kommen zu verschiedenen, einander entgegengesetzten Deutungen. Zwei mögliche Schlussfolgerungen konkurrieren also miteinander.
Die Reisegruppe von Paulus, zusammen mit der (Haus-)Gemeinde, schlägt vor, dass Paulus nicht nach Jerusalem solle – das sehen sie offenbar als Gottes Willen an.
Paulus selbst sieht im Gegenteil davon Gottes Willen: Er soll gerade das erfahren, was der Prophet angekündigt hat; Paulus fühlt sich bestätigt.

Ankündigung (a) In Jerusalem (b) wird Paulus gefangengenommen (c) und den Heiden ausgeliefert
Konsequenz A [Gemeinde] (a) Nicht nach Jerusalem! (b) (nicht gefangengenommen werden!)
Konsequenz B [Paulus] (a) Doch nach Jerusalem, (b) gefangengenommen werden, (c) ggf. sogar sterben.

Beiden „Deutungen“ ist gemeinsam, dass es Konsequenzen für’s Hier und Heute sind.
Nur eine Konsequenz kann im Sinne Gottes sein. Es kann wohl durchaus vorkommen, dass eine Deutung nicht im ersten Anlauf gelingt.
Wie kann es sein, dass nicht die Gruppe der Gemeinde recht behält, sondern eine Einzelperson? Das wäre normalerweise unwahrscheinlich. Aber hier kann die Einzelperson – Paulus – auf Reden des Heiligen Geistes zurückgreifen, das er zuvor gehört hat. Die Prophetie von Agabus steht für Paulus in einer Reihe mit den vorhergehenden Weisungen des Geistes. Die spätere bestätigt für ich die frühere.

22 Seht, nun reise ich als ein im Geist Gebundener nach Jerusalem, ohne zu wissen, was mir dort widerfahren wird; 23 nur dass der heilige Geist mir in jeder Stadt bezeugt, dass Fesseln und Drangsale auf mich warten. 24 Doch mein Leben ist mir nicht der Rede wert, wenn ich nur meinen Lauf vollenden und bis zuletzt den Dienst tun kann, den ich vom Herrn Jesus empfangen habe: Zeugnis abzulegen für das Evangelium von der Gnade Gottes. Apg 20

Vorheriges mehrfaches Reden des Geistes (a) In der Zukunft (b) Fesseln und Drangsale
Schlussfolgerung von Paulus (a) Ich reise nach Jerusalem (b) (c) Das Leben ist nicht der Rede wert ... Lauf abschließen ... bis zuletzt ... (Paulus denkt an sein Ende)
Jüngste Prophetie durch Agabus (a) In Jerusalem (b) wird Paulus gefangengenommen (c) und den Heiden ausgeliefert
Konsequenz daraus für die jüngste Prophetie (a) Doch nach Jerusalem, (b) gefangengenommen werden, (c) Ggf. sogar sterben.

5.3 Ankündigung der Entrückung

15 Denn dies sagen wir euch aufgrund eines Wortes des Herrn: Wir, die wir leben, die wir bis zum Kommen des Herrn am Leben bleiben, werden den Verstorbenen nichts voraushaben. 16 Denn der Herr selbst wird beim Erschallen des Befehlswortes, bei der Stimme des Erzengels und der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen. Und die, die in Christus gestorben sind, werden zuerst auferstehen, 17 danach werden wir, die wir noch am Leben sind, mit ihnen zusammen hinweggerissen und auf Wolken emporgetragen werden in die Höhe, zur Begegnung mit dem Herrn. Und so werden wir allezeit beim Herrn sein. 18 So tröstet also einander mit diesen Worten. 1Thess 4

Paulus und seine Mitarbeiter (Silvanus und Timotheus, 1,1) bringen im Folgenden eine prophetische Botschaft, gekennzeichnet durch den Ausdruck „Wort des Herrn“.
Die Ereignisse der Wiederkunft Jesu und der Entrückung werden beschrieben. Dabei wird die Reihenfolge der Entrückung betont.
Am Ende ziehen die Propheten (hier: selbst) eine Schlussfolgerung für die Gegenwart: V 18 – man soll sich gegenseitig trösten. Der Grund fürs Getrostsein steht in V. 15: die Verstorbenen haben keinen Nachteil bei der Wiederkunft Jesu. Vielleicht ist V. 15b schon eine Vorab-Schlussfolgerung, also auch eine Deutung, und die eigentliche Prophetie beginnt erst in V. 16.

Schlussfolgerung 1: V. 15b
Prophetisches Wort:
V. 16+17
Schlussfolgerung 2:
V. 18

5.4. Fazit
Eine prophetische Botschaft ist noch nicht alles. Die Deutung muss notwendig hinzu kommen. Beide Elemente greifen ineinander und ergeben erst gemeinsam das Ganze. Beide Elemente sind auf verschiedene Personen verteilt: der Prophet gibt nicht selbst die Deutung. Deutung heißt: Anwendung; Schlussfolgerung für die Gegenwart.
Wenn die Prophetie inhaltlich auf die Zukunft bezogen ist, so hat Gott sie doch für die Gegenwart gegeben. Diejenigen, denen die Prophetie gesagt ist, können einen Handlungsvorsprung gewinnen oder aber sie bewahren und verstärken ihr Vertrauen zu Gott, wenn ein angekündigtes Ereignis dann eintrifft. Sie merken: Gott hat nach wie vor die Geschichte in der Hand.