Samstag, 11. Juli 2009

Predigt vom 12.7.2009: Wer nichts verdient, kriegt alles geschenkt!

Predigt über Mt 20,1-16:
„Wer nichts verdient, kriegt alles geschenkt“

Liebe Gemeinde,
die Ferien haben begonnen, vorgestern war der letzte Schultag, es gab Zeugnisse und ich möchte gern wissen, wer gut in Mathematik ist.
Für alle, die sich jetzt nicht gemeldet haben, gibt es eine gute Nachricht: Auch Gott ist schlecht im Rechnen! Seine Mathematik ist rechnerisch oft fehlerhaft.
Kühne Behauptung? Nun, Jesus hat viele Beispielgeschichten über Gott erzählt, und in der, die ich für heute ausgesucht habe, geht es um einen Gutsbesitzer. Der steht als Gleichnis für Gott. Und rechnen scheint der eben nicht zu können. Hören wir auf das Gleichnis aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 20:

1 Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. 2 Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. 3 Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten. 4 Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. 5 Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso. 6 Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum? 7 Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!
8 Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten. 9 Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar. 10 Als dann die ersten an der Reihe waren, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar. 11 Da begannen sie, über den Gutsherrn zu murren, 12 und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen. 13 Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? 14 Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir. 15 Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Machst du ein böses Gesicht, weil ich gütig bin? 16 So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten. (Mt 20)

Diese Geschichte hat sich kein Gewerkschaftsführer ausgedacht, sondern Jesus. Er möchte etwas zeigen über Gott und seine Herrschaft. Aber kann man Gott wirklich vergleichen mit einem solchen Gutsbesitzer, der offenbar die Übersicht verloren hat?
Es muss ja ein wohlhabender Gutsbesitzer sein. Sonst hätte er nicht Arbeit für mehrere Tagelöhner. Wer es zu einem großen Weingut gebracht hat, der muss Erfahrung haben. Aber – jetzt kommt das Seltsame – wer Erfahrung im Beruf hat, der wird doch wohl wissen, wie viele Arbeiter er für diesen Tag braucht. Der heuert am morgen die nötige Anzahl an und gut ist. Wieso geht dieser Arbeitgeber immer wieder neu zum Markt, fünfmal insgesamt, und winkt immer noch weitere Tagelöhner heran? Der hat doch wohl wirklich keinen Plan. Der kann doch wohl nicht rechnen – sonst hätte er frühmorgens geklärt, wie viele Männer er braucht.
Oder gibt es einen anderen Grund, dass er so oft geht? Wir sehen uns mal den Satz an, der genau in der Mitte der Geschichte steht, denn dieser Satz enthält noch eine Überraschung.

8 Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten.

Der Gutsherr ruft seinen Verwalter. Aha – er hat einen Verwalter! Er muss wirklich begütert sein. Aber wieso taucht dieser Verwalter erst jetzt aus dem Nichts auf? Wieso hat der nicht vorher die Laufarbeit erledigt, wie es normal gewesen wäre? Wenn der Chef wirklich aus Versehen zu wenige Tagelöhner angeheuert hätte, wäre es doch das Einfachste von der Welt gewesen, schnell seinen Verwalter zum Markt zu schicken. Aber der Chef ging selber hin. Er wollte wohl extra höchstpersönlich zum Markt, immer wieder. Wieso?
Mal angenommen, er hätte richtig gerechnet in der Frühe des Morgens. Soundso viele Arbeiter braucht er. So viele stellte er auch ein. Die anderen ließ er stehen. Die würden schon woanders Arbeit finden. Aber würden sie wirklich? Und was wenn nicht? Ein Tagelöhner lebt eben notgedrungen von einem Tag auf den anderen. Ob er abends nach Hause kommt und seiner Frau und den Kindern die Geldmünze zeigen kann – ein Denar war der normale Tagestarif –, ob er den also seiner Familie zeigen konnte oder ob er etwa mit hängendem Kopf nach Hause kam und vielleicht gesagt hätte: „Heute war nichts“, oder ob er gar nichts gesagt hätte und die anderen hätten auch nicht zu fragen gewagt, weil sie es sowieso schon gesehen hätten: sie hätten ihren gedemütigten arbeitslosen Mann und Vater gesehen und hätten die Scham nicht noch vergrößert, indem sie gefragt hätten – – ob es vielleicht so kommen würde, das weiß man am Morgen noch nicht. Der Tagelöhner weiß es nicht und der, der sich für das Schicksal des Tagelöhners interessiert, weiß es auch nicht. Der Gutsbesitzer war offenbar jemand, der sich für diese Arbeiter interessierte: ob die noch was finden würden oder ob sie abends gedemütigt nach Hause schleichen würden. Deshalb ging er hin. Und als tatsächlich noch welche da standen, stellte er wieder einige ein. Er würde wohl noch was zu tun finden für sie. Aber was war mit den anderen, die wiederum stehen geblieben waren? Wieder und wieder geht der Chef hin, selbst; schickt nicht seinen Verwalter. Es gibt nur einen denkbaren Grund: Der Gutsbesitzer hat ein mitfühlendes Herz für diese Menschen. Er kennt die Abhängigkeit und die Demütigung, wenn sie ohne Arbeit blieben. Der Gutsbesitzer selbst hat das mitfühlende Herz und deshalb schickt er keinen Vertreter, nicht seinen Verwalter, sondern geht persönlich.
Mit den ersten früh am morgen hat er den Normaltarif vereinbart. Einen Denar. Dann holte er um neun Uhr und um zwölf und um 15 Uhr auch noch Arbeiter. Denen versprach er zu geben, „was recht ist“. Was wäre recht für einen Arbeiter, der erst um 15 Uhr loslegt? Das kann er sich selbst schnell ausrechnen. Mit denen, die er zuallerletzt um 17 Uhr anheuert, vereinbart er gar nichts. Eine Stunde Arbeit – es wäre schon viel, dass sie sich in dieser Stunde als tüchtig bewähren und dann vielleicht am folgenden Tag zuerst eingestellt würden.
Aber nun sagt der Gutsbesitzer zu seinem Verwalter nur das eine: „Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus.“ Nicht: „jeweils den Lohn“. Und auch nicht: „den Denar bzw. was für die anderen recht ist.“ Sondern es ist eine Pauschalanweisung: „die Arbeiter – zahl ihnen den Lohn.“ Derselbe Lohn für alle, unabhängig von der Arbeitsleistung. Und wer zuletzt fast nichts verdient hätte, weil er eben kaum GEdient hat, der bekommt das meiste des vollen Lohnes also geschenkt. Unfreiwillige Kurzarbeit, aber mit vollem Lohnausgleich.
Das konnte sich damals schon kein Arbeitgeber leisten. Also kann dieser Chef wirklich nicht rechnen? Doch, natürlich. Aber er wollte es so!
Jesus hat die Geschichte so begonnen: „Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer ...“ Bei Gott geht es eben so zu. Gott hat ein Herz für die, die ganz hintenanstehen. Die von anderen ständig überholt werden, weil diese anderen irgendwie tüchtiger sind oder ansehnlicher, weil die jedenfalls oft eine bessere Schnitte bekommen. Es gibt Menschen, die fallen immer zuerst positiv auf. Die purzeln immer wieder auf ihre Füße. Und eben die Verlierer. Die wählt man im Sportunterricht nicht in die Mannschaft, die bleiben beim abwechselnden Einwählen bis zuletzt stehen und werden dann notgedrungen als Ballast mitgenommen. Die sitzen beim Gartenfest isoliert da, weil sie nicht fein genug sind. Es gibt Menschen, die sich vom Schicksal zurückgesetzt vorkommen, weil sie zeitlebens kränker sind als andere und in der Familie mehr Schwierigkeiten haben und ihren Job früher verlieren. Sie kommen sich bestraft vor, ohne dass sie sagen könnten wofür. Aber anscheinend hat das Schicksal oder auch Gott sie auf dem Kieker. Und in der frommen Welt gibt es auch diejenigen, die nicht so wohlgesetzt reden können und nicht so erfolgreich ihre Probleme gelöst kriegen oder sie jedenfalls nicht so erfolgreich verstecken können wie andere. Menschen, die nicht so treffsicher den Kleidungsgeschmack der Gemeinde kopieren und deshalb irgendwie auffallen und das auch spüren. Es gibt diejenigen, die keine wohlbehütete Biografie vorweisen können und nicht schon mit fünf in der Sonntagsschule waren und mit fünfzehn im Chor.
Christen zweiter Klasse? Sie dürfen auch in der Gemeinde sein, aber nur aus Gnaden?
Wer in solch einer Lebenssituation ist, verschuldet oder unverschuldet, wer immer ein paar Probleme zu viel hat und ein paar christliche Manieren zu wenig – der sitzt in einer doppelten Klemme.
Erstens hat er eben wirklich die Probleme. Finanzsorgen oder sonst was. Das macht Stress genug. Aber zweitens sind diese Menschen sehr oft dabei, sich selbst abzuwerten. Die Gesellschaft wertet sie ab, das ist klar, aber irgendwann bleibt das so in den Kleidern hängen, dass man meint: Da muss ja was dran sein. Ich bin wohl wirklich einer, der sich ganz hinten anstellen muss. Mit mir hat sich der liebe Gott wohl wirklich nicht so viel Mühe gegeben. Pech auch!
Die Tagelöhner, die damals an vielen Tagen ohne ihren Tages-Denar heim kamen, die werden sich so gefühlt haben: nicht nur zu wenig Geld, sondern auch so wertlos durch und durch. Die anderen waren mal wieder schneller, ich bin mal wieder das Letzte.
Gott will das nicht! Gott will nicht, dass auch nur einer so über sich denkt. Gott will uns herausholen aus unseren Lügen, als ob es Lieblingskinder gäbe und andere, die auch mal eben so noch mitmachen dürfen. Gott holt die Letzten ganz nach vorne. Gott gibt denen, die sich im Tiefsten schämen dafür, dass sie so leben, wie sie leben, denen gibt Gott volle Anerkennung. Nicht nur den vollen Lohn. Sondern auch volle Würde. Der Gutsbesitzer hätte ja auch abends an den Markt gehen können und jedem, der noch rumstand, einen Denar schenken können. Dann hätten sie Geld gehabt, wären aber ihre Demütigung nicht los geworden. Almosen! Doch der Gutsbesitzer verteilte keine Almosen, sondern Arbeit. Und damit die volle Würde dessen, der arbeiten kann. Der Gutsbesitzer sagte nicht nur: Ich will, dass du Auskommen hast. Sondern auch: Ich kann dich brauchen! Komm und arbeite bei mir. Du taugst dafür, das sehe ich. Dich kann ich brauchen.
Gott winkt die, die weit hinten in der Reihe stehen, ganz nach vorne. Die Letzten werden die Ersten sein. Und am Ende stehen alle mit ihrem vollen Lohn da, ob verdient oder geschenkt. Wann immer du auch Momente hast, wo du dir selber sagst: „Ich stehe hinten, ich bin das Letzte“: Glaub diese Lüge bitte nicht. Gott sagt dir: Bei mir stehst du vorn wie alle anderen. Ich will mit dir zu tun haben.

Die Letzten stehen vorn wie alle anderen. Und wer steht dann hinten? Es „werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten“ – wen betrachtet Jesus in Wahrheit als die Letzten?
Der Gutsbesitzer zeigt es uns. Er inszeniert eine Situation, wo etwas aufbricht. Er sagt dem Verwalter: „Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten.“ Von hinten nach vorne wird bezahlt. Einfacher wäre es umgekehrt gewesen. Wenn erst die bezahlt worden wären, die volle zwölf Stunden gearbeitet hatten, danach die Neunstünder, dann die Sechs-, Drei- und Einstünder, dann wäre jeweils jeder zufrieden gegangen. Die letzten hätten sehr gestaunt, aber die ersten wären zufrieden gewesen. Doch nun inszeniert der Gutsherr es genau umgekehrt: Bezahlt wird „angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten.“ Warum? Damit die ersten eben mitbekommen, was die letzten gekriegt haben. Der Chef mutet den besten Leistungsträgern zu, dass sie ins Angesicht demonstriert bekommen, wie die Kurzarbeiter dasselbe kriegen wie sie. Der Chef will, dass die zuerst Gekommenen das aushalten.
Natürlich halten sie es nicht aus. Natürlich revoltieren sie. Dabei haben sie doch kein Unrecht erlitten. Sie kommen nicht zu schlecht weg. Sie haben auch gar keinen Nachteil davon, dass die Kurzarbeiter besser gestellt werden. Sie sollen es aber einfach ertragen, dass es so ist, ohne Neid. Das schaffen sie nicht. Der Chef sagt einem von ihnen: „Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will – ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir.“
Nimm dein Geld und geh! Wenn Gott sagt: „Jetzt geh“, dann kann das unheimlich hart sein. Du wolltest so leben, also lass ich dich auch so leben, aber jetzt geh! Der Gutsbesitzer zieht einen Strich zwischen sich und die Neidischen. Jetzt wissen wir, wer zu den wirklich Letzten gehört: die Unbarmherzigen. Die den anderen nichts gönnen. Die sich ihre Leistung als Vorteil anrechnen und darauf bestehen, dass die anderen dann doch im Nachteil bleiben müssten.
Aber wo bleibt die Gerechtigkeit? Hat der Gutsbesitzer nicht gesagt: „Ich will dir geben, was recht ist?“ Wo bleibt denn noch das Recht?
Vom Recht wird kein Millimeter abgeschnitten. Niemand wird ungerecht behandelt. Aber Jesus definiert mit dieser Geschichte, wie Gott die Sache mit der Gerechtigkeit sieht: Gerechtigkeit wird erfüllt, aber das genügt nicht. Sondern Gerechtigkeit bleibt gültig und Ungerechtigkeit wird aufgefüllt mit Barmherzigkeit. Gottes Gerechtigkeit ist groß. Aber seine Barmherzigkeit ist größer. Die Gerechtigkeit hat ihren festen Platz in Gottes Barmherzigkeit. Aber wehe wenn wir Gottes Barmherzigkeit eingrenzen wollen auf rechnerische Gerechtigkeit. Das können wir tun. Aber dann hören wir von Gott: Nimm deine Gerechtigkeit und geh!
Gemeinde ist der Ort, wo wir uns gegenseitig aushalten müssen auch als solche, die begnadigt wurden. „Du hast sie uns gleichgestellt“, wirft der Langzeitarbeiter dem Gutsherrn vor. Gemeinde ist der Ort, wo wir aushalten müssen, dass Gott uns gleichstellt. Gott fragt nämlich zurück: „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Machst du ein böses Gesicht, weil ich gütig bin?“ Das ist Gottes Frage.
Blickst du hinab auf den Jugendlichen, der naturgemäß noch nicht so gefestigt ist in seinem Charakter? Sagst du über ihn, er soll erst mal was Ordentliches zustande bringen, bevor er in der Gemeinde den Mund aufmacht? Ärgerst du dich, dass Gott ihn dir gleichstellt?
Wie betrachtest du die Personen, die man häufig nach dem Gottesdienst im Gemeindecafé sieht, wie sie sich den Teller füllen, aber im Gottesdienst traf man sie selten? Gönnst du ihnen ihre zwei Teller Kuchen? Wie findest du das, dass Gott sie dir gleichstellt?
Hältst du dich für besser als die Familien, die keine bürgerliche heile Welt vorweisen können? Die ihr Leben vielleicht mit immer denselben Dauerproblemen zubringen? Kannst du es aushalten, dass Gott sie dir gleichstellt?
Und wie ist es mit denen, die noch gar nicht zu unserer Gemeinde gehören? Die vielleicht auch, wenn sie kämen, sofort wieder rausgehen würden, wenn sie spürten: Hier herrscht das Gesetz der rechnerischen Gerechtigkeit? Und wenn sie doch nicht rausgingen? Wenn dann welche kämen, die keine Ahnung haben, was Treue bedeutet? Die nicht wissen, wann sie schweigen sollten anstatt dazwischenzureden? Die vielleicht glauben, Gott sei zuerst ein gutes Gefühl? Wenn die kämen und Gott stellt sie uns gleich, aus Gnade – wie finden wir das?
Gott ist ein Gott der Barmherzigkeit, voller Mitgefühl wie dieser erbarmende Arbeitgeber. Wenn wir nur Gottes Gerechtigkeit wollen, aber seine Barmherzigkeit uns unerträglich ist, dann haben wir einen Strich gezogen zwischen uns und Gott. „Denn das Gericht kennt kein Erbarmen mit dem, der nicht Barmherzigkeit übt. Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.“ So sagt es die Bibel [Jak 2,13]. Gott lässt die Gerechtigkeit nicht links liegen. Aber an der Gerechtigkeit gehen wir zugrunde. Wir brauchen mehr als Gerechtigkeit, wir brauchen das, was über das Gericht triumphiert: Barmherzigkeit.
Und wenn wir es nicht schaffen? Wir sind nun einmal Menschen: wenn wir es doch nicht aushalten, dass Gott alle möglichen Leute uns gleichstellt? Dann werden wir die Letzten sein? Dann sagt Gott eben: „Nimm dein Geld und geh!“ –? Nimm deine Gerechtigkeit und geh weg?
So redete der Gutsbesitzer im Gleichnis mit dem Leistungsbringer. So wird Gott mit uns reden, jawohl.
Aber – aber im Gleichnis war das nicht das letzte Wort des Gutsherrn. Sondern er sprach weiter.

13 Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? 14 Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir. 15 Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Machst du ein böses Gesicht, weil ich gütig bin?

Der Gutsherr redet klar und hart, aber er redet weiter. „Und geh“ – das meint er so zu dem Selbstgerechten. Aber auch den will der Gutsherr noch gewinnen. Deshalb fragt er zum Schluss: „Bist du neidisch wegen meiner Güte?“ Findest du meine Gnadenmathematik wirklich nicht zum Aushalten? Bist du wirklich nicht imstande zur Mitfreude?
Jesus erzählt nicht, wie die Geschichte ausgeht. Wir erfahren nicht, wie der angesprochene Langzeitarbeiter reagiert. Wie die Geschichte ausgeht, das liegt jeweils daran, wie du und ich sie fortschreiben in unserem Leben. Sie könnte noch ein Happy End haben.
Also was ist? Machen wir ein böses Gesicht, weil Gott gütig ist?
Amen?

(Diese Predigt wurde inspiriert durch die Auslegung von Kenneth E. Bailey in seinem Buch "Jesus through Middle Eastern Eyes".)